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Frau Nabel und die Spurensucher
Frau Nabel und die Spurensucher
Frau Nabel und die Spurensucher
eBook286 Seiten4 Stunden

Frau Nabel und die Spurensucher

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Über dieses E-Book

Tobias, Jane, Nele, Bertie und Hannes können sich über Langeweile im abgelegenen Dörfchen Friedenkirchen weiß Gott nicht beklagen. Wer hat die Bank an der Bushaltestelle zersägt? Wer schoss am frühen Morgen im Garten einer Nachbarin in den Spiegel? Ist das Lackieren eines Autos mit lila Farbe nur ein böser Streich? Als plötzlich Wertsachen im ganzen Dorf verschwinden, führen alle Hinweise auf den Friedhof. Hat die merkwürdige Frau, die im abseits gelegenen Häuschen eingezogen ist, etwas mit einem verborgenen Schatz zu tun? Und wer ist der mysteriöse Fremde hinter der Maske? Als schließlich ein Tatverdächtiger ins Labyrinth flieht, sind die Freunde in Gefahr …
Wo kniffelige Fälle auf eine Lösung warten, sind das Spurensucherteam und auch ihre Freundin, die unerschrockene 78-jährige Frau Nabel, nicht weit! Bei der Suche nach dem Täter spitzt sich so manches Mal die Lage zu.

Spannend, witzig und modern werden hier die Abenteuer von fünf Kindern, einer quirligen Dame und ihrem mit trockenem Humor gesegneten Freund erzählt. Auf Mord und Totschlag wird bewusst verzichtet, denn kleinere Delikte, die überall passieren können, sorgen für genug Aufregung und Nervenkitzel.
In die Geschichten fließen aber auch Themen wie Achtsamkeit, Zusammenhalt, Naturschutz, Mitgefühl, soziales Engagement mit ein. So wird z. B. ein Gnadenhof bewohnbar gemacht oder von einem Schicksal erzählt, das sich durch Freundschaft und Hilfe leichter (er-)tragen lässt. Spannende lustige Geschichten für junge und jung gebliebene Krimifans ab 9 Jahren.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum29. Okt. 2019
ISBN9783749753703
Frau Nabel und die Spurensucher

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    Buchvorschau

    Frau Nabel und die Spurensucher - Birgit Schuler

    Frau Nabel und die Schnecken – eine (un)gewöhnliche Frau stellt sich vor

    An einem schönen Sommermorgen kniete Bernadette Nabel, 78 Jahre jung, um 6 Uhr in der Früh in ihrem Salatbeet und sammelte Schnecken in eine große Schüssel. Vorsichtig nahm sie jedes Tier hoch und setzte es genauso vorsichtig in dem Plastikgefäß ab. Dabei sprach sie leise und in beruhigendem Tonfall zu jeder einzelnen Schnecke. Merkwürdigerweise rollten sich die meisten Tiere nicht, wie gewöhnlich, in sich zusammen, sondern schienen die alte Dame mit ihren Stielaugen anzusehen und ihr aufmerksam zuzuhören. Es gab gar nicht so viele Schnecken in Frau Nabels Salatbeet. Und so stand die alte Dame schon recht bald auf, nahm die Schüssel und trug sie den Kiesweg entlang. Sie passierte Gemüsebeete, Kräutergarten, Blumengarten, Obstwiese, bis sie schließlich in eine vor sich hin wuchernde Wildnis, bestehend aus Büschen, Bäumen und Rasen, trat. Dort standen auch zwei Komposthaufen und bei einem davon setzte Frau Nabel die Schnecken wieder aus. Schnecken mögen Blätter, die nicht mehr ganz frisch sind.

    „So, hier könnt ihr bleiben, sagte sie mit warmer Stimme zu den Tieren, „hier ist euer Reich!

