Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Nicht von Ungefähr: Ein Kontinentalroman
Nicht von Ungefähr: Ein Kontinentalroman
Nicht von Ungefähr: Ein Kontinentalroman
eBook539 Seiten7 Stunden

Nicht von Ungefähr: Ein Kontinentalroman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Sache mit dem entführten Impresario des Volkstheaters Karbunkelkraut wird nach und nach für Nicht von Ungefähr, dem allerersten privaten Ermittler in der Hauptstadt des Kontinents, zur größten Herausforderung seiner Karriere. Nicht nur, dass seine Auftraggeber sich als winzige Gnome herausstellen, die er vordem nur im Bereich von Sagen und Legenden vermutet hatte, nein, auch die Frage, was die ganze Geschichte wohl mit dem Hochadel und dessen Verwicklung in den Sklavenhandel zu tun haben mochte, gibt dem jungen Mann ein kaum lösbares Rätsel auf. Zu allem Überfluß erfindet man in der Geschichte auch noch eine vollkommen neue Form kontinentaler Musik, die eine enorme kulturgeschichtliche Bedeutung bekommen sollte.
Und was hat dies alles mit einem seit Jahrzehnten vermissten Universalgenie zu tun, vom Auftauchen seltsamer Geschöpfe wie Yetis und Kobolden gar nicht zu sprechen?
Singende Wichte, fleischfressende Pflanzen, verwirrte Sergeanten, entnervte erste Geigen fügen sich ein in den farbenfrohen Reigen absurder Ereignisse. Beinahe so wie im richtigen Leben.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Mai 2021
ISBN9783753188188
Nicht von Ungefähr: Ein Kontinentalroman

Ähnlich wie Nicht von Ungefähr

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Nicht von Ungefähr

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Nicht von Ungefähr - Elbo James

    Kapitel 1

    Nicht von Ungefähr

    Ein Kontinentalroman

    von

    Elbo James

    © 2019 A. W. Elbert - www.elbo-james.de

    Buchgestaltung und Illustration: A. W. Elbert

    Seltsame Klienten

    Nicht von Ungefähr betrachtete sich wieder einmal skeptischen Blickes in dem riesigen, blattgoldgerahmten Spiegel im Vestibül des Familienanwesens. ‚Da hätte mich Mama ja auch gleich Wicht nennen können‘, murmelte der junge Mann vor sich hin, und wirklich hätte man ihn nun keinesfalls als hochgewachsen bezeichnen können. Mit knapp 167 Zentimetern Körpermaß war er jedoch keineswegs der Zwerg, als der er sich selbst in diesem Moment wahrnahm. ‚Ach, ein väterliches Erbe wohl!‘

    Seine werte Frau Mutter hatte in jungen Jahren diesen einen, diesen einzigen Fehltritt begangen, der in der Familienchronik dann später einfach zur Gänze übergangen worden war. Niemals wurde in den Annalen der von Ungefährs etwas vom Erzeuger des jungen von Ungefähr erwähnt. Als Nicht das Alter erreicht hatte, das man gemeinhin als Großjährigkeit bezeichnet, dieses Ereignis hatte erst vor knapp drei Jahren stattgefunden, hatte Laurentia von Ungefähr endlich ein Einsehen und berichtete ihrem Spross von dem Mann, der für seine Existenz mitverantwortlich zu machen war. Er konnte sich noch gut, zu gut an diesen Moment erinnern, besonders daran, wie klamm ihm doch ums Herz geworden war, als seine Mutter mit ihrer Beichte begann.

    Ein Clown, er hatte es anfangs nicht fassen können. Mit einem Zirkusclown war die blutjunge Laurentia damals durchgebrannt, hatte alles hinter sich gelassen und sich diesem zweifelhaften Gaukler-Unternehmen angeschlossen, um die Welt zu bereisen, um sämtliche Städte des Kontinents zu sehen und, ja, und um selbst Hochseilartistin zu werden; ein Genre für welches sie unbedingtes Talent aufwiese, so zumindest ihr Liebhaber. Doch hatte die Liaison nicht allzulange den Stürmen der Zeit standgehalten. In einer kleineren Stadt, gar nicht weit von der Hauptstadt des Kontinents, Weentbehl-Lachapelle, betrog der Clown das adlige Fräulein gleich mit einer nicht mehr ganz taufrischen Souffleuse des dort ansässigen Stadttheaters. Tja, wo die Liebe eben so mal hinfällt! Manchmal auch einfach in ein Astloch in den Brettern, die ja angeblich die Welt bedeuten.

    Und diese Welt brach dann auch für Laurentia von Ungefähr zusammen, als sie die beiden in Flagranti im Wohnwagen des Clowns ertappte. Doch ließ es der Stolz der adligen Ex-Jungfer nicht zu, geradewegs nach Hause ins Palais der von Ungefährs zurückzukehren. Wochenlang war sie hochschwanger umhergeirrt, kaum mehr etwas von dem Geld war ihr geblieben, das sie keckerweise aus der Zirkuskasse entwendet hatte. Die Absteigen, in denen sie Unterschlupf fand, waren von Tag zu Tag schäbiger geworden, und schließlich fand sie sich im Pfarrhaus einer Kirchengemeinde wieder, am Rande des Schimmerwalds ganz in der Nähe der Stadt Ilmenau. Sie wusste kaum mehr, wie sie ausgerechnet hierhin geraten war. Des Pfarrers Haushälterin kümmerte sich jedoch rührend um das Mädchen und so gebar sie schließlich einen gesunden, properen Jungen.

    Obwohl Laurentia immer noch einen tiefen Groll hegte gegen ihren Verführer, den Clown Zaparello, und dies auch immer so bleiben sollte, dachte sie doch in Augenblicken der Schwäche an den Geliebten mit etwas wie Sehnsucht und Zuneigung, ja sogar mit Liebe zurück. Zurück an die Zeit, die sie später als die schönste ihres Lebens bezeichnen würde; dies tat sie allerdings nur im Stillen, ganz alleine für sich.

    Genau das war der Grund dafür, dass sie den Knaben Nicht nannte, nur weil Giovanni Zaparello einmal scherzhaft behauptet hatte, Nicht von Ungefähr sei doch ein ganz vorzüglicher Name. Das nur zur Verschrobenheit des Humors dieses armseligen Zirkusclowns!

