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Imperial Five: Gemma + Sireno
Imperial Five: Gemma + Sireno
Imperial Five: Gemma + Sireno
eBook444 Seiten6 Stunden

Imperial Five: Gemma + Sireno

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Über dieses E-Book

Verliebe dich nie nur in die Hülle des Menschen, wenn du die Nacktheit darunter nicht gesehen hast.
Gemma erhält die einmalige Chance, mit den Imperial Five auf Welttournee zu gehen. Als Fashion Stylistin ist das die Gelegenheit, ihr Können unter Beweis zu stellen. Allerdings hat sie nicht mit den unerwünschten Gefühlen gerechnet, die Sireno in ihr auslöst. Der Sänger schafft es, hinter ihre taffe Fassade zu blicken und weckt dunkle Erinnerungen, die sie zu verdrängen versucht. Kann sie ihm vertrauen, obwohl er selbst etwas zu verbergen hat?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum2. Jan. 2018
ISBN9783746071886
Imperial Five: Gemma + Sireno
Autor

Dimitra D.P.

Dimitra D.P. hat früh erkannt, dass sie ein Bookaholic ist. Sie liest vorzugsweise Geschichten aus dem Bereich Fantasy und Romance. Mit der Zeit hat sich der Wunsch manifestiert, selbst neue Welten in diesen Genres zu erschaffen und ihre wichtigste Inspirationsquelle ist die Musik. Ihr Debütroman "Imperial Five - Leander + Evanthia" ist der Auftakt einer fünfbändigen Reihe. Mit "Imperial Five - Gemma + Sireno" folgt der zweite Band der Reihe.

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    Buchvorschau

    Imperial Five - Dimitra D.P.

    Epilog

    1

    »Stronzo! Hast du keine Augen im Kopf oder bist du beim Fahren erblindet? Du bist doch stupido, wenn du nicht einmal das Blinken beherrscht. Dir sollte man den Führerschein entziehen, ich glaube es nicht«, brülle ich den Fahrer vor mir an, der von meiner Schimpftirade sowieso nichts mitkriegt.

    Dennoch tut es gut, meiner Wut freien Lauf zu lassen, indem ich mein gesamtes Vokabular an Beleidigungen ausschöpfe. Hätte ich nicht frühzeitig reagiert, wäre er in mich reingefahren und ich hätte ihn wohl oder übel eiskalt auf offener Straße erschießen müssen. Mein Auto ist mir heilig und das nicht nur aufgrund des Neuwagengeruchs oder den überteuren Felgen, die erst eine Woche alt sind. Einen Mercedes fährt man nicht zu Schrott, vor allem nicht wenn es meiner ist.

    Vor einer Ampel hält der dämliche Sack an, also fahre ich auf die linke Spur und bleibe neben ihm stehen. Er schaut die ganze Zeit über nach vorn, wartet auf das grüne Signal zum Losfahren, aber er bemerkt mein durchdringendes Starren, denn das kann ich verdammt gut. Irritation spiegelt sich in seinem Gesicht, als er mich erblickt und ich ihm den Mittelfinger zeige. Seine Brauen schießen in die Höhe.

    Ich hätte ihm noch gern das ein oder andere italienische Schimpfwort an den Kopf geworfen, aber der Wagen vor mir setzt sich kurzerhand in Bewegung, sodass ich gezwungen bin diesen idiota hinter mir zu lassen. Da hat er aber Glück gehabt.

    Grimmig richte ich meinen Blick auf den roten Kombi, der es ebenso darauf anlegt, meine Wut auf sich zu ziehen. Die Fahrerin weiß wahrscheinlich nicht, wozu ein Gaspedal gut ist, sonst hätte ich längst mein Ziel erreicht.

    Um nicht noch einmal einen Schwall Flüche auszustoßen, schaue ich kurz zum Binnenalster, der das Sonnenlicht auffängt, sodass die Wasseroberfläche wie eine blaue Matte mit kleinen Diamanten bestückt funkelt. Die Alsterfontäne, die das Wasser mehr als fünfzig Meter in die Höhe schießt, springt mir dabei sofort ins Auge, wobei die Geschäftsgebäude, die um den See liegen, ein ebenso faszinierender Blickfang sind. Die weißen Fassaden und die kupfergedeckten Dächer bieten ein wunderbares Panorama, für das viele Touristen extra nach Hamburg kommen, um sich daran sattzusehen.

    Aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass sich der Kombi verlangsamt, also konzentriere ich mich wieder auf die Straße und trommele ungeduldig mit den Fingern auf das Lenkrad. Der stockende Verkehr zehrt an meiner Geduld. Ich habe keine Lust, mich noch länger den schrecklichen Fahrstilen anderer zu stellen, aber das lässt sich leider nicht vermeiden. Öffentliche Verkehrsmittel sind nämlich schlimmer, weshalb ich mich lieber in ein Auto setze, das ich selbst fahre.

