Das Wetter: Roman
Von Kurt Leutgeb
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Buchvorschau
Das Wetter - Kurt Leutgeb
Kurt Leutgeb, Das Wetter
© Sisyphus und und Kurt Leutgeb, 2001
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Christian Schienerl, schienerl / ppfmd
Layout und Satz: Walter Oberhauser
www.sisyphus.at
ISBN: 978-3-901960-46-8
Mit finanzieller Unterstützung des Landes Oberösterreich, der Stadt Wien und des BMUKK
Der Autor
Kurt Leutgeb
wurde am 15. Dezember 1970 geboren. Er lebt in Wien. Im Sisyphus Verlag sind von ihm die vier Romane Mensch, K2, Die Unschärfe und Schöffe erschienen.
Das Buch
Das Wetter
handelt vom Wetter: von seiner Neigung, so zu bleiben, wie es ist; von den Kapriolen, die es manchmal schlägt; von seinem Einfluß auf menschliche Individuen und Gruppen und deren Einfluß auf es.
I Der schönste Garten
Im Schrank des Ombrophobos roch es nach Hanf. Oft ging Ombrophobos in dem großen Abstellraum, wo der Schrank stand, auf und ab und zog die Luft in schnellen kurzen Schüben in die Nase. Je länger er schnupperte, desto weniger wußte er zu sagen, wie stark es auch hier, außerhalb des Schrankes, nach seinem Gras roch. Er überprüfte täglich die Belüftungsanlage, die er ebenso wie die Beleuchtungs-, Gieß- und Düngevorrichtungen eigenhändig installiert hatte, und immer war alles in Ordnung. Außerhalb des Abstellraums sollte es besser nicht nach Gras riechen, denn es ließ sich nicht vermeiden, daß hin und wieder Leute in Ombrophobos’ Haus kamen, auch wenn er jetzt allein und recht zurückgezogen lebte. Immerhin brauchte er, da er selbst so geschickt war, nie Handwerker zu rufen, deren Anzeigen ja die Polizei so oft auf die Spur der Hanfpflanzer brachten.
Ungefähr zweimal pro Woche saß Ombrophobos abends im Garten, las und rauchte Joints. Den Tabak, in den er das Gras mischte, rührte er sonst die ganze Woche nicht an. Er hatte, für den Fall, daß Gäste kamen, Wein im Haus, trank aber selbst nie Alkohol. In der kleinen Stadt waren seine einzigen Freunde seine Bücher, und auch aus der Hauptstadt bekam er nur selten Besuch, abgesehen von seinen beiden Töchtern, Bibliokepeia und Kannabis, die in der Hauptstadt studierten und manchmal das Wochenende bei ihm verbrachten. Also saß er zumeist allein zwischen seinen Büchern. Er hatte keine Angst, daß seine biederen Nachbarn den Rauch riechen könnten, denn sein Garten war groß. Aber Ombrophobos hatte Angst vor dem Regen. Jeden Morgen nach dem Aufstehen trat er in den Garten und suchte den Himmel nach Wolken ab, jedes Lüftchen konnte ihn jederzeit von seiner Arbeit oder seiner Lektüre aufschrecken, doch am größten war seine Beunruhigung, wenn er abends im Garten sein Gras rauchte. Dann schien es ihm, daß er seinen Garten schlecht vor dem Regen oder sonstigem Niederschlag geschützt habe. Sein Blick schweifte über seine Bücher hinauf zum sternenklaren Himmel und er beruhigte sich kurz. Bald plagten ihn aber wieder Selbstvorwürfe. Er selbst sei schuld, daß Nephele, seine Exfrau, ihn verlassen hatte, er sei auch Bibliokepeia und Kannabis kein guter Vater, überhaupt ein nutzloses Mitglied der Gesellschaft, auch sein Garten werde zugrundegehen. Dann hielt er wieder nach Wolken am Nachthimmel Ausschau, und nur an guten Abenden ging er kurz zwischen zwei Joints ins Haus und masturbierte.
