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Die Legende von Halloween - Samhain: Anthologie
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Die Legende von Halloween - Samhain: Anthologie
eBook318 Seiten4 Stunden

Die Legende von Halloween - Samhain: Anthologie

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Über dieses E-Book

Zweiundzwanzig fantastische Autoren & Autorinnen stellten ihr Können und ihre Fantasie unter Beweis. Ob Legenden, Aberglaube oder Rituale, in der Samhainnacht scheint kein Sterblicher vor dem Reich der Toten sicher. Alte Häuser werden zum Leben erweckt, Geister streifen umher, und Friedhöfe erscheinen als magische Orte.
Wechselbälger, fremde Welten und das Feenreich - all diese Dinge können an Samhain, einem harmlosen Kinderfest, genannt Halloween, an Bedeutung gewinnen.
Lassen Sie sich entführen, in ein Abenteuer nach dem anderen und genießen Sie die frische Erzählweise unserer Autoren!
SpracheDeutsch
Herausgebernet-Verlag
Erscheinungsdatum26. Nov. 2013
ISBN9783944284910
Die Legende von Halloween - Samhain: Anthologie

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    Buchvorschau

    Die Legende von Halloween - Samhain - net-Verlag

    Die Legende von Halloween -

    Samhain

    Anthologie

    Alle Rechte, insbesondere auf digitale Vervielfältigung, vorbehalten.

    Keine Übernahme des Buchblocks in digitale Verzeichnisse, keine analoge Kopie ohne Zustimmung des Verlages.

    Das Buchcover darf zur Darstellung des Buches unter Hinweis auf den Verlag jederzeit frei verwendet werden.

    Eine anderweitige Vervielfältigung des Coverbildes ist nur mit Zustimmung der Coverillustratorin möglich.

    Die Illustrationen sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nur mit Zustimmung der Künstler verwendet werden.

    Die Namen sind frei erfunden.

    Evtl. Namensgleichheiten sind zufällig.

    www.net-verlag.de

    Erste Auflage 2013

    © Coverbild: Nicole Janes

    Covergestaltung, Layout: net-Verlag

    Auswahl der Geschichten:

    Marie-Luis Rönisch

    © Illustrationen:

    Nicole Janes (S. 30, 152, 185)

    Monika Schoppenhorst (S. 161)

    Anna Kery (S. 213)

    © net-Verlag, 39517 Cobbel

    1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

     ISBN 978 - 3-944284 - 22-4

    Die Legende von Halloween –

    Samhain

    Zweiundzwanzig fantastische Autoren & Autorinnen stellten ihr Können und ihre Fantasie unter Beweis. Ob Legenden, Aberglaube oder Rituale, in der Samhainnacht scheint kein Sterblicher vor dem Reich der Toten sicher. Alte Häuser werden zum Leben erweckt, Geister streifen umher, und Friedhöfe erscheinen als magische Orte.

    Wechselbälger, fremde Welten und das Feenreich – all diese Dinge können an Samhain, einem harmlosen Kinderfest, genannt Halloween, an Bedeutung gewinnen.

    Lassen Sie sich entführen, in ein Abenteuer nach dem anderen und genießen Sie die frische Erzählweise unserer Autoren!

    Ihre Herausgeberin Marie-Luis Rönisch

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Titel

    Impressum

    Die Legende von Halloween - Samhain

    Vorwort

    Ursula Kollasch - Samhain

    Christine Weber - Granny

    Sophie Jürges - Sie kommen

    Petra Ewering - Eine fatale Begegnung

    Peter Suska- Zerbes - Schatten der Vergangenheit

    Bettina Ickelsheimer - Das Wilde Heer

    Anna Stefan - Novembernacht

    Christina Dittmer - Land der Schatten

    Detlef Klewer - Happy Halloween

    Claudia Piotrowsky - Samael

    Kristina Gerg - Die Nacht der Toten

    Melanie Jezyschek - Samhains Schicksal

    Jennifer Milinski - Happy Samhain

    Gregor Eder - Nebel

    Robert Beringar - Der Pakt

    Claudia Romes - Mein Freund Jack

    Lily Beier - Revas Nacht in der Menschenwelt

    Wolfgang Tanke - Die Schlacht von Dun Muragh

    Carola Kickers - Halloween

    Nannah Rogge - Der Tag der Tage

    Lucius Allen - Onkel Alfons

    Shayariel - Es wird dereinst Eine kommen

    Autorenbiografien

    Illustratorenbiografien

    Herausgeberbiografie

    Buchempfehlungen

    Ich wünsche Ihnen schaurig schöne und witzige Lesestunden!