    Einen Moment sah sie zu, wie die Schnecken sich in ihrer neuen Umgebung orientierten, dann machte sie sich auf den Weg zurück zu ihrem kleinen Häuschen. Dabei rieb sie Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand aneinander, um den Schneckenschleim abzurubbeln. Nie wäre Bernadette Nabel in den Sinn gekommen, einem Tier etwas zuleide zu tun oder in ihrem Garten Gift zu spritzen. Seit vielen Jahren lebte sie in trauter Gemeinschaft mit all den winzigen und auch größeren Wesen ihrer Umgebung und es hatte sich so ein natürliches Gleichgewicht eingestellt. Auch die Schnecken hatten über Jahre auf geheimnisvolle Weise verstanden, wo ihr Platz war, und nur selten fanden sich, wie heute, einige davon in Frau Nabels Salat. Warum das so war, darüber machte sich die alte Dame wenige Gedanken – es schien einfach ganz normal!

    Im Haus wusch Bernadette die Schüssel aus, kochte sich Wasser für ihren Kaffee und setzte sich dann gemütlich vor das Fenster, von dem sie einen Blick auf die Straße hatte. Eine ganze Weile blätterte sie in der Zeitung, dann sah sie aus dem Augenwinkel Toby, den zehnjährigen Nachbarssohn, mit seiner Schultasche zur Bushaltestelle laufen. Im Vorbeigehen hob er lässig die Hand in Frau Nabels Richtung und Frau Nabel winkte genauso freundlich zurück und fuhr sich dann unwillkürlich mit der Hand durch die Haare. Erst kürzlich war sie beim Friseur gewesen und hatte sich ihre lange füllige, aber etwas eigenwillige Pracht, die sie immer zu einem festen Knoten gesteckt hatte, abschneiden lassen. Das Ergebnis war nicht unbedingt das, was Frau Nabel angestrebt hatte: Etwas wirr und unbändig standen ihr die weißen Haare nun vom Kopf ab. So war sie in etwas gedrückter Stimmung vom Friseur gekommen und hatte prompt Toby, der eigentlich Tobias hieß, getroffen.

    „Oh", hatte er nur gesagt und sie angestarrt.

    „Ja, ich weiß, hatte sie geanwortet. „Der Kopfgärtner hat mich wohl ziemlich verunstaltet, was?

    „Na ja, hatte Toby zögerlich erwidert und nach Worten gesucht. Aber nachdem sie ihm aufmunternd zugenickt und ihn aufgefordert hatte, nur ehrlich seine Meinung zu sagen, hatte er ihr trocken zur Antwort gegeben: „Sieht aus wie ein geplatztes Sofakissen.

    Frau Nabel hatte es gelassen genommen und zu Hause einen alten Haarreif aus der Kommode rausgekramt und ihn in die wirren Locken geschoben. Dieser kleine Vorfall kam ihr nun in den Sinn und ließ sie ein wenig vor sich hin schmunzeln.

    Frau Nabel und Toby verstanden sich gut. Auch wenn seine Freunde ihn manchmal fragten, warum er immer zu der Alten gehe. Er sagte dann, Frau Nabel sei nicht alt, nur zu früh geboren. Manchmal hatte er auch schon einen Freund zu ihr mitgenommen. Und danach hatte keiner von ihnen mehr Witze über sie gemacht, denn Frau Nabel konnte tolle Sachen erzählen und mit ihr konnte man jede Menge Spaß haben.

    Tobias teilte auch Frau Nabels Liebe zu den Schnecken. Er verstand überhaupt nicht, dass so viele Leute sie nicht mochten. Sollten sie doch ihren Teil aus dem Garten haben, schließlich war das auch ihr Lebensraum und nicht nur der von den Menschen. Die Schnecken hatten doch genauso das Recht, hier zu sein, und ihren Platz auf dieser Welt. Und außerdem waren Schnecken unheimlich interessant. Und Tobias sagte das auch jedem, egal, ob er’s hören wollte oder nicht. Leider machten viele Leute Witze darüber oder reagierten mit Kopfschütteln. Aber Toby wusste es besser!