    Als mein Handy in der rechten Jackentasche zu vibrieren beginnt, nähere ich mich bereits meinem Zielort. Die Europa Passage. Ich liebe große Kaufhäuser, in denen man sich grenzenlos austoben kann und dieser Ort ist die richtige Adresse für Fashion Stylistinnen wie mich. Erst letztens habe ich jedes einzelne Stockwerk mit den zahllosen Shops erkundet, meinen Bauch in einem italienischen Eckchen vollgeschlagen und meine Arme mit mehr als zehn Einkaufstaschen beladen. Muskelkater? Nicht mehr. Meine Arme haben sich daran gewöhnt, stundenlang Kleidung und Schuhe zu tragen und heute werden sie wieder beansprucht.

    Auch ohne einen Blick auf das Display zu werfen, weiß ich, dass es Lucia ist, da wir uns für elf Uhr verabredet haben. Sie braucht Hilfe bei der Wahl eines hübschen Kleides, das sie zum Geburtstag ihres Freundes Georg anziehen will. Ich würde liebend gern zur Party erscheinen, allerdings werde ich zu dem Zeitpunkt nicht mehr in Hamburg sein. Mein voller Stundenplan lässt das einfach nicht zu.

    Ich fahre in die Tiefgarage und hoffe einen Platz in der Nähe des Aufzugs zu finden, damit ich es nicht so weit habe. Ein Pärchen läuft mir fast vors Auto, als ich um die Ecke biege, doch sie sind zu sehr mit Lachen und Küsschen beschäftigt, um die Todesblicke zu bemerken, die ich ihnen verärgert zuwerfe. Überall nur unachtsame Menschen, die frühzeitig die Lebenden verlassen wollen. Ich verdrehe die Augen.

    Glücklicherweise finde ich einen freien Parkplatz nahe des Aufzuges, den ich mit meinem schicken Wagen besetze. Der Motor verstummt, ich ziehe die Handbremse und greife anschließend in meine Jackentasche, um nachzusehen, wie oft meine kleine Schwester angerufen hat. Ganze vier Mal. Da ich hier unten keinen guten Empfang habe, rufe ich sie nicht zurück. Sie wird sich bis zu meiner Ankunft gedulden müssen. Maximal zehn Minuten, mehr sind nicht nötig.

    Nach dem Aussteigen, ziehe ich meine Jeansjacke aus und werfe sie auf den Fahrersitz. Ich richte den sandfarbenen, dezent transparenten Poncho, unter dem ich ein weißes Top trage und vergewissere mich, dass alles perfekt sitzt. Der Rundhalsausschnitt und der spitz zulaufende Saum, die das Kleidungsstück zu einem Must-Have für die Casual-Garderobe machen, passen hervorragend zur enganliegenden Jeans sowie den weißen Sneakers. Es ist mir sehr wichtig, immer und überall top gestylt aufzutreten, da das eben zu meinem Beruf dazugehört. Man weiß nie, wen man in der Stadt antrifft und weil ich keinesfalls in Jogginghosen einem Kunden begegnen möchte, lasse ich die lässigen Klamotten daheim.

    Mit meinem Blick auf die goldene, fingerbreite Armbanduhr gerichtet, betrete ich wenig später den Aufzug, der mich direkt ins Erdgeschoss fährt. Ich habe zwei Stunden Zeit für die bevorstehende Shoppingtour und danach werde ich wieder nach Hause gehen müssen, um die Aufträge abzuarbeiten, die seit gestern Abend meinen Posteingang befüllen. Somit wird das ein sehr anstrengender Tag, wobei ich schon schlimmere erlebt habe.

    Als die Aufzugtüren aufgleiten, begebe ich mich zielstrebig zum Eingang Ballindamm/Jungfernstieg. Dort finde ich meine Schwester vor, die ungeduldig auf ihr Handy starrt. Als ich sie erreiche, hebt sie den Kopf und atmet erleichtert aus.

    »Ich habe schon befürchtet, du könntest im Stau stehen. Schön, dass du es noch rechtzeitig geschafft hast, sorella«, begrüßt sie mich lächelnd und umarmt mich herzlich.

    »Naja, einige Fahrer haben es darauf angelegt, mit meiner Laune zu spielen, aber jetzt bin ich hier. Wo sollen wir mit der Suche anfangen?«

    »Ich weiß nicht, die Auswahl ist groß. Vielleicht Desigual?«, schlägt Lucia nachdenklich vor und zieht die perfekt geschwungenen Augenbrauen zusammen. Sie beißt sich auf die Unterlippe.

    »Klingt nach einem guten Start. Mal sehen, was es dort für Kleider gibt. Soweit ich weiß, haben sie dieses Frühjahr eine echt schöne Kollektion zu bieten. Bestimmt finden wir etwas Passendes.«

    »Das hoffe ich. Immerhin möchte ich Georg umhauen.«

    Darüber muss ich lachen. »Dein ununterbrochenes Geplapper reicht da völlig aus«, necke ich sie und ernte einen gespielt bösen Blick.

    Wir gehen schnurstracks in den von uns anvisierten Bekleidungsladen, in dem sich um diese Uhrzeit relativ viele Menschen befinden, die zwischen den Kleiderständen umherwandern und ein Kleidungsstück nach dem anderen in die Höhe heben, um es näher in Augenschein zu nehmen. Wie immer scanne ich meine Umgebung, erfasse die Angebotsschildchen, die zum Spontankauf anregen und bahne mir einen Weg an den Regalreihen vorbei, bis ich eine Abteilung erreiche, in der Kleider zu finden sind. Mit meinem geschulten Auge schließe ich bereits im Vorbeigehen einige Modelle aus, während Lucia stehenbleibt und die Stoffe prüfend befühlt. Für mich ist nicht nur das Design wichtig, sondern auch die verwendeten Textilien, da diese zur Qualität beitragen.