    Von diesem Clown, welcher sich als Erzeuger des jungen Nicht von Ungefähr herausgestellt hatte, war jedoch keine Spur zu finden gewesen. Obwohl er dem Vater, den er doch nie erblickt hatte, keinerlei Sympathie entgegenbringen konnte, entschloss sich der Jüngling dennoch, ihn ausfindig zu machen; ein Unterfangen, das sich als gar nicht so einfach herausstellen sollte. Nach monatelangen Recherchen fand Nicht schließlich doch noch eine Spur des Großen Zaparello, nur um am Ende an dessen Totenbett zu stehen. Nur wenige Minuten des Beisammenseins waren Nicht von Ungefähr mit seinem Erzeuger vergönnt, kaum mehr als drei Worte hatten die beiden wechseln können, da röchelte der Große Zaparello sein Leben aus. Der Pfarrer, der dem Clown kurz zuvor die letzte Ölung verabreicht hatte, erklärte dem verlorenen Sohn, sein Vater hätte seit zwei Tagen erst an einer schlimmen Lungenentzündung gelitten.

    Seine Witwe allerdings hatte, nachdem auch diese von Nicht befragt worden war, nur gelästert, es sei dem alten Sack ein dummer Witz im Hals stecken geblieben. Diese Bemerkung versöhnte wiederum Nicht von Ungefähr ein wenig mit seinem verantwortungslosen Erzeuger. Mit diesem keifenden Weib konnte er letztendlich wohl auch kein leichtes Leben gehabt haben.

    Nachdem nun Nicht von Ungefähr ein knappes Jahr mit der Fahndung nach dem Vater zugebracht hatte, und er seltsamerweise Gefallen fand, an dieser Art der Suche nach einem Vermissten, beschloss der junge Mann, diese Tätigkeit zu seinem Beruf zu machen. So wurde Nicht von Ungefähr also nicht von ungefähr zum ersten Privatdetektiv des Kontinents.

    Der Frühling hatte Einzug gehalten in Weentbehl-Lachapelle. Die Luft verlor langsam aber sicher die stechende Kälte, die den ganzen langen Winter über die Bewohner der Hauptstadt dazu veranlasst hatte, so lange es irgend ging, sich im Inneren ihrer Häuser aufzuhalten. Erst jetzt Mitte Mai zog es die Leute wieder hinaus in die Straßen der Stadt, ohne dass man aus beruflichen oder anderen Gründen hierzu gezwungen war. Die bleichen Gesichter der Weentbehler reckten sich, wie auch die erwachende Pflanzenwelt, den Strahlen der Sonne entgegen, die noch nicht die Kraft besaß, die empfindliche Haut der Menschen zu versengen.

    Nicht von Ungefähr hatte beschlossen heute einmal nicht den kürzesten Weg einzuschlagen, der ihn in sein Büro führte, sondern eine andere Route zu nehmen; so würde der junge Mann zwar eine halbe Stunde länger brauchen, aber das schöne Wetter war ihm diesen Umweg wert.

    Eine ganze Weile führte Nichts Weg den Fluss Weent entlang, der in diesem Jahr doch tatsächlich zwei volle Wochen mit Eis bedeckt gewesen war, ein Vorkommnis, das sich bei weitem nicht in jedem Winter ereignete. Am Rande des Weges, der an Sonntagen bei schönem Wetter als Promeniermeile herhalten musste, hatten schon vor drei Wochen die ersten Krokanten ihre Blätter aus dem kaum vom Eise befreiten Boden geschoben. Die Pappeln und Buchen, die den Pfad säumten, zeigten schon die ersten Triebe und die Palmkätzchen genossen die ersten Sonnenstrahlen des Tages und schnurrten leise in der leichten, frühlingshaften Brise.

    An einer Biegung des Flusses ging Nichts Weg ein wenig vom Wasser fort, bis er zu dem überdachten Stufengang kam, der hinauf in das kleinbürgerliche Stadtviertel führte, in welchem er eine kleine Wohnung über einer Schreinerei als Geschäftsräume angemietet hatte. Er hätte unmöglich ein solches Unternehmen, wie es eine Agentur für private Ermittlungen darstellte, in dem noblen Quartier ansiedeln können, in dem die von Ungefährs seit Jahrhunderten residierten. Den Terminus ‘Agentur für private Ermittlungen’ übrigens hatte Nicht von Ungefähr höchst persönlich ersonnen, da solch ein Geschäftsfeld, wie schon erwähnt, vorher noch gar nicht existierte.

    Beschwingt und gut aufgelegt erklomm der Detektiv die Stufen, die in sein Büro führten. Kaum vor der geschlossenen Tür angekommen, sagte ihm sein Instinkt, dass hier irgendetwas nicht so war, wie noch am Abend zuvor.

    Wie er auf diesen Gedanken kam, konnte er jedoch selbst nicht sagen. Das Mobiliar seines Büros stand durchaus noch genauso da, wie er es gestern Abend zurückgelassen hatte, wenn man bei den uralten Regalen, Schränkchen und dem von Papieren überfrachteten Schreibtisch denn im Eigentlichen von Möbeln würde sprechen können. Nicht hätte sich wirklich eine Büroausstattung leisten können, die seinem Stand angemessen war, doch hatte es ihm widerstrebt, für die Räumlichkeiten einen ‚architecte d’intérieur‘ zu konsultieren, wie die Frau Maman vorgeschlagen hatte. Bei solchen Angelegenheiten war Laurentia von Ungefähr sofort mit wahrem Feuereifer bei der Sache. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst die Wohnung zu begutachten, die ihr Sohn für diese, von ihr mit Argwohn betrachtete, Tätigkeit, der er vorhatte nachzugehen, zu begutachten. Widerstrebend hatte Nicht dem Drängen der Mutter nachgegeben, und kaum hatte sie das Naserümpfen über die beiden stickigen, engen Zimmerchen hinter sich gebracht, kramte sie einen Zollstock aus ihrer Yves-Sankt-Niklas Handtasche und machte sich an die Arbeit. Nachdem sie alle Daten in ihr schweinsledernes Notizbüchlein eingetragen hatte, fing sie gleich darauf wieder an, Nicht die Idee vorzutragen, den Innenarchitekten Spakenburg doch noch zur Sicherheit hinzuziehen, da sie nicht genau einzuschätzen wusste, ob sie selbst geschmacklich auf dem neuesten Stand war. Da hatte den jungen Herrn dann doch der Zorn erfasst und er hatte die arme Mutter kurzerhand vor die Tür gesetzt, soll heißen, er begleitete sie hinab und half ihr in den Einspänner, der immer noch unten auf der Straße auf die beiden wartete.

    „Fahr nach Hause, Maman!, hatte Nicht von Ungefähr seiner Mutter beinahe flehentlich noch mit auf den Weg gegeben. „Lass mich doch bitte einmal im Leben etwas ganz alleine tun!

