Gib doch nach, Pia!: Die Klinik am See 31 – Arztroman
Von Britta Winckler
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Über dieses E-Book
Britta Winckler ist eine erfahrene Romanschriftstellerin, die in verschiedenen Genres aktiv ist und über hundert Romane veröffentlichte. Die Serie "Die Klinik am See" ist ihr Meisterwerk. Es gelingt der Autorin, mit dieser großen Arztserie die Idee umzusetzen, die ihr gesamtes Schriftstellerleben begleitete.
»Mami, es regnet!« Christian stand mit diesem Schreckensruf in der Tür zum Schlafzimmer seiner Mutter, und seine helle Jungenstimme deutete bereits an, was diese Tatsache an Ärger in den beginnenden Tag tragen würde. Pia Huber richtete sich in den Kissen auf, strich das Haar zurück und blickte ihrem kleinen Sohn entgegen, welcher, licht und blond, so wenig zum Ausrufer schlechter Nachrichten geeignet schien, wie ein heller Sonnenschein. »Du hast schon Tee gemacht?« fragte sie lächelnd und ignorierte erst einmal seinen Hinweis auf das Wetter, um seinem ernsthaften Bemühen zuzusehen, mit dem er nun das Tablett mit dem dampfenden Teebecher darauf auf ihr Bett zutrug. Und während sie ihm behilflich war, es sicher abzusetzen, sagte sie: »Wie lieb von dir«, und ihre zärtliche Hand streichelte seinen blonden Kopf. Einen Moment spiegelte sein rundes Kindergesicht die stolze Freude wider, welche das Lob in ihm auslöste, dann aber wiederholte er mit Nachdruck: »Mami, es regnet!« Und der Ausdruck seiner blauen Augen geriet zu der Ratlosigkeit, welche sie beide täglich aufs Neue erfüllte. »Ja, Liebling, ich weiß.« Pia versuchte ihrer Stimme einen gelassenen Ton zu geben und führte doch etwas angestrengt den Teebecher zum Mund. Dem normalen Tag zu begegnen, war seit kurzem zur ständigen Anstrengung geworden, aber mit Regenwetter nahezu unerträglich. Hatte sie einen Fehler gemacht, als sie nach ihrer Scheidung das kleine Häuschen mit dem Andenkenladen angemietet hatte, um für sich und ihren kleinen Sohn eine neue Existenz zu schaffen? Pia starrte ratlos auf die Blumenranken des geschlossenen Fenstervorhangs, welche unter dem grauen Morgenlicht so müde, farblos und unbewegt wirkten, als hätte auch sie jeder Mut verlassen. Dabei hatte am Anfang alles so ideal ausgesehen, wie eine Art unverhoffter Glücksfall. Die Lage des Häuschens an der Zufahrtstraße zum See, die täglichen Ausflügler, die mit der Regelmäßigkeit lufthungriger Städter auftauchten, um am Seeufer spazierenzugehen. Auf dem Weg dorthin aber verweilte so mancher vor ihrem Laden, um eine kleine Erinnerung aus ihrem Andenkensortiment mit nach Hause zu nehmen. Pia seufzte. Wie hatte sie nach diesem hoffnungsvollen Start auch ahnen können, daß der kürzlich erfolgte Baubeginn der nördlichen Umgehungsstraße gerade auf ihre nervlichen Kosten gehen würde? »Soll ich die Vorhänge aufziehen?«
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Rezensionen für Gib doch nach, Pia!
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Buchvorschau
Gib doch nach, Pia! - Britta Winckler
Die Klinik am See
– 31–
Gib doch nach, Pia!
Vielleicht ist er der Mann, der dich glücklich macht
Britta Winckler
»Mami, es regnet!« Christian stand mit diesem Schreckensruf in der Tür zum Schlafzimmer seiner Mutter, und seine helle Jungenstimme deutete bereits an, was diese Tatsache an Ärger in den beginnenden Tag tragen würde.
Pia Huber richtete sich in den Kissen auf, strich das Haar zurück und blickte ihrem kleinen Sohn entgegen, welcher, licht und blond, so wenig zum Ausrufer schlechter Nachrichten geeignet schien, wie ein heller Sonnenschein.
»Du hast schon Tee gemacht?« fragte sie lächelnd und ignorierte erst einmal seinen Hinweis auf das Wetter, um seinem ernsthaften Bemühen zuzusehen, mit dem er nun das Tablett mit dem dampfenden Teebecher darauf auf ihr Bett zutrug. Und während sie ihm behilflich war, es sicher abzusetzen, sagte sie: »Wie lieb von dir«, und ihre zärtliche Hand streichelte seinen blonden Kopf.