Der Garten des Ombrophobos war der einzige Büchergarten weit und breit. Die Kleinstädter hatten, so sie Gärten hatten, Pflanzengärten, und überall in der ganzen Ebene gab es Pflanzengärten über Pflanzengärten, aber nur ganz wenige Büchergärten. In der Hauptstadt gab es mehrere, und auch einige kleine Nester, in denen man nie einen Büchergarten vermutet hätte, hatten welche. Die Forstbehörde hatte bei der Regierung durchgesetzt, daß es in jeder Provinz einen Büchergarten geben sollte, doch der Beschluß war nie umgesetzt worden. Die Regierung, hieß es, wolle die Büchergärten nicht allein finanzieren und private Sponsoren fänden sich nicht. Ombrophobos kam dieser Umstand nicht ganz ungelegen, denn so bewilligte ihm die Forstbehörde jedes Jahr eine stattliche Summe zur Erhaltung seines Gartens, die sicherlich viel weniger großzügig ausgefallen wäre, wenn die Anlage neuer Büchergärten finanziert hätte werden müssen. Jahr für Jahr zitterte Ombrophobos, nachdem er das Ansuchen an die Forstbehörde geschickt hatte, vor einem abschlägigen Bescheid mehr als vor einem Platzregen, und Jahr für Jahr wurde ihm so viel gewährt, daß er sogar Rücklagen machen hätte können, hätte er sich bei den Neuankäufen etwas eingeschränkt. Noch stand der Forstbehörde Ombrophobos’ alter Freund Alsokrates vor, und eigentlich hatte Ombrophobos nichts für seinen Garten zu fürchten, solange Alsokrates nicht in Pension ging. Alsokrates hatte als junger Mann die Hand des sterbenden Elzeabupheus gehalten und dafür gesorgt, daß der Wald, den Elzeabupheus in den Bergen gepflanzt hatte, wachsen konnte und erhalten blieb. Er würde den Büchergarten des Ombrophobos schützen, keine Frage, aber man konnte nicht wissen, was in der Hauptstadt vor sich ging und was die Jungförster hinter dem Rücken des alten Oberförsters Alsokrates trieben.
So sehr Ombrophobos den Regen fürchtete, so sehr verabscheute er die Förster. Um die Kompetenz der allermeisten Förster in Forstdingen einzuschätzen, genügte es zu wissen, daß sie Elzeabupheus, als sie ihn in dem von ihm gepflanzten Wald antrafen, zu vertreiben versuchten, denn der Wald sei ein natürlich gewachsener und nur Elzeabupheus störe ihn durch seine Anwesenheit und gefährde ihn, indem er Feuer mache. Freilich kannte Ombrophobos auch die Geschichte vom Forstkapitän und späteren Amtsvorgänger des Alsokrates als Oberförster, Sophron, der den Wert der Dinge einzuschätzen wußte und den Wald rettete. Er lastete den Förstern auch nicht all die Dinge, die in der Zwischenzeit mit dem Wald geschehen waren, an, denn es lag nicht in ihrer Macht, sie zu verhindern. Wenn sie die richtigen Ratgeber hatten und der richtige Mann an ihrer Spitze stand, waren die Förster gute Konservatoren. Sie erhielten, was nach herrschendem Dafürhalten zu erhalten war, nicht mehr, nicht weniger. Das Unerträgliche für Ombrophobos war, daß die hanebüchenen Förster für das Buchwesen zuständig waren. Jahr für Jahr war der Karriereförster Hyletokistes, ein halber Analphabet und ganzer Schwachkopf, in seinem Panzer von den Bergen heruntergekommen, um den Garten des Ombrophobos zu inspizieren. Er kannte den Index der registrierungspflichtigen Bücher auswendig, aber hätte man die Texte in einen anderen Umschlag gebunden, er hätte sie nie und nimmer erkannt. Nachdem er ein paar Stunden in seinem modisch modifizierten Lodengewand Bände gezählt, Luftfeuchten gemessen und sich gegen Ombrophobos herablassend benommen hatte, stieg er wieder in seinen Panzer und fuhr davon. Einmal hatte er Nephele mitgenommen. Ombrophobos wußte anfangs gar nicht, daß Nephele zu Hyletokistes in die Berge gezogen war. Seine Töchter, die den Vater zwar klar bevorzugten, aber zur Mutter doch nicht allen Kontakt abgebrochen hatten, sagten es ihm. Seither kam ein anderer Förster, Hypolethros, zur Büchergarteninspektion. Angeblich war Hyletokistes in die oberste försterliche Führungsriege aufgestiegen.
Sorgenvoll blickte Ombrophobos in den Himmel. Die Förster könnten ihm jederzeit ein kurzes, heftiges Gewitter schicken oder zwei, drei Tage Regenwetter, dann wäre sein Garten verloren. Die Ebene bezog aus den Bergen ausreichend Wasser, doch die Leute würden sich dennoch unbändig freuen, wenn es, was ja fast nie vorkam, regnete. Aber sein Garten wäre zerstört. Die Planen, die er verwenden durfte, würden einem stärkeren, längeren Regenguß nicht standhalten. Bücher zu überdachen oder gar in geschlossene Räume zu bringen war ebenso verboten und wurde noch eifriger verfolgt und strenger bestraft als der Besitz unliebsamer Substanzen. Ombrophobos dachte an den Wasserverbrauch seiner Hanfpflanzen. War sein Wasserverbrauch nicht auffäl ig hoch für einen Einpersonenhaushalt ohne Pflanzen im Garten? Natürlich würden ihn die Wasserwerke sofort bei der Polizei anzeigen, hätten ihn längst angezeigt. Aber wenn sich der Wasserverbrauch eines Haushalts aus dem Grundverbrauch plus dem Verbrauch pro Person berechnete, dann mußte den Wasserwerken nach dem Auszug von Nephele, Bibliokepeia und Kannabis klar sein, daß sein Haushalt einen erhöhten Grundverbrauch hatte und nicht einen erhöhten Verbrauch pro Person.