    Woraufhin Laurentia von Ungefähr, die immer noch goldblonde Lockenpracht, wie ein junges Mädchen geschüttelt und erwidert hatte. „Als ob ich dir jemals Vorschriften gemacht hätte, mein lieber Nicht!"

    Darauf hatte der brave Sohn nichts mehr hinzuzufügen gehabt, eigentlich lag ihm der Satz auf der Zunge: ‚Doch nur, weil du doch eh schon alles erledigst, bevor ich mir überhaupt eine Meinung bilden kann.‘ Jedoch brachte er es einfach nicht übers Herz, dies seiner Frau Mutter wirklich vorzuwerfen, am Ende war dieser Umstand doch auch immer sehr bequem gewesen.

    Aber nicht nur um der Mutter einmal zu widersprechen, hatte Nicht von Ungefähr sein Büro schließlich auf diese eigentümliche Weise eingerichtet, wie es nun vor ihm lag. Die Schränke und Regale, in denen er etliche Aktenordner verstaut hatte, die zum allergrößten Teil sich durch keinerlei Inhalt auszeichneten, waren in dem Zustand, den man wohl erwarten konnte, wenn man alle diese Möbelstücke bei einer einzigen Geschäftsauflösung erstand. Praktischerweise hatte er auch sämtliche Ordner gleich mitgekauft. Der Auktionator war froh gewesen, das Zeug nicht abholen lassen zu müssen, und so prangte auch auf den Aktenordnern, die er für seine ersten Fälle angelegt hatte, nun immer noch die Aufschrift: 'Steuerfachbüro Kampstetter'.

    Diese Institutionen waren in den letzten Jahrzehnten erst wie Pilze aus dem Boden geschossen. Seitdem kein Kaiser mehr über den Kontinent herrschte, hatte sich viel im Land geändert, und die jetzige Verwaltung von Weentbehl- Lachapelle führte ein weitaus strikteres Regiment gegenüber all den Fürstentümern, als zuvor die kaiserliche Regierung. Reichsverweser Puntigam und sein Finanzministerium wachten mit Argusaugen darüber, dass die Herren Barone und Herzöge ihr Scherflein zum Unterhalt des Staates auch beitrugen.

    Nicht von Ungefähr hatte sich nicht die Mühe gemacht, die aufgeklebten Aufschriften von Kampstetter zu entfernen. Der Kleber, mit dem sie befestigt waren, hatte sich als äußerst hartnäckig erwiesen; das war nun wirklich den Aufwand nicht wert. Immerhin hatte der junge Mann schon beinahe drei der Ordner mit Informationen, die Aufträge betreffend, gefüllt, die er entweder schon abgeschlossen hatte oder immer noch bearbeitete.

    Auch der Papierberg, der sich auf seinem Schreibtisch so unerhört breitmachte, musste jedenfalls noch abgeheftet werden, stellte Nicht nun mit leichtem Schrecken fest. Aber momentan würde er noch ein Eckchen finden, um sein Whiskeyglas dort abzustellen.

    Das war auch so eine merkwürdige Sache. Den jungen Nicht hatte von Anfang an, als er das erste Mal seines neuen Arbeitsplatzes ansichtig geworden war, das Gefühl erfasst, wie man diesen gestalten müsse, und, was noch seltsamer war, gehörte ein immer halbvolles Glas Whiskey unbedingt zum Ambiente hinzu. Obwohl Nicht vorher niemals in seinem Leben der schlechten Gewohnheit des Rauchens gefrönt hatte, begann er jetzt, nachdem er hier oben eingezogen war, mit diesem Laster. Gut, er rauchte jeden Tag am frühen Morgen hier oben in seinem Büro nur einen dieser besonders übelriechenden Zigarillos, aus dem einzigen Grund, weil er glaubte, dies gehöre zum Berufsbild eines privaten Ermittlers unbedingt dazu. Nicht hätte nicht sagen können, wie er auf diesen abstrusen Gedanken verfallen war, doch hatte er genau dieses Bild von dem Beruf vor Augen, den er auszuüben beabsichtigte. Das war insbesondere so rätselhaft, weil er ja schließlich der Erfinder dieser Profession war. Um jedoch nicht dem Alkohol zu verfallen, beließ er es allerdings tatsächlich bei dem einen Glas. Es kam ihm nur darauf an, dass das Gesamtbild stimmte.

    Auch die Schäbigkeit der Umgebung lag ganz in der Absicht unseres Detektivs. Es war, als befolgte er die Anweisungen eines Stückeschreibers, der sich in alles, selbst in die Angelegenheiten des Bühnenbildners, zwanghaft einmischen musste.

    Nicht von Ungefähr warf sich in den Sessel, der dem Schreibtisch gegenüber stand, kramte das kleine Paket mit den Zigarillos hervor und zündete sich eines dieser Stinkestäbchen an, woraufhin er mit dem aufkommenden Hustenreiz zu kämpfen begann. ‚Was sein muss, muss eben sein‘, dachte der junge Herr, als sich seine Augen mit Tränenflüssigkeit füllten.

    ‚Was ist nur anders?‘, fragte sich Nicht noch einmal und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Irgendetwas stimmte nicht ganz. Dann fiel sein Blick auf den Papierkorb unter dem Tisch, ein runder Rand aus feinem Sand hatte sich darunter gebildet. Nicht wusste sich dies nicht zu erklären. Es sei denn?

    Neugierig geworden erhob sich der junge Mann, lief quer durch den Raum und beugte sich hinunter, ja da waren auch noch einige der papierenen Ausstanzungen auf dem Boden, wo er doch immer so darauf achtgab, dass nichts davon danebenfiel. Der Sand konnte nur von seinen eigenen Tretern stammen, aber er wusste haargenau, dass er seine verschmutzten Stiefel über dem Papierkorb ausgeklopft, und diesen dabei vor den Sessel gestellt hatte. Jemand musste das Behältnis ausgeleert haben, auf der Suche nach irgendetwas. Nicht musste sich wieder setzen, ihm war etwas schwindelig von der morgendlich zwanghaften Nikotinzufuhr. Es musste jemand hier eingebrochen sein! Was allerdings derjenige hier oben zu finden gehofft hatte, war dem Detektiv ein Rätsel.

