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Die Wasserkinder: Ein Feenmärchen für ein kleines Landkind
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eBook375 Seiten4 Stunden

Die Wasserkinder: Ein Feenmärchen für ein kleines Landkind

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Über dieses E-Book

Der kleine Schornsteinfeger Tom fällt ins Wasser. Alle glauben, dass er ertrunken ist. Doch statt dessen wird er in ein Wasserkind verwandelt und erlebt in der Wasserwelt viele Abenteuer.
Dieses Buch wurde von dem bekannten englischen Kinderbuchautoren Charles Kingsley geschrieben und erschien erstmals im Jahr 1862/63. Bis heute ist das Buch sehr populär und gehört zu den wichtigsten Werken der englischen Kinderliteratur und ist in zahlreichen Auflagen erschienen.
Bei dieser ersten deutschsprachigen und reich illustrierten E-Book-Ausgabe handelt es sich um die ungekürzte und leicht modernisierte Version dieses Kinderbuches, das sowohl eine Satire als auch eine Kritik an den intoleranten Reaktionen damaliger Wissenschaftler auf Darwins Evolutionstheorie ist.
Zahlreiche Anmerkungen und Links auf die Wikipedia erläutern heutzutage nicht mehr bekannte Personen und Begriffe.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum24. Feb. 2013
ISBN9783944309170
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    Buchvorschau

    Die Wasserkinder - Charles Kingsley

    Prätorius

    Erstes Kapitel

    E

    s war einmal ein kleiner Schornsteinfeger mit Namen Thomas, aber man nannte ihn kurzweg Tom. Das ist ein kurzer Name und du hast ihn vielleicht schon gehört; jedenfalls wird es dir keine Mühe bereiten, ihn zu behalten. Tom lebte in einer großen Stadt im nördlichen Teil von England, wo es genug Kamine zum Fegen und genug Geld für ihn zu verdienen gab und wo folglich sein Meister auch viel Geld ausgeben konnte. Tom konnte weder lesen, noch schreiben, was ihm übrigens keine Sorgen machte; auch wusch er sich niemals, weil es kein Wasser in dem Hof gab, wo er wohnte. Er war niemals angehalten worden, ein Gebet herzusagen. Er hatte niemals etwas von Gott oder Christus gehört, ausgenommen in Ausdrücken, die noch nicht dein Ohr erreichten, und es wäre gut gewesen, wenn er sie nie vernommen hätte.

    Den halben Tag weinte er, und während der anderen Hälfte lachte er. Er weinte, wenn er die Schornsteine hinaufklimmen musste, wobei er sich seine armen Knie und Ellenbogen wund rieb, und wenn ihm Ruß in die Augen fiel, was täglich passierte, und wenn ihn sein Meister prügelte, und wenn er nicht satt zu Essen hatte, was sich gleichfalls jeden Tag in der Woche ereignete. Aber er lachte während der zweiten Hälfte des Tages, wenn er mit anderen Buben um kleine Kupfermünzen würfelte oder wenn er »Hüpf-Frosch« über die Pfosten spielte oder wenn er den vorübertrabenden Pferden Steine zwischen die Beine warf, was besondere Kurzweil bereitete, besonders da sich in der Nähe eine Mauer zum Verbergen befand.