    Ursula Kollasch

    Samhain

    Nera hieb seinem Hengst die Fersen in die Flanken, obwohl der Körper des Pferdes bereits schweißgebadet war und Schaum von seinem Maul troff. Sie schienen durch den Wald zu fliegen. Tiefer hängende Zweige schlugen dem Reiter ins Gesicht, als ob sie versuchten, ihn aufzuhalten. Erneut gab er dem Tier die Hacken, musste es weiter antreiben.

    Sie verließen den Schutz der Bäume und jagten über die gerodete, öde Fläche, die Burg Cruchain umgab. Vor Jahren war auf König Aluinns Befehl jeder Baum im Umkreis einer halben Meile um die Festung gefällt worden, um der Gefahr eines Überraschungsangriffs zu entgehen.

    Nera ahnte nur, dass es langsam Abend wurde, denn den ganzen Tag über war der Himmel wolkenverhangen und düster gewesen, und der Nebel hatte sich nicht wirklich verflüchtigt. Jetzt, als sich die Kälte und die Schleier der Dämmerung über das Reich Tara legten, verdichtete er sich wieder und nahm dem einsamen Reiter die Sicht.

    Niemand durfte sich heute nach Sonnenuntergang außerhalb sicherer Mauern aufhalten, selbst Nera nicht, der ein erfahrener und tapferer Krieger war. Es war der Abend von Samhain, die Nacht des Dunkelmonds, in welcher der Gott des Winters die Macht übernahm. Sobald die Finsternis das letzte Tageslicht verschluckt hatte, würden die Grenzen und Tore zur Anderswelt verschwimmen, sich auflösen und öffnen für die Geister, die Draugr und die Sidhe, wie die Wiedergänger und Feen in seinem Volk genannt wurden – sowie für andere, gefährliche Geschöpfe, denen die Menschen lieber nicht begegnen sollten. Nur in dieser einen Nacht konnten die Wesen aus der Anderswelt die Welt der Lebenden besuchen sowie die Sterblichen sich in die Anderswelt verirren.

    Nera stand im Dienste von König Aluinn und Königin Nathaira und war auf dem Rückweg zur Burg Cruchain. Vor Tagen war er von dort aufgebrochen, um eine Botschaft Aluinns zu König Ennoch von Connacht zu bringen. Doch da es dem König des Nachbarreiches gefallen hatte, Nera lange warten zu lassen, bis er ihn endlich empfing, musste sich dieser nun so hetzen. Er fluchte über den arroganten, alten Herrscher, der ihm zudem noch eine für König Aluinn und seine Gemahlin äußerst unangenehme Antwort mit auf den Weg gegeben hatte.

    Noch einmal trieb er seinen völlig erschöpften Hengst zur Höchstleistung an. Der mächtige Leib des Schlachtrosses erzitterte immer wieder unter den Schenkeln des Kriegers. Nera konnte es seinem treuen Pferd nicht verdenken, dass es nervös und ängstlich war. Es wollte ebenso schnell das sichere Cruchain erreichen wie sein Herr, schien wie dieser instinktiv die schleichenden Veränderungen in der Umgebung und Atmosphäre zu spüren. In der immer rascher herabsinkenden Dunkelheit sah Nera fahle Nebelbänke über den breiten Wassergraben der Burg ziehen. Er riss an den Zügeln. Das Pferd tänzelte unruhig und schnaubte, während Nera an der Mauer hinaufblickte und den Wachen, seinen Namen und das Passwort zurief. Als sie ihre Fackeln hoben, um ihn zu identifizieren, erkannte er die beiden schwer bewaffneten Männer. Es waren Kennan und Leith.

    »Du bist spät, Nera!«, rief Kennan.