    Kaum dass er wieder saß, da klopfte es auch schon an der Türe. Wer mochte das denn um diese frühe Zeit nur sein? ‚Wahrscheinlich doch schon die Post‘, dachte Nicht von Ungefähr, erhob sich mit einem Seufzer und schlurfte den schmalen Flur entlang zum Wohnungseingang. Dort zögerte er. Durch die Milchglasscheiben ins Treppenhaus hinein konnte der Detektiv niemanden ausmachen und doch hatte es soeben geklopft, ja jetzt, als er in voller Größe vor der Tür stand, ertönte nochmalig ein Pochen ans Holz, das seltsamerweise von unten zu kommen schien. ‚Wer will mich hier nur hinters Licht führen?‘, fragte sich Nicht, und bezweifelte doch im gleichen Augenblick eine solche Möglichkeit. Im Grunde kannte er keinen einzigen Menschen, dem er solch ein scherzhaftes Verhalten zugetraut hätte. Alle seine Bekannten, die wenigsten davon hätte man nun tatsächlich Freunde nennen können, waren von eher ernsthafter Natur und würden sich solche Streiche ihm gegenüber wohl kaum herausnehmen. Von den wenigen einstmaligen Mitschülern im Stauffener Internat, denen so etwas zuzutrauen gewesen wäre, kannte niemand, aber auch wirklich niemand, diese Adresse. Nicht von Ungefähr hatte nicht einem seiner sogenannten Schulkameraden etwas davon erzählt, auf welche Weise er sein zukünftiges Leben gestalten wollte. Er glaubte nicht, auf irgendeine Art von Verständnis auch nur bei einem einzigen der Internatszöglinge zu stoßen, wenn er hierüber etwas hätte verlauten lassen.

    Längst befassten sich diese doch mit den ernsthaften Angelegenheiten dieser Welt. Die meisten hatten enorme Ländereien zu verwalten, was seit einiger Zeit eine komplizierte Angelegenheit geworden war. Zum Missfallen vieler Landesherren, war die Bauernschaft, die die Felder, Weinberge und Äcker bestellte, inzwischen aus der Leibeigenschaft entlassen worden. Die jetzt als freie Bürger zu betrachtenden Leute, dazu anzutreiben, möglichst einen großen Ertrag zu erwirtschaften, der sich in klingende Münze umsetzen ließ, schien vielen eine Mammutaufgabe zu sein. Die schwere Last dieser Verantwortung, die nun schon in zarten Jahren auf den schmalschultrigen Männern lastete, war Nicht von Ungefähr glücklicherweise erspart geblieben. Zwar besaßen auch die von Ungefährs noch einige Hektar Ackerland und Weideflächen, doch war die Mutter unseres Helden, nicht der Meinung, dass ein urban erzogener junger Mann wie Nicht, sich mit derlei Nichtigkeiten befassen sollte. Hierzu hatte Laurentia einen Verwalter aus gutem Hause eingestellt, der nun schon seit Jahren, nach dem Tod ihrer lieben Eltern, sich mit diesen Profanitäten recht erfolgreich befasste. Der nun auch nicht mehr ganz taufrische Junker Meiselzahn, ein Spross einer verarmten kontinentalen Landadelfamilie kümmerte sich um alles, was Landwirtschaft, Pferde und Viehzucht anging. Nicht hatte die beiden, seine werte Frau Mutter und den alten Zausel Meiselzahn, wie er ihn insgeheim nannte, in Verdacht, seit Jahren ein geheimes Verhältnis zu unterhalten, hätte sich aber niemals herausgenommen, sich einmal danach zu erkundigen, warum Meiselzahn Tag für Tag, auch wenn die Freifrau in Weentbehl weilte, im Hauptgebäude des Sommersitzes geradezu residierte. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte Laurentia von Ungefähr, wenn es sich denn wirklich so darstellte, wie der Sohn annahm, dieses Techtelmechtel niemals zugegeben. Aber wie gesagt wollte Nicht dies auch so genau nicht wissen. Die Vorstellung, die beiden einmal zusammen im Bett zu ertappen, trieb ihm jetzt schon die Schamesröte ins Gesicht. Andererseits, warum sollte er seiner armen Mutter ein solches Liebesverhältnis nicht gönnen? In früheren Zeiten hätte man Laurentia wahrscheinlich, nachdem sie ihren Sohn gesund auf die Welt gebracht hatte, gleich darauf lebenslänglich in ein Kloster gesteckt, wo sie es dann jedoch bestimmt recht schnell zur Äbtissin gebracht hätte, wie Nicht schätzte.

    Gerade wollte sich der Detektiv von der Wohnungstüre abwenden, er glaubte inzwischen das Geräusch müsse von unten aus der Schreinerei gekommen sein, von wo immer ein wenig Lärm heraufdrang, da klopfte es erneut und nun war er sicher, dass dieses Klopfen genau vor seiner Nase stattgefunden hatte. ‚Will mich wohl doch jemand auf den Arm nehmen‘, dachte der Jüngling, hielt den Atem an, während seine Hand zur Türklinke griff, diese hektisch herunterdrückte und die Türe dann mit einem Ruck nach innen aufriß.

    Zuerst sah er immer noch niemanden; das Licht, das durch das Fenster auf der Halbetage hereinschien, blendete ihn allerdings derart, dass er im Grunde überhaupt nichts mehr sehen konnte. Da stieß etwas schmerzhaft mit seinem Knie zusammen.

    „Aua", konnte Nicht nicht vermeiden erschrocken laut auszurufen. Endlich bemerkte er die rotbemützten, winzigen Kerle, die vor seine Füße gekullert waren und sich nun unter lasterhaftem Fluchen mühsam aufrappelten. Die Gestalten gingen Nicht gerade einmal bis unters Knie, obwohl er doch selbst nicht besonders groß war, fiel ihm dann auf, als die fünf kleinen Gestalten wieder auf ihren Beinchen standen. Eine von ihnen baute sich nun vor dem Detektiv auf, stemmte die Arme in die Seiten und räusperte sich lauthals.

    „Gestatten, Kringskranx, begann der winzige Kerl, deutete auf seine vier Kameraden und meinte noch, „Krautschuk, Fargraffel, Düsselkrink und Runkelpetz! Haben wir die Ehre mit Freiherrn von Ungefähr?

