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Bilder einer Ausstellung
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eBook222 Seiten2 Stunden

Bilder einer Ausstellung

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Über dieses E-Book

Beim Titel "Bilder einer Ausstellung" denken die meisten Menschen nicht an Visuelles, sondern an Musik. Seit rund hundertfünfzig Jahren regt Mussorgskis Komposition Musiker aus aller Welt zu neuen Interpretationen an. Doch wer kennt schon die auslösenden Bilder von Viktor Hartmann? Wer weiß um die Vorkommnisse, die hinter den Bildern stehen? Diese Anthologie transportiert die "Bilder einer Ausstellung" mit Storys und Gedichten erstmals in die Literatur. Erzählt, wozu diese Musik inspirieren kann, und setzt die Worte in neuen Bildern um. Ein "work in progress", ein Kunstwerk, das ständig weiterentwickelt wird. Und vielleicht zu neuer Musik anregt … 

Mit einem Titelbild von Gerd Scherm und Illustrationen von Lothar Bauer, Detlef Klewer, Marianne Labisch, Eva Preuß, Gerd Scherm und Andreas Schwietzke.

Vorwort • Marco Habermann
Vorwort • Marianne Labisch
Vorwort • Gerd Scherm

Promenade • Gerd Scherm
Der Weg des Gnomus • F. A. Peters
Zwischenspiel I • Gerd Scherm
Das Lied des Troubadours • Stefan Cernohuby
Zwischenspiel II • Gerd Scherm
Die Toulierien brennen • Gerd Scherm
Der Ochsenkarren • Noëmi Sacher
Zwischenspiel III • Gerd Scherm
Pas de deux • Gabriele Behrend
Die Ruhe nach dem Andante Gravo • Paul Sanker
Zwischenspiel IV • Gerd Scherm
Ignoranz stirbt nie • Verena Jung
Ex inferis • Sascha Dinse
Zwischenspiel V • Gerd Scherm
Mit den Toten in einer toten Sprache • Regine D. Ritter
Zwischenspiel VI • Gerd Scherm
Die Hütte der Baba Jaga • Detlef Klewer
Zwischenspiel VII • Gerd Scherm
Der Plan • Marianne Labisch
Aufstellung der musikalischen Bearbeitungen • Gerd Scherm

Nachwort • Die Herausgeber
Vitae
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum26. Sept. 2018
ISBN9783957659262
Bilder einer Ausstellung

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    Buchvorschau

    Bilder einer Ausstellung - p.machinery

    (Hardcover)

    Marianne Labisch: Vorwort

    Ich mag es, wenn verschiedene Kunstrichtungen miteinander vereint werden, ohne in Konkurrenz zu stehen. Daher war ich gleich angetan von Marco Habermanns Idee, eine Anthologie zum Thema Bilder einer Ausstellung herauszugeben, die neben den Kurzgeschichten auch Lyrik und neue Interpretationen der Bilder von Viktor Hartmann enthalten sollte. Erst nach der Entscheidung daran mitzuwirken, beschäftigte ich mich mit der Musik und den inspirierenden Bildern. Die Geschichte dahinter faszinierte mich.

    Die Freundschaft dieser beiden Männer gefiel mir und bot so viel Stoff, der von den verschiedenen Autoren, Lyrikern und Grafikern, jeweils auf ganz andere Art und Weise umgesetzt wurde.

    Die Geschichten, die Lyrik und die Bilder belegen, dass alle beteiligten Künstler sich intensiv mit dem Leben und Wirken dieser beiden Männer beschäftigt haben. Wir alle wurden zu neuen Werken inspiriert und ich schätze, genau das hätte Viktor Hartmann und Modest Mussorgski gefreut. Modest Mussorgskis Freundschaft zu dem Maler ging über dessen Tod hinaus und er setzte den Bildern mit der Musik ein Denkmal, welches die Zeit überdauerte. Er vereinte somit zwei Kunstrichtungen und wir nahmen diesen überspannenden Bogen auf und erweitern ihn noch ein wenig, wahrscheinlich ganz im Sinne unserer Vorbilder.