    Was das Fegen, den Hunger und die Schläge betraf, so nahm er das alles als der Welt Lauf an, etwa wie den Regen, den Schnee und den Donner; er wandte jenen Unannehmlichkeiten tapfer den Nacken zu, bis sie vorbei waren, wie es auch sein alter Esel in einem Hagelwetter tat; er schüttelte sich einmal und war vergnügter denn je. Tom dachte an die kommende schöne Zeit, wenn er ein Mann und Meister sein, im Bierhaus sitzen würde, mit einem gefüllten Seidel[1] vor sich und der langen Pfeife im Mund, und wenn er um Silbermünzen Karten spielen und feine Kleider aus Samt tragen könnte; wenn er sich einen weißen Bullenbeißer mit einem grauen Ohr halten und seine Jungen in der Rocktasche mit sich herumtragen dürfte, genau so wie ein erwachsener Mensch. Er wollte dann auch Lehrjungen haben, einen, zwei, drei, wenn möglich. Er dachte sich, wie er sie ins Bockshorn jagen, sie stoßen und schlagen wollte, gerade so, wie es sein Meister mit ihm tat; und wie er sie zwingen würde, die Rußsäcke nach Hause zu schleppen, während er auf seinem Esel vor ihnen herritt, mit einer Pfeife im Mund und einer Blume im Knopfloch, wie ein König an der Spitze seines Heeres. Ja, diese guten Zeiten hatten noch zu kommen; aber wenn ihm der Meister einen Schluck Bier übrig ließ, dann war Tom der munterste Knabe in der ganzen Stadt.

    Eines Tages kam ein sauber gekleideter, kleiner Stallknecht in den Hof geritten, wo Tom wohnte. Letzterer hatte sich gerade hinter einer Mauer versteckt, um dem Pferd einen halben Backstein zwischen die Beine zu werfen. Wie es in jener Gegend Sitte ist, gilt es, Fremde zu begrüßen; aber der Stallknecht hatte ihn bemerkt und fragte, ob er wisse, wo Herr Schmutzel, der Schornsteinfeger, wohne. Herr Schmutzel aber war Toms eigener Meister, und dieser verstand sich aufs Geschäft, er zeigte sich stets höflich den Kunden gegenüber, und so legte er den halben Backstein wieder ruhig hinter die Mauer und eilte in den Hof, um die Aufträge entgegenzunehmen.

    Herr Schmutzel sollte auf den Landsitz des Sir John Harthover kommen, weil sein Schornsteinfeger ins Gefängnis geraten sei und die Kamine gefegt werden müssten. Nachdem der Stallknecht das gesagt hatte, ritt er weg und lies Tom keine Zeit zu fragen, warum der Schornsteinfeger im Gefängnis brumme; denn dafür interessierte er sich lebhaft, weil er selber ein- oder zweimal gesessen hatte. Überdies sah der Stallknecht sehr nett und sauber aus in seinen hellgrauen Gamaschen, ebensolcher Jacke und Reithosen, in seiner schneeweißen Halsbinde mit einer schönen Vorstecknadel und mit seinem frischen, runden Gesicht, so dass sich Tom beleidigt und angeekelt fühlte über sein eigenes Aussehen, ihn für einen hochmütigen Kerl hielt, der sich in die Brust warf, weil er schöne Kleider trug, die aber andere Leute bezahlten. Tom begab sich hinter die Mauer, um doch noch den halben Backstein zu holen; indessen führte er sein Vorhaben nicht aus, weil er sich erinnerte, dass der Stallknecht in Geschäftsangelegenheiten gekommen war und, wie die Sachen standen, sich gewissermaßen unter dem Schutz einer Parlamentärflagge befand.

    Sein Meister war so sehr über den neuen Kunden erfreut, dass er vor allem Tom mit einem Stoß zu Boden warf und dann an jenem Abend mehr Bier trank, als er gewöhnlich an zweien zu sich zu nehmen pflegte, um sicher zu sein, recht früh am nächsten Morgen aufzustehen; denn je mehr Kopfweh ein Mensch empfindet, wenn er erwacht, desto größer ist das Verlangen aufzustehen und frische Luft zu schöpfen. Als er dann am nächsten Morgen um vier Uhr aufstand, warf er Tom aufs neue mit einem Stoß zu Boden, um ihn zu lehren – wie früher die Knaben anständiger und gebildeter Familien in öffentlichen Schulen gelehrt wurden –, dass er an diesem Tag ein extra guter Bursche sein müsse, da sie in ein sehr vornehmes Haus gehen würden, und dass es ihnen nur zum Vorteil gereichen könnte, wenn sie sich ihrer Arbeit zur Zufriedenheit entledigten.