    Nicht war einen Augenblick lang unfähig zu antworten. Tausend Gedanken schossen ihm in Sekundenbruchteilen durch den Kopf. ‚Waren das nicht diese sagenhaften Screechies', dachte er, ‚die seit einigen Wochen die Theaterwelt in der Metropole in Aufruhr brachten?‘

    Jeder der Gnome hatte sich bei Nennung seines Namens artig verbeugt, was einen überaus drolligen Eindruck machte. Der Reichsverweser Puntigam hatte vor circa einem Monat die Kerlchen nach Weentbehl-Lachapelle aus fernen Landen herbeiholen lassen. Eigentlich glaubte seit Jahrhunderten kein Mensch auf dem Kontinent mehr an die Existenz dieser Wesen, die sich selbst Hurveniks nannten, wie Nicht von Ungefähr glaubte sich zu erinnern, im Anzeiger gelesen zu haben, dessen Feuilletonteil den allerbesten Ruf in der Welt der Künste besaß. Was hatte dort nicht noch gestanden über diese winzigen Schauspieler, deren Aufführungen sich alsbald jedermann, der sich für das Theater interessierte, unbedingt ansehen musste, um weiterhin mitreden zu können? Gut, es hatte selbstverständlich auch böse Verrisse gegeben. Wie könnte es auch anders sein? Wenn Einigkeit in Kritikerkreisen herrschen würde, hätten diese Schmierfinken immerhin ihr Berufsbild vollkommen verfehlt. Was der eine hinreißend, revolutionär und elementar nannte, musste zwangsläufig vom anderen Blatt als grobschlächtig und primitiv dargestellt werden. In seltener Einigkeit jedoch hatte jede Zeitung immerhin über die Vorstellungen berichtet, und diese in den meisten Fällen doch anerkennenswert befunden.

    „Mein Herr …?", ein fragendes Stimmchen erklang vom Dielenboden herauf ans Ohr Nicht von Ungefährs, der immer noch ein unglaublich dämliches Gesicht machte und nur so vor sich hin zu stieren schien. Dann fiel ihm endlich ein, dass er diese Leute, so klein und seltsam sie auch erscheinen mochten, doch jedenfalls hereinbitten sollte. Was machte das denn sonst für einen Eindruck?

    „Treten sie doch näher, meine Herren, meinte also der Detektiv, trat einen halben Schritt beiseite und ließ die vier Wichte im Gänsemarsch an sich vorbeischwadronieren. „Gehen sie nur geradeaus durch, meine Herren!, fügte er schließlich hinzu, schloß die Wohnungstür und tappte den winzigen Schauspielern hinterher, die Füße vorsichtig auf den Boden setzend, um ja keines der Kerlchen zu verletzten. Allerdings hätte sich Nicht von Ungefähr diesbezüglich keine Sorgen machen müssen, verfügen Hurveniks doch über starke, stabile Knochen und eine ausgesprochen robuste Konstitution.

    Als das merkwürdige Trüppchen im Büro angekommen war, meinte Nicht, im Bemühen sich den kleinen Leuten gegenüber genauso zu verhalten, wie allen anderen gegenüber auch: „Machen sie es sich nur bequem, meine Herren! Fühlen sie sich ganz wie zu Hause!"

    Eine Aufforderung, der die Winzlinge auf der Stelle geradezu im Übermaß nachzugehen begannen. So hatte sich der Detektiv dies auch wieder nicht vorgestellt. Zwei der Kerlchen machten es sich auf dem Besuchersessel bequem, die drei anderen hüpften geradewegs auf den Schreibtisch, wobei sich Nicht doch sehr über die Sprungkraft der kurzen Beinchen dieser Wichte wundern musste. Dann packten sie sogleich aus den Taschen ihrer leuchtend grünen Westen, winzige Pfeifchen und Tabakbeutel heraus und bald darauf vernebelten sie den Raum auf eine Weise, dass Nicht kaum mehr die Hand vor Augen erkennen konnte. Kurz nachdem er selbst seine pflichtmäßige Nikotinzufuhr hinter sich gebracht hatte, empfand der Detektiv den Qualm jetzt als äußerst unangenehm. Aber was sollte er machen? ‚Und was war das überhaupt für ein fürchterliches Kraut, das die kleinen Kerle konsumierten? Entsetzlich!‘

    Nicht von Ungefähr brachte es dennoch schließlich fertig, nach einigem Hüsteln die Hurveniks nach ihrem Anliegen zu fragen.

    „Nun, meine Herren, begann der Detektiv und wedelte mit beiden Händen etwas den Nebel vor seinem Gesicht beiseite. „Was kann ich denn für sie tun?

    „Wir ..., begann nun einer der beiden von denjenigen, die auf der Platte des Schreibtisches im Schneidersitz saßen, und ließ eine weitere Dampfwolke aus seinem Mund entweichen. „Wir suchen unseren Kammergarn! Er ist verschwunden, einfach so, futschikato, weg, einfach weg. Als hätte er sich in Luft aufgelöst!

    „Sie suchen also ihren Kammerjäger?" Nicht von Ungefähr wunderte sich in keiner Weise über den Umstand, dass die Kerlchen ihren eigenen Kammerjäger hatten. Vielleicht war das bei herumziehenden Leuten vom Theater durchaus so üblich. Wer konnte schon sagen, in welcher heruntergekommenen Absteige man am nächsten Auftrittsort nächtigen musste? Da wäre jemand dieses Berufsstandes ganz bestimmt von einiger Nützlichkeit, dachte Nicht von Ungefähr. Er hatte ganz im Gegensatz zu vielen seiner einstmaligen Internatskameraden keinerlei Erfahrung von den Verhältnissen, in denen diese Leute lebten. Die meisten seines Standes, die im gleichen Alter wie er waren, hätten wohl eher Bescheid gewusst, da viele von ihnen nicht abgeneigt waren, mit ihren Techtelmechteln mit der einen oder anderen Aktrice zu prahlen. Allerdings waren Berichte dieser Abenteuer in den meisten Fällen blanke Angeberei.

    „Kammergarn, wir suchen unseren Kammergarn", verbesserte jetzt der zweite der Gnome auf dem Schreibtisch den Detektiv.

    „Ja, genau! Mein Adjutant Krautschuk hat recht!, bestätigte jetzt wieder derjenige, der der Anführer der Kerlchen zu sein schien. „Es handelt sich bei besagtem Herrn um unseren Impresario, ohne den unsere Unternehmung unmöglich auszukommen vermag, mein Herr!

    ‚Adjutant, so so, klingt irgendwie ganz schön militärisch‘, dachte Nicht von Ungefähr. „Euer Impresario, äh, ...und der ist also verschwunden?", fragte er dann noch einmal nach.

    „Deine Auffassungskraft erstaunt mich doch schon sehr!", bemerkte nun wieder der, der mit Krautschuk angesprochen worden war.

    „Etwas mehr auf die Umgangsformen achten, Krautschuk!, wies ihn jetzt der andere zurecht. „Wir befürchten, der Dicke wurde entführt, mein Herr!, sprach er dann an Nicht gewandt weiter.

    „Entführt, so so!? Dieser Herr Kammergarn entstammt also einer adligen Familie, trotz des etwas bürgerlich anmutenden Namens?!", unterstellte nun Nicht.