    Ich greife nach einem kurzärmligen Kleid in zweifarbigem Design mit einem schwarzen Spitzenbesatz an Brust- und Taillenpartie sowie einem kurzen, rückseitigen Gehschlitz. Das Gesamtbild wird durch einen schwarz glänzenden, schmalen Gürtel ergänzt, zu dem gleichfarbige Lackpumps passen. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie wunderbar meine Schwester darin aussehen wird, wenn sie es erst einmal anprobiert. Außerdem ist das Material aus Polyester und Viskose zusammengesetzt, das perfekte elastische Gewebe zum Betonen der Figur.

    »Zieh das hier an. Ich bin mir sicher, dass es dir ausgezeichnet steht«, wende ich mich an Lucia, die ein dunkelblaues, trägerloses Kleid zurückhängt und sich zu mir dreht. Ihr Blick bleibt an dem Modell in meiner Hand hängen. Sie mustert es eine Weile lang und nimmt es dann entgegen.

    »Na gut, ich probiere es an.« Ein weiterer prüfender Blick. »Mir gefällt die Spitze.«

    »Ich weiß. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass es dir noch besser gefallen wird, wenn du es trägst«, erwidere ich mit in die Hüften gestemmten Händen. »Lass uns zu den Umkleidekabinen gehen. Vielleicht haben wir Glück und sie sind nicht besetzt.«

    Die Kabinen befinden sich im hinteren Teil des Ladens und sind tatsächlich größtenteils leer. Prompt verschwindet Lucia schnell hinter einem schweren Vorhang, um das Kleid anzuprobieren. Ich höre das vertraute Rascheln von Stoff, als sie ihre Hose und ihr Oberteil auszieht. Sie summt leise vor sich hin, ein Lied, das ich letztens im Radio gehört habe. Mir will nur nicht der Titel des Songs einfallen. Crazy Girl? Sugar? No, Gone Girl. Stimmt, so lautet der Titel.

    »Also ich muss sagen… Es sieht verdammt gut aus. Georg wird mich auf Händen tragen, wenn er das sieht«, höre ich meine Schwester erfreut sagen, die im selben Moment den Vorhang zur Seite zieht und sich mir im Kreis drehend präsentiert. Meine Augen wandern von oben nach unten, analysieren jede Stelle ihres Körpers, suchen nach den kleinsten Makeln und stellen keine fest. Das Kleid ist nämlich perfekt. Es betont ihren schlanken Körper, verlängert ihre Beine und das Dekolleté lädt zum Starren ein.

    Ich grinse zufrieden. »Er wird dich nicht nur auf Händen tragen, er wird sogar alle geladenen Gäste verscheuchen, damit sie dich nicht sehen.«

    »Allein dafür liebe ich ihn«, seufzt Lucia verträumt und mein Blick wird weich. Wenn meine kleine Schwester diesen zärtlichen Ton anschlägt, wird mir ganz warm ums Herz, sodass ich all die Pflichten des heutigen Tages im Nu vergesse.

    »Willst du das jetzt kaufen oder sollen wir nach weiteren Kleidern Ausschau halten?«, frage ich mit hochgezogener Augenbraue.

    Lucia nickt. »Schauen wir uns noch ein wenig um. Ich will nicht wenig später ein tolles Kleid im Schaufenster entdecken und das hier dann bereuen. Es gibt genug Läden, in denen ich etwas finden kann.«

    »Bene, dann setzen wir unsere Tour fort«, willige ich ein.

    Bevor wir jedoch den Laden verlassen, übergeben wir unseren Fund der Verkäuferin, damit sie es für die nächsten zwei Stunden reservieren kann. Bis dahin werden Lucia und ich die wichtigsten Läden abklappern, um das beste Stück zu finden, wobei ich glaube, dass das hier nicht zu toppen ist. Das sagt mir mein Shopping-Instinkt.

    Zuerst nehmen wir uns die Läden im Erdgeschoss vor, werden jedoch nicht fündig, weshalb wir in die erste Etage gehen und dort unsere Suche fortsetzen. Sowohl in den Fluren als auch in den Shops herrscht reges Treiben, doch das stört mich nicht, auch wenn es mich oftmals nervt, wenn manche Leute mitten im Weg stehenbleiben. Ich schiebe mich an zwei jungen Frauen vorbei, die sich freudig umarmen und keine Rücksicht auf ihre Mitmenschen nehmen. Sie glauben wohl der Mittelpunkt des Geschehens zu sein. Ich kann mir gerade noch einen bissigen Kommentar verkneifen.

    Meine Schwester lacht leise. »Könntest du mit Blicken töten, wäre halb Hamburg ein Leichenfeld«, merkt sie grinsend an, als wir das gefühlt zwanzigste Kleidungsgeschäft betreten. Ich rümpfe die Nase, weil hier jemand mit zu stark aufgetragenem Parfüm herumläuft und muss auf ihre Aussage hin zustimmend nicken.