    Unter vernehmlichem Kettenrasseln senkte sich die Zugbrücke in das feuchte Weiß des Nebels, der sich wie kalte Spinnweben über Neras Gesicht und seine unbedeckten Oberarme legte, als er über die hölzernen Planken in den Hof hinein ritt. Sofort begannen die Wachen die Brücke wieder hochzuziehen, während Nera seinen Hengst einem herbei eilenden Stallburschen übergab und sich zu den Kriegerquartieren aufmachte.

    Nur Momente, nachdem er in sein Quartier zurückgekehrt war, trat ein germanischer Sklave ein. Nera hatte gerade seinen Brustschutz und die ledernen Armschützer abgelegt, um sich den Schweiß und Dreck des langen Ritts vom Körper zu waschen. Der Mann neigte seinen Kopf vor ihm. »Edler Krieger, verzeiht die Störung, aber Ihr sollt umgehend zur Königin kommen.«

    Neras Blick streifte nur kurz das ausdruckslose Gesicht des Sklaven und wandte sich wieder der Waschschüssel zu. Auch wenn er äußerlich gelassen und unbewegt erschien, beunruhigte ihn der Befehl der Königin. Warum sollte er sofort zu ihr? Hatte die Nachricht von König Ennoch nicht Zeit bis morgen? War seine Herrin nicht - wie alle anderen in der Großen Halle, in der bereits das Samhainfest begonnen hatte? Bald würden die Druiden für Ruhe sorgen, um ihre traditionellen Rituale durchzuführen, aber noch konnte er das Grölen und Lachen der Männer und den Lärm des Trinkgelages bis in sein abgelegenes Quartier hören.

    »Was wünscht die Königin von mir?«, fragte Nera und tauchte seine Hände in das Wasser, um sich das erfrischende Nass ins Gesicht zu spritzen. Nach dem tagelangen Ritt fühlte er sich müde und ausgelaugt, musste aber gleich, wie die anderen, in der Großen Halle erscheinen. Alle, ob jung oder alt, Männer oder Frauen, Sklaven oder edle Herrschaften, hatten an den Festlichkeiten teilzunehmen, so verlangten es Brauch und Tradition.

    »Sie nannte mir keinen Grund, Herr. Sie wies mich nur an, Euch die Nachricht zu überbringen, sobald Ihr zurück seid. Ihr sollt Euch sofort zu ihr begeben.«

    Nera wusch sich Brust und Arme. Ohne den Germanen anzusehen, antwortete er: »Richte der Königin aus, dass ich gleich kommen werde. In diesem schmutzigen Zustand will ich nicht vor ihr erscheinen.«

    Der Sklave verneigte sich wieder und eilte davon.

    Das Bild der Königin erschien vor Neras geistigem Auge und erfüllte ihn, wie stets, mit Unbehagen. Sie war eine sehr schöne Frau, doch ihr Wesen war von Hochmut und Grausamkeit geprägt. Ihr Name, Nathaira, bedeutete »Schlange«, und Nera konnte sich keinen passenderen vorstellen, wenn er an ihre kalten, meergrünen Augen und ihr aalglattes Auftreten dachte. An ihre unerbittliche Härte und Willkür, die jederzeit sprungbereit hinter ihrem hübschen Lächeln lauerten. An ihre unersättliche Lüsternheit, ihre Gier nach jungen Männern, die bis über die Grenzen Taras hinaus bekannt war. Der Krieger verdrängte die düsteren Gedanken an seine Herrin, zog sich an und machte sich auf den Weg zu ihr.

    Der Gang vor ihrem Trakt war verlassen, die Wachen und Sklaven schienen sich bereits in der Großen Halle aufzuhalten. Kalte Zugluft ließ die an den Wänden befestigten Fackeln einsam vor sich hin rußen. Nera blieb vor dem Gemach der Königin stehen und pochte leise an die Tür. Er erhielt keine Antwort. Noch einmal klopfte er, dieses Mal etwas lauter. Nichts. Vorsichtig öffnete er die schwere Holztür und trat ein. Das riesige Gemach lag größtenteils im Schatten. Nur ein Feuer im Kamin und drei Fackeln in schmiedeeisernen, mannshohen Ständern spendeten Licht. Der flackernde Feuerschein ließ die Jagd-Szenen auf den erlesenen Wandteppichen lebendig wirken. Neras Blick schweifte suchend durch den Raum und blieb an der prächtigen, großen Bettstatt der Königin hängen, die im Halbdunkel im hinteren Teil des Raumes stand. Die Liege war mit weichen Fellen und Kissen bedeckt, zwischen denen er seine Herrin erspähte. Sie hatte sich auf ihren rechten Unterarm gestützt und ihren Körper so positioniert, dass seine Vorzüge gut zur Geltung kamen: der Schwung ihrer Hüfte, die verführerischen Rundungen ihrer Brüste, die aus dem tiefen Ausschnitt ihres kostbaren Kleides gepresst wurden.