    Ich finde, das ist ein Weg, den wir öfter beschreiten sollten, ganz besonders, weil so häufig über U- und E-Literatur, Prosa und Lyrik, Malerei und Fotografie gestritten wird. Es wäre doch ein guter Ansatz, in der Vielfalt eine Einheit zu finden, sich auszutauschen, zusammenzuschließen und gegenseitig zu bereichern, wo andere sich auseinanderdividieren.

    Marco Habermann: Vorwort

    Die ersten Berührungen mit Mussorgskis Werk hatte ich schon sehr früh. Ich erinnere mich gut, wie es in den übergroßen Kopfhörern knackte und rauschte, wie sie mir vom Kopf rutschten. Mit viel Hall fing es an, Chor und Orgel folgten. Kurz darauf stolperte ich musikalisch durch das Unterholz eines dichten Waldes und verlief mich. Ich atmete schneller …

    Bevor es mir zu unheimlich wurde, öffnete ich die Augen und war zurück in der Realität. Ich fixierte das in dunklen Blautönen gehaltene Plattencover, das ich aus dem übervollen Regal in unserem Wohnzimmer gezogen hatte. Isao Tomitas Version von »Pictures at an Exhibition« lief mit 33 ¹/3 Umdrehungen pro Minute.

    Die damals als fortschrittlich geltende Synthesizervertonung beflügelte meine Fantasie, ließ bewegte Bilder vor meinen Augen entstehen und begleitete mich viele Jahre. Immer wieder kramte ich das Album hervor und begab mich aufs Neue in die ferne Welt der Bilder einer Ausstellung.

    Es ist nicht zuletzt der großen Schallplattensammlung meines Vaters zu verdanken, dass mir Musik unterschiedlichster Couleur zur Verfügung stand und mich nachhaltig beeinflusste. Bilder einer Ausstellung ist nur eins von vielen Beispielen, aber definitiv das prägendste.

    Während meiner Jugend trat der Musikzyklus weit in den Hintergrund, doch es kam der Tag, an dem mir Tomitas Fassung in digitaler Form wieder über den Weg lief und mit ihr weitere zahlreiche Interpretationen. Klavier, Orchester, Jazz, Rock, Metal … Es gibt kaum eine Musikrichtung, in der es keine Adaption gibt. So unterschiedlich sie auch sein mögen, ein Element eint sie alle: die Bilder.

    Ich begann, mich für die Geschichte hinter der Musik zu interessieren. Einst ließ die Musik Bilder vor meinem geistigen Auge entstehen, doch ursprünglich war es umgekehrt. Die Bilder gab es vor der Musik.

    Mussorgski komponierte die Stücke zu Ehren seines verstorbenen Freundes, des Künstlers Viktor Hartmann. Der Zyklus beschreibt einige seiner Bilder, die dem Publikum auf dessen Gedächtnisausstellung präsentiert wurden.

    Somit war und ist Bilder einer Ausstellung tatsächlich ein multimediales Werk aus dem neunzehnten Jahrhundert, das Musik und Bild verbindet. Jedes Medium regt den Geist auf eine andere Weise an. Auf einem Bild sehe ich nicht, was Sie sehen. Ein Lied ist für den einen nur Gedudel, während es in einem anderen Menschen tiefe Emotionen oder Erinnerungen weckt.

    In Anbetracht dessen fand ich es umso erstaunlicher, dass es zu Hartmanns und Mussorgskis Werken noch keine literarische Bearbeitung gab. War ich der Einzige, dem sich zu jedem Musikstück oder den Bildern Geschichten aufdrängten? Das konnte nicht sein!

    Was lag also näher, als sich auf die Suche nach Mitmenschen zu begeben, die den Bildern einer Ausstellung zu neuem Glanz verhelfen wollten? Meine Suche brachte zahlreiche kunstbegeisterte Menschen zusammen und gemeinsam entdeckten wir die Geschichten hinter den Bildern.

    Kunstliebende Schriftsteller und Illustratoren, die es vermochten, vielfältige Stimmungen in ihre Geschichten und Bilder hineinzulegen, wie es die Originale konnten. Verleger, Mitherausgeber und Lektoren, denen es genau wie mir am Herzen lag, den Bildern einer Ausstellung neue Blickwinkel abzugewinnen.

