Seewölfe - Piraten der Weltmeere 434: Sklaven für Potosi
Von Roy Palmer
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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 434 - Roy Palmer
8
1.
Cochuba wußte, daß er sterben mußte – so oder so, auf die eine oder andere Art. Er würde sein Dorf, das hoch oben in der Cordillera de Lipez stand, nicht mehr wiedersehen. Von diesem Dorf existierten ohnehin nur noch klägliche Überreste: schwärzliche Mauerruinen einer Ansammlung von Hutten, die einst fast hundert Menschen beherbergt hatten.
Die Spanier hatten das Dorf überfallen und alles niedergebrannt. Sie hatten die Kinder und Greise getötet und die Frauen und Mädchen vergewaltigt. Die Männer hatten sie verschleppt, nach Potosi, wo sie im Cerro Rico, dem „Reichen Berg", Fronarbeit leisten mußten.
Tausende von Indianern teilten Cochubas Schicksal. Sie waren Sklaven der Spanier. Von früh bis spät mußten sie mühselig das kostbare Silber dem Fels abgewinnen, zu essen und zu trinken gab es nur wenig – einen erbärmlichen, von Maden durchsetzten Fraß und fauliges Wasser. Die wenigen Stunden Schlaf reichten nicht aus, um neue Energien zu gewinnen. Die Peitschen der Aufseher trieben sie gnadenlos an und jagten sie wieder hoch, wenn sie einmal erschöpft zusammenbrachen.
Es war die Hölle auf Erden. Nachts wurden die Indios mit Ketten an Pflöcken festgebunden, die in den Erdboden gerammt waren. Einige schliefen in Höhlen, andere in erbärmlichen Hütten, die übrigen unter freiem Himmel. Tagsüber war es in den Stollen heiß und stickig, doch die Nacht auf dem Altiplano war kalt, auch jetzt, Anfang Oktober 1594.
Cochuba hatte viele seiner Brüder sterben sehen – unter den Peitschenhieben der Aufseher, von Hunden zerfleischt oder auf der Flucht erschossen. Viele von ihnen waren auch heftigem Fieber erlegen oder erfroren. Andere wieder waren vor Schwäche verschieden.
Cochuba wußte, daß auch er sterben würde, denn seine Kräfte schwanden immer mehr, aber er wollte nicht hier sterben, nicht in der Hölle von Potosi, sondern vielleicht ein paar hundert Schritte weit entfernt.
Und im Kampf würde er fallen, nicht wie eine Laus verenden, die von den Stiefeln der Spanier zertreten wurde.
Wochen hatte er darauf verwendet, sich heimlich ein Hartholzmesser anzufertigen. Mit primitivsten Mitteln hatte er daran gearbeitet, immer dann, wenn die Aufseher wegsahen oder gerade ihre Mahlzeiten einnahmen. Cochuba hatte ein Versteck in dem Stollen, in dem er mit seinen Leidensgenossen schuftete, und es war ihm gelungen, das Messer vor den Augen seiner Peiniger zu verbergen.
Bis heute nacht. Am Abend hatte er es sich unter den Lendenschurz gesteckt und mit zu seinem Schlafplatz genommen. Er war einer von denen, die unter dem freien Himmel übernachten mußten, und auch ihm setzte die Kälte erheblich zu.
Er fror, seine Zähne klapperten, und Eis schien ihm in die Knochen zu kriechen. Aber vielleicht war es das, was ihn am Einschlafen hinderte. Er war hundemüde, und doch gelang es ihm, die Augen offenzuhalten.
Neben ihm lagen die anderen Sklaven, die einen zusammengerollt, die anderen mit von sich gestreckten Armen und Beinen, so daß man von ihnen fast annehmen mußte, daß sie nicht mehr am Leben waren.
Cochuba wußte, daß es bei diesem oder jenem möglich sein konnte. Am Morgen stellte sich manchmal heraus, daß ein oder zwei Mann die Kälte der Nacht nicht überlebt hatten, in den letzten Tagen immer häufiger. Dann wurden die Leichen fortgeschleppt und irgendwo verscharrt oder einfach in einen nahen Bergsee geworfen.
Cochuba begann mit seiner Arbeit. Mit einem einzigen Blick hatte er sich vergewissert, daß der Aufseher, der um diese Zeit am Lager Wache hatte, weit genug von ihm entfernt war. Er stand nicht mehr als zehn Schritte jenseits des Steinhauses, in dem der Oberaufseher schlief, und unterhielt sich gedämpft mit einem anderen Posten, der in regelmäßigen Zeitabständen seine Runde um das Lager zu gehen hatte, dann aber wieder verharrte und die Gelegenheit nutzte, sich mit seinem Kameraden zu unterhalten.
Cochubas größter Haß galt nicht ihnen, sondern dem Mann, der in dem flachen, langgestreckten Bau ruhte. Carrero, dachte er mit verzerrtem Gesicht, Cochubas Leben hat ein Ende, aber auch du wirst elendig verrecken.
Luis Carrero war der Oberaufseher des Silberbergwerks – und der größte Sadist und Schinder, den es gab. Er war ein stattlicher, schöner Mann, groß, blond und blauäugig. Aber man brauchte ihm nur richtig ins Gesicht zu sehen, um zu wissen, wie es in seinem Inneren aussah. Seine Seele war schwarz und unauslotbar, und in seinen Adern floß – davon war Cochuba fest überzeugt – kein Blut, sondern reines Pfeilgift.
Er hatte schon viele Indios zu Tode geprügelt. Aber schlimmer noch als die Peitsche, deren er sich bediente, waren seine Bluthunde. Seine Lieblinge, wie er sie nannte. Sein bevorzugter Rüde hieß bezeichnenderweise „Philipp". Er gehorchte seinem Herrn aufs Wort und konnte unglaublich schnell laufen. Jeden Menschen holte er mühelos ein, auch in der unwegsamen Bergregion rund um Potosi.
Die Hunde waren auf Menschen abgerichtet. Normalerweise waren sie in einen Zwinger eingesperrt, da sie sonst ständig Sklaven angefallen hätten. Sie brauchten die Indios nur zu wittern, dann wurden sie wild und benahmen sich wie verrückt. Aus diesem Grund hielt Carrero sie eingepfercht und ließ sie nur heraus, wenn nach einem entflohenen Sklaven gesucht wurde.
Hin und wieder passierte es eben doch, daß einer der Indios heimlich das Lager verließ oder tagsüber während der Arbeit einfach fortrannte. Dann brauchte Luis Carrero in seinem Haus nur an einem dicken Strick zu ziehen, und der Zwinger öffnete sich. Der Strick war durch ein einfaches, aber gut funktionierendes System mit dem oberen Ende einer Gittertür verbunden, die nach oben oder nach unten glitt.
Cochuba hielt in seinen Bemühungen inne und lauschte. Die Hunde verhielten sich ruhig, sie schienen zu schlafen. Die Posten hatten sich von ihrem derzeitigen Standort nicht fortbewegt. Nichts rührte sich, der Zeitpunkt hätte nicht günstiger sein können.
Schon vor ein paar Tagen hatte Cochuba festgestellt, daß sich der Ring seiner Kette, der an dem Holzpflock im Boden befestigt war, ein wenig lockern ließ. Am anderen Ende der Kette war das Halseisen, das sich um seine Kehle schloß. Er wußte, daß er nicht die geringste Chance hatte, dieses Eisen mit dem Hartholzmesser aufzubrechen, aber bei dem Ring konnte er Erfolg haben.
Vorsichtig bewegte er den Ring immer höher, aber der Pflock hatte eine Verdickung, über die er sich nicht hinausschieben ließ. Cochuba gab nicht auf. Verbissen arbeitete er weiter. Trotz der Kälte brach ihm der Schweiß aus. Du mußt es schaffen, hämmerte er sich immer wieder ein, jetzt!
Ein Sklave war einmal auf die Idee verfallen, zu versuchen, den Pflock aus dem Untergrund zu zerren. Doch es war ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen. Die Pflöcke waren zu fest im Boden verankert, zu tief eingerammt und