    »Ihr habt mich rufen lassen, meine Königin?«

    »Tritt näher, Krieger!«, befahl die Königin mit ihrer tiefen Samtstimme.

    Zögernd trat Nera an ihre Bettstatt heran. Das hüftlange Haar seiner Herrin umfloss ihre zarten Schultern und die Pelze, auf denen sie ruhte, wie flüssiges Gold. Das sanfte Licht des Feuers schmeichelte ihrem fein gemeißelten Gesicht, machte seine Züge weicher und lieblicher und verbarg die Spuren ihres wirklichen Alters, das Nathaira so verhasst war.

    »Nimm dir Wein!«, forderte die Königin ihn auf und untermalte die Anweisung mit einer anmutigen Geste zu einem kleinen Tischchen mit Erfrischungen. Sie selbst griff nach ihrem Pokal, wohl darauf bedacht, Nera durch das Vorbeugen ihres Oberkörpers einen noch tieferen Einblick in den Ausschnitt ihres Kleides zu gewähren.

    »Nein, habt Dank, Herrin. In der Halle wird der Wein heute noch in Strömen fließen.«

    Nathaira lachte leise, es klang wie das heisere Gurren einer Taube. Sie senkte die Lider halb über ihre ausdrucksvollen Malachitaugen, und ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie ihren Blick über den Körper des Kriegers wandern ließ. Nera stand noch immer reglos und angespannt vor ihr, ließ sich allerdings von ihrer Freundlichkeit nicht einlullen, denn er spürte das Lauern dahinter.

    Was wollte sie von ihm?

    Mit einer katzenhaften Bewegung glitt die Königin vom Bett und stand so plötzlich vor Nera, dass diesem kurz der Atem stockte. Ihr schweres Parfüm hüllte ihn ein, und er spürte ihren warmen Atem an seinem Hals.

    »Warum so zurückhaltend, Nera?«, raunte sie, zum ersten Mal seinen Namen verwendend, und strich mit dem Finger über die Narbe, die sich über seine Wange zog. Nera musste sich zusammennehmen, um nicht vor ihrer Berührung zurückzuweichen. Jetzt wusste er, was die Königin begehrte, und er überlegte fieberhaft, wie er dieser Situation entkommen konnte, ohne ihren Zorn auf sich zu ziehen.

    Nathaira spürte prickelnde Hitze in ihrem Unterleib aufsteigen, als sie den groß gewachsenen, breitschultrigen Krieger vor sich sah. Normalerweise begehrte sie die ganz jungen Männer, die fast noch Knaben waren. Die atemlos und verzückt ihre Schönheit und ihre Liebeskünste bewunderten und ihr rascher verfielen, als es gut für sie war. Doch sobald dies geschah, wurden sie nicht nur langweilig für Nathaira, sondern auch lästig, und sie entledigte sich ihrer wieder. Aluinn war alt und gutmütig und wusste insgeheim um ihre Liebschaften, doch er würde keine verliebten Blicke oder andere Gunstbezeugungen ihrer Liebhaber dulden und sich nicht allzu offensichtlich Hörner aufsetzen lassen.

    So viel Stolz besitzt der alte Mann dann doch, höhnte Nathaira innerlich.

