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Der Nekromant - Totenkult
Der Nekromant - Totenkult
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eBook370 Seiten4 Stunden

Der Nekromant - Totenkult

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Über dieses E-Book

Mit einem Bein im Grab…

…diesen Zustand kennt der Gelegenheitssöldner und Nekromant Conor Night nur zu gut. Viel Zeit zum Grübeln bleibt ihm nicht, denn seine lebenswichtige und schwer aufzutreibende Medizin geht zur Neige. Grade als er einen Arzt findet, der ihm helfen kann, wird der Mediziner getötet. Die Angreifer nennen sich "Reapers" und wollen auch Conor ins Jenseits befördern. Sein Retter in der Not ist ein mysteriöser Hexer, dem Conor nicht traut, dessen Angebot aber zu verlockend ist. Ehe er sich versieht, hat er nicht nur die Reapers im Nacken, sondern auch Mr. Tod höchstpersönlich…

"Totenkult" ist der zweite Band der dreiteiligen Urban-Fantasy-Reihe "Der Nekromant"
SpracheDeutsch
HerausgeberMantikore-Verlag
Erscheinungsdatum11. Dez. 2017
ISBN9783961880065
Der Nekromant - Totenkult

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    Buchvorschau

    Der Nekromant - Totenkult - M.R. Forbes

    EINS

    Haben wir den gleichen Weg?

    Ich versuchte immer, leise zu sein, wenn ich von einem Job zurückkam. Ich versuchte immer, die wacklige Holztreppe zum Keller des Hauses, indem ich mich derzeit verkroch, hinunterzugehen, ohne dass sie auch nur einmal quietschte.

    Meistens gelang es mir.

    Diesmal nicht.

    Die Stufen hatten ein Muster, das ich mir gemerkt hatte. Auf der ersten Stufe fünfzehn Zentimeter nach links, auf der zweiten zehn Zentimeter nach rechts, die dritte ganz auslassen und auf der vierten knapp am Rand auftreten. An diesem Abend war ich müde, meine Glieder fühlten sich an wie Gummi, Kehle und Magen zogen sich zusammen. Ich musste meine gesamte Kraft aufbringen, damit mir auf Stufe fünf nicht die Luft ausging.

    War ja klar, dass ich auf Nummer sechs trat und ausrutschte.

    Ich weiß nicht, warum. Vielleicht war ein Vogel vorbeigeflogen und schiss dahin, wo ich meinen Fuß hinsetzen musste. Vielleicht war es einfach Pech. Wie auch immer, das Ergebnis war dasselbe. Mein Fuß rutschte nach vorne, mein Kopf fiel nach hinten, und ich flog die gesamte Treppe hinunter und machte dabei einen Lärm, der die Toten wecken würde, so wie nur ich das konnte.

    Ich musste nicht die Toten aufwecken, um Ärger zu bekommen. Es reichte, wenn Prithis Eltern davon wach wurden.

    Ich schlug ziemlich hart auf, allerdings dämpfte mein Mantel einen Gutteil des Schmerzes. Der ballistische Stoff verhinderte, dass die Stufenränder sich irgendwo zu sehr hineinbohrten, und selbst in meinem allgemeinen Zustand als Halbtoter verursachte der Aufprall keine bleibenden Schäden.

    Was er allerdings verursachte, war ein Krachen, das durch den gepflegten Vorstadtgarten und hinauf und hinein ins Schlafzimmer von Satyan und Bindi Sharma drang.

    Scheiße.

    Ich lag da und starrte auf die Mondsichel, die über die Dachlinie lugte. Ich hielt den Atem an, wartete darauf, dass das Licht im Schlafzimmer anging und Bindi das runde Gesicht aus dem Fenster streckte und nachsah, was zur Hölle gerade passiert war. Ich verfluchte mich für meine Schwäche, den Vogel für seinen Kot und Miss Red dafür, dass sie mich überhaupt erst in diese Zwickmühle gebracht hatte.