    Tom dachte gleichfalls so, und er würde in der Tat sein Bestes in Bezug auf Arbeit und Betragen getan haben, wenn man ihn auch nicht zu Boden gestoßen hätte. Denn von allen Landsitzen der Welt war Harthovers Landsitz – den er niemals gesehen hatte – der wundervollste, und von allen Männern der Welt war Sir John – den er gesehen hatte, weil er ihn, Tom, zweimal ins Gefängnis geschickt hatte – der gefürchteste.

    Das Landgut der Familie Harthover war wirklich sehr bedeutend, selbst für die reiche nördliche Gegend, das Wohngebäude so umfangreich, dass während des Aufstandes gegen die Einführung von Maschinen, dessen sich Tom gerade noch zu erinnern vermochte, der Herzog von Wellington mit zehntausend Soldaten Unterkommen darin fand, wenigstens glaubte dies Tom. Der Park war voll von Rotwild, das Tom für Ungeheuer hielt, und von dem er glaubte, dass es die Gewohnheit hätte, Kinder zu verzehren; die umzäunte Abteilung des Wildparks umfasste verschiedene Meilen waldreichen Landes, in dem Herr Schmutzel zeitweise mit Bergleuten Wilderei beging, bei welcher Gelegenheit Tom dann Fasane zu Gesicht bekam und zu wissen begierig war, wonach sie eigentlich schmecken könnten; ferner befand sich in dem Park ein Teich mit Lachsen, in dem Schmutzel und seine Freunde gern gefischt hätten; aber dann würden sie genötigt gewesen sein, ins kalte Wasser zu waten, und daran fanden sie durchaus keinen Gefallen. Kurz gesagt, Harthover war ein großer Landsitz und Sir John ein alter Herr, vor dem selbst Herr Schmutzel Respekt empfand; denn er konnte ihn nicht nur ins Gefängnis schicken, wenn er es verdiente, was ein- oder zweimal in der Woche vorkam; Sir John besaß nicht nur alles Land rings umher, und zwar meilenweit; er war nicht nur ein munterer, ehrenwerter, vernünftiger Gutsbesitzer, der stets ein Rudel Jagdhunde hielt, und der für seine Nachbarn das tat, was er für Recht hielt, und darauf aus war, das für sich zu erlangen, was er ebenfalls für Recht erachtete, – sondern er wog auch, und das fiel noch schwerer ins Gewicht, volle fünfzehn stone[2] und maß, niemand wusste wie viel Zoll um seine Brust; er hätte in einem ehrlichen Streit selbst einen Herrn Schmutzel durchprügeln können, was nicht vielen Leuten in der Umgegend gelungen wäre, was sich aber, mein lieber kleiner Knabe, nicht für ihn gepasst hätte, wie viele Dinge nicht passend sind, die man entweder gern ausführt oder doch ausführen möchte. So grüßte ihn Herr Schmutzel, wenn er durch die Stadt ritt, und nannte ihn einen »verständigen alten Kumpan« und seine jungen Damen »schöne, langseitige Weibsbilder«, Ausdrücke, die in der nördlichen Gegend als Komplimente anzusehen sind. Außerdem dachte er, dass er dadurch seine Wilddieberei an Sir Johns Fasanen wieder gut machte, woraus du erkennen magst, dass Herr Schmutzel in keiner richtig inspizierten, öffentlichen Staatsschule gewesen ist.

