Bevor der Brand kam: Geheimnisse unter Bäumen
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Über dieses E-Book
Die Erzählung "Der Feigenbaum" erschien in der Anthologie "Gefährliche Ferien" im Diogenes Verlag.
"Menschengeschichten, die in Schatten der Bäume gehört wurden."
Katharina Salomo, Buchhandlung Shakespeares Enkel
"Hier wird ein unbekanntes Griechenland enthüllt." Sandra Thoms, Buchhandlung Bakerstreet
"Erzählungen, glänzend wie Diamanten." Goodreads
"Hermann Hesse schrieb, dass ›Bäume Heiligtümer sind. Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit‹. Der Berliner Autor Christos Anastasopoulos hat diesem Thema sein neustem Buch gewidmet. So erleben die Hauptpersonen – Frauen, Männer, Kinder – in diesen dreizehn eigenständigen Erzählungen das Spiel des Lebens mit Leib und Seele. Und es spielt dabei überhaupt keine Rolle, ob sie gut oder böse sind, hübsch oder hässlich, stark oder schwach, mutig oder feige, fest entschlossen oder unsicher, Einzelgänger oder Familienoberhaupt, nüchtern oder betrunken, frei oder abhängig. Das, was sie schließlich verbindet, obwohl sie so unterschiedlich sind, ist das Bewusstsein, dass sie im schlimmsten, aber auch im besten Fall nicht allein sind, sondern in dem Universum, das die Bäume in diesen vielen tausenden Millionen Jahren geschaffen haben." Dr. Michaela Prinzinger, Diablog.eu
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Buchvorschau
Bevor der Brand kam - Christos Anastasopoulos
Angela
Lotusbaum
Als er mit sechzehn Jahren nach Griechenland kam, glaubte Iskander, dass er sich in diesem Land mit der großartigen Geschichte, dem Ursprung und Ziel seiner kindlichen Träumereien, sehr schnell einleben würde. Er konnte recht gut Altgriechisch und obgleich er bald feststellte, dass es mit der modernen Sprache nur noch wenig zu tun hatte, begann er auch diese zu lieben.
Um von der Türkei nach Mytilini zu kommen, zahlte er viel Geld. Tausend Euro in der Türkei und noch einmal tausend in Griechenland. Es blieben ihm klägliche zweihundert Euro zum Leben.
Er hatte Glück und lernte, kaum in Athen angekommen, ein paar Landsleute kennen, die ihn bei sich wohnen ließen. Voller Erleichterung nahm er die schützende Wohnung und die wohltuenden Mahlzeiten an. Ihm dämmerte bald, womit seine Retter ihr Geld verdienten, und er vermied es, sich an ihrem Geschäft zu beteiligen. Die Männer stahlen Mopeds und Motorräder, die sie dann weit unter Marktpreis weiterverkauften. Nur einmal, als ihr Drängen zu groß wurde und sie ihm drohten, ihn auf die Straße zu setzen, ging er auf Raubzug. Aber Iskander, von Gewissensbissen und Angst geplagt, war nicht zum Dieb geboren und wurde sofort verhaftet.
Kurz darauf fand er sich, natürlich vollkommen zu Unrecht – davon war er überzeugt – im Jugendgefängnis wieder. Hier, nur ein Stück außerhalb von Athen, sollte er eine dreijährige Strafe ohne Aufschub absitzen. Ein Anwalt hätte vielleicht eine mildere Strafe bewirken können, doch vor Gericht spürte Iskander stärker als je zuvor die Hierarchie in der Welt, und wo ein ausländischer Junge ohne einen Cent in der Tasche sich einzuordnen hatte.
Er hatte von seinem Vater gelernt, dass nicht Geld, sondern drei andere Dinge das Wichtigste im Leben waren: Denken. Warten. Fasten.
Und doch waren die ersten Wochen in Haft für ihn kaum erträglich gewesen. Er teilte eine Zelle mit vier anderen Insassen. Schlafen musste er auf dem Boden, zwischen zwei Doppelbetten, denn auch hier herrschte eine strikte Hierarchie, in der er als Jüngster ganz unten stand. Dass seine Zimmergenossen ausschließlich Landsleute waren, half ihm nicht weiter. Zu sehr unterschied er sich durch seine feinsinnige Art von den anderen und passte gar nicht in diese raue Umgebung. Er war von klein auf friedfertig, geduldig und achtsam gewesen, obwohl er in einem Land aufgewachsen war, in dem der Bürgerkrieg den Alltag bestimmte. Sein Vater war Arzt gewesen. Für ihn hatte die Bildung seines Sohnes immer die oberste Priorität gehabt. Er ermöglichte ihm den Besuch einer angesehenen Oberschule mit humanistischer Bildung, damit er Altgriechisch lernen konnte, wie es von jeher sein Wunsch gewesen war, und so wuchs Iskander mit englischen Büchern über die griechische Geschichte auf, als wäre diese seine eigene Heimat.
