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Porterville (Darkside Park) Edition III (Folgen 13-18): Mystery-Serie
Porterville (Darkside Park) Edition III (Folgen 13-18): Mystery-Serie
Porterville (Darkside Park) Edition III (Folgen 13-18): Mystery-Serie
eBook306 Seiten3 Stunden

Porterville (Darkside Park) Edition III (Folgen 13-18): Mystery-Serie

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Über dieses E-Book

Das große Finale! In dieser dritten Edition findest du die letzten sechs Folgen der Mystery-Serie "Porterville" in einem Band: "Die Ausgestoßenen" (Simon X. Rost), "Die Akte Richthofen" (Hendrik Buchna), "Im Garten der Schlangen" (Raimon Weber), "Zeichen des Zerfalls" (John Beckmann), "Der Turm" (Anette Strohmeyer) und "Versuchung" (Raimon Weber).
SpracheDeutsch
HerausgeberIvar Leon Menger
Erscheinungsdatum14. Dez. 2013
ISBN9783942261654
Porterville (Darkside Park) Edition III (Folgen 13-18): Mystery-Serie

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    Buchvorschau

    Porterville (Darkside Park) Edition III (Folgen 13-18) - Raimon Weber

    Menger

    Folge 13

    „Die Ausgestoßenen"

    von Simon X. Rost

    Prolog

    „Wenigstens macht der Taxifahrer keine Probleme, als ich, beim Hilton angekommen, mit einem Dollarschein statt der hiesigen Währung Sucre bezahle. In der imposanten Hotellobby treten, noch bevor ich die Rezeption erreicht habe, zwei Männer in hellen Anzügen auf mich zu. In fließendem Englisch stellen sie sich als Mitarbeiter der Reisebehörde vor, die seitens der amerikanischen Botschaft im Vorfeld über den besonderen Anlass meiner Einreise informiert worden war. Wäre ich nicht so groggy, hätte ich mir sicher die Frage gestellt, wie die beiden mich unter all den anderen Touristen sofort erkannt haben. Schnell wird klar, dass die dauerlächelnden Herren offenbar gewillt sind, mir ab jetzt nicht mehr von der Seite zu weichen. Ihre Einladung zum Essen zwecks Klärung der weiteren Formalitäten lehne ich jedoch höflich mit Verweis auf meinen Erschöpfungszustand und die starken Kopfschmerzen ab. Ich bin jetzt definitiv nicht in der Lage, irgendwelche organisatorischen Gespräche über den Transport von Terrys Sarg zu führen."

    Quelle: Unbekannt

    1

    „Bist du sicher? Ganz sicher, dass es hier weitergeht?"

    Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung. Denke schon."

    Emily blickt skeptisch und auch ein wenig ängstlich an mir vorbei in das Dunkel, das sich keine zwei Schritte jenseits des Lichtkegels der Taschenlampe erstreckt. Der Gang ist schmal und die gemauerten Wände sind mit Moos bewachsen. Das Wasser auf dem Boden reicht uns bis über die Knöchel. Es riecht modrig und von der Betondecke hängen kleine Tropfsteingebilde.

    „Können wir zurückgehen, Jonathan? Bitte!" Sie schmiegt sich an mich und ich spüre die Wärme ihres Körpers, nehme den leichten Geruch von parfümierter Seife wahr, der ihrem Haar entströmt. Sie ist toll. Ich will sie berühren, sie küssen. Hier, jetzt. Aber ich tue es nicht. Ich weiß nicht, wie oft sich uns diese Chance bieten wird. Unsere Klamotten sind nach einer Stunde in diesem unterirdischen Labyrinth völlig verdreckt. Das wird Fragen aufwerfen, Fragen, die vielleicht verhindern, dass wir jemals wieder nach einem Ausgang suchen können.

    Einem Ausgang nach Draußen.

    Ich lasse den Lichtkegel der Taschenlampe wieder auf die verwitterte Karte gleiten, die ich für einen Haufen Kohle in Amy’s Bakery erstanden habe. Doch. Wir sind richtig. Aus dem großen quadratischen Raum, den wir gerade verlassen haben, gibt es nur drei Ausgänge. Wir haben den rechten genommen. Wir sind richtig, auch wenn es hier enger, feuchter und glitschiger ist, als zuvor.

    Ich nicke Emily zuversichtlich zu: „Komm. Es ist nicht mehr weit"

    Sie folgt mir. Als ich die Taschenlampe wieder nach vorne richte, wuselt es. Greybugs flüchten nach allen Seiten vor dem Licht. Aber sie sind das Einzige, was hier unten zu leben scheint. Das dumpfe Grollen, das wir am Vortag aus dem Schacht in Amy’s Bakery gehört haben, ist bislang nicht zu vernehmen gewesen. Auch sonst haben wir niemanden hier unten gesehen, die Gänge sind bis auf die Greybugs verwaist. Vor uns ist ein Teil der Decke eingestürzt. Am Boden hat sich ein kleiner Schuttkegel gebildet. Als ich ihn erklimme und mich umdrehe, um Emily die Hand zu reichen, durchfährt es mich eiskalt.

    Sie ist weg. Emily ist weg!

    Vor einer Sekunde war sie