    Eines Nachmittags war er bei Frau Nabel gewesen und hatte ihr ein wenig im Garten geholfen und sich so ein paar Euro verdient. Und damals hatte er dann so ganz nebenbei viel über die kriechenden Gartenbewohner erfahren. So wusste er jetzt zum Beispiel, dass es unheimlich viele verschiedene Arten von Schnecken auf der Erde gibt. Ganz, ganz winzige, die man kaum mit dem Auge sehen kann, und auch große, die sogar bis zu 75 cm lang sind, welche mit und welche ohne Häuser – aber das hatte er natürlich schon gewusst.

    Schnecken sind alle langsam, aber das ist nicht unbedingt ein Nachteil. Das wusste Tobias aus eigener Erfahrung, war er doch im letzten Jahr zu schnell mit dem Fahrrad gefahren und in einen Bauzaun gerauscht. Danach hatte er ins Krankenhaus gemusst und der Arm war wochenlang in Gips gekommen. Das hatte ziemlich wehgetan – und an die dummen Bemerkungen seiner Schulkameraden wollte Tobias schon gar nicht denken. Und der unfreundliche Nachbar, der zwei Häuser weiter wohnte und der nach Tobias Meinung zum Lachen in den Keller ging, hatte ihm groß und breit die Verkehrsregeln erklärt. Als wüsste er das alles nicht selbst!

    Also, die Schnecken fand Tobias toll. Seitdem hatte er sich viel mit ihnen befasst und sie genau beobachtet. Er unterhielt sich gern mit Frau Nabel über die Tiere. Er wusste, dass man die Unterseite des Schneckenkörpers Sohle und den sichtbaren Körper, abgesehen vom Kopf, Fuß nennt – weil er eben ein bisschen wie ein Fuß aussieht und die Schnecke sich mit ihm fortbewegt. Schnecken bestehen also aus einem Kopf und einem Fuß. Die Augen einer Schnecke befinden sich vorne an den Stielen. Außerdem befinden sich vorn am Kopf noch zwei Fühler. Also insgesamt vier Fühler, zwei davon mit Augen. Das ist praktisch, sie können nämlich so die Augen viel besser bewegen als wir. Trotzdem können sie nicht so gut sehen. Sie verlassen sich vor allem auf ihre Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinne. Schnecken kriechen auf einem Schleimteppich, den sie selbst produzieren, deshalb sind sie auch so schleimig, das schützt sie vor Verletzungen. Der Schleim ist aber gar nicht so schlimm, wenn man sich mal getraut hat, ihn anzufassen. Man kann ihn zwischen den Fingern trocken rubbeln, dann geht er auch ganz leicht wieder ab. Mit Wasser funktioniert das nämlich nicht. Ganz toll sind die Zähne. Schnecken haben nämlich direkt an der Zunge unheimlich viele Zähne, mit denen sie ihre Nahrung raspeln. Wenn Schnecken Angst haben, dann ziehen sie sich in ihr Schneckenhaus zurück, falls sie eines haben. Ansonsten rollen sie sich zusammen. Die Schnecken können ihr Haus sogar verschließen – mit Schleim, na klar, mit was sonst. Viele Schnecken fressen Pflanzen, aber sie fressen oft auch Fleisch, Reste von toten Tieren zum Beispiel. Wenn Schnecken sich nicht wohlfühlen, wenn sie nicht genügend Nahrung finden oder das Wetter zu schlecht ist, dann schlafen sie sehr tief, so ähnlich wie in einem Winterschlaf. Dabei schlägt ihr Herz ganz langsam und sie verbrauchen nur wenig Sauerstoff. So können sie schlechte Zeiten überstehen. Das alles hatte Frau Nabel ihm erzählt.

    „Die sind ganz schön anpassungsfähig, hatte Toby gestaunt. „Ja, viel besser als wir Menschen, hatte Frau Nabel geantwortet. Und sie hatten beide ein Gefühl von Hochachtung für die kleinen Kriechtiere verspürt.