    Jetzt wage ich aber zu sagen, dass du niemals an einem hohen Sommertag morgens um drei Uhr aufgestanden bist. Manche Menschen machen sich so früh heraus, weil sie Lachs fangen wollen, andere, weil sie die Alpen zu ersteigen beabsichtigen, die bei weitem größere Zahl aber, weil sie, wie Tom, dazu gezwungen sind. Aber ich versichere dir, dass drei Uhr an einem hohen Sommermorgen die schönste Zeit ist während der vierundzwanzig Stunden des Tages und der dreihundertfünfundsechzig Tage des Jahres; warum aber nicht ein jeder früh aufsteht, vermag ich nicht zu sagen, ausgenommen, dass alle Langschläfer der Meinung sind, ihre Nerven und ihr körperliches Aussehen zu verderben, indem sie das bei Nacht tun, was sie auch noch den ganzen Tag tun möchten. Tom aber, anstatt um halb acht abends zu einem feinen Essen und um zehn auf einen Ball und von zwölf bis vier Uhr irgendwohin fischen zu gehen, begab sich um sieben Uhr, als sein Meister das Wirtshaus aufsuchte, zu Bett und schlief wie ein Sack; aus diesem Grund war er munter wie ein Hahn – der frühmorgens die Flügel schwingt und seine Hennen weckt – und gerade bereit, aufzustehen, wenn die feinen Herren und Damen im Begriff standen, sich schlafen zu legen.

    Er und sein Meister machten sich also auf den Weg; Schmutzel ritt auf seinem Esel voraus, Tom und seine Fegapparate marschierten hinterdrein. So ging es aus dem Hof die Straße hinauf, an den geschlossenen Fensterläden und dem schläfrigen, gähnenden Schutzmann vorüber. Die Dächer erschienen grau in dem Dämmerlicht des aufziehenden Tages.

    Sie kamen durch ein von Bergleuten bewohntes Dorf, wo noch alles geschlossen und ruhig war, und durch den Schlagbaum, der die Wanderer an das zu entrichtende Chausseegeld mahnt; dann befanden sie sich erst auf dem wirklichen Land und plagten sich auf dem schwarzen, staubigen, zwischen Schlackenmauern sich hinziehenden Weg, auf dem kein anderer Laut hörbar wurde, als das Ächzen und Schlagen der Grubenmaschine im nächsten Feld. Aber bald erweiterte sich derselbe und die Mauern, an denen Gras und Blumen sprossen, die von Tau benetzt waren, rückten weiter auseinander, und anstatt des Geseufzes und des Schlagens der Grubenmaschine hörten sie nun den Gesang der zum Himmel aufsteigenden Lerchen und das Locken des Torfvogels im Schilf, wie er die ganze Nacht gelockt hatte.

    Sonst war alles still; denn die alte Mutter Erde lag noch in tiefem Schlaf und sah, wie viele schöne Personen, so noch anmutiger aus, als im Wachen. Die großen Ulmen in den goldgrünen Wiesen schliefen fest bis in ihre Kronen hinauf und die Kühe schliefen fest unten an ihren Wurzeln. Noch mehr: Die wenigen Wolken, die an dem Himmelsbogen übrig geblieben waren, lagen ebenfalls in tiefem Schlaf, sie fühlten sich so müde, dass sie sich in langen weißen Flocken und Strichen auf die Erde legten, zwischen den Stämmen der Ulmen und auf den Spitzen der Erlen am Fluss sich ausruhten, auf die Sonne wartend, damit sie ihnen ihr Aufstehen zurufe und sie ihren Tagesgeschäften in der klaren, blauen Himmelshöhe nachgingen.

    So schritten sie immer weiter voran. Tom sah sehr verwundert um sich, denn noch niemals war er so weit auf das Land gekommen; er sehnte sich, über eine Wieseneinfriedung zu klettern und Butterblumen zu pflücken, und verlangte nach den Nestern der Vögel in den Hecken zu spähen. Indessen Herr Schmutzel war ein Mann, der seinen Geschäften oblag, und hatte keinen Sinn für dergleichen Zerstreuungen.