    Miss Red. Verfickte – Miss – Red. Jin. Ich konnte ihr Gespenst vor meinem geistigen Auge sehen, nebelhaft vor dem Mond. Sie trug so ein enges rote Teil, ein beknacktes Ding, wie es die alten Griechen früher trugen, dessen Vorderseite nur eine Brust bedeckte. Die andere lag frei, genauso wie die krasseste Tätowierung eines Drachen, die ich jemals gesehen hatte. Sie schlängelte sich die geschmeidigen und perfekt umrissenen Rundungen hinunter und herum und nahm sie in Besitz. Es war ein hübscher Schatz zum Beschützen, verdammt noch mal.

    Vor ein paar Monaten hatte ich ihr das Leben gerettet. Ich hatte getan, worum sie und Mister Black mich gebeten hatten, obwohl meine beste Freundin Danelle dadurch umgekommen und ich noch mittelloser geworden war als zu Beginn. Klar. Ich konnte am Ende das Geld behalten, das mir versprochen worden war, aber ich hatte nichts im wahrsten Sinne nichts, als es vorbei war. Ich hatte Dannie verloren, ich hatte meinen Lieferwagen verloren, ich hatte meine Waffen und die Munition verloren sowie das Haus, in dem ich lebte. Ich hatte die Frau verloren, die meine Libido zu mehr anstacheln konnte, als mich mit ihrer Unfähigkeit zu verspotten. Zur Hölle, ich hatte sogar meine Lieblingsleiche eingebüßt.

    Zumindest machte die Selbstmitleidsorgie für eine Weile Spaß.

    Eins Komma irgendwas Millionen klingt nach viel, wenn jemand anderes etwas auf dein Konto einzahlt. Es klingt nach viel, wenn einem nicht Tod persönlich im Nacken sitzt. Wenn man ich ist, reicht das nicht. Bei Weitem nicht.

    »Conor?«

    Ich legte den Kopf zurück, sodass ich die Treppe hinaufschauen konnte. Mein Blick wanderte von dem eingerissenen, verunkrauteten Zement hinauf zu zwei dunklen, nackten, wohlgeformten Beinen in knappen Männershorts, ein bisschen weiter hoch zu einem flachen Bauch, bis zu einer großen Brust. Die meisten Männer wären dort hängengeblieben, aber ich war an den Anblick gewöhnt. Nun, nicht genau in dieser Lage. Nicht in Höschen und einem Nachthemd und ohne BH darunter. Nicht in einer kalten Nacht. Ich wartete auf eine Reaktion. Tot, wie immer.

    »Was soll der Scheiß, Conor?«, fragte Prithi. Meine Augen blieben schließlich auf ihrem Gesicht haften. Sie war eigentlich ein hübsches Mädchen, zart und zierlich. Doch die Art, wie ihr Gesicht vor Wut verzerrt war und sie mich mit ihrem Blick durchbohrte, nahm einiges davon weg. Das einzige, das sie rettete, war ihre Kleidung, beziehungsweise der Mangel daran.

    »Ausgerutscht«, sagte ich. Schließlich bewegte ich mich und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Natürlich machten die Stufen gerade dann einen Heidenlärm, als ich mein Gewicht verlagerte.

    »Pst«, machte Prithi und blickte zum Schlafzimmerfenster rauf.

    »Meine Eltern können dich schon so kaum ertragen. Wenn du sie aufweckst, finden sie gleich morgen früh einen neuen Mieter.«

    »Ich weiß gar nicht, warum sie mich so hassen«, sagte ich und bewegte mich etwas vorsichtiger. Ich schaffte es, mit einem Minimum an Klage der Treppe auf die Füße zu kommen.

    Prithi überkreuzte die Hände vor der Brust, als hätte sie jetzt erst gemerkt, dass sie ohne Unterwäsche aus dem Haus gerannt war.