    »Manchmal wünsche ich mir diese Fähigkeit. So viel Dummheit auf einmal anzutreffen, ist auf keinen Fall gesund.«

    »Du bist echt ein Biest, Gemma.«

    »Grazie«, bedanke ich mich schmunzelnd.

    Mein Blick fällt auf ein himmelblaues Cocktailkleid, das äußerst hübsch ist, aber leider nicht zu meiner Schwester passt. Der Schnitt und das gesamte Design entsprechen nicht ihrem Typ, also wende ich das Gesicht ab und nähere mich einer Schaufensterpuppe, die ein ebenso schönes Kleid trägt. Nachdenklich runzle ich die Stirn, schürze die Lippen.

    »Gefällt dir das?«, frage ich Lucia, die neben mich getreten ist und entschlossen den Kopf schüttelt. Ihr ist das zu verspielt, zu langweilig. Anscheinend hat sie in all den Jahren von mir gelernt, auf was sie bei der Kleiderwahl achten muss. Stolz durchflutet mich, denn es freut mich aus ihr eine kleine Fashionista gemacht zu haben.

    »Weißt du was? Lass uns drei weitere Läden durchstöbern und wenn wir wieder nichts finden, kaufe ich mir das Kleid von Desigual. Und danach können wir uns irgendwo hinsetzen und einen Kaffee trinken. Einverstanden?« Lucia sieht mich aus ihren blaugrauen Augen erwartungsvoll an.

    Früher habe ich sie um ihre Augenfarbe beneidet. Meine schokobraunen Augen waren meiner Meinung nach nichts Besonderes, bloß eine dominierende Farbe der menschlichen Evolution. Doch als ich meine Leidenschaft für Mode entdeckte, war mir schnell klargeworden, dass alles an mir zu meinem temperamentvollen Charakter passt. Und das habe ich meiner Mutter zu verdanken, denn es ist nicht nur die Augenfarbe, die uns beide verbindet, sondern auch das voluminöse dunkelbraune, fast schwarz wirkende Haar, das mir weit über die Mitte meines Rückens reicht.

    »Klingt gut, bin dabei.«

    Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu den Rolltreppen, während wir uns über die bevorstehende Geburtstagsparty unterhalten, auf die sich Lucia mehr freut als ihr Freund Georg. Sie hat alles von vorne bis hinten geplant: die Ankunftszeit der Gäste, die Kosten für das zu bestellende Essen, die Partyspiele, der Zeitpunkt zum Auspacken der Geschenke und vieles mehr. Das ist nicht verwunderlich, wenn man weiß, dass sie Eventmanagement studiert. Sie liebt es zu planen, die Kontrolle über das Geschehen zu haben und mit vielen Menschen in Kontakt zu treten. Es liegt in ihrer Natur, so wie die Mode meine Welt ist.

    Mehrmals ertappe ich mich selbst dabei, wie ich die Kleidung der an uns vorbeigehenden Menschen eingehend mustere, während ich im Kopf eine Liste mit Dingen erstelle, die mir sowohl negativ als auch positiv auffallen. Das ist ein unheilbarer Tick von mir.

    »Oddio, hast du die Frau mit der gestreiften Leggings gesehen? In Kombination mit diesem abscheulichen Oberteil macht sie einen wirklich bemitleidenden Eindruck«, sage ich leise und Empörung schwingt in meiner Stimme mit. Manche Leute wissen schlichtweg nicht, was gut für die Augen ist. Haben sie denn keinen Spiegel daheim, in dem sie ihr gesamtes Erscheinungsbild betrachten können? Haben sie eine verzerrte Wahrnehmung? Das ist beinahe schlimmer als die Fahrkunst des Typen, der meinen Mercedes beinahe zu Schrott verwandelt hat.

    »Hör auf ständig zu kritisieren, das ist schlecht für dein Karma.«

    »Dieser Anblick ist schlecht für mein Karma«, kontere ich schnaubend und folge meiner Schwester in den nächsten Bekleidungsladen. Hier tummeln sich weniger Menschen als in den anderen Läden, was sicherlich an den hohen Preisen liegt. Ein schlichtes Top kostet mehr als zwanzig Euro, ein Preis, für den nicht alle zu zahlen bereit sind. Die Marke allein ist hierfür verantwortlich, denn die darin enthaltenen Textilien sind alles andere als unbezahlbar, weshalb ich missbilligend das Gesicht verziehe. Nur die Kleider werden ihrem Preis gerecht, aber das rückt diese Marke dennoch nicht ins bessere Licht.

    »Gehen wir lieber in einen anderen Laden, mir gefällt es hier nicht«, sage ich an meine Schwester gewandt, die wissend lächelt. Sie kennt mich gut genug, um erahnen zu können, warum ich den Ort wechseln möchte. Daher kann ich mir eine Erklärung sparen.

    Kommentarlos hängt sie ein Etuikleid zurück und folgt mir anschließend nach draußen, wo wir uns dem letzten Geschäft nähern. Von außen macht es einen ganz netten Eindruck, also gehe ich mit einem guten Gefühl hinein.