    Nach kurzer Wanderung begegneten sie einer armen Irin, die mit einem Bündel auf ihrem Rücken des Weges entlang trippelte. Sie trug einen dunkelroten Rock und ein graues Tuch auf dem Kopf, woraus du sicher entnehmen kannst, dass sie aus Galway kam, dem westlichen Teil ihres Vaterlandes. Sie hatte weder Strümpfe noch Schuhe an den Füßen und hinkte fort, als wäre sie müde und hätte wunde Sohlen. Sonst war sie eine sehr große, schöne Frau mit hellstrahlenden, grauen Augen, und dickes schwarzes Haar hing um ihre Wangen. Sie gefiel Herrn Schmutzel so gut, dass er sie ansprach, sobald er in ihre Nähe kam, und sagte:

    »Das ist ein böser Weg für schöne Füße wie diese. Wollt Ihr aufsteigen, Frauensperson, und hinter mir aufsitzen?«

    Aber vielleicht bewunderte sie den Blick und die Stimme des Herrn Schmutzel nicht, denn sie antwortete rasch:

    »Nein, ich danke Ihnen; ich wünsche lieber mit Ihrem kleinen Burschen hier zu gehen.«

    »Sie mögen tun, wie es Ihnen gefällt«, brummte Schmutzel und begann aufs neue zu rauchen.

    Nun ging sie neben Tom her, plauderte mit ihm und fragte, wo er wohne und was er gelernt habe, und noch viele andere Sachen, so dass Tom dachte, er wäre noch niemals einer so vertraulich sprechenden Frau begegnet. Schließlich fragte sie ihn, ob er auch bete und schien traurig zu sein als er zurückgab, dass er nicht beten gelernt habe.

    Hierauf fragte auch Tom, wo sie wohne, worauf sie sagte, dass es weit fort sei am Meer. Nun fragte er sie aus über das Meer, und sie erzählte ihm, wie es in Winternächten über die Felsen woge und brause, an schönen Sommertagen aber ruhig und glatt liege, so dass dann die Kinder darin badeten und am Ufer spielten, und noch manche andere Sachen erzählte sie ihm, bis Tom Sehnsucht empfand, das Meer zu sehen und gleichfalls in ihm zu baden und zu spielen.

    Südlich kamen sie zu einer Quelle am Fuß eines Hügels, aber nicht zu einer solchen, wie du sie hier siehst, die aus dem Morast kommt und durch weißen Kies fließt, zwischen Heidekraut und wohlriechendem Knabenkraut, und wo der rote Fliegenfänger seine Ernte hält; auch nicht zu einer solchen, wie du sie dort sehen kannst, unter der warmen Sandbank hervorsprudelnd, durch den mit Hecken umrahmten Hohlweg und durch Farnkraut rieselnd und den Sand auf ihrem Grund in kreiselnde Bewegung setzend, Tag und Nacht und das ganze Jahr hindurch; nicht zu einer solchen Quelle kamen sie, wohl aber zu einer richtigen Kalksteinquelle der nördlichen Gegend von England, ähnlich jenen Siziliens und Griechenlands, an welchen, wie sich die alten Heiden einbildeten, die Nymphen saßen und in den heißen Sommertagen sich kühlten, während die Schäfer dahinter durchs Gebüsch nach ihnen guckten. Aus einer niedrigen Felsenhöhle, am Fuß einer Kalksteinklippe, floss, sprudelte und murmelte die starke Quelle, und zwar so klar, dass du nicht sagen könntest, wo das Wasser aufhört und die Luft anfängt, zog dann des Weges entlang zwischen blauen Geranien, goldenen Dotterblumen, wilden Himbeeren und Vogelkirschen mit schneeweißen Blüten.

    Hier hielt Schmutzel an und sah sich um, und Tom sah sich ebenfalls um. Tom war begierig, ob irgendein Geschöpf in der dunklen Höhle lebe und nachts herauskomme, um in den Wiesen herumzuschweifen. Aber Schmutzel kümmerte sich durchaus nicht darum. Ohne ein Wort zu sagen, stieg er von seinem Esel, kletterte über die niedrige Wegmauer, kniete nieder und begann seinen hässlichen Kopf in die Quelle einzutauchen, und – machte sie sehr schmutzig und trübe.