    »Sie halten dich für unheimlich.«

    »Ich bin unheimlich.«

    Ich hatte Krebs im Endstadium. Ich befand mich in einem beständigen Zustand des Sterbens. Graue Haut, die eng um meine Knochen lag, kaum nennenswerte Haare irgendwo. Unheimlich war Teil des Pakets.

    »Außerdem hinkst du zwei Monate mit der Miete hinterher.«

    Ich griff in eine der Taschen meines Mantels. Ich schob meine Hand an der kleinen Pistole vorbei, die darin verborgen war, und fand ein Bündel Scheine. Ich zog es hervor und warf es zu ihr hinauf. »Nicht mehr, dank dir. Der Job, den du für mich an Land gezogen hast, hat sich bezahlt gemacht. Damit sollte ich für ein oder zwei Monate ein Dach über dem Kopf behalten.«

    Prithi musste die Hände bewegen, um das Geld aufzufangen. Sie stellte sich ungeschickt an, weil sie versuchte, sich weiterhin mit ihrem Handgelenk zu bedecken. Es war ein Reinfall. Die Scheine landeten vor ihr im Gras, und ohne nachzudenken, beugte sie sich vor, um sie aufzuheben. Ich hatte genug Anstand, den Kopf wegzudrehen, bevor sie aus ihrem Hemd herausfiel.

    »Scheiße«, sagte sie und bedeckte sich schleunigst.

    Oben ging das Licht an.

    »Ach, Mist«, sagte Prithi. »Verdammt, Conner. Los.« Sie kam auf mich zu und hüpfte gekonnt die Stufen hinunter. Dann sauste sie vorbei und übertrieb ihre Schritte, als wollte sie sagen: »Da lang und versau es nicht wieder.«

    Ich folgte ihr. Sie drückte die Tür auf, ohne ein Geräusch zu machen, und wir beiden schoben uns ins Innere. Wenn Bindi uns gesehen hatte … Ich lauschte einen Moment und erwartete, dass sie die Treppe herunterpolterte, dass sie herkam und uns beide anschrie für das, was ich ihrer Meinung nach mit ihrer Tochter anstellte.

    Sie wusste natürlich nicht, dass Prithi lesbisch war.

    »Tut mir leid, P.«, sagte ich. »Harte Nacht.«

    Meine Beine zitterten immer noch und meine Lungen brannten weiterhin.

    Sie drehte sich um und sah mich an. Zuerst war sie stoisch und ernst. Dann, als die aufgebrachte Meute nicht auftauchte, um Frankenstein zu verbrennen, fing sie an zu lachen.

    »Als du da gelegen hast, hast du ausgesehen wie ein Trottel.«

    »Was glaubst du, wie du aussiehst?«, fragte ich. Beim Sprint hatte sie vergessen, dass sie halb nackt war. Sie legte die Hände über ihre Brüste.

    »Du hast nichts gesehen.«

    »Ich bin ein Arschloch. Verzweifelt bin ich nicht.«

    »Was soll das denn heißen? Wolltest du nicht hinsehen?«

    »Selbst wenn, was hätte ich davon? Du magst keine Kerle, und ich könnte nicht, auch wenn ich es wollte. Wenn ich mir ein Paar ansehen will, habe ich das Internet.«

    Sie seufzte und schüttelte den Kopf. »Du bist unmöglich.«

    »Nein, ich bin unheimlich.«

    Sie lachte wieder und ging dann an meinem beschissenen Sofa vorbei zur Innentür, die aus dem Keller hinausführte. Währenddessen starrte ich ihr auf den Arsch, damit sie sich nicht zu beleidigt fühlte. Sie drehte sich abrupt zu mir um, als sie die Tür erreichte. Ich schaute weg.