    Wieder strichen ihre hungrigen Augen über Neras Körper. Der Krieger hatte bereits ein Alter erreicht, das ihn eigentlich uninteressant für sie machte, aber letzte Woche hatte sie ihn zufällig im Hof beim Kampftraining mit den anderen Kriegern erspäht, und die Augen nicht von seinem freien Oberkörper und seinen geschmeidigen, kraftvollen Bewegungen abwenden können … vom Spiel seiner Muskeln unter der braunen Haut, die mit verschlungenen Tätowierungen verziert war, die seinen Kriegerstatus zeigten … dem konzentrierten Blick in seinem markanten, ernsten Gesicht.

    Begehren hatte sie durchflutet, sie wollte ihn, und sie nahm sich stets, was sie verlangte. Aluinn war wesentlich älter als sie und teilte schon lange nicht mehr das Bett mit ihr. Seit der Zeit, als sie ihm ihren Sohn Fearghus und ihre Tochter Innogen geschenkt hatte, und die beiden waren inzwischen erwachsen, aber Nathaira war eine leidenschaftliche Frau und sorgte selbst für ihre Abwechslung. Doch spürte sie Neras Unwillen, den er hinter seiner Zurückhaltung zu verbergen suchte, führte ihn jedoch auf seine Treue zu Aluinn und auf seine moralischen Prinzipien zurück, von denen jeder auf der Burg wusste, dass der Krieger sie im Übermaß besaß. Aber gerade dies machte ihn als Beute für sie so überaus reizvoll. Nun legte sie ihre kleine, weiße Hand mit den kostbaren Ringen auf seine Brust, die aus dem Ausschnitt seines Lederwamses lugte. Seine Haut war warm, sie spürte seinen Herzschlag und sog seinen männlichen Duft ein. Nera erstarrte unter ihrer Berührung und blickte stur über ihren Kopf hinweg auf die Wand.

    »Mein starker Krieger, erinnerst du dich, wie du zu dieser Narbe kamst?«, flüsterte sie und fuhr mit ihren Fingern wieder über seine Wange, zeichnete die Linie der einstigen Verletzung nach. Nera räusperte sich, doch die Königin fuhr fort: »Du hast mein Leben gerettet, bei diesem Überfall, du allein hast mich gegen drei Schurken verteidigt. Dafür habe ich dir nie richtig gedankt …«

    Die Narbe erregte sie wirklich, denn sie wusste noch genau, wie stark die tiefe Wunde damals geblutet hatte, wie rasch er die drei Angreifer niedergestreckt hatte. Voller Verlangen drängte sie ihren Körper an seinen und versuchte, Neras Blick einzufangen.

    »Ich möchte mich jetzt bei dir bedanken …« Sie fasste nach seiner großen Hand und presste sie auf ihre linke Brust, stellte sich auf die Zehenspitzen und näherte ihre Lippen den seinen. Nera keuchte auf, entriss ihr seine Hand und trat einen Schritt zurück. »Meine Königin, ich bitte Euch, lasst das.«

    Ein unwilliges Flackern erschien in ihren Augen und ein Ausdruck wütenden Erstaunens trat in ihr Gesicht. Sie war Zurückweisung weder gewöhnt noch schätzte sie diese. Dann umspielte wieder ein feines Lächeln ihren Mund, das ihre Augen jedoch nicht erreichte.

    »Nera.« Sie zog seinen Namen in die Länge und ein reifzartes Glitzern der Verachtung lag in ihrer Stimme, als sie fortfuhr: »Trauerst du etwa immer noch um dein Weib? Ist es nicht längst an der Zeit, eine neue Liebe zu finden?« Herausfordernd blickte sie ihn an und trat wieder auf ihn zu.

    Nera spürte Zorn in sich aufflammen. Wie konnte es diese Hure, die sich Königin nannte, wagen! Neben der Wut durchzog ihn aber auch tiefer Schmerz, als er an seine im Kindbett verstorbene Frau Ailean dachte.

    Erst hatte sie das Kind verloren, dann war auch sie von ihm gegangen. Sie war seine einzige Liebe gewesen. Um die er in stillen, langen Nächten getrauert hatte, und auch jetzt noch, Jahre später, manchmal heimlich weinte. Jegliche Lebensfreude war mit Aileans Tod wie Sand durch eine Stundenuhr aus ihm geflossen, sein Leben bedeutete ihm nichts mehr. Der schreckliche Verlust hatte ihn zu dem harten, unerbittlichen und furchtlosen Krieger gemacht, der er heute war. Neras Gesichtsausdruck wurde steinern. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen, Nathaira nicht am Kinn zu packen und ihr das überlegene, wissende Grinsen aus dem Gesicht zu wischen. Er ballte seine Hände zu Fäusten, sein ganzer Körper versteifte sich.