    Tom pflückte Blumen ab, so schnell er nur konnte. Die Irin half und zeigte ihm, wie er sie zusammenbinden müsse, und beide machten einen sehr schönen Strauß. Aber als er bemerkte, dass sich Schmutzel immer noch wusch, stand er still, und zwar ganz erstaunt. Als er dann fertig war und seinen Kopf zu schütteln begann, damit er trockne, sagte er zu ihm:

    »Aber Meister! Ich habe Sie das niemals zuvor tun sehen.«

    »Du wirst es sehr wahrscheinlich auch nie wieder sehen. Ich tat es nicht aus Reinlichkeit, sondern der Kühlung wegen. Ich würde mich schämen, wenn ich mich alle Wochen oder vierzehn Tage zu waschen hätte, wie ein schwarz gewordener Grubenarbeiter.«

    »Ich möchte auch meinen Kopf eintauchen«, sagte der arme, kleine Tom. »Es muss von derselben Wirkung sein, wie unter der Stadtpumpe, und hier ist kein Büttel, der einen fortjagt.«

    »Du kommst weiter«, sagte Schmutzel. »Wozu hast du es nötig, dich zu waschen? Du hast doch die letzte Nacht keine acht halbe Maß Bier getrunken wie ich.«

    »Das ist mir gleich«, erwiderte der unartige Tom, lief zum Quellwasser und fing sein Gesicht zu waschen an.

    Schmutzel war sehr mürrisch, weil die Frau Toms Gesellschaft der seinen vorzog, deshalb überschüttete er ihn mit fürchterlichen Worten, zog ihn von den Knien auf und begann ihn zu prügeln. Aber Tom war an eine solche Behandlung gewöhnt, brachte nur seinen Kopf zwischen Herrn Schmutzels Beinen in Sicherheit und trat mit aller Macht gegen seine Schienbeine.

    »Schämen Sie sich nicht vor sich selber, Thomas Schmutzel?« rief die Irin über die Mauer.

    Schmutzel sah sie an und war darüber bestürzt, dass sie seinen Namen kannte, aber alles, was er antwortete, war: »Nein, und ich habe es bis jetzt noch niemals getan«, dann fuhr er fort, Tom zu prügeln.

    »Das ist leider die Wahrheit; denn wenn sie sich jemals vor sich selber geschämt hätten, so würden Sie schon längst hinüber nach Vendale gegangen sein.«

    »Was wissen Sie über Vendale?« schrie Schmutzel und hörte auf, Tom zu schlagen.

    »Ich kenne Vendale und Sie ebenfalls. Ich weiß zum Beispiel, was sich in der Nacht in Aldermire Copse zutrug; St. Martin werden es zwei Jahre.«

    »Wissen Sie das?« schrie Schmutzel laut; hiermit lies er Tom los, sprang über die Mauer und stellte sich drohend vor die Frau. Tom dachte, dass er im Begriff stände, sie zu schlagen; aber dafür sah sie ihm zu streng und zu grimmig ins Gesicht.

    »Ja, ich war dort«, sagte die Irin ruhig.

    »Sie sind Ihrem Dialekt nach keine Irin«, erwiderte Schmutzel nach vielen groben Worten.

    »Kümmern Sie sich nicht darum, wer ich bin. Ich sah was ich sah; und wenn Sie diesen Buben wieder schlagen, so kann ich sagen, was ich weiß.«

    Schmutzel schien vollständig eingeschüchtert zu sein und bestieg, ohne ein anderes Wort fallen zu lassen, seinen Esel.

    »Halt!« sagte die Irin. »Ich habe noch ein Wort für Euch; denn Ihr beide werdet mich wiedersehen, ehe alles vorüber ist. Diejenigen, die wünschen rein zu sein, werden rein sein, und jene, welche schmutzig bleiben wollen, werden schmutzig bleiben. Denkt daran.«

    Hierauf ging sie fort und verschwand durch eine Art Tor auf der Wiese. Schmutzel stand einen Augenblick still, wie ein Mensch, der betäubt wurde. Dann rannte er ihr nach und schrie laut: »Komm nur zurück!« Aber als er die Wiese betrat, war die Frau nicht mehr zu sehen.

