Die Pilger aus dem Zauberwald: Die abenteuerliche Pilgerreise der Maus Jonathan und ihres Freundes, dem Dachsjungen Nr. 1
Von Lotte Maria Kaml
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Buchvorschau
Die Pilger aus dem Zauberwald - Lotte Maria Kaml
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und -auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2011 novum publishing gmbh
ISBN Printausgabe: 978-3-99010-073-8
ISBN e-book: 978-3-99010-528-3
Coverbild: Hedwig Kaml
Gedruckt in der Europäischen Union auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem -Papier.
www.novumpro.com
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1
Die kleine Maus war pappsatt. Sie hatte in der Nacht nicht geschlafen. Nach einer kurzen Kletterpartie saß sie mitten im Schlaraffenland und schlug sich den Bauch voll. Erst gestern hatte sie die Entdeckung gemacht: Das Vogelhäuschen am Balkon. Warum sich plagen, wenn es doch so einfach war?
Sie war aber nicht die Einzige, die heute noch wach war. Ein junger Dachs hatte schreckliches Magenknurren. Er machte sich also auf die Suche.
Im Wald war es stockfinster, kein Stern war zu sehen. Der Kleine war noch ziemlich unerfahren und es war unheimlich so ganz alleine auf Futtersuche zu gehen.
„Ach, wenn ich doch einen Freund finden könnte!, dachte er, „dann wäre alles so viel einfacher im Leben.
Seine Eltern waren leider über die nahe Straße gelaufen und nicht mehr nach Hause gekommen.
Der Hunger trieb ihn aus dem Bau. Vorsichtig schlich er unter den hohen Bäumen herum, die bei Nacht auf einmal ganz anders aussahen als am Tag, wenn die Sonne vom Himmel schien. „Huh, huh", hörte er plötzlich direkt über ihm eine Eule schreien.
Du liebe Zeit! Ein flatterndes Gespenst! Und diese leuchtenden Augen, die auf ihn herab-sahen!
„Nichts wie weg!", dachte sich der kleine Racker und er rannte, so schnell er konnte.
Über die Brücke, aus dem Wald hinaus, neben dem Teich über den Kiesweg und hin zum Schuppen hinter dem Haus.
Die kleinen Steinchen flogen ihm um die Ohren, so schnell lief er vor lauter Angst.
Plötzlich hörte er direkt vor sich ein leises Geräusch. Es raschelte, aber mitten in der Nacht fliegen doch keine Blätter herum? Ganz außer Atem blieb der kleine Dachs stehen. Er musste dringend eine kurze Verschnaufpause einlegen, außerdem war er von Natur aus ziemlich neugierig und er wollte der Sache auf den Grund gehen.
Zwei winzig kleine Knopfaugen blinzelten ihn neugierig an.
„Hallo, wer bist denn du? fragte die kleine Maus. „So einen großen Maulwurf habe ich noch nie gesehen!
„Ich bin doch kein Maulwurf!, antwortete der kleine Dachs ganz beleidigt. „Dachsjunge Nr. 1 heiße ich!
Das Mäuschen hüpfte vor lauter Lachen, dass die trockenen Blätter, unter denen es sich versteckt hatte, nur so flogen.
„Wie bitte?, prustete es, „du musst doch einen Namen haben. Von meinem Onkel Sebastian weiß ich, dass es Dachse im Wald gibt, aber ich habe noch nie einen gesehen.
Sie flitzte im Kreis herum. „Na ja, eigentlich bist du ja ganz hübsch mit deinen weißen Streifen im Fell. Nicht so düster wie unsere Familie. Wir sehen uns alle ziemlich ähnlich, weißt du?"
Der kleine Dachs setzte sich erst mal auf seine vier Pfoten. „Du liebe Zeit! murmelte er. „Du bist so schrecklich klein! Wie kann man bloß so winzig sein?
„Ach, weißt du, das hat auch seine Vorteile, entgegnete die Maus. „Ich kann sogar die Wände hochklettern, wenn es sein muss. Da finde ich die feinsten Leckerbissen, die du am Boden nie erwischen würdest. Übrigens: Ich heiße Jonathan!
„Sehr erfreut! entgegnete der kleine Dachs. „Hast du auch so große Angst allein im Wald?
„Angst? piepste Jonathan und sah ganz erstaunt aus. „Aber wovor denn?
„Na ja, es ist so anders hier als daheim im tiefen Bau, meinte sein Gegenüber. Und alles ist so laut im Finstern. Da kann es einem schon ein bisschen komisch werden, oder?
„Mein lieber Freund!", rief Jonathan und blinzelte.
„Wenn ich Angst habe, dann denke ich einfach an die guten Geister."
„An die guten Geister?, fragte der kleine Dachs. „Wer sind denn die?
Das Mäuschen putzte seinen Schwanz, der erstaunlich lang war für das kleine Persönchen.
„Ich glaub’ es nicht!, meinte es dann. „Wie kann man nur so groß sein und das Wichtigste nicht kennen? Wir leben doch im Zauberwald. Uns kann gar nichts passieren. Im Gegenteil, es ist das Paradies für alle Tiere. Unsere Schutzgeister leben in den Pflanzen und passen auf uns auf. Bei mir zu Haus in unserem kleinen Dorf haben wir einen großen Garten mit allen wichtigen Geisterpflanzen angelegt. Bevor ich auf Abenteuer-Reise gehe, spreche ich mit ihnen und klemme mir einen kleinen Blütenkranz um den Hals. Dann kann mir gar nichts mehr passieren.
„Ach, du hast es gut!, seufzte der kleine Dachs Nr. 1, „du hast einen richtigen Namen, ein Zuhause und noch dazu viele gute Geister, die auf dich aufpassen!