    Und seit Tobias so viel über Schnecken wusste, hatte er auch geholfen, sie zu beschützen. Zum Beispiel hob er immer Schnecken von der Straße auf, ganz vorsichtig, und setzte sie irgendwo aus, wo sie nicht in Gefahr waren, von einem Auto überfahren oder von einem Fußgänger zertreten zu werden. Außerdem bezeichnete er sich seit Neuestem als „Schneckenexperte" und sammelte in den Gärten der Nachbarn Schnecken aus dem Gemüsegarten, trug sie dorthin, wo sie keinen Schaden anrichten konnten, und legte ihnen ein paar Blätter hin. Salatblätter, die seine Mutter aussortiert hatte, weil sie nicht mehr so schön waren zum Beispiel – natürlich nur von ungespritztem Salat –, solche essen Schnecken nämlich am liebsten, diese sind ihnen viel lieber als die ganz frischen. Manchmal brachte er ihnen auch ein Stück Champignon mit. Und beobachtete, wie die Schnecken erst daran rochen und sich dabei ihre Fühler aufgeregt in alle Richtungen bewegen.

    Toby hatte natürlich noch andere Freunde in seinem Alter hier am Ort. Die Kinder lebten gern hier mitten in der Natur. Es gab jede Menge Abenteuerspielplätze in der Gegend: Große Gärten mit all ihren Bewohnern, Wildbäche, durch die man waten konnte, alte halbverfallene Scheunen, Wiesen mit Obstbäumen, auf die man klettern und wo man im Winter Schlitten fahren konnte, und dann noch die Umgebung der alten Burg mit dem sagenumwitterten Turm.

    Friedenkirchen lag bzw. liegt in einer Senke zwischen Hügeln und Wäldern, es gab (und gibt immer noch) nur ein paar wenige Straßen, einen Tante-Emma-Laden, der aus einem Zimmer im Haus von Frau Wirth bestand. Hier konnte man das Allernötigste kaufen. Und was es nicht gab, konnte man fast immer bestellen. Der Laden diente den Bewohnern Friedenkirchens aber nicht nur dazu, ihre Vorräte aufzufüllen und ihre Brötchen zu kaufen, sondern vor allem dazu, Neuigkeiten aus der Umgebung auszutauschen. Und so etwas ist unglaublich wichtig für die Menschen in einem kleinen Dorf.

    Es gab (und gibt immer noch) sogar einen winzigen Dorfplatz mit einer alten Eiche, einem Dorfbrunnen, einer Bushaltestelle mit Bank und einer alten, zugegebenermaßen sehr kleinen Kirche, nebst Pfarrhaus und dem kleinen alten Friedhof, die etwas höher lagen.

    Und dann gab es, und gibt es wohl noch, die alte Burg. Sie liegt etwas abseits vom Dorf auf einem Hügel in einer kleinen Waldlichtung. Nur ein Feldweg führt hinauf. Die Bewohner, eine reiche Unternehmerfamilie – Zugezogene –, hielten sich genauso abseits vom Dorfleben wie ihre Burg. Natürlich führte das immer wieder zu wilden Spekulationen und zu reichlich Nahrung für Erzählungen, Mutmaßungen und Gerüchten. Wie es halt so ist!

    Auch Bernadette Nabel war eigentlich eine Zugezogene. Allerdings wohnte sie schon sehr lange im Dorf, sodass sie inzwischen dazugehörte und sich selbst zu den Einheimischen zählte. Früher hatte sie in einem Antiquitätenladen ihren Lebensunterhalt verdient und dort alte Möbel, Bücher, Gemälde und auch manchmal Schmuck verkauft. Sie hatte diese Arbeit in dem kleinen Laden in der Nähe der Bad Emser Promenade geliebt. Liebevoll hatte sie jedes einzelne Stück verwaltet und gepflegt – abgestaubt, zurechtgerückt und die Kunden, oft Kurgäste, mit Fachverstand und noch mehr Herz bedient und beraten.