    »Das hab’ ich gesehen.«

    »Solltest du auch.«

    »Geh schlafen, Conor. Könnte sein, dass ich wieder einen Job für dich habe.«

    Ich scheuchte sie mit einer Handbewegung raus. Sie verschwand durch die Tür und ich lauschte ihren Schritten auf der Treppe. Als sie verklungen waren, schälte ich mich aus meinem Mantel und ließ mich auf das Sofa fallen. Ich griff nach einem Kissen, legte es mir über den Mund und ließ den Husten raus, den ich die ganze Zeit drin behalten hatte. Es dauerte ein paar Minuten, tat höllisch weg und hinterließ einen hübschen Blutfleck auf dem Bezug.

    Zumindest war ich ruhiger.

    ZWEI

    Abendessen um sieben

    Meine Träume waren übel, wie immer. Ich sah meine Ex-Frau Karen und unsere Tochter Molly. Ich hörte das Lachen, dieses irrsinnige Lachen, das von überall hergekommen war, als Dannies Leiche wieder von allein hochgeschnellt war, um mir Drohungen entgegenzuschleudern. Einen Moment später tauchte eine dunkle Gestalt auf und risse beide in Stücke.

    Da wachte ich schweißgebadet auf, wie in jeder Nacht, seit ich Dannie begraben hatte. Es war nicht normal. Es war nicht natürlich. Ich hatte die Grenzen zu sehr ausgereizt und den falschen Typen angepisst. Seitdem schubste er zurück.

    Ich schwang die Beine vom Sofa, damit ich mich aufsetzen konnte. Ich fuhr mit der Hand über meinen Skalp, kratzte den Schweiß von der Haut und wischte ihn an der Sofalehne ab. Ich griff nach dem Mantel und holte meine Taschenuhr hervor. Sechs Uhr fünfzehn. Vier Stunden mussten reichen. Wieder mal.

    Ich wusste nicht, wer oder was Dannie beherrschte. Ich nannte es Tod, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich es sonst nennen sollte, und es schien zu passen. Ich meine, alle Häupter der Häuser konnten vermutlich diesen Trick durchziehen, oder nicht? Nein. Ich versuchte, mich davon zu überzeugen, obwohl ich wusste, dass sie es nicht konnten. Todesmagie war nur für Nekromanten, und wer auch immer in meinem Kopf rumgewühlt hatte, war kein Nekro. Ich war ziemlich sicher, dass ich immer noch der einzige war, und selbst wenn nicht, dauerte es sehr lange, bis man lernte, eine Leiche auferstehen zu lassen, ohne sie zu berühren. Ich war schon fünf Jahre übers Verfallsdatum und war nicht einmal nahe dran, es zu können.

    Ohne einen Hexer aus einem Haus und ohne einen Nekro blieb nur … Was? Die Vorstellung war erschreckend. Jeder möglicher Scheiß war aufgetaucht, als sich die magnetischen Pole verkehrt hatten, und magische Energie war zurück an die Oberfläche gekrochen. Alles änderte sich zufällig auf die eine oder andere Art. Orks, Goblins, Oger, Werwöfe, Vampire, menschenfressende Pflanzen, Riesenspinnen – die Liste ging immer weiter. Einiges war gut, anderes war schlecht. Alles war verrückt. Nichts passte zu dem, was ich erlebt hatte.

    Nein. Nichts. So war es mit der Maske. Mit den Würfeln. Ein böser Geist, der irgendwie auf magische Weise in einen Satz uralter Artefakte gefahren war, der mir durch einen ziemlich komischen Zufall in die Hände geraten war. Möglicherweise. Ich war nicht überzeugt, dass der Geist die ganze Sache selbst in die Gänge gebracht hatte.

    Wenn die Maske ein böser Geist war, dann war die Stimme ein böser Geist. Nur dass sie mir nicht böse vorkam. Nur angepisst, weil ich nicht sterben wollte.

    Deswegen: Tod.

    Ich hatte zurecht Angst.