    Die Königin war die erste Frau, die in ihm den Wunsch auslöste, ein Weib zu schlagen. Doch er riss sich zusammen, bis er die Ruhe einer windstillen Winternacht zurückerlangte, und sagte mit eisigem Unterton: »Herrin, ich werde für Euch kämpfen und Euer Leben mit dem meinen beschützen, so wie ich es schwor, doch ich werde niemals Euer Bett teilen!« Damit wandte er sich um und verließ ihr Gemach.

    Er sah das Gesicht der Königin nicht mehr, das sich zu einer bösartigen Fratze verzog, auch nicht den hasserfüllten Blick, der sich in seinen Rücken bohrte. Trotz ihres Zorns verlieh sie ihrer Stimme einen spöttisch-heiteren Klang, als sie ihm nachrief: »Oh, mein stolzer, starker Krieger, flieht wie ein ängstlicher Hase!«

    Ihr falsches Lachen hallte noch in seinen Ohren, als er mit weit ausholenden Schritten in Richtung der Großen Halle lief. Beinahe wäre er mit der jungen Sklavin Ethel zusammengeprallt, die gerade in den Gang bog und auf dem Weg zur Königin war.

    Atemlos hastete diese weiter, in das Gemach ihrer Herrin, und knickste vor ihr.

    »Meine Königin, der König schickt mich. Er bittet Euch, zu den Festlichkeiten zu erscheinen, die Druiden …«

    Weiter kam das Mädchen nicht. Mit zwei wuchtigen Schlägen hatte Nathaira die Sklavin zu Boden gestreckt, Blut strömte aus Ethels aufgeplatzter Lippe und tropfte auf den Boden. Nathaira holte mit dem Fuß aus und trat ihr noch mehrmals kräftig in die Seite, doch Ethel unterdrückte einen Aufschrei und die aufkommenden Tränen, um die Wut der Königin nicht noch weiter anzuheizen. Sie ahnte nicht, dass die Schläge und Tritte eigentlich einem anderen galten.

    »Wage es nie wieder, hörst du – nie wieder mein Gemach ohne Aufforderung zu betreten!«

    »Verzeiht, meine Königin. Vergebt mir.« Ethel kauerte immer noch auf dem kalten Boden und senkte demütig ihren Kopf. Deshalb entging ihr das Aufleuchten in den Augen ihrer Herrin, die eine plötzliche Eingebung hatte.

    Ein Plan entrollte sich in Nathaira wie eine züngelnde Schlange: »Du wirst jetzt genau zuhören, was ich dir befehle!«

    Die Große Halle war überfüllt mit Menschen. Warme und verbrauchte Luft schlug Nera entgegen, erfüllt von den Gerüchen nach fettigem Essen, Met und dem Rauch der Feuer und Fackeln, den Ausdünstungen der unzähligen Leiber der Menschen, die sich zu den Festlichkeiten eingefunden hatten. Als Nera auf das bunte Treiben schaute und der Lärm Hunderter Stimmen an seine Ohren toste, wurde ihm wieder einmal bewusst, wie viele Menschen in Burg Cruchain und auf ihrem weitläufigen Gelände lebten. Da er zu spät erschienen war, musste er mit einem Stehplatz an der Tür vorlieb nehmen, aber das war ihm ganz recht. Hier war die Luft weitaus besser als im hinteren Teil der Halle, wo die Bänke und Tische in einem großen Kreis um die Opferstelle aufgestellt waren. Noch immer hielt ihn das Unbehagen über das Treffen mit der Königin umfangen. War er zu weit gegangen? Würde sie ihm die Zurückweisung verzeihen?

    Doch: Was sollte sie ihm vorwerfen? Welche Begründung würde sie für seine Bestrafung vorbringen können, ohne sich selbst anzuklagen?

    Nera entspannte sich ein wenig und beschloss, über den Vorfall hinwegzusehen, so zu tun, als wäre er nie geschehen. In diesem Augenblick stieß ihn jemand an. Es war Leith, eine der Torwachen.