Einen Moment spiegelte sein rundes Kindergesicht die stolze Freude wider, welche das Lob in ihm auslöste, dann aber wiederholte er mit Nachdruck: »Mami, es regnet!« Und der Ausdruck seiner blauen Augen geriet zu der Ratlosigkeit, welche sie beide täglich aufs Neue erfüllte.
»Ja, Liebling, ich weiß.« Pia versuchte ihrer Stimme einen gelassenen Ton zu geben und führte doch etwas angestrengt den Teebecher zum Mund. Dem normalen Tag zu begegnen, war seit kurzem zur ständigen Anstrengung geworden, aber mit Regenwetter nahezu unerträglich.
Hatte sie einen Fehler gemacht, als sie nach ihrer Scheidung das kleine Häuschen mit dem Andenkenladen angemietet hatte, um für sich und ihren kleinen Sohn eine neue Existenz zu schaffen? Pia starrte ratlos auf die Blumenranken des geschlossenen Fenstervorhangs, welche unter dem grauen Morgenlicht so müde, farblos und unbewegt wirkten, als hätte auch sie jeder Mut verlassen.
Dabei hatte am Anfang alles so ideal ausgesehen, wie eine Art unverhoffter Glücksfall. Die Lage des Häuschens an der Zufahrtstraße zum See, die täglichen Ausflügler, die mit der Regelmäßigkeit lufthungriger Städter auftauchten, um am Seeufer spazierenzugehen. Auf dem Weg dorthin aber verweilte so mancher vor ihrem Laden, um eine kleine Erinnerung aus ihrem Andenkensortiment mit nach Hause zu nehmen.
Pia seufzte. Wie hatte sie nach diesem hoffnungsvollen Start auch ahnen können, daß der kürzlich erfolgte Baubeginn der nördlichen Umgehungsstraße gerade auf ihre nervlichen Kosten gehen würde?
»Soll ich die Vorhänge aufziehen?« fragte Christian, welchem das Dämmerlicht nicht behagte, und er lief bereits zum Fenster.
Einen Moment war sie versucht, ihn davon abzuhalten, als ließe sich bei geschlossenen Gardinen alles leichter ertragen, dann aber fragte sie lediglich: »Wie spät ist es?«
»Gleich sieben, Mami«, antwortete Christian und zog mit Schwung an der Gardinenschnur. Der blumige Vorhang glitt zur Seite, und seine verschlafenen Blüten schienen sich umgehend in den Falten zu verstecken, als scheuten auch sie den Anblick des milchigtrüben Tages.
»Sieben? Nun ja, dann wird der Ärger gleich wieder losgehen.« Pia nahm die Decke zurück und setzte die Füße auf den hellen Läufer, der vor dem Bett lag. Dann gab sie sich einen weiteren inneren Ruck und erhob sich. Ihr langes seidenes Nachthemd glitt dabei geschmeidig bis zum Boden hinab.
»Vielleicht arbeiten sie bei dem schlechten Wetter nicht an der neuen Straße«, gab Christian seine Hoffnung auf einen ruhigen Tag kund und drückte seine kleine Nase gegen die Fensterscheibe, über welche die dicken Regentropfen rannen.
»Schön wäre es, mein Kleiner, aber Straßenbauer haben ihre Termine, und ein bißchen Regen hält sie daher nicht von der Arbeit ab.« Pia trat zu ihrem Sohn ans Fenster und blickte hinab auf das nasse Band der Straße. Über den schwarz glänzenden Asphalt fuhren die ersten Personenwagen, aber sie waren nicht ihr Problem, brachten sie nicht selten auch ihre Kunden heran. Ihr Problem waren die schweren Transportfahrzeuge der Hoch- und Tiefbaufirma Hofstätter, welche seit Beginn der Straßenarbeiten ohne Unterlaß Sand, Kies und Schotter mit donnerndem Getöse an ihrer Haustür vorbeitransportierten und das Leben in dem Häuschen in jeder Beziehung schwierig machten.
»Rufen wir heute wieder die Polizei?« Christian nahm den blonden Kopf zurück und sah zu ihr hoch, die Erinnerung an einen aufregenden Tag in den blauen Kinderaugen.
Pia legte ihre Hand auf seinen blonden Haarschopf und schüttelte den Kopf. Vor drei Tagen waren ihr die Nerven durchgegangen, und sie hatte die Polizei gebeten, Geschwindigkeitsmessungen durchzuführen, mit dem Resultat, daß sie Belehrungen der Beamten über das zulässige Tempo auf Landstraßen hatte hinnehmen müssen.
Die bedauernde Freundlichkeit der beiden Beamten hatte sie ihre Ohnmacht erkennen lassen, hilflos einer Situation ausgeliefert zu sein, welche nun für die Dauer von zwei Jahren Bauzeit ihr tägliches Los sein würde.