Dann wurde sein Vater von Taliban-Kämpfern ermordet und er floh ohne zu zögern, ohne Zeit zu trauern, nach Griechenland. Seine zweite Heimat, wie er glaubte, denn so viele Stunden hatte er in den Sagenwelten der griechischen Mythologie verbracht, sich die von Buchstaben erweckten Götter und Menschen zu treuen Weggefährten und die antiken Säulen von Athen zur Heimat erdacht.
Er war kaum achtzehn, als er nun in der düsteren Zelle saß, kein Buch zur Hand, kein Lehrer und keine Erlebnisse in der Außenwelt, an dem sich seine Sinne erfreuen und sein Geist schärfen konnten. Ihm wurde klar, dass er Ziele brauchte und in diesem Gefängnis zu sitzen genauso wenig zu diesen zählte wie Krieg zu führen. Es dauerte einen langen, quälenden Monat, bis er sich fasste, fokussierte und eine Entscheidung traf. Seine Bildung hatte ihm schon oft geholfen, noch so schreckliche Erlebnisse aus einer Distanz zu betrachten und rationale Entscheidungen zu treffen.
Durch seine versöhnliche Art hob er sich bald von den anderen Insassen ab. Er lernte die Spielregeln zwischen den Gitterstäben schnell und handelte klug und besonnen. Alsbald wurden ihm so Privilegien zuteil. Wegen guter Führung wurde ihm erst Zugang zu den Büros der leitenden Angestellten gestattet, um dort zu putzen und dann später – und das war sein eigentliches Ziel – die Pflege des Gefängnisvorgartens anvertraut, der ihm wie ein magisches Tor hin zur Außenwelt erschien, und die Erlaubnis, hier einige Stunden des Tages in Ruhe verbringen zu dürfen, wie es wenigen Insassen gestattet war, wurde zum höchsten Ziele seiner Bemühungen.
Berauscht von dieser neuen Fügung seines Haftlebens fand er unverhofft Freude an seinem Alltag, der ihm jetzt endlich wieder Neues bieten konnte.
Die Zeit hatte für ihn eine neue Bedeutung gewonnen. Er lebte in einem gemächlichen Rhythmus, nie in Eile, nie in Stillstand. Er sorgte sich nicht mehr, denn er wusste, seine Entlassung war nur eine Frage der Zeit. Man war wohlwollend mit ihm, denn er klagte nie, benutzte nie ein böses Wort und schien offensichtlich fehl am Platz zu sein. Man bot ihm an, die griechische Schule zu besuchen und im Gegenzug seine Haft um sechs Monate zu verkürzen. Für den Wissbegierigen bedeutete das ein doppelten Gewinn. Jeden Morgen ging er in die eigens für das Gefängnis gehaltene Schule und lernte die Sprache. Fünf Stunden am Morgen, dann ging er seinen Pflichten nach, nur um am Abend erneut in seinen Büchern zu versinken, bis sich nach und nach die fremden Laute und Regeln zu Bildern zusammensetzten. Mit der Zeit konnte er verstehen. Und lesen. Und schreiben. Er lächelte wieder. Setze sich Ziele. Träumte.
Eines seiner ersten griechischen Bücher war ein Geschichtsbuch und handelte von den Eroberungen Alexanders des Großen. Er las und träumte und das machte den ganzen Unterschied. Ja, er träumte. Träumte von seiner Entlassung und wie er sein Leben in die Hand nehmen würde. Er würde seinen Landsleuten dabei helfen, Griechisch zu lernen und sich schneller in die Gesellschaft einzuleben, die er neuerdings auch gern die Gesellschaft Alexanders des Großen nannte.
Nachts, wenn alles ruhig war, las er am liebsten. Er hatte inzwischen ein Bett und eine kleine, batteriebetriebene Taschenlampe, die ihm sein Geschichtslehrer geschenkt hatte, der ihm auch bei Bedarf die Batterien austauschte. So las er oft von Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden, die kleine Lampe war sein wertvollster Besitz. Wie dann an einem Morgen der Schein seines Lämpchens vom ersten Tageslicht abgelöst wurde, da er vertieft in Dichtungen des Homer den Schlaf vollends vergessen hatte, erteilte man ihm das Recht, von nun an einige Stunden am Nachmittag in »Freiheit« verbringen zu dürfen.
Befreit von seinen Pflichten als Gärtner traute er sich erstmals, den Gefängnisgarten in seiner Ganzheit zu erspüren. Er lag hinter dem stählernen Eingangstor, vor den Büros der leitenden Angestellten und wurde von den Gefangenen gepflegt. Eine Arbeit, um die sich die jungen Männer