    Ebenfalls zugezogen war Herr Singer, der weiter unten an der Hauptstraße wohnte. Herr Singer war früher Lehrer gewesen und stammte aus dem Schwabenland. Aber von dort war er, damals mit seiner jungen Ehefrau, schon zu Beginn seiner schulischen Laufbahn fortgezogen, ebenfalls in die Bad Emser Gegend. Als seine Frau Elisabeth jedoch unerwartet gestorben war, hatte er sich nach Friedenkirchen zurückgezogen. Und erst dort hatten sich der stille Witwer und die quirlige unverheiratete Frau Nabel kennengelernt und mit der Zeit angefreundet. Nun war Herr Singer – mit Vornamen Albert – längst pensioniert, und so hatte er sein einstiges Hobby ausgebaut: Er fertigte Holzarbeiten mit Verzierungen und schnitzte wundervolle Holzfiguren, die er manchmal sogar an Feriengäste verkaufte.

    Darüber hinaus verschönerte er das Dorf mit seinen Werken: hier eine Gartenfigur, dort ein Zierstück für ein Haus, eine Gartenbank oder ein verziertes Gartentor.

    Sein größter Auftrag war die Herstellung einer Krippe mit Figuren für die Kirche gewesen, die an jedem Weihnachtsfest neben dem Altar aufgestellt wurde. Und die alte Bank an der Bushaltestelle hatte er erst kürzlich mit vielen Schnitzereien versehen, sodass diese eine Zierde war, die jedem Besucher von Friedenkirchen sogleich ins Auge fiel, wenn er aus dem Bus ausstieg. Und in der Mitte prangte, für immer in der oberen Leiste der Rückenlehne verewigt, das Antlitz einer wunderschönen Frau: Elisabeth.

    Natürlich gab und gibt es noch viele andere Menschen in und um Friedenkirchen. Und im Sommer kamen und kommen auch noch die Touristen dazu. Sie kommen hierher, weil die Gegend so schön und die Luft so gut ist, und so hatte sich im Laufe der Zeit eine kleine Feriensiedlung am Rande des Orts erschlossen. Es ist ein ruhiger und etwas abgelegener Ort – aber langweilig ist es in Friedenkirchen nicht …

    Die zersägte Bank

    Als Bernadette Nabel, einen Einkaufskorb im Arm, um 9 Uhr in die Haupt- und Durchfahrtsstraße des winzigen Örtchens Friedenkirchen einbog und geradewegs den kleinen Lebensmittelladen von Frau Wirth ansteuern wollte, bemerkte sie eine Menschenmenge, die sich auf dem Dorfplatz versammelt hatte. Einige schüttelten die Köpfe, andere redeten, teilweise wild gestikulierend und aufgeregt, aufeinander ein. Manche standen einfach nur ratlos da und richteten ihren Blick auf die kleine Bushaltestelle. Nach einer kurzen Überlegung siegte Frau Nabels unstillbare Neugier. Anstatt zum Laden zu gehen, lenkte sie ihre Schritte zu dem kleinen Menschenauflauf. Und sogleich offenbarte sich ihr der Stein des Anstoßes: In der Rückenlehne der Bank, die dort stand und liebevoll von Herrn Singer, dem Freund von Frau Nabel – oder sagen wir besser einem Freund, denn sie waren kein Liebespaar –, mit einer wunderschönen Schnitzerei verziert worden war, klaffte ein großes v-förmiges Loch. Auf dem Boden lagen einige Holzspäne, Kratzspuren waren über die ganze Bank verteilt. Das wunderschöne Rundelement mit der Verzierung war fort! Herr Singer hatte dort das Porträt einer wunderschönen Frau in die Mitte der Bank hineingeschnitzt. Die Frau war seine Frau Elisabeth, die vor einigen Jahren gestorben war.

    Herr Singer hatte, wie schon erwähnt, so manche Schnitzarbeit gefertigt, ab und zu verkaufte er kleine Stücke an Touristen, manchmal restaurierte er in der kleinen Kirche die Bänke oder eine der Figuren und auch sonst verzierte er mit seinen Schnitzereien und Holzarbeiten das Dorf oder beglückte mit seinen Arbeiten seine Mitmenschen. Unter Herrn Singers geschickten Händen entstanden Verzierungen an Zäunen, Wandbilder an oder in Häusern, Tür- und Namensschilder, Tierfiguren, kleinere Gebrauchsgegenstände und sogar Kinderspielsachen. Das Bild der schönen Elisabeth jedoch war sein Meisterwerk. Und dort an der Rückenlehne der Bushaltestelle mitten im Ort hatte es jeder sofort gesehen, der diesen kleinen Ort besuchte.