    Wie weiter? Was kann man tun? Man kann gegen Tod kämpfen, und ich bekämpfte ihn schon seit Langem. Am Ende kann man ihn nicht besiegen. Tod gewinnt immer, genau wie er sagte. Die einzige andere Möglichkeit lag darin, es so lange wie möglich aufzuschieben. Das bedeutete am Leben zu bleiben, was wiederum hieß, ein hübsches Sparkonto zu haben, damit ich meine illegalen und immer schwieriger aufzutreibenden Medikamente bezahlen konnte.

    Schwierig aufzutreiben trieb mich weg von Chicago. Mit einer schönen, fetten Vorauszahlung, die für drei Dosen reichte, ging ich bei Dalton vorbei und er sagte mir, er könnte mir nur noch eine besorgen. Warum sagte er mir das nicht früher? Dannie bat ihn, es nicht zu tun. Sie wollte es mir selbst sagen. Sie kam nie dazu.

    Ich war immer noch recht gut in Form. Der trockene Husten und das Blut waren normal. Ich ging kein Risiko ein. Es gab noch eine Person, die ein Talent für das Sammeln von Informationen hatte und vermutlich den Schatz auftreiben konnte. Ich fand Prithis Festnetznummer online und rief sie an. Ich schätzte, sie schuldete mir was dafür, dass ich ihr das Leben gerettet hatte.

    Ich stand auf, ging ins Badezimmer, zog mich aus und duschte. Ich vermied es, in den Spiegel zu sehen als ich hinauskam, und ging nackt zurück in das einzige Zimmer, das ich bewohnte.

    Prithi saß auf dem Sofa.

    »Handtuch?«, fragte sie und musterte mich, wobei ihre Wangen dunkler wurden. Bei unserem ersten Zusammentreffen war Prithi derart schüchtern und verängstigt gewesen, dass sie sich nass gemacht hatte. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass sie ein paar Monate in meiner Gegenwart zugebracht hatte, ob ihre ›Azeban‹-Maschine inzwischen auf die wirkliche Welt überschwappte oder ob sie über die breite Kluft hinweg mit Dannie sprach. Was auch immer der Grund war, in letzter Zeit war sie bissiger geworden.

    »Anklopfen?«, gab ich zurück, wobei ich ihre Frage ignorierte und zu dem Wäschekorb hinüberging, in dem meine sauberen Klamotten lagen. Nur weil ich im Begriff war zu sterben, musste ich doch keine Falten haben und stinken. Ich griff nach einem frischen T-Shirt und einer Jeans, zog beides an und zog den Gürtel der Hose fest, damit sie nicht runterrutschte.

    »Meine Eltern wollen mit dir reden.«

    Ich zuckte zusammen und blickte zur Decke. Ich konnte ihre Schritte über mir hören und riechen, wie sich das Masala allmählich ausbreitete.

    »Worüber?«

    »Sie wollten, dass ich dich zum Abendessen einlade.«

    Ich stutzte. Das war unerwartet. »Was?«

    »Gestern Nacht hat meine Mom oben auf der Treppe auf mich gewartet. Ich dachte, sie hätte uns nicht gesehen, hat sie aber.«

    Ich erschoss Menschen. Ich legte meine Hände auf sie und saugte ihnen das Leben aus. Ich benutzte zwei uralte Würfel, die ihnen ein grausiges Ende bereiteten und ihre Seelen an einen bösen Geist verfütterten. Man hatte auf mich geschossen, mich mit Wasser aufgespießt und Feuer auf mich geschleudert. Ein mehr als dreieinhalb Meter großer Oger hatte mir einen Schlag in die Magengrube verpasst.

    Ihre Aussage erschreckte mich mehr als all das.

    »Was?«, wiederholte ich.