    Eine Viertelstunde später und um eine hautenge, hellblaue Jeans reicher, beschließt Lucia doch das Kleid zu kaufen, das wir zurückgelegt haben. Demnach müssen wir wieder ins Erdgeschoss fahren und da mir die Rolltreppen zu lästig sind, nehmen wir den Aufzug.

    »Oh, mir fällt ein, dass ich dir etwas Tolles mitteilen muss«, verkündet meine Schwester gut gelaunt. »Wenn wir uns nachher hinsetzen, verrate ich dir, worum es geht. Bis dahin musst du dich gedulden.« Lucias Lächeln wird breiter, als sie meine zusammengezogenen Augenbrauen bemerkt, denn sie weiß, dass ich nicht der geduldigste Mensch bin. Und trotzdem spannt sie mich auf die Folter.

    »Ein Tipp?«, hake ich dennoch nach, ernte allerdings ein entschiedenes Kopfschütteln.

    Grummelnd halte ich meine Neugier zurück, als wir uns in das Desigual-Geschäft begeben, wo sie sich ihr zurückgelegtes Kleid holt und es sogleich kauft. Ihr Strahlen, als sie die Tüte entgegennimmt, erfreut mich zutiefst. Sie hat die richtige Entscheidung getroffen, so wie ich mit meiner neuen Jeans, die ich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit anziehen werde. Neue Errungenschaften lasse ich nicht ewig im Schrank versauern, sondern ziehe sie regelmäßig an.

    Sobald wir den Laden verlassen und der bunten Welt der Stoffe den Rücken kehren, werfe ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Es ist bereits eine Stunde vergangen. Die Zeit verfliegt verdammt schnell. Ein nicht untypisches Phänomen, wenn ich auf einem Shoppingtrip bin - insbesondere in Begleitung vertrauter Menschen.

    »Sollen wir ins Ciao Bella und dort etwas essen?«, schlägt Lucia vor.

    Als ich bejahe, schnappt sie sich grinsend meine freie Hand und zerrt mich zu den Rolltreppen, da sich das kleine Restaurant im Untergeschoss befindet. Der Gedanke an das italienische Essen macht mir das leere Gefühl in meinem Magen überdeutlich bewusst. Ich hätte nichts gegen ein Stück Pizza oder einer leckeren Pasta einzuwenden. Geschmolzener Käse und schon läuft mir das Wasser im Mund zusammen.

    »Jetzt gib mir endlich einen Tipp! Was hast du mir zu sagen? Ich halte das nicht länger aus, vor allem nicht mit leerem Magen.«

    Lucia rollt mit den Augen. »Du bist unmöglich, weißt du das?« Bedeutungsvoll Pause. »Es geht um die Imperial Five

    Diese Boygroup, von der ich in letzter Zeit viel zu viel im Radio höre, die zahllose Zeitschriftencover zieren, Mädchen dazu bringen, ihr scheußliches Parfüm aufzutragen und die angeblich demnächst auf Tour gehen werden? Ich wüsste nicht, warum mich ihr Leben interessieren sollte, aber Lucia wird wohl ihre Gründe haben.

    Nun bin ich erst recht neugierig.

    2

    Als ich einen Blick in die Menükarte werfe, höre ich mich selbst aufseufzen. Was soll ich aus all diesen leckeren Angeboten wählen? Pizza oder Pasta? Mit Meeresfrüchten oder nicht? Eine verflucht schwere Entscheidung, ganz besonders mit hungrigem Magen, der dazu bereit wäre, mehr als bloß eine Portion zu vertilgen.

    Mit geschürzten Lippen bleibe ich an den verschiedenen Pastagerichten und schaue kurz zu meiner Schwester, die ebenso Entscheidungsschwierigkeiten zu haben scheint. Ihre in Falten gelegte Stirn spricht Bände.

    Leider bleibt uns nicht genug Zeit zum Nachdenken, denn ein dunkelhaariger Mitarbeiter nähert sich unserem Tisch, um unsere Bestellung aufzunehmen. Er lächelt uns beide freundlich an und begrüßt uns auf Italienisch, ehe er gewohnheitsmäßig ins Deutsche wechselt.

    Ich erwidere seine Begrüßung mit einem simplen Ciao und wähle spontan die Spaghetti alla Carbonara, weil ich plötzlich große Lust auf eine geballte Ladung Kalorien habe.

    »Ich nehme dasselbe und ein Glas Wasser«, wählt Lucia letztendlich.

    Der Mitarbeiter notiert sich die Bestellung und lässt uns beide wieder allein.

