Lisitsa
Von Silke Pahl
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Über dieses E-Book
Lediglich Lisitsa, die fuchsrote Katze, zeigt ihm Zuneigung.
Aber reicht das, um den Winter in der sibirischen Taiga zu überleben?
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Buchvorschau
Lisitsa - Silke Pahl
Lisitsa
Silke Pahl
Band 26 der Katzenreihe
Katzen-Portrait©Silke Pahl 2021
Machandel Verlag Haselünne
Charlotte Erpenbeck
Cover-Bild: kasyanovart, shutterstock.com
Illustration: Myaskikova Natali / shutterstock.com
1. Auflage 2021
ISBN 978-3-95959-311-3
Taigawinter
Nikolaj Solowjow hatte geahnt, dass die Winter in der Taiga hart sein würden. Härter als in Surgut am Fluss Ob im westsibirischen Tiefland, wo die einst prächtigen Häuser zerfielen und die Menschen verarmten und viele von ihnen fortgingen, um sich woanders niederzulassen. In seiner Kindheit hatte seine Großmutter ihmvon jenen Tagen erzählt, als Surgut noch eine blühende Stadt gewesen war. Doch die Zeiten hatten sich gewandelt und Handel und Handwerk waren weitergezogen in andere aufstrebende Gemeinden, wo die Männer mit Blut und Schweiß tief unter der Erde nach Metallen und Kohle schürften.
Aber Nikolaj war kein Bergmann. Er war viel zu schmal und zu groß, um durch die Stollen zu kriechen, und selbst jetzt, wo die gerade erfundenen Dampfmaschinen nun vieles einfacher machten, schreckte ihn das harte und kurze Leben unter Tage ab.
Anderseits, war das Leben hier in der Tai-ga im kleinen Pelzjägerdorf Gnezdo denn besser?
Gnezdo hieß „Nest. Manche Männer nannten es auch abfällig „Rattennest
, denn die Wege waren schmutzig und die kleinen Hütten so erbärmlich wie das dunkle, kalte Wetter. Zumindest gab es reichlich Holz, um die eisernen Öfen zu befeuern und die Kälte zeitweise zu vertreiben, die in die Glieder kroch wie ein eisiger Griff. Der dichte Wald aus Fichten, Kiefern und Lärchen lieferte alles, was die Pelzjäger und ihre Familien benötigten, um hier einigermaßen sicher zu überleben.
Nur Nikolaj hatte keine Familie zu versorgen. Sie war in Surgut zurückgeblieben, weil das Geld nicht gereicht hatte. Sein Vater hatte sein Glück in einer der Nickelminen versucht und dies mit dem Leben bezahlt. Seiner Mutter war es noch gelungen, die ältere Schwester vorteilhaft zu verheiraten, ehe die Armut offensichtlich wurde. Nun saßen seine Mutter Darja und seine jüngere Schwester Anina im fernen Zuhause und hofften auf das Geld, das er versprochen hatte, ihnen zu schicken.
Eigentlich hatte auch auf ihn eine gute Partie gewartet: Milja, die Tochter des Großgrundbesitzers Sorokin, der ein großes Gut in der Nähe von Surgut besaß und von den Landverkäufen abziehender Bauern profitierte. Nikolaj hätte in der Nähe seiner Familie bleiben und auf dem Hof arbeiten können. Jedoch liebte er Milja nicht und flehte viele Wochen lang seine Mutter an, diese Abmachung zu lösen. Schließlich aber war es Sorokin, der ihn nicht mehr als Schwiegersohn haben wol-lte.
„Ich kann faule Burschen wie dich nicht brauchen!, hatte er ihm ins Gesicht geschimpft, als Nikolaj in seiner Verzweiflung vor der Hochzeit zu ihm gegangen war, um ihm seine Situation zu schildern und um Annullierung der Verlobung und seines Arbeitsplatzes zu bitten. „Ich brauche hier Männer, die anpacken und nicht vor jeder Kleinigkeit davonlaufen!
Nikolaj war noch nie vor irgendetwas davongelaufen. Bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht. Er war der Ehe entgangen, aber die Schmähungen taten weh und seine Mutter hatte Sorokin Recht gegeben. Ein Schwachkopf, wer sich eine solche gute Gelegenheit entgehen ließ! Wovon sollte denn nun die Familie leben, wenn er nicht in die Minen ging und nicht auf dem Hof arbeiten wollte?
So zog Nikolaj fort. Er ließ einen Brief zurück, in dem stand, dass er sich im Norden den Pelztierjägern anschließen würde. Gute Pelze waren bei den Wohlhabenden beliebt und brachten genug Rubel. Man musste dazu nur Fallen aufstellen und warten ….