    Als wenig später zwei Polizisten den Tatort besichtigten, standen immer noch einige Bürger des kleinen Dörfchens um die Bank herum. In dieser kleinen Gemeinde war die Welt bisher noch in Ordnung gewesen – wer und warum schändete jemand die Bank an der Bushaltestelle, das Kunstwerk, auf das man schon ein wenig stolz war? Schließlich war dieser Ort auch Ferienort und echte liebevolle Handwerkskunst gab es ja nicht mehr überall in der heutigen Zeit. Dies war zwar ein kleiner unbedeutender Landschaftsflecken, aber so Kleinigkeiten machen eben auch was aus. Und außerdem waren die Leute hier ein Völkchen, das seinen Heimatort liebte und darauf bedacht war, dass alles immer gepflegt war.

    Bernadette tippte dem Größeren der beiden uniformierten Männer auf die Schulter. „Was werden Sie unternehmen?", fragte sie den Mann, der sie, nachdem er sich umgedreht hatte, etwas herablassend ansah.

    „Nun, wir werden alles erst mal aufnehmen, ein paar Leute befragen, sehen, ob sich Zeugen melden, Spuren sichern, und dabei wies er mit dem Kopf auf seinen Kollegen, der mit einer Art Klebeband Abdrücke von der Bank nahm. „Aber, ganz ehrlich – ich denke, das wird zu nichts führen. Es ist ja auch niemand verletzt worden. Alles in allem nur ein kleiner Sachschaden. Mehr können wir da nicht tun! Und mit einem etwas schiefen Lächeln wandte er sich seinem Kollegen zu: „Fred, bist du fertig?"

    Bernadette Nabel blickte sich um. Die Menge löste sich langsam auf, die Menschen gingen ihrer Wege. Kleiner Sachschaden – Herrn Singer würde es das Herz brechen! Frau Nabel seufzte: Das war ungeheuerlich!

    Schließlich kam es tatsächlich so: Die Polizei befragte noch ein paar weitere Leute, aber bald wurden die Ermittlungen eingestellt. Frau Nabel war damit überhaupt nicht zufrieden – ganz und gar nicht. Und die Kinder am Ort: Bertie, Hannes, Tobias, Jane und Nele auch nicht. Die fünf mochten Frau Nabel, vielleicht gerade deswegen, weil sie ein bisschen schrullig war, und ab und zu besuchten sie die alte Dame, tranken bei ihr Kakao oder Limonade und aßen Kuchen und Frau Nabel erzählte alte Geschichten von früheren Zeiten oder zeigte ihnen etwas Interessantes. Und manchmal half sie ihnen sogar bei den Hausaufgaben.

    Und so saßen nun die fünf Kinder und die beiden Erwachsen, Frau Nabel und Herr Singer, in Frau Nabels gemütlicher Küche, aßen frischen Apfelkuchen und schimpften ein bisschen über die Polizei, die sich nicht um dieses Verbrechen, wie sie es nannten, kümmern wollte. Natürlich regten sie sich auch über den Übeltäter auf, der dies zu verantworten hatte. Die Kinder bemühten sich, Herrn Singer, der sehr traurig war, weil irgendwer seine Arbeit einfach zerstört und das Bild gestohlen hatte, ein wenig aufzurichten. Jane versuchte Trost mit einem Lob und einer Erklärung zu spenden: „Ach, ich glaube, das hat jemandem so gut gefallen, dass er es einfach haben wollte."

    In Frau Nabels Küche wurde diskutiert, was man tun, überlegt, wer für diese Tat verantwortlich sein könnte. Waren es einfach Fremde, die in wilder Zerstörungswut etwas kaputt machen wollten und zufällig ihre üble Laune und Aggression an der Bank ausgelassen hatten? Oder war es jemand, dem das Bild so gut gefiel, dass er es einfach herausgesägt und an sich genommen hatte – vielleicht ein Tourist, der es als Andenken haben wollte? Oder war es jemand vom Ort oder aus der Umgebung, der etwas ganz Bestimmtes im Sinn gehabt hatte? Und wenn das so war – was steckte dahinter?