    »Jetzt erzähl mir endlich, was los ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mich irgendetwas interessiert, was mit der Gruppe zu tun hat. Es sei denn, es ist etwas zwischen Evanthia und Leander vorgefallen.« Bevor Lucia zu einer Antwort ansetzen kann, füge ich schnell hinzu: »Ich muss ihn doch nicht unter die Erde bringen, weil er ihr das Herz gebrochen hat, oder?«

    Evanthia habe ich erst durch Lucia kennengelernt und sie sofort ins Herz geschlossen. Sie ist ein überaus süßes Mädchen, das sich nicht bewusst ist, wie hübsch es in Wahrheit ist. Allein ihr Kleidungsstil zeigte mir, welch geringes Selbstwertgefühl sie besitzt, aber aufgrund der Ereignisse, die sich letztes Jahr zugetragen haben sowie ihrer innigen Beziehung zu Leander, ist sie viel offener und selbstbewusster geworden. Manchmal erhalte ich Mails von ihr, in denen sie mich um Rat bittet, wenn sie mit einem Outfit unsicher ist, aber größtenteils erkundigt sie sich nach meinem Befinden und meiner Arbeit als Stylistin. Sie ist ein liebevoller Mensch.

    Ich hoffe, dass Leander sie gut behandelt, wobei ich mir schwer etwas Gegenteiliges vorstellen kann. Ich weiß, dass die beiden als beste Freunde aufgewachsen sind und laut einigen Studien sind die daraus resultierenden Beziehungen standhaft und stabil - wie bei meiner Schwester und ihrem Georg.

    »Na gut, na gut, ich verrate dir die guten Neuigkeiten. Ich will nicht, dass du mich in aller Öffentlichkeit erwürgst«, sagt Lucia breit grinsend und steigert damit meine Neugier ins Unermessliche. »Aber sei gewarnt, es wird dich umhauen.«

    Es existieren nicht viele Dinge, die mich umhauen, weil ich ein ziemlich anspruchsvoller Mensch bin. Trotzdem passieren hin und wieder auch kleine Wunder. »Raus mit der Sprache!«

    »Ich habe letztens mit Evanthia telefoniert und sie hat mir von der bevorstehenden Welttour der Jungs berichtet. Sie alle können es kaum erwarten, dass es losgeht, aber die Bombenneuigkeit kommt ja noch.« Lucia lehnt sich verschwörerisch dreinblickend über den Tisch näher zu mir, ihre Augen funkeln wie geschliffene Edelsteine. »Ihre Stylistin Jolene ist kurzfristig erkrankt. Wie es aussieht, wird sie für einige Monate ausfallen. Zurzeit suchen sie fieberhaft nach einem Ersatz, also hat Evanthia dich vorgeschlagen, weil sie dein Talent kennt. Leander hat das natürlich weitergegeben und jetzt rate, was dabei herausgekommen ist.«

    Mein Herz setzt aus und schlägt mit doppelter Geschwindigkeit weiter. »Du, sie… Es besteht die Möglichkeit, dass ich mit diesen Kerlen auf Tour gehen darf?«

    »O ja, wenn du mir hier und jetzt sagst, dass du das durchziehen willst, dann rufe ich heute noch Evanthia an, damit sie es weiterleiten kann. Also, was sagst du dazu?«

    Lucias Augen beginnen zu strahlen, als sie meine Sprachlosigkeit bemerkt. Es kommt selten vor, dass ich schlagartig die Sprache verliere, doch diese Neuigkeit ist in der Tat bombastisch. Auch wenn ich nicht viel von dieser Boygroup halte, so ist das eine gute Chance, mein Können unter Beweis zu stellen und vielleicht den einen oder anderen Promi auf mich aufmerksam zu machen. Nicht zu vergessen, dass ich dabei die Welt erkunden und weitere Kontakte knüpfen kann, was für meinen Job unverzichtbar ist.

    »Ich bin doch nicht dumm, natürlich bin ich dabei! Wann soll es losgehen? Mit wem muss ich in Kontakt treten? Was brauche ich überhaupt für die Reise?«, sprudelt es aus mir heraus, während mich ein heftiges Kribbeln packt. Am liebsten will ich aufspringen, nach Hause fahren und Pläne für das Styling der Jungs schmieden. Ich werde mich zwar zuvor mit ihrem Aussehen, ihren Maßen und ihrem Charakter befassen müssen, aber das ist das geringste Problem. Ich lebe für meinen Job und besitze eine sehr gute Menschenkenntnis - fünf berühmte Jungs bilden da keine Ausnahme.

    »Das habe ich mir bereits gedacht. Ich rufe Evanthia heute Abend an und alles Weitere wird sie dir dann sagen. Oder jemand aus dem Team wird dich kontaktieren.«

    »Dann hoffe ich mal, dass man mich annimmt, denn das ist eine Chance, die man nicht zweimal im Leben bekommt«, sage ich ernst und befinde mich geistig in einem Privatflugzeug, das mich von Land zu Land transportiert. Die Vorstellung, die Kultur und Trends ferner Länder näher kennenzulernen, beflügelt mich und verstärkt das Kribbeln, das bis in meine Zehen zu spüren ist. Unruhig rutsche ich auf dem Stuhl hin und her.

    »Gemma, tief durchatmen. Sie werden dich auf jeden Fall in ihr Team aufnehmen, denn du bist keine unbekannte Fashion Stylistin und hast einige tolle Referenzen vorzuzeigen. Außerdem sind die Jungs sehr nett und wenn auch nur einer von ihnen überzeugt ist, dass du all das mitbringst, was sie brauchen, werden sie jeden Verantwortlichen dazu überreden, dich mit an Bord zu nehmen. So hat es mir jedenfalls Evanthia gesagt«, versichert mir Lucia, die meine Ungeduld sofort bemerkt hat.