    Herausgekommen ist eine Hommage an zwei großartige Künstler und deren Werke, die sich nun in all ihrer Vielfalt vor uns ausbreitet und zum Lesen, Betrachten und Lauschen einlädt.

    Wer in den Genuss einer musikalischen Untermalung zur Lektüre kommen möchte, dem seien die vielen unterschiedlichen Interpretationen ans Herz gelegt – eine Liste gibt es am Ende dieses Werkes –, die über die Jahrzehnte hinweg entstanden.

    Wir möchten uns bei allen Beteiligten bedanken, die dieses Buch möglich gemacht haben. Jedes noch so kleine Puzzleteil hat uns geholfen, die Anthologie zur Veröffentlichung zu führen.

    Getreu Modest Mussorgskis Motto »Die Kunst ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel für das Gespräch mit den Menschen«, wünschen wir viel Freude mit diesem Werk.

    Gerd Scherm: Das Matrjoschka-Projekt

    Als Modest Mussorgski zu Ehren seines verstorbenen Freundes Viktor Hartmann die Komposition »Bilder einer Ausstellung« schuf, konnte weder er noch jemand anderer ahnen, welche Auswirkungen dieses Werk haben würde. Im Lauf der Zeit wurde daraus ein weltumspannendes »work in progress«, ein Kunstwerk, das ständig weiterentwickelt wird. 1971 veröffentlichte die Classic-Rock-Formation »Emerson, Lake and Palmer« ihr Live-Album »Pictures at an Exhibition«, und dies löste einen Dammbruch aus, eine kreative Flut, Werk um Werk entstand und knüpfte an die Vorläufer an.

    1975 veröffentlichten Philipp Corner und KP Brehmer eine weitere Bearbeitung, die sie als »Pictures of Pictures« bezeichneten und die sowohl auf Mussorgski als auch Wassily Kandinsky basierte. Darauf aufbauend schuf KP Brehmer eine Art der visuellen Umsetzung mithilfe eines Sonografen und nannte sie »Pictures of Pictures from Pictures«. Philipp Corner setzte diese Bilder wiederum (1975–1979) in Musik um und kommt so zu seiner Werkbezeichnung »Pictures of Pictures from Pictures of Pictures«. Aus einer Gedächtnisausstellung mit anschließender musikalischer Hommage im Jahr 1874 war ein Matrjoschka-Projekt geworden: Die Puppe in der Puppe in der Puppe in der Puppe … Jede und jeder fügte und fügt seit nahezu hundertfünfzig Jahren das Seine hinzu und spinnt den Faden weiter.

    Unser hier vorliegendes Buch könnte auch den Titel »Storys and Pictures of Pictures at an Exhibition« haben – »Geschichten und Bilder zu Bildern einer Ausstellung«.

    Ich selbst hörte die »Pictures at an Exhibition« von »Emerson, Lake and Palmer« Anfang 1972 das erste Mal und war begeistert. Ich mochte diese Art von Musik ebenso wie harten Rock und Rhythm and Blues. Aber dieses Album bot mir noch mehr als The Moody Blues, The Nice und Procol Harum: Es weckte mein Interesse an klassischer Musik. Angeregt von dieser schwarzen Vinylscheibe eröffneten sich mir neue Hörwelten und Klangsphären, die ich gerne betrat.

    Ich liebe spartenübergreifende Projekte und mache seit vielen Jahren sogenannte »ästhetische Korrespondenzen« mit Malern, Fotografen, Performancekünstlern, Musikern und Komponisten. Als Marco Habermann im Geschichtenweber-Forum seine Idee von einem Text-Bild-Musik-Konzept zu »Bilder einer Ausstellung« vorstellte, erklärte ich mich spontan zur Mitwirkung bereit.

    Nun kommt die Vollendung unseres Teils der Geschichte, die mit Viktor Hartmann und Modest Mussorgski begann: Sie sind an der Reihe!

    Gerd Scherm: Promenade

    Entschleunigen

    das Alltagstempo verlassen

    Flanieren

    Schritte und Atem im Gleichklang

    Innehalten

    sehen, was mir ein anderer zeigt

    Gedanken

    eintauchen in Geschichten

    Die Stille im Außen

    verbirgt den Sturm im Inneren

    Stehend davonwirbeln

    mitgerissen

    getrieben

    gejagt

    Schritt für Schritt

    gefangen von Bildern

    © Detlef Klewer

    F. A. Peters: Der Weg des Gnomus

    Professor San

    Großes Medium Asiens.