    „Ach Firlefanz, wieso sollte er denn ein Edelmann sein, ich möchte sagen, er ist ganz und gar ein verkappter Gauner!", meinte daraufhin Krautschuk, der etwas vorlaut zu sein schien. Das empfand wohl zumindest der Hurvenik so, der sich als Kringskranx vorgestellt hatte, denn er trat dem anderen nach dieser Rede kräftig gegen das Schienbein.

    „Aua, rief Krautschuk aus. „War doch nicht so gemeint!

    „Ich muß meinem naseweisen Adjutanten insofern recht geben, dass es sich beim Impresario jedenfalls keineswegs um ein Mitglied einer angesehenen Adelsfamilie handelt."

    „Aber wieso hat man ihn dann entführt? Verdient ihr denn so viel, als dass ihr euch die Bezahlung eines Lösegeldes leisten könnt?", fragte nun Nicht von Ungefähr verwirrt und wedelte sich mit dem heutigen Exemplar des Weentbehler Anzeigers Frischluft zu. Die Pfeifchen der kleinen Kerle verbreiteten immer noch einen kollossalen Nebel.

    Es war durchaus auf dem Kontinent, zumindest noch vor ein paar Jahren, Usus gewesen, dann und wann einen aus der Familie des Nachbarländchens einfach mal so für eine Weile zu verschleppen, zu foltern und anderweitig zu massakrieren, wenn man sich dadurch eine gewisse Steigerung der eigenen Einkünfte versprach. Allerdings hatte sich dieser Brauch, seit der Reichsverweser Puntigam über den Kontinent regierte, etwas abgeschwächt. Mittlerweile stand auf ein solches Vorgehen doch tatsächlich zumindest Kerkerhaft.

    „Lösegeld?!, fragte nun ebenso verwirrt Kringskranx zurück. „Von Lösegeld war in dem Schreiben keine Rede gewesen!

    „Die Entführer haben aber schon Forderungen gestellt?"

    „Na ja, gewissermaßen", druckste Kringskranx herum.

    „Könnte ich denn dies Schreiben einmal sehen?"

    „Düsselkrink, gib doch mal den Zettel herüber", wies der Anführer der Hurveniks nun einen seiner Mitstreiter an, die es sich auf dem Besuchersessel bequem gemacht hatten. Mit einem abenteuerlichen Hüpfer sprang der kleine Kerl hinüber auf die Schreibtischplatte, die mindestens zwei Meter entfernt stand, kramte aus dem grünen Wams nun einen winzig klein gefalteten Zettel heraus und legte ihn direkt vor Nicht von Ungefähr. Dieser hatte einige Schwierigkeiten das Ding wieder auseinanderzufalten, glücklicherweise hatte Nicht nicht die schlechte Angewohnheit, an seinen Fingernägeln zu kauen, sonst wäre es ihm wohl niemals gelungen, das Schreiben zu entfalten.

    In einer überaus lesbaren Schrift, die beinahe wirkte, wie von weiblicher Hand dahingeworfen, stand dort in Worten geschrieben, die eine gewisse Grundbildung nicht verleugnen konnten:

    Sehr geehrte Wichte

    Entschuldigt bitte, wenn ich diese vielleicht etwas rüde Anrede gebrauche, doch geschieht dies keineswegs aus Bösartigkeit, sondern aus reiner Unkenntnis. Wir haben euren Impresario in der Hand, möchten allerdings keineswegs, dass ihm irgendeine Art Leid geschähe. So etwas würde uns auch in unseren kühnsten Träumen niemals in den Sinn kommen. Es sei denn, ihr weigertet euch, unsere Forderungen zu erfüllen. Forderungen allerdings, die für so talentierte Mimen, wie euereins, keinerlei größere Probleme darstellen dürften.

    Wir haben ein lebhaftes Interesse daran, dass ihr aufhört, das großstädtische Publikum mit Stücken zu unterhalten, die so ganz und gar unseren eigenen politischen Auffassungen widersprechen. Trotz der Güte eurer Vorstellungen haben wir, nennen wir uns hier einmal 'Interessierte Kreise', Anstoß genommen an der Ausrichtung so mancher der wirklich künstlerisch herausragenden Produktionen. Die Anmut besonders der weiblichen unter euren Akteuren ist wahrhaftig in äußerstem Maße aufwühlend, und so manche Träne habe ich selbst schon vergossen, bei Sätzen wie sie Romero und Julischka vom Autor in den Mund gelegt wurden. Doch stören wir Interessierten Kreise uns doch enorm an der Ausrichtung eurer Interpretation so mancher eurer Aufführungen. Aus dieser Notlage heraus haben wir beschlossen, einzugreifen. Es ist nicht zu dulden, dass die öffentliche Ordnung unterminiert wird, auch wenn immerhin mit erheblichem künstlerischen Anspruch.

    Kommen wir zum Schluss. Es wird euch morgen schon ein Manuskript zugesandt werden, das ein Stück beinhaltet, welches ihr die Ehre haben werdet, zur Uraufführung bringen zu dürfen. Es wurde von einem der unseren verfasst, und kann sich, ohne Übertreibung, durchaus mit den Schriften der größten kontinentalen Dichterfürsten messen lassen, wie ihr bestimmt nach der Lektüre ebenfalls herausfinden werdet.

    Nach der Premiere des Stückes wird euch euer Impresario wohlbehalten und in bester Gesundheit zurückgesandt werden. Dafür gebe ich euch mein Wort, und obwohl ihr mich, den Schreiber dieses Dokuments, nicht kennt, so könnt ihr euch doch auf die Wahrhaftigkeit meiner Worte verlassen, so hege ich wenigstens die Hoffnung.

    In kollegialer Aufrichtigkeit

    Anonymus

    Darunter hatte eine andere Handschrift, wenn man hierbei den überhaupt von Handschrift würde sprechen können, noch hingekritzelt.

    P.S.

    Ihr habt Zeit bis zum zweiundzwanziksten, dann hengen wir den Fettßack auf, der frisst uns sonsst noch die Haare vom Kopp, und das ist unser tödlischster Ärnst!!!!

    P.S P.S

    Nicht die Schandarmerie einschalden, sonst obiges!!!!