    Augenblicklich fällt die Anspannung größtenteils von mir ab. Sie hat völlig recht. Ich bin keine Anfängerin in meinem Berufsfeld. Ich habe bisher tolle Jobs an Land gezogen, auf die ich sehr stolz bin und deren Ergebnisse ich auf meiner Website präsentiere. Somit gebe ich den Leuten zu verstehen, dass wenn sie meine Dienste in Anspruch nehmen, Qualität und höchste Professionalität erwarten können. Mein Image ist mir nämlich äußerst wichtig, denn die Konkurrenz in dieser Branche ist verdammt hart. Dennoch habe ich mich bislang gut durchgesetzt, Fuß gefasst und einen treuen Kundenstamm aufgebaut, mit dem ich stets gut arbeiten kann.

    »Jetzt weiß ich, was ich nachher tun werde, wenn ich daheim bin. Erst einmal alle Mails bearbeiten und dann in die Informationsflut der Medien eintauchen, um mehr über die Gruppe zu erfahren. Wobei… Ich könnte auch Evanthia fragen, sie kennt die Jungs persönlich.«

    »Wenn du mit Evanthia sprechen möchtest, kannst du ihr gleich selbst sagen, dass du mit auf Tournee gehen möchtest. Ich wollte sie später um halb vier anrufen«, teilt mir meine Schwester mit und unterbricht den Blickkontakt, weil unser Essen gebracht wird.

    Wir bedanken uns für die herrlich duftende Pasta, die in einer tränenförmigen, weißen Schüssel serviert wird und ich nehme Gabel und Löffel zur Hand. Beim Anblick der heißen Sahnesauce läuft mir das Wasser im Mund zusammen, daher verschwende ich keine Zeit mehr, lade eine Portion auf meine Gabel und probiere einen Bissen.

    Ich stöhne genussvoll auf. »Gut, ich rufe sie an... Mmh, o ja, das schmeckt so gut«, nuschele ich mit halb vollem Mund und schlucke. Mein Magen freut sich über die köstliche Nahrung.

    »Kommst du morgen eigentlich zum Familienabendessen? Mama hat vor, Tiramisu zu machen und diesmal wird es als Hauptspeise keine Pizza geben. Zum Glück! Ich kann keine mehr sehen. Erst an Georgs Geburtstag esse ich wieder eine.«

    »Natürlich komme ich vorbei, sonst macht unser Vater Telefonterror und so stur wie er ist, wird er erst damit aufhören, wenn ich meinen Arsch aus der Wohnung bewege«, bemerke ich mit einem schiefen Grinsen.

    »Wem sagst du das? Vorgestern war ich zu faul, um in der Pizzeria auszuhelfen und er hat Sergio geschickt, damit er mich dorthin schleppt«, meint Lucia augenrollend, woraufhin ich ein amüsiertes Lachen ausstoße.

    In dieser Geschichte tut mir unser Bruder Sergio am meisten leid, denn trotz seinen 26 Jahren schafft er es nicht, seinem Vater einen Gefallen abzuschlagen. Er ist Papas einziger Sohnemann, was man deutlich merkt, wenn sich die Familie zusammenfindet, um Neuigkeiten auszutauschen. Dann ist Sergio das Zentrum der Aufmerksamkeit. Lucia, Marilena und ich nehmen ihm das überhaupt nicht übel, da es sehr anstrengend sein kann, der Liebling der gesamten Familie zu sein. Ständig wird man irgendetwas gefragt, was mich persönlich auf Dauer extrem nerven würde. Außerdem wird unser lieber Bruder bald heiraten. Dadurch hat er das Scheinwerferlicht noch stärker auf sich selbst gerichtet. Trotzdem freuen wir uns alle über diese wunderschöne Heirat zwischen ihm und seiner Verlobten Ariana. Sie ist eine sehr sanfte Persönlichkeit, ein wahrer Glücksgriff, weshalb niemand ein Problem mit ihr hat. Und das geschieht nicht oft in der Familie Orsini, weil es meistens immer eine Gegenpartei gibt, die einer bestimmten Sache nicht zustimmt - Ariana ist daher ein Sonderfall.

    »Apropos Sergio, wie geht es ihm eigentlich? Seit dem letzten Familienabendessen vor einer Woche habe ich ihn nicht mehr gesehen. Geschrieben haben wir auch nicht.«

    Lucia zuckt ahnungslos mit den Schultern. »Keine Ahnung, er hat mit den Hochzeitsvorbereitungen und seiner Masterthesis genug zu tun. Daher wundert es mich nicht, dass wir ihn kaum erreichen.«

    »Ach stimmt ja, dass er im letzten Jahr seines Masterstudiums ist, habe ich vollkommen vergessen. Mal sehen, was er morgen zu erzählen hat«, erwidere ich kauend und schlucke den letzten Bissen hinunter, ehe ich nach meinem Glas Wasser greife und zwei Schlucke trinke. Die Spaghetti Carbonara hat herrlich geschmeckt, so wie immer. Aus diesem Grund verdient der Mitarbeiter ein ordentliches Trinkgeld, wofür er sich mit einem breiten Lächeln bedankt, als er eine Viertelstunde später auftaucht, um die Teller abzuräumen.