    Hatte sie sich irgendwo versteckt? Es fand sich dort keine Gelegenheit dazu. Aber Schmutzel schaute sich um und Tom ebenfalls, denn sie waren beide gleich verwirrt bei ihrem so plötzlichen Verschwinden. Indessen mochten sie spähen, wohin sie wollten, die Frau war nicht zu entdecken. Schmutzel kehrte bald zurück, und zwar stumm, wie ein Pfosten, war er doch ein wenig in Schrecken versetzt worden; er bestieg seinen Esel, stopfte sich eine Pfeife, begann zu rauchen und ließ Tom in Frieden.

    Sie hatten nun drei Meilen[3] und etwas darüber zurückgelegt, als sie vor Sir Johns Portal kamen. Es war eine mächtige Pforte mit großen eisernen Torflügeln und steinernen Pfosten, und auf einem jeden dieser Pfosten stand eine fürchterliche Fratzenfigur mit schrecklichen Zähnen, Hörnern und Schwänzen, die das Wappenschild bildete, das Sir Johns Vorfahren im Krieg »der Rosen«[4] trugen; und sehr kluge Leute waren es, ein solches Wappenschild zu führen; denn alle ihre Feinde mussten gewiss schon vor Angst vergehen, sobald sie es nur erblickten!

    Schmutzel bewegte den Schellenzug und der Forstaufseher trat heraus, um zu öffnen.

    »Man sagte mir, ich sollte dich erwarten«, begann Letzterer. »Nun wirst du so gut sein, die Hauptallee hinauf zu gehen, aber lasse mich weder Hasen noch Kaninchen bei dir finden, wenn du zurückkommst. Ich werde scharf nachsehen, das sage ich dir.«

    »Aber doch nicht, wenn sich der Braten auf dem Boden des Rußsackes befindet«, entgegnete Schmutzel und lachte über seine eigenen Worte; auch der Forstaufseher lachte und sagte:

    »Wenn man seine Sache auf diese Weise besorgt, dann wird es besser sein, ich gehe mit hinauf zum Schloss.«

    »Ich denke, du wirst gut daran tun. Es ist dein Geschäft nach dem Wild zu sehen, und nicht meines.«

    Der Forstaufseher ging hierauf mit ihm, und zu Toms Verwunderung plauderte er mit Schmutzel den ganzen Weg entlang ganz munter zusammen. Er wusste noch nicht, dass ein Forsthüter ein Wilddieb ist, der von außen eingeschlossen, und ein Wilddieb ein Forstaufseher, der von innen ausgeschlossen ist.

    So gingen sie wohl eine volle Meile durch eine Lindenallee und Tom blickte zitternd durch ihre Stämme nach den Hörnern des in Farnkraut schlafenden Rotwildes. Tom hatte noch niemals so kolossale Bäume gesehen, und als er an ihnen empor schaute, bildete er sich ein, der blaue Himmel liege auf ihren Häuptern. Aber er wurde vollständig durch ein summendes Geräusch verwirrt, das ihnen auf dem ganzen Weg folgte. Seine Verwirrung steigerte sich so sehr, dass er sich endlich Mut fasste und den Forstaufseher fragte, was das zu bedeuten habe. Er sprach sehr höflich zu ihm und nannte ihn Sir, denn er hatte fürchterlichen Respekt vor ihm, was den Forstaufseher weidlich freute, darum erzählte er ihm, dass die emsigen Bienen in den Bäumen das summende Geräusch verursachten.

    »Was sind Bienen?« fragte Tom.

    »Die den Honig bereiten.«

    »Was ist Honig?« fragte Tom.

    »Du hältst dein Maul!« fiel hier Schmutzel ein.

    »Lass doch den Buben«, erwiderte der Forstaufseher. »Er ist ein artiger junger Bursche und wird es gewiss nicht lange bleiben, wenn er unter deinem Kommando verweilt.«

    Schmutzel lachte, denn er

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