    Jedes Problem – sofort gelöst!

    Der Weg zu Liebe, Erfolg und Glück!

    stand auf dem Schild vor dem kleinen, nachtblauen Zelt auf dem Marktplatz von Toulon. Honobulbus sah auf den Zettel in seiner Hand:

    Von den »Klein, aber Ohos!« gesucht:

    Violinist

    Bezahlung – je nach Auftragslage.

    Melden bei Professor San!

    Er kratzte sich am Bart. Das Zelt eines Wahrsagers? Professor San … bestimmt auch nur einer dieser Betrüger! Was sie ihm wohl zahlten, die »Klein, aber Ohos!«? Ein Livre am Tag müsste es schon sein.

    Neben dem Zelt trainierten zwei Zwerge mit Gewichten: ein dicker Struwwelkopf mit rotfleckigem Gesicht und ein grinsender Stoppelkopf. Die zwei waren Honobulbus zunächst gar nicht aufgefallen. Wahrscheinlich hatten ihn die anderen Gaukler abgelenkt: Bärenführer, Seiltänzer, Puppenspieler … Zigeuner, die falschen Schmuck feilboten. Und jetzt diese beiden Typen.

    »Willst du zu Professor San?«, fragte der Stoppelkopf und setzte seine Hantelstange ab. »Also, ich sah dich gerade vor dem Zelt stehen, und da dachte Arbellius so bei sich: Der will bestimmt zu San! Und? Willst du zu San? Wenn du zu San willst, dann bist du hier goldrichtig! Jeder geht zu San. Jeder, der Probleme hat. Hast du Probleme, Zwerg? Willst du zu San?«

    Ob dieser Idiot zu den »Klein, aber Ohos!« gehörte? Sollte er echt für so eine Mischpoche arbeiten? Unter seiner Würde! Selbst für einen Livre am Tag. Andererseits brauchte er Geld, und alleine zu reisen war zu gefährlich. Er gab Stoppelkopf den Zettel, der ihn an Struwwelkopf weiterreichte. Dieser spitzte die Lippen, als er die Zeilen überflog. Über seinem Kopf malte er einen Kreis in die Luft und sah Stoppelkopf ernst an.

    »Ich wusste es! Swain sagt, du suchst San! Du wirst es kaum glauben, aber: Das ist das Zelt von Professor San. Jeder will zu San. Jeder, der Probleme hat. Soll Arbellius dich zu Sans Zelt bringen? Es ist nicht weit! Es –«

    »Ick steh’ doch direkt davor!«, versetzte Honobulbus. »Denkste, ick bin meschugge?«

    Swain machte schlangenartige Handzeichen.

    »Wat soll dit?«, fragte Honobulbus und äffte das Gefuchtel nach. »Wollt ihr mich verkackeiern?«

    »Ach so, einen Fiedelisten!«, sagte Arbellius zu Swain. »Aber wir haben doch schon Fredrik …«

    Swain hob seine breiten Schultern. »Eine Stelle suchst du also. Bei den ›Klein, aber Ohos!‹, richtig? Na, das sind wir. Wo ist deine Fiedel?«

    »In meenem Beutel«, sagte Honobulbus und bewegte das Bündel auf seinem Rücken.

    »Da im Sack?«, fragte Arbellius und streckte seinen Arm aus.

    »Pfoten weg! Niemand fasst meene Violine an!«

    »Oh … nichts für ungut! Na, dann geh schon mal ins Zelt! Helenya kommt gleich.«

    »Helenya?«

    »Na, Helenya. Sie führt die Geschäfte. Du solltest sie mal sehen: offenes, blondes Haar, blaue Augen. Ein total süßes Grübchen! Und die hat Beine!« Die ernsten Züge Swains verfinsterten sich. »Und wenn sie auftritt, dann hat sie ein wunderschön geschminktes Gesicht! Die kann jonglieren! Das ist die gute Schule! Paris! Kennst du die Sœur de Saint Julienne? Kennst du Paris? Paris?«

    »Paris, ja«, sagte Honobulbus verhalten.