    »Du sollst zum König kommen.« Er klopfte Nera noch einmal auf die Schulter und verschwand im Gedränge. Der Krieger blickte zu den beiden erhöht stehenden Thronen am anderen Ende der Halle, von denen nur einer von König Aluinn besetzt war. Neben ihm standen die drei Druiden; würdevolle, hagere Männer in weißen Gewändern. Finster waren ihre Mienen, die Ausschweifungen, die Völlerei und das Trinkgelage der versammelten Menschen erzürnten sie. Aluinn schien beschwichtigend auf sie einzureden, sein weißhaariges Haupt beugte sich den drei Würdenträgern immer wieder entgegen, während er gestikulierte.

    Die Druiden hatten bereits mit den Ritualen beginnen wollen, mit der Anrufung der vier Winde, der Götter und der Ahnen, deren Schutz und Segen man sich erhoffte. Die Zeremonien würden in der traditionellen Opferung eines tags zuvor gefangenen Hirsches zu Ehren des Unterweltgottes Cenn Cr´uach enden.

    Doch alles verzögerte sich, weil die Königin immer noch nicht erschienen war. Nichts fürchteten die weisen Männer mehr, als dass ihre heiligen Zeremonien vom Frevel sturzbetrunkener, sich prügelnder oder sich übergebender Männer gestört würden.

    Nera schob sich durch die Menge, doch er kam nur langsam voran. Endlich stand er vor Aluinns Thron und verneigte sich. Der König lächelte ihn an.

    »Nera, gut, dass du da bist. Welche Nachricht bringst du von Ennoch?«

    Der Krieger hatte den ganzen Heimritt über gegrübelt, wie er König Ennochs höhnische Antwort mildern konnte, ohne ihren Inhalt zu verfälschen, doch jetzt war sein Kopf leer. Er senkte den Blick, um kurz darauf wieder aufzuschauen, in das zerfurchte, besonnene Antlitz seines Königs.

    »Mein König, Ennoch von Connacht stimmt einer Vermählung seines Sohnes mit Eurer Tochter, Prinzessin Innogen, nur unter der Bedingung zu, dass Ihr ihm zuvor drei Wagenladungen Gold zukommen lasst.«

    Nera hielt inne, als sich ein Schatten über Aluinns Züge legte. Der König zog seine Augenbrauen zusammen, sein Kiefer mahlte.

    »Sprich gerade heraus, Krieger, schone mich nicht: Was war seine Begründung dafür?«

    Nera schluckte. Alles in ihm sträubte sich dagegen, König Ennochs böse Worte zu wiederholen, sie wollten ihm einfach nicht über die Lippen kommen. Wie sollte er seinem großmütigen, alten König, den er schätzte und verehrte, sagen, dass Ennoch seine Königin als Hure beschimpft hatte? Seine Tochter als ebensolche bezeichnete, denn »der Apfel fiele nicht weit vom Stamm.« Und dass er daher schon vor der Verbindung mit seinem Sohn Conall eine Art Entschädigung dafür verlangte, dass Innogen ihm als Schwiegertochter nur Leid und Schmach bringen werde?

    Aber bevor Nera antworten konnte, wandte Aluinn plötzlich den Kopf. Auch Nera sah zum Eingang der Großen Halle hinüber. Endlich war die Königin erschienen.

    Die Menge machte ihr Platz, eine Sklavin folgte ihr. Nathaira schritt mit erhobenem Haupt an ihren Untertanen vorbei, die sich vor ihr verneigten. An ihren weißen Oberarmen glänzten goldene Reife, und auf dem Kopf trug sie die schwere, edelsteinbesetzte Krone.

    »Wir reden später, Nera«, entließ der König den Krieger und erhob sich, um seiner Königin die Hand zu reichen. Sie ergriff Aluinns Hand und erklomm die wenigen Stufen, aber sie setzte sich nicht, sondern blieb neben ihrem Gemahl stehen. Aluinn warf ihr einen fragenden Blick zu, den Nathaira jedoch ignorierte. Stattdessen fixierte sie Nera, der in die Menge zurück getreten war, und

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