    Wenn es ein Fremder gewesen war, gäbe es wohl tatsächlich keine Chance, den Täter dingfest zu machen, außer der Zufall würde ihnen zur Hilfe kommen. Aber wenn es irgendein Motiv gab, das mit dem Dorf oder der Bank oder mit Herrn Singer zu tun hatte, dann vielleicht … Und schon gab es sieben selbst ernannte Kriminalisten im kleinen Dorf Friedenkirchen, die sich mit der großen Erfahrung von zahllosen gesehenen Fernsehkrimis, dem Lesen mehrerer Kriminalromane und vor allem einer Riesenportion Eifer und Motivation daran machten, diesen Fall zu lösen: Wer zersägte die Bank an der Bushaltestelle?

    Die sieben gingen die Leute vom Dorf nacheinander in Gedanken durch und wogen das Für und Wider für eine mögliche Täterschaft ab: Da war z. B. der merkwürdige Mann in der kleinen Wohnung bei Frau Huber, der nie grüßte und immer missmutig guckte. Niemand kannte den wirklich, er wohnte auch erst seit Kurzem hier. Man würde ihn wohl ein bisschen beobachten müssen, dachte sich Bertie und schrieb Frau Hubers Mieter auf einen Zettel, auf dem er die Tatverdächtigen sammeln wollte. „Im Prinzip kommt jeder in Frage", meinte Hannes mit sehr ernster Miene.

    „Ja, aber wir müssen zuerst mal die verdächtigsten Personen aussortieren, sonst wird es zu viel, entgegnete Bertie wichtig. Und Tobias nickte: „Genau!

    „Also gut, sagte Frau Nabel. „Wer kommt noch in Frage?

    „Die Leide aus dr Feriensiedlung! Die sollde mir gnauer beobachde", meinte Herr Singer in schwäbischem Singsang, der es gar nicht mochte, dass sich im Dorf Touristen aufhielten. Er war sehr misstrauisch, was Zugereiste oder Fremde anging. Dass er selbst auch ein Zugereister war, vergaß er gern. Herr Singer lebte schon lang im Westerwald, genau genommen seit er seine erste Stelle als Lehrer hier angenommen und mit seiner Frau Elisabeth hergezogen war. Aber ursprünglich stammten er und Elisabeth aus einer kleinen Stadt im Schwäbischen – aus Wendlingen bei Stuttgart –, was sein immer noch durchkommender Dialekt verriet. Die Kinder schmunzelten über viele Worte aus dem Schwabenland, die über Herrn Singers Lippen kamen, besonders wenn er sich aufregte. So manchen Ausdruck aus seiner Heimat konnte und wollte er sich einfach nicht abgewöhnen, und wenn er Nein sagte, dann klang das wie Noi (oder gar ha noi für „aber nein"). Vielen Bezeichnungen wurde eine verniedlichende Endung gegeben, wie das im Schwabenland üblich ist: So hieß die Katze das Kätzle, das Land das Ländle und das große Wasserfass in Frau Nabels Garten wurde von Herrn Singer hartnäckig als Fässle bezeichnet.

    Auch Frau Nabel war keine echte Einheimische, wenngleich sie aus dem nicht sehr weit entfernten Bad Ems kam und erst seit ihrer Pensionierung hier im Dörfchen wohnte. Beide fühlten sich aber inzwischen so mit der kleinen Ortschaft verbunden, dass sie sich mehr oder weniger zu den Einheimischen zählten.

    „Die Burgleute", warf Jane ein.

    Die Burgleute waren auch Zugereiste. Etwas abseits vom Dorf, aber eben doch dazugehörig, gab es nämlich eine uralte Burg. Vor einiger Zeit hatte eine Fabrikantenfamilie sie gekauft und war eingezogen. Und mit ihnen einige Angestellte, z. B. Inge Dietrich. Sie wohnte nicht in der Burg, sondern im

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