    »Die Sœur de Saint Julienne! Die Schwesternschaft der Jongleurinnen! Da war sie. Unsere Helenya! Ein Rasseweib ist das, kann ich dir sagen! Und wie witzig sie ist!«

    »Noch witzijer als du?«, fragte Honobulbus trocken.

    »Niemand ist so witzig wie Helenya. Und wenn sie erst – Aua!« Swain trat Arbellius gegen das Schienbein. »Was ist denn los, mein kleiner Giftzwerg?«

    Swain zog ein purpurnes Seidentuch aus der Hosentasche und reichte es Arbellius. Der süße Duft von Oleander und kräftigem Lavendel … Arbellius roch an dem Tuch und lächelte Swain an. Dann deutete er auf Honobulbus’ Stoffzylinder.

    »Nimm den Hut ab! Nur ohne Hut ins Zelt! Mit Hut ist völlig ausgeschlossen! Nur ohne Hut und –«

    »Ja ja, nun hör doch mal uff zu labern!«, sagte Honobulbus.

    »Einfach geradeaus, durch den Vorhang«, sagte Arbellius und kicherte dabei. »Dort in das Zelt hinein. Kannst es gar nicht verfehlen! Aber nimm den Hut ab! Vorher!«

    Es regnete; ein fernes Donnergrollen lag in der Luft. Honobulbus schob den Vorhang zur Seite. Noch im selben Moment bereute er es – und war zugleich gespannt, was ihn erwartete …

    Cuve und Vert, die beiden Handlanger des Inquisitors Cochon, schlichen als Pilger getarnt über den Marktplatz. Sie musterten die Spielleute, die vor dem Regen Schutz suchten. Vert überlegte, wer am besten infrage käme. »Ein guter Sündenbock«, hatte ihr Herr gesagt. Nur noch wenige Tage bis zum sogenannten »Wettbewerb« in Antibes …

    Vert musterte die Zigeuner mit ihren eingefallenen Gesichtern und zitternden Händen, in der verzweifelten Hoffnung auf ein paar Sous. Die waren des Französischen nicht mächtig. Ungeeignet! Cuve deutete auf zwei Hütchenspieler; Vert drückte schnell seine Hand herunter und schüttelte den Kopf. Nicht spektakulär genug. Die Reliquienverkäufer etwa? Mit welcher der Todsünden konnte man die in Verbindung bringen? Gier? Nein, zu abstrakt. Es musste etwas Besonderes sein.

    Da fiel sein Blick auf zwei turnende Zwerge vor einem Zelt. Zwerge … die verkörperten doch von jeher etwas Abgründiges. Cochon hatte ihm einmal erzählt, die Zwerge seien aus den Tiefen der Berge gekommen, von dort unten, wo das Böse lauere … Ja, Zwerge waren ideal für den Wettbewerb! Und Heiden noch dazu.

    Der blonde Zwerg … erst jetzt fiel Vert dessen große Ähnlichkeit zu seinem Herrn auf. Deutlich jünger zwar, aber ihre Gesichtszüge waren fast identisch! Der Blonde hievte den Stoppelhaarigen nach oben und balancierte ihn auf den Händen. Ob es Cochon Freude bereiten würde, sein zwergenhaftes Ebenbild zu foltern? Und der mit der Stoppelfrisur … ein entlaufener Sträfling? Vielleicht könnte er sich einen Namen als Kopfgeldjäger machen … Vert, selbstständiger Kopfgeldjäger. Das wäre was!

    Ein verrottetes Schild stand vor dem Zelt. Professor San, Großes Medium Asiens. Ein Wahrsager gehörte also auch dazu. Bestens! Dann könnten sie diese Leute auch wegen Schwarzer Magie und Gotteslästerung drankriegen.

    Sie schlichen sich davon, um ihrem Herrn von dem Fund zu berichten …

    Der Regen prasselte auf das Zelt. Kuloi San saß mit geschlossenen Augen da und spürte, wie seine Gedanken in das Nichts fluteten. Ein Rascheln … Seine Gedanken strömten zurück. Langsam atmete er aus.

    Kuloi schlug die Augen auf und wurde zu Professor San. Er betrachtete sein Gegenüber und machte sich ein grobes Bild. Es war noch

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