    Prithi starrte auf ihre Füße. Sie war inzwischen angezogen und trug dunkle Jeans und ein T-Shirt. Ihr langes, schwarzes Haar war hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und sie hatte um ihre Augen herum Make-up aufgetragen, das sie wie eine exotische Streberin aussehen ließ.

    »Ich hab‘ ihr gesagt, wir wären verliebt.«

    Vom Regen in die Traufe.

    »Hast du nicht.«

    »Tut mir leid, Conor. Du kennst meine Mom nicht. Sie hätte nicht geglaubt, dass ich in meiner Unterwäsche runtergekommen wäre, nur um Hallo zu sagen, und wenn ich ihr gesagt hätte, dass wir uns nur vergnügen würden, hätte sie dich längst rausgeschmissen.«

    »Warum sagst du ihr nicht einfach, dass du auf Frauen stehst und lebst dein Leben?«

    »Das sagst du so leicht. Wenn ich ihr das sage, schmeißt sie uns beide raus.« Sie kam zu mir herüber, stellte sich vor mich hin und schenkte mir einen traurigen Katzenblick. »So haben wir beide was davon, weißt du. Meine Mom ist nicht total konservativ. Es ist okay für sie, dass wir nicht heiraten oder so was, solange ich nicht von dir schwanger werde.«

    Ich lachte, als sie das sagte. Wieso auch nicht? »P. …«

    »Das heißt, ich kann hier runterkommen, wann immer ich möchte.« Sie drehte den Kopf zur rückwärtigen Ecke des Zimmers, wo ich einen Raumteiler hingestellt hatte, damit neugierige Eltern nicht zu neugierig wurden.

    Die Waffen und Medikamente fraßen einen Großteil des Geldes, das ich verdient hatte. Der Rest war für die Ausstattung der Maschine draufgegangen. Das war meine Bezahlung an Prithi, mein Schmiergeld an sie, damit sie als Azeban wieder in die Maschine eindrang und weitere illegale Kügelchen auftrieb, die mich am Leben hielten. Das war ihre Schwäche, ihre Sucht, eine, der sie nicht nachkommen konnte, seit sie ihren Job als Entwicklerin der anderen Realität verloren hatte. Es war einfach gewesen, sie in Versuchung zu führen.

    »Gut für dich. Was hab‘ ich davon?«

    »Du brauchst mehr Geld. Maschine plus Arbeit gleich Geld.«

    »Heißt das, deine Mom ist nicht angepisst?«

    »Rede keinen Quatsch: Natürlich ist sie angepisst. Ich habe zwei Stunden lang mit ihr darüber gestritten, wie sehr ich dich liebe und dass ich niemals heiraten werden, wenn sie es mir versaut. Da sie weiß, dass du der erste Kerl bist, mit dem sie mich jemals gesehen hat, will sie kein Risiko eingehen. Wie auch immer: heute Abendessen. Sieben Uhr.«

    »Ich freu mich drauf.«

    »Ich mich auch.« Sie rollte mit den Augen und legte eine Hand auf meine Schulter. »Vergiss nicht, dass du dich heute um neun mit Dr. Strange triffst.«

    Dank Jin hatte ich meinen eigenen Injektor. Der gute Doktor würde die Medikamente verabreichen.

    »Klar. Ich sollte gleich gehen. Ich muss beim Lager vorbei und mich fertig machen. Ich bin nicht gerade erpicht darauf, in einen Vortex zu springen.«

    Sie streckte sich und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Danke, dass du mitmachst. Es wird alles gut gehen.«

    Ich lächelte schwach. »Rede dir das ruhig weiter ein.«

    Sie verschwand hinter der Trennwand und stöpselte sich in die Maschine ein. Ich griff nach meinem Mantel und ging zur Tür.

    Abendessen um sieben. Das würde ein Spaß werden.

    DREI

    19,95 $ im Monat

    Ich hatte ein Lagerabteil auf der anderen Seite der Stadt gemietet. Es war ein High-End-Modell mit einem eigenen Sicherheitssystem mit Eingabecode und einem einstellbaren Thermostat sowie separater Stromrechnung.