    Als Nicht von Ungefähr nun den Kopf von dem Schreiben erhob, hatte sich seine Stirn in tiefe Falten gelegt. Vor ihm standen die vier Hurveniks und blickten ihn hoffnungsvoll aus saphirgrünen Augen an, die in einer Intensität im Halbdunkel seines Büros erstrahlten, dass sie wirkten wie nicht von dieser Welt. Er hatte während des Studiums dieses Erpresserbriefes alles um sich vergessen und stellte jetzt verblüfft fest, dass der Raum so sauber war, wie wohl noch niemals zuvor. Anscheinend hatten die Kerlchen aufgeräumt, wie und wann sie das getan hatten, blieb Nicht ein immerwährendes Rätsel. Jedenfalls erstrahlte der Dielenboden jetzt auf eine Weise, dass man sich in den vorher stumpfen Fichtenbrettern beinahe spiegeln konnte; der Aschenbecher blinkte, das Whiskeyglas stand frisch gespült vor ihm, und sogar das Landschaftsgemälde, eine düstere Darstellung des Nebelgebirges in Öl, wirkte auf einmal wesentlich freundlicher. Ja, sah es jetzt nicht so aus, als ob über dem Berghang zur Linken gerade die Sonne im Begriff war, aufzugehen? In diesem Moment konnte sich der Detektiv durchaus vorstellen, dass an all den überlieferten Geschichten von den fleißigen Heinzelmännchen doch mehr dran sein könnte, als er jemals zuvor vermutet hatte.

    „Äh ..., sagte Nicht von Ungefähr schließlich, als die fünf leuchtenden Augenpaare sich nicht mehr von seinem Gesicht abwenden wollten. Ein bisschen unheimlich wurde ihm langsam aber sicher zumute. „Dann nehmen wir doch einmal an euer, wie nanntet ihr ihn, euer Kümmelgarn ist tatsächlich das Opfer einer Entführung geworden?!

    „Kammergarn, ist sein Name, Euer Lordschaft!", verbesserte ihn jetzt Kringskranx höflich.

    „Kammergarn, ja! Am besten wäre, ich würde mir einmal den Tatort aus der Nähe ansehen. Vielleicht sind noch Spuren der Entführer vorhanden. Möglicherweise haben sie etwas verloren. Ich nehme doch an, das Ganze ist nicht vollkommen gewaltfrei vor sich gegangen?"

    „Wir fanden in seinem Zimmer einiges an Scherben, Blutspritzern und zerschlagenem Mobiliar vor, wenn Ihr das meint?", berichtete jetzt Kringskranx.

    „Haben aber gleich wieder ordentlich aufgeräumt", fügte einer der anderen hinzu, der irgendwie etwas jugendlicher wirkte als die übrigen.

    „Das war anständig, allerdings vielleicht auch nicht besonders klug, stöhnte der Detektiv. Bei dem, was die kleinen Kerle unter Aufräumen verstanden, würde er dort aller Wahrscheinlichkeit nach keinerlei Spur mehr finden, die ihn weiterbringen konnte. Dennoch würde er sich dort einmal umsehen müssen. „Wo ist eure Truppe denn abgestiegen?, fragte Nicht daher jetzt.

    „Im Excelssior, in der Honeymoon Suite!", antwortete Krautschuk mit einigem Stolz.

    „Ihr scheint ja gut zu verdienen, wenn ihr euch das leisten könnt!" Das Excelssior konnte man nur als das erste Haus am Ort bezeichnen. Im Prinzip konnten sich einen längeren Aufenthalt in diesem Etablissement nur die wohlhabendsten Adelsfamilien leisten, dachte der Detektiv. ‚Vielleicht auch noch einige wenige dieser neureichen Manufaktureninhaber!‘

    „Der Impresario meinte, es wäre der beste Ort, um die richtigen Kontakte zu knüpfen. Man sollte ganz genau seinen Feind kennen, nur so könnte man die herrschende Klasse untertunneln!"

    „Untertunneln?"

    „Ich glaube, er sagte unterwandern, Krautschuk, stellte Kringskranx fest und Nicht von Ungefähr wunderte sich doch sehr darüber, wie freizügig sie ihm diese Information zur Verfügung stellten. War er als Mitglied eines der ältesten Adelshäuser nicht ebenso Teil der herrschenden Schicht? „Jedenfalls sind wir durchaus in der Lage, Euren Stundensatz aus unseren eigenen Taschen zu begleichen!

    „Oh, das wollte ich keineswegs bestreiten, beeilte sich Nicht von Ungefähr zu erwidern. „Aber woher wusstet ihr von meinem Stundensatz?

    „Äh ..., Kringskranx wirkte plötzlich ein wenig verlegen und Nicht hatte den Eindruck, die Farbe seiner Wangen begänne sich der seines roten Mützchens anzugleichen. „Ich muss gestehen, wir waren des Nachts schon einmal in diesen Räumlichkeiten. Wir hatten zwar schon vorher Erkundigungen eingezogen, wollten aber ganz sicher gehen, den richtigen Mann für diese Aufgabe gefunden zu haben!

    „Ihr seid also eingebrochen!?" Jetzt fielen Nicht die Krümel neben dem Papierkorb wieder ein.

    „Das wäre dann doch wohl etwas übertrieben ausgedrückt. Für kleinere Leute, wie uns, tun sich oftmals ganz andere Wege auf als diejenigen, die ihr euch vorstellen könnt!"

    „Na aber, das ist ja mal ein Ding, meinte Nicht von Ungefähr leicht verärgert, dann fiel ihm noch etwas Merkwürdigeres an diesem Umstand auf. „Aber warum habt ihr dann nicht hinter euch wieder aufgeräumt?

    „Da war eine Katze!, sagte nun einer der anderen Wichte, er schien einige Jahre mehr auf dem Buckel zu haben, was man an den Ringen unter seinen leuchtend grünen Augen erkennen konnte und hörte auf den seltsamen Namen Düsselkrink. „Wir mögen keine Katzen!, fügte er dann noch ganz ernsthaft hinzu.

    Kurz nachdem die Wichte sich verabschiedet hatten, Nicht von Ungefähr hatte versprochen, baldigst das Excelssior aufzusuchen, er wollte nur nicht zusammen mit seinen merkwürdigen neuen Klienten gesehen werden, hörte der Detektiv ein verzweifelt klingendes Maunzen aus einem der eingebauten Wandschränke, in denen er das Inventar des Vormieters achtlos hineingestopft hatte. Als er diejenige Tür öffnete, hinter welcher er das Tier vermutete, kam ihm nicht nur der Kater von Lerchenbrink, dem Schreiner, entgegengesprungen, sondern auch noch einige der Kisten und Kistchen, in denen er das ganze alte Zeug verstaut hatte. Das arme Tier rannte heraus, war mit einem Satz auf dem Fensterbrett und schien sich in die Tiefe stürzen zu wollen. Nicht wusste jedoch ganz genau, dass es ein Stockwerk unter seinem Büro auf einem erweiterten Fensterbrett sicher landen würde. Nur die Ohren des Katers hatten irgendwie sonderbar gewirkt, jemand schien es tatsächlich fertiggebracht zu haben, dem roten Sascha, wie seine Besitzer ihn getauft hatten, blauglänzende Schleifchen um den Kopf zu binden. Nun, eine solche Untat konnte auch den wildesten und tapfersten Kater tief in seiner Seele verletzen, dachte der Detektiv.