Aber es gab ja noch die Schulklassen. Laut Vorschrift hätte Ombrophobos vor und nach jedem Besuch einer Schulklasse die Wege in seinem Büchergarten naß wischen müssen. Er wischte aber, seit Nephele ausgezogen war, vor den Besuchen nur den Eingangsbereich naß, den Rest trocken, und nach den Besuchen der Schulklassen wischte er alles eher feucht als naß. Die Wasserwerke konnten also fast keinen Verdacht schöpfen. Die Besuche der Schulklassen, an deren Durchführung die Förderung durch die Forstbehörde geknüpft war, waren Ombrophobos noch aus einem zweiten Grund willkommen. Während die Lehrerin von der Erhaltenswürdigkeit des Kulturgutes Buch erzählte und von den alten Zeiten, als die Leute ein Buch lesen konnten, ohne daß es für die Behörden nachvollziehbar war, musterte er die Schülerinnen und Schüler. Die Schülerinnen und Schüler musterten auch ihn, denn das antike Kuriosum und sein verschrobener Betreiber war ihnen interessant. In beinahe jeder Klasse gab es unter all den kichernden Dummerchen, feigen Strebern und dumpfen Klötzen aber auch ein, zwei Gesichter, in denen Ombrophobos Verständnis las. Er wußte nicht, ob es ein Leuchten in den Augen war oder ein nach innen gerichteter Blick oder ein wissendes Lächeln, das ihm verriet, daß der Schüler oder die Schülerin verstand, und er wußte auch nicht genau, worin dieses Verständnis bestand, ob in einer bloßen Wachheit oder in einem unautorisierten Denken oder in einem Zweifel an den akzeptierten Wahrheiten oder irgendetwas ganz anderem, aber es war zweifellos da. Es gab immer wieder Leute, die verstanden oder verstehen wollten, ohne daß jemand sie dazu gezwungen oder auch nur hingeführt hätte, und das machte Ombrophobos Mut. Man konnte das, was Ombrophobos behelfsmäßig Verständnis nannte, auch nicht lehren und auch nicht so leicht verhindern, es passierte einfach, so wie es früher einmal einfach geregnet hatte, ohne daß jemand etwas dazu getan hätte oder es verhindern hätte können.
Verstanden seine Töchter? Ombrophobos wußte es nicht sicher. Aber Nephele verstand nichts, nicht mehr als irgendein Förster.
II Die Dikaiischen Inseln und die Nomische Küste
Die Dikaier wohnten auf den Inseln, die heute noch die Dikai schen heißen. Dort lebten sie lange Zeit friedlich mit den Hybristen zusammen, deren Selbstbezeichnung Eusebier lautete. Die Dikaier besaßen das meiste Land und die meisten Wirtschaftsbetriebe, widmeten sich den Künsten und Wissenschaften und trieben schwunghaften Handel mit dem Festland. Die Hybristen waren in ihrer Mehrheit Land- und Industriearbeiter, sie besaßen wenig materiel e Güter und noch weniger Bildung. Die Dikaier wurden mit der Zeit immer reicher, die Hybristen immer zahlreicher.
Einmal kam es auf den Dikaiischen Inseln, die wegen ihres günstigen Klimas und ihrer ertragreichen Böden auch die Fruchtbaren genannt werden, aufgrund eines verregneten Sommers zu einer Mißernte. Die Regierungs- und Verwaltungsorgane, die von Dikaiern dominiert wurden und an denen nur solche Hybristen beteiligt waren, die eine dikaiische Ausbildung genossen hatten und als dikaiisiert galten, rationierten die Lebensmittel. Obwohl die staatlichen Stellen bald auch die Getreidespeicher öffneten, soviel Nahrungsmittel importierten, wie sie nur konnten, und an Bedürftige Lebensmittelkarten verteilten, brach eine Hungersnot aus, die vor allem die ärmeren Schichten der hybristischen Bevölkerung traf.
Die Priester der Hybristen machten die Sündhaftigkeit der Insulaner, die den Regengott zum Weinen reize, für die Mißernte verantwortlich. Vor allem jene Hybristen, die den gottlosen Dikaiern nacheiferten und vom Glauben abzufallen im Begriff seien, ereile im Hunger die gerechte Strafe des Regengottes. Sie hätten an den Fasttagen nicht gefastet, also zwinge der Gott sie nun, alle Tage zu fasten. Würden die Hybristen wieder beten, fasten, an den Prozessionen teilnehmen, ihre Tempelsteuern zahlen und überhaupt ein gottgefälliges Leben führen, dann würde der Gott sie auch wieder so gut nähren wie früher.
Tatsächlich erfreute sich die Priesterschaft, die nun die Grundwerte des hybristischen Glaubens und deren Unvereinbarkeit mit vielen Phänomenen des zeitgenössischen Lebens betonte, großen Zustroms. Die Dikaier, die