    Meine war vermutlich die höchste im gesamten Komplex.

    Ich ging durch das hohe Sicherheitstor, das von einem Typen um die zwanzig bewacht wurde, der eine dunkelblaue Uniform und einen schweren Elektroschockstab an der Hüfte trug. Ich nickte ihm zu und lächelte ihn im Vorbeigehen an, und er überraschte mich dadurch, dass er den Blickkontakt hielt. Mir kamen nicht viele Leute unter, die mir ins Gesicht oder in meine eingefallenen Augen schauen wollten. Auf der anderen Seite musste man ein ziemlich harter Hund sein, wenn man mit nichts als einen Elektroschocker für die Sicherheit arbeitete. Im Umkreis von zwanzig Metern wollte ich keinen Vampir, Werwolf oder ein anderes Drecksvieh um mich haben.

    Ich wanderte durch die Gänge des Lagers, Kopf gesenkt, den Mantel in der kalten Herbstluft eng um mich geschlungen. Ich ging der Route auf gut einen Meter Abstand nach, sah zu, wie die Risse im Zement an mir vorbeiglitten, und hoffte, keinen anderen Möchtegern-Hordern zu begegnen, die ihre Sammlungen überprüfen wollten.

    Ich konnte mir den Schrott vorstellen, den sie aufbewahrten: Magazine, Fotoalben, Tante Gertrudes Sammlung von Porzellanpuppen.

    Ich konnte erraten, was sie denken würden, wenn sie mehr als nur einen flüchtigen Blick auf das warfen, was ich da auf hab‘.

    Zum Glück war niemand sonst an einem Wochentag um sieben Uhr morgens aufgetaucht. Ich stand allein vor meinem kleinen Rolltor von Abteil C-17, die einzigen Blicke, die auf mir ruhten, waren die der Krähen, die auf den Dächern hockten und hofften, dass ich etwas Essbares fallen lassen würde. Ich gab den Code ein – Dannies Geburtstag – und hörte, wie das Schloss aufging. Dann streckte ich die Hand aus, zog das Tor hoch, schlüpfte unten durch und schloss es innerhalb weniger Sekunden von innen.

    Zu meiner Linken gab es einen schmalen Streifen aus LED-Lichtern. Ich schaltete sie ein. Der Lagerraum wurde von einem sanften, weißen Leuchten erfüllt, das ihn noch makabrer wirken ließ. Ich zog den Mantel etwas enger um mich. Hier drinnen war es kälter als draußen.

    Nach der Sache mit Miss Red hatte ich alle Leichen eingebüßt. Ausgenommen die von Dannies Katze. Mr. Timms bot aus Nostalgiegründen eine gute Gesellschaft, war aber in einem Kampf kaum zu gebrauchen. Daher musste ich mich auf die Jagd nach neuen Ergänzungen für meine eigenen Puppen machen: die Todesanzeigen im Dreistaateneck abgrasen, mitten in der Nacht zu Friedhöfen fahren und mögliche Kandidaten ausgraben. Es war eine grauenhafte, widerliche Arbeit. Sie war häufig anstrengend und oftmals enttäuschend. Es reichte nicht, dass der Kadaver irgendwie ganz war. Es kostete zu viel Kraft, bestimmte Leute zu kontrollieren. Andere reagierten nicht besonders gut auf die Magie, denn als sie noch am Leben waren, lebten sie vielleicht nicht so, als hätten sie eins. Jedenfalls lag das Verhältnis, eine Leiche auszugraben und sie zu behalten, bei zehn zu eins.

    Während der Monate, die ich in New Jersey verbrachte, hatte ich Zeit gehabt, zwei neue Partner aufzutreiben. Einer war ungeschliffen, eine siebzehnjährige Prostituierte, die man erdrosselt in einer Gasse in Manhattan aufgefunden hatte. Ihr Name war Pepper, und was ihr an Erfahrung mangelte, machte sie durch Potenzial wieder wett.