    Mein Blick schweift zu Lucia, die ihr Handy hervorgeholt hat und höchstwahrscheinlich mit Georg schreibt, weil sie wie gebannt aufs Display starrt. Wenn er schreibt, kann nichts und niemand sie aus ihrer Konzentration reißen - ich aber schon.

    Schmunzelnd lehne ich mich über den Tisch und schnipse energisch vor ihrem Gesicht, sodass sie gezwungen ist aufzuschauen. Eine tiefe Falte gräbt sich in die Mitte ihrer Stirn, als sie mich ansieht.

    »Pack das Handy weg und lass uns einen kleinen Spaziergang machen. Ich muss nachher schnell nach Hause und all die Arbeiten erledigen, die sich in meinem Postfach gestaut haben.«

    »Gemma..., es würde dir nicht schaden, hin und wieder mit anderen Leuten auszugehen, anstatt dich in deiner Arbeit zu vergraben«, entgegnet meine Schwester mit hochgezogener Augenbraue, während sie ihr Smartphone zurück in ihre Handtasche steckt. Ich weiß, dass sie es gut meint, aber überzeugen wird sie mich nicht. Meine Arbeit geht vor.

    »Jaja, jetzt steh auf und lass uns gehen«, sage ich ungerührt.

    Ich nehme meine Einkaufstüte in die eine Hand, streiche mit der anderen mein Haar nach hinten und verlasse gemeinsam mit Lucia den köstlich duftenden Laden. Mit Spaziergang ist nichts anderes als eine weitere Shopping-Sichtungsrunde gemeint. Manchmal übersieht man das ein oder andere schöne Kleidungsstück, das zuvor nicht ins Auge gefallen ist, beim zweiten Mal jedoch einen unvergesslichen Eindruck hinterlässt. Zwar ist mein Kleiderschrank gut gefüllt, aber als Frau kann man sowieso nicht genug Klamotten besitzen.

    Es vergeht eine weitere Stunde, in der meine Schwester und ich die Geschäfte unsicher machen, ein paar kleine Accessoires kaufen, ein Eis zur Erfrischung des Gaumens essen und uns schließlich nahe der Aufzüge mit einem Wangenkuss voneinander verabschieden. Ich verspreche ihr, sie wegen der Tour auf dem Laufenden zu halten und hebe zum Abschied die Hand.

    Erst als ich sie in der Menschenmenge aus den Augen verliere, drücke ich auf den Rufknopf für den Aufzug, der nicht lange auf sich warten lässt.

    Zusammen mit einem jungen Pärchen steige ich ein. Ihren babyweichen Wangen, den kindlichen Rundungen ihrer Gesichter und der scheinbar ach so tollen trendigen Kleidung zu urteilen, handelt es sich um Minderjährige, die keine Ahnung vom wahren Leben haben. Ich muss mich schwer beherrschen, keine Miene zu verziehen. Als ich in ihrem Alter war, haben mich nur Puppen, Kuscheltiere und die Törtchen meiner Mutter interessiert. Jungs? Die waren pfui.

    Schwer seufzend wende ich den Blick ab, als sie auf ekelerregende Weise miteinander zu knutschen beginnen und stoße innerlich ein lautes Danke aus, als wir die Tiefgarage erreichen. Kommentarlos schiebe ich mich an den beiden vorbei. Länger ertrage ich dieses Schmatzen nicht, sonst muss ich kotzen.

    Kaum bin ich bei meinem Baby auf vier Rädern, verfrachte ich meine Jeansjacke mitsamt meinen Einkaufstaschen auf den Beifahrersitz und setze mich hinters Lenkrad. Ich starte den Motor, ein leises Schnurren erklingt und erinnert mich daran, warum ich dieses Auto liebe.

    Da ich im Rückspiegel keine Idioten vorfinde, die zu dumm zum Warten sind, fahre ich rückwärts aus der Parklücke heraus und halte das Parkticket mit meinen zusammengepressten Lippen fest. Die Ausfahrt ist leicht zu finden, es dauert keine Minute, da passiere ich schon die geöffnete Schranke und fädele mich in den geschäftigen Verkehr ein.

    Auf in das Chaos der Straßen!

    Eine halbe Stunde später biege ich in die Einfahrt zu den Bewohnerparkplätzen ein, um die sich die mehrstöckigen Gebäude in den Himmel erheben. Da jeder seinen eigenen privaten Parkplatz besitzt, brauche ich keinen zu suchen und halte vor einem kleinen Schild mit meinem Nachnamen darauf an. Der Motor verstummt.

    Mit der einen Hand öffne ich die Tür, während ich mir mit der anderen Tüten und Jacke schnappe und damit aussteige. Zurück bleibt der Neuwagengeruch.

    Anschließend verriegele ich im Gehen per Funkfernbedienung den Wagen und umrunde die hüfthohen Büsche, die den befahrbaren Bereich von den Gehwegen abgrenzen und somit als Absperrung dienen. Das Grün sollte demnächst geschnitten werden, da einzelne kleine Zweige abstehen, aber da ich

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