Zuvor hatte sie bereits bei der Firma Hofstätter gegen die ständige lärmende Belästigung protestiert, aber nur erstaunte Ablehnung erfahren. Es gebe keine andere Zufahrt zu dem Straßenabschnitt als diesen, hatte man sie abgewiesen, und außerdem sei er der kürzeste und damit rationellste Weg zwischen Firmengelände und Bauvorhaben.
»Können die Fahrzeuge nicht wenigstens das Tempo drosseln?« hatte sie gefragt, um gleich darauf auf ein kühl kalkuliertes Arbeitsprogramm hingewiesen zu werden – nach der Devise: Zeit ist Geld.
Und während sie jetzt wieder an das Gespräch dachte, nahte wie zur Bestätigung dieses Denkens der erste Kipper dieses Morgens mit seiner ganzen Lebensfreude vernichtenden Präsenz. Das Häuschen erbebte in seinen Grundfesten, während wie eine gefüllte Faust die nebligschmutzige Nässe gegen das Fenster schlug, als der graue Koloß wie ein Alptraum vorbeidröhnte.
In Pia verkrampfte sich augenblicklich alles. Sie mochte nicht einmal an ihre beiden kleinen Schaufenster denken, welche diese fliehenden Schübe aus Schmutz und Nässe stets aus erster Hand abbekamen.
»Er hatte Sand geladen, nicht, Mami?« Christian drückte die Wange gegen die Scheibe, um dem Lastwagen noch eine Weile nachsehen zu können.
Sie nickte mühsam und sagte dann: »Komm, wir müssen dich für die Schule anziehen!« Langsam wandte sie sich in den Raum zurück, bereits wieder von der ständigen Frage eingekreist, was nun werden sollte. Sie hatte ihr ganzes Geld in die Renovierung des Häuschens und die Ausstattung des Ladens gesteckt – an ein Aufgeben war somit gar nicht zu denken.
»Fährst du mich heute mit dem Auto zur Schule?« durchbrach Christian ihre Gedanken und zog an seiner verrutschten Schlafanzughose, während sie in sein Zimmer hinübergingen.
»Ja, sicher, bei dem Regen kannst du nicht mit dem Rad auf dem Seeweg fahren«, sagte Pia Huber und versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. Dann legte sie ihm seine Kleider zurecht.
»Soll ich nach der Schule bei Tante Marie auf dich warten?«
»Ja, tu das.« Pia blickte ihn eine Weile nachdenklich an. Er war in erster Linie ihr kleiner liebenswerter Sohn, aber ebenso auch ihr aufmerksamer und über seine Lebensjahre hinaus verständiger kleiner Freund. Sie wußte, das Leben hatte sie stärker zusammengeschmiedet, als es normal war.
Und während sie nun über den engen Flur auf das Bad zuging, dachte sie an ihre Ehe, welche glücklich begonnen hatte, um dann, unvorstellbar, im Fiasko zu enden. Sie hatte einen wohlhabenden Mann geheiratet, welcher schließlich der Spielleidenschaft verfallen war. Hochs und Tiefs hatten von da an ihr Leben begleitet, es in einem ständigen Wechsel von Hoffnung und Enttäuschung gehalten. Ihre ganze Kraft war jahrelang in das Bemühen geflossen, ihm zu helfen und von dieser Sucht zu befreien aber sie hatte den Kampf verloren. Als das Kind darunter zu leiden begann, hatte sie den Schlußstrich gezogen und mit den Resten ihrer Habe ein neues Leben angefangen.
Auefelden am See hatte sich angeboten, nicht zuletzt, weil ihre Schwester Marie hier lebte. Außerdem hatte ihr der hübsche Ort immer gut gefallen, er war ruhig und malerisch gelegen wie ein Stück heile Welt. Das Häuschen fand sich, gelegen zwischen Ortseingang und See, und mit ihm hatten sich künftige Träume verbunden – und jetzt?
Pia trat an das Waschbecken heran und blickte sich ratlos im Spiegel an. Würde sie die Kraft aufbringen, zwei volle Jahre diese lautstarke Hölle vor ihrer Tür zu ertragen? Sie wußte, daß der Lärm heute ganz allgemein zum Alltag des Menschen gehörte, er damit leben mußte – und durch ihn nicht selten krank wurde. Würde sie in zwei Jahren, wenn die Bauarbeiten abgeschlossen waren, ein menschliches Wrack sein?
Gedankenvoll drehte sie den Wasserhahn auf und ließ das kühle Naß über ihre Hände gleiten, beugte dann den Kopf, um auch das Gesicht zu erfrischen. Und während sie nach dem Handtuch griff, richtete sie sich wieder auf und blickte erneut in den Spiegel.
Ihr Gesicht war starr und blaß unter den laufenden Wassertränen, die blauen Augen ernst und ohne Hoffnung. Und indem sie noch an ihr