    Der andere war ein Schläger namens Carl ›The Punisher‹ Johnson. Er war ein Amateurboxer, der sich eine Überdosis aus einem Cocktail aus Steroiden und Kokain eingepfiffen und sich auf der falschen Seite der Grenze wiedergefunden hatte. Ein Meter fünfundneunzig, hundertfünfunddreißig Kilo. Er hatte drei Runden gegen einen Oger durchgestanden und hätte fast gewonnen. Außerdem war sein Körper beinahe makellos. Er war ein polierter Diamant.

    Beide ruhten in einem großen Karton in der linken hinteren Ecke, durch die kalte Luft erhalten und beinahe geruchlos. Ich blickte zu dem Karton hinüber, wünschte, ich könnte einen von ihnen mitnehmen, und wandte mich dann nach rechts.

    Dort bewahrte ich mein anderes Handwerkszeug auf. Schusswaffen. Eine Menge davon. Einmal hatte ich sie im Gepäckraum des Lieferwagens aufbewahrt, reingeworfen, als ob sie nichts bedeuteten. Dannie hatte sich früher um die Belege gekümmert, doch nachdem ich eine bessere Vorstellung davon bekommen hatte, wie viel sie kosteten, fing ich an, mehr Sorgfalt walten zu lassen. Inzwischen trug ich immer eine kleine Waffe bei mir. Der Rest lagerte hier, eingepackt in undeutlich gekennzeichneten Kisten, dazu Kugeln in den Kammern und weitere eingepackte Munition. Ich musste mir lediglich eine Kiste nehmen, die ich brauchte, und mich auf den Weg machen und danach sichergehen, alles wieder an den richtigen Ort zurückzulegen, wenn ich fertig war. Es war ein besseres System als der Gepäckraum, und es wäre einfacher, nicht alles zu verlieren, sollte das nicht ganz so unmögliche Szenario eintreten, dass irgendwelche Schieber meinen Lieferwagen auseinandernahmen.

    Ich nahm nur eine Kiste mit. Eine Smith & Wesson 500. Es war die teuerste Waffe in meinem Arsenal, schwierig zu handhaben und zu kontrollieren. Ich mochte sie nicht, weil mir der Rückstoß immer unangenehme Schmerzen in der Schulter bereitete, und Revolver waren immer beschissen nachzuladen wenn es schnell gehen musste. Ich hatte jedoch das Gefühl, ich könnte sie da wo ich hinging brauchen.

    Ich ließ die Kiste neben dem Rolltor liegen, schlüpfte hinter das Arsenal und fand eine Reisetasche. Ich lehnte mich vor, zog den Reißverschluss auf und holte dann ein paar kleinere Helfershelfer heraus. Ein Satz Dietriche, ein kleines Stiefelmesser und schließlich ein kreditkartengroßes Stück Plastik, in dem sich ein NFC-Chip verbarg. Eine anonyme Kreditkarte. Ich hatte bereits die Bezahlung für die Medikamente darauf geladen.

    Ich warf einen weiteren schwermütigen Blick auf den Karton, in dem Carl und Pepper lagen, hob die Kiste mit der 500 darin auf, schlüpfte dann unter dem Tor durch und ließ es wieder zufallen. Ich sah auf meine Taschenuhr. Ich hatte eine Stunde Zeit, um zur Nordseite von Hoboken zu kommen, die auch als der »Playground« bekannt war.

    VIER

    Wer weiß, welch Grauen dort lauert …

    Ich mochte den Playground nicht.

    Soviel war mir klar, obwohl ich vorher niemals dort gewesen war. Natürlich wurde es nicht umsonst Playground genannt. Es war ein magisch verworrenes Stück Land, ungefähr

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