    Das Hotel Excelssior war tatsächlich eines der bestgeführten und teuersten Häuser in der Hauptstadt Weentbehl-Lachapelle, obwohl böse Zungen behaupteten, die Küche ließe einiges zu wünschen übrig. Aber möglicherweise lag dies nur daran, dass der Maître de Cuisine des Hotels auf die Zubereitung von seit längerem sich größter Beliebtheit erfreuenden, ausländischen Spezialitäten zur Gänze verzichtete. Der Inhaber, ein gewisser Julian Rissenbeck, hatte entschieden, sich allein der mittelländischen Küche zu verschreiben. Derlei Auswüchse, wie kalten, alten Schimmelfisch aus dem Norden oder geröstete Heuschrecken, wie man sie dann und wann gerne einmal in der aphalusischen Wüstenei verzehrte, kamen für den alten Hotelier einfach nicht in Frage. Genauso wenig wie er das Mobiliar seines Hauses an unsere modernen Zeiten angepasst hatte. Zwar hat auch hier die zentrale Gasbeleuchtung Einzug gehalten, doch schien das Excelssior weitaus weniger hell zu erstrahlen, wenn die Dunkelheit eintrat, als die übrigen Hotels der Hauptstadt. Rissenbeck, dessen größtes Zugeständnis an die neue Epoche war, dass er begonnen hatte das ‚Von‘ in seinem Namen nicht mehr zu erwähnen, hatte den Eindruck gewonnen, dass allzu viel Licht auf gewisse Aktivitäten seine männliche Kundschaft eher abschreckte. Wer wollte auch schon gern gesehen werden, wenn er einmal kurz mit der Sekretärin der Hausbar im Excelssior einen Besuch abstattete und sich anschließend möglicherweise noch für ein Nickerchen auf eines der Zimmer begab. Es war in Weentbehl ein offenes Geheimnis, dass sich allabendlich in der Lobby auch Damen des ältesten Gewerbes der Welt einfanden. Merkwürdigerweise hatte dadurch der gute Ruf, den Rissenbeck und sein Haus in der Hauptstadt innehatten, keineswegs Schaden genommen.

    Als jetzt Nicht von Ungefähr das Excelssior betrat, war es allerdings gerade erst Mittagszeit. Durch das Atrium der Eingangshalle drang das helle, warme Licht des erwachenden Frühlings. Die riesige Glaskuppel, die dem Gebäude übergestülpt worden war, stellte außer dem Gaslicht die zweite Neuerung dar, die Julian Rissenbeck seinem Haus verordnet hatte. Allerdings wäre er wohl niemals auf die Idee gekommen, solch ein kühnes architektonisches Wagnis in Angriff zu nehmen, wenn sich nicht vor knapp vier Jahren ein Dachstuhlbrand ereignet hätte, der den Unternehmer zwang, in das Gebäude etwas zu investieren. Glücklicherweise war der Hotelier gut versichert gewesen, so dass er ohne Verluste den Schaden hatte ausgleichen können und nun stach sein Haus einige der moderneren Gebäude mit dieser technischen Errungenschaft gewissermaßen aus. Zusätzlich hatte man unter der Kuppel mehrere Palmen in riesigen Töpfen in die Höhe wachsen lassen, die ansonsten hier im eher kühlen Klima des nördlichen Mittellandes niemals hätten überleben können.

    Nicht von Ungefähr hatte des Öfteren schon seine Mutter Laurentia und einige ihrer Freundinnen ins Hotelrestaurant begleitet, daher kannte er das Innenleben des Hauses schon von früheren Besuchen her. Allerdings waren diese Abendessen beinahe jedes Mal in einem Fiasko geendet, da Laurentia von Ungefähr bei jeder Gelegenheit ihren Sohn mit einer der zahlreichen Töchter ihrer Bridgepartnerinnen hatte verkuppeln wollen. Mädchen, die allesamt in keiner Weise Nichts Geschmack entsprachen. Jede einzelne von ihnen zeichnete sich durch vornehme, adlige Blässe aus, und ob sie nun vollschlank oder klapperdürr waren, roch eine jede von ihnen auf seltsame Weise nach sauer gewordener Milch, wie Nicht fand, und dieser Geruch allein war schon abschreckend genug.

    Über die enorme Treppe in der Haupthalle, die sich in der Mitte noch einmal teilte und sich dann nach links, wie nach rechts wand, um schließlich auf einer kreisrunden Empore zu enden, von wo aus dann einige der Suiten für das gehobene Publikum abgingen, fand Nicht schließlich den Weg in den westlichen Flügel, wie dieser Teil des Gebäudes genannt wurde. Dort befanden sich diejenigen Zimmerfluchten, die für wohlhabende Geschäftsleute vorgesehen waren. Nicht hatte sich ohnehin gewundert, dass die kleinen Schauspieler sich Zimmer in diesem Teil des Hauses leisten konnten; zwar waren diese hier weiter hinten zwar keineswegs so horrend teuer wie diejenigen, die direkt vom Atrium abgingen, doch konnten sich einen solchen Luxus im Grunde nur zumindest Halbmillionäre leisten.

    Unten in der Halle hatte ihm der Portier freundlich zugenickt; die Angestellten sahen jedem Menschen auf der Stelle an, ob er von Adel war oder nicht. Leute, die nicht hier in die heiligen Hallen hineinpassten, wurden recht schnell ausgesondert und ohne Aufsehen wieder auf die Straße gesetzt, wusste der Detektiv. Er hatte eine solche Situation einmal beobachten können bei einem der Diners der mütterlichen Bridgegesellschaft. Ganz unauffällig gekleidete Männer nahmen denjenigen zwischen breite Schultern, hakten ihn unter und geleiteten ihn durch die nächste Hintertüre, von denen es einige in dem Hause gab, nach draußen, oder schlimmer noch, in ein Hinterzimmer, wo es dem armen Kerl schlecht erginge, würde man Diebesgut bei ihm finden. Nur der Adel und diejenigen, welche dem neuen Geldadel zugerechnet wurden, wie man die schnell zu Wohlstand gekommenen Fabrikbesitzer zu titulieren pflegte, war willkommen. Der bürgerliche Rest der hauptstädtischen Bevölkerung hatte vor den Türen zu bleiben. Eine Ausnahme bildeten freilich Handwerker, die im Gebäude zu tun hatten, das Personal und die zahlreichen Huren, die sich aber erst so gegen zehn Uhr am Abend einstellten. Bei diesen jedenfalls

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1