„Armer kleiner Kerl! dachte sich der Mäuserich Jonathan. „Er ist so allein und hat noch nicht mal einen richtigen Namen!
„Weißt du was?, meinte er nach kurzem Nachdenken, „Komm doch mit mir. Ich zeige dir mein Zuhause und zum Futtern werden wir sicher auch etwas finden.
Der kleine Dachs war auf einmal gar nicht mehr traurig. Er stellte sich vor, wie schön es doch wäre, eine Familie zu haben und Pflanzengeister, die ihn beschützen könnten, wenn er Angst im Dunkeln hatte.
„Ja, gut, meinte er, „aber wo bist du denn zu Hause?
„Es ist ziemlich weit von hier, ich hoffe, du bist gut zu Fuß!, sagte die Maus. „Ich bin nämlich derzeit auf Pilgerreise!
„Auf Pilgerreise? Was ist denn das?", wollte der kleine Dachs wissen.
„Du bist ja wirklich noch nie aus deinem Bau herausgekommen, wie?", meinte Jonathan.
„Eine Pilgerreise, die macht man immer dann, wenn man sich etwas ganz, ganz fest wünscht und sich nicht vorstellen kann, wie dieser Wunsch in Erfüllung gehen könnte.
Dann packt man seine Siebensachen, holt sich beim Waldpostamt einen Pilgerpass und geht los. Natürlich in der Nacht, ein bisschen Mut gehört schon dazu. Die Pflanzengeister sehen nämlich alles, was du tust und wenn du mutig bist, dann gehen deine Wünsche in Erfüllung. Ja, und auf so einer Reise bin ich jetzt gerade. Wenn du mit mir kommen willst, ich freue mich über ein bisschen Gesellschaft."
Der kleine Dachs dachte nach, so schnell er denken konnte.
„Na ja, überlegte er, „das ist doch eine gute Idee. Dann bin ich nicht mehr so allein und vielleicht zeigt mir die Maus, wo es hier was zu fressen gibt.
Sein Magen knurrte so laut, dass das Mäuschen ihn ganz verdächtig ansah. „Keine Angst, sagte Dachs Nr. 1, „ich bin etwas aus der Art geschlagen. Ich bin nämlich Vegetarier!
„Oh, ja, so was, murmelte die Maus, „was es nicht alles gibt! Dann werde ich meinen Reiseplan etwas ändern müssen. Aber auf unserer Route gibt es jede Menge Wiesen und Gärten mit den feinsten Gräsern, du wirst schon sehen! Aber wenn ich dich mitnehme, musst du auch ein Pilger werden. Sonst sind meine Pflanzengeister böse auf mich. Es soll ja schließlich keine Vergnügungsreise sein!
„Ja, wenn du meinst, sagte der Kleine, „dann werde ich eben ein Pilgerdachs. Aber verrate mir doch einmal, warum du diese Reise machst. Was wünscht du dir denn so von Herzen?
„Mein lieber Kollege, antwortete die Maus, „das kann ich dir noch nicht verraten. Erst wenn unsere Wanderung zu Ende ist, wirst du das erfahren.
„Du liebe Güte!, dachte sich der kleine Dachs. „So ein Geheimniskrämer. Aber ich werde schon noch auf den Grund seiner Reise kommen. Ich bin schlau. Aber das lasse ich mir lieber nicht anmerken. Ganz bestimmt werde ich es bald herausfinden.
Und er sagte nur: „Okay. Wann wollen wir denn losgehen?"
Das Mäuschen meinte: „Am besten, wir machen zuerst ein kleines Schläfchen. Dann sind wir wieder fit und auf geht’ s zur ersten Station.
Dort lernst du dann einen ganz wichtigen Pflanzengeist persönlich kennen!"
„Ist gut, meinte Nr. 1, „ich hab’ nichts gegen eine kleine Pause.
Und sie kuschelten sich im Schuppen ins Heu und Ruck-Zuck waren beide eingeschlafen.
Die Eule, die ihr Nest im alten Apfelbaum hinter dem Fischteich hatte, hörte nur noch ein leises Schnarchen.
2
Die Sonne begann zu blinzeln. Zuerst schickte sie einen kleinen silbernen Streifen auf den Waldboden, dann wurde er langsam zu einem glitzernden, goldenen Schal. Der Tau glänzte auf den Pflanzen und Gräsern, die ihre Gesichter zum Himmel reckten.
„Oh, wie schön, seufzte das Buschwindröschen, „bald ist mir wieder warm und ich bekomme Besuch von meiner Lieblingsbiene!
„Ja, ja, meinte der wilde Kirschbaum, „es ist schon herrlich, wenn der Frühling kommt. Da fühlt man sich doch wieder ganz wie neugeboren!
„Dann is’ es ja gut!, tönte es aus dem Waldrand hervor, „es wird Zeit, an die Arbeit zu gehen!
Die tiefe Stimme gehörte dem Chef des Waldstücks, einem mächtigen alten Ahornbaum.
Natürlich war er nicht der Boss von allen Pflanzen, aber in seinem Blätterdach war der Wohnsitz des Ersten Pflanzengeistes. Deshalb nahm er sich manchmal ein wenig wichtig.
Der Erste Pflanzengeist wohnte natürlich in einer Blume. Aber am Boden ist es oft ein wenig unsicher. Die Tiere des Waldes haben Hunger und auch Geister können nicht so schnell verschwinden, wie die kleinen Rehe oder Hirsche ihnen die Köpfe abzwicken.
Und das ist für einen Geist ein Problem, denn ohne Blütenkopf hat er nur noch die halbe Zauberkraft.