So hatte es sich Nikolaj jedenfalls vorgestellt und er musste eingestehen, dass er ein verdammt dummer Träumer gewesen war.
Von den harten Wintern über die schlechte Unterbringung bis zu den geizigen Aufkäufern war diese Arbeit eine einzige Mühsal. Nikolaj tröstete sich mit dem Gedanken, dass er zumindest nicht unter Tage schuften musste und auch nicht zwangsverheiratet war, sondern jederzeit selbst entscheiden konnte, wann er seine Rundwege abbrechen und in die kleine verwitterte Holzhütte zurückkehren wollte, die er sich mit drei anderen Jägern teilte. Doch nicht zu arbeiten hieß auch, keine Pelze zu beschaffen und kein Geld zu verdienen.
Also stapfte er in dicker Kleidung mit Fellmütze und Handschuhen hinaus in den gefrorenen Wald, um noch einmal seine Fallen zu kontrollieren.
Hinter ihm glommen die warmen Lichter von Gnezdo zwischen den schmalen Fichtenstämmen und verschwanden mit jedem weiteren Schritt langsam in der Abenddämmerung. Die eisige Luft war von Rauch und vom Duft gebratenen Fleisches erfüllt, welcher seinen hungrigen Magen quälte. Aber Nikolaj erlaubte sich erst nach einem erfolgreichen Tag zu essen, und solange noch genug Licht vorhanden war, wollte er nicht untätig bleiben.
Von einem Soldaten hatte er sein zweites Paar Stiefel gegen eine veraltete Muskete getauscht, die er geladen auf der Schulter trug. Die Wildnis der Taiga war nicht ungefährlich, denn die Menschen waren nicht die einzigen Jäger. Hier lauerten Bären und Wölfe, und selbst Elche konnten gefährlich werden, wenn sie sich bedrängt fühlten.
Der Pfad zu den Fallen war vereist. Der harte Schnee knirschte unter seinen Sohlen und rieselte von den tiefhängenden Ästen der Bäume herab. Der Himmel zeigte sich in einem schmutzigen Blaugrau, unter dem Krähen kreisten und krächzend ihre Anwesenheit kundtaten, angelockt von den Kadavergestellen am Dorfrand. Dort, wo die Jäger ihrer Beute die Haut vom Fleisch lösten, gab es immer einen Happen zu holen.
Nikolaj verzog den Mund und wanderte weiter. Sein Atem bildete feine Dampfwolken, die sich in seinen hellen Bartstoppeln fingen und dort gefroren. Die schwere Muskete scheuerte durch die Jacke und schmerzte auf der Schulter. Endlich erreichte er die erste Falle. Sie bestand nur aus einer Fangschlinge, die zwischen den Wurzeln ausgelegt war. Nikolaj hatte nicht viel über Fallenbauen gewusst, aber eine Fangschlinge zu knoten beherrschte er. Sie lag direkt auf einer Tierfährte, wo er Hasen, Füchse oder sogar Zobel vermutet hatte. Auch einen Luchs hatte er schon in der Ferne gesehen. Aber die Schlinge war an diesem frühen Abend leer. Nikolaj überprüfte kurz ihre Funktion und marschierte weiter.
Bei einer Gruppe alter Lärchen gab es einen kleinen, zu dieser Jahreszeit gefrorenen Bach, der sich hinab in das seichte Tal ergoss, wo Gnezdo lag. An seinem Ufer ragten trockene Büschel langen Grases aus dem Schnee, letzte Zeugen des kurzen Sommers, der irgendwann einmal hier geherrscht hatte. Zwischen den dürren gelben Halmen fanden sich einige Trippelschritte von kleinen Vögeln, die wohl nach den letzten Samen gesucht hatten. Dann entdeckte Nikolaj Pfotenabdrücke. Sie waren schmal und zierlich und schlängelten sich zwischen Gras und Bäumen gewandt einher. Er hockte sich hin und untersuchte sie genauer.
Die Spuren waren noch nicht eingefallen.
Sie mussten frisch sein.
Vielleicht ein Marder oder ein junger Fuchs?
Er sah sich um, konnte aber nirgendwo ein Tier entdecken. Langsam folgte er der Spur, die scheinbar in Richtung der nächsten Falle führte. Nikolaj beschleunigte seine Schritte. War das Tier direkt in die Fangvorrichtung gelaufen?
Zwischen zwei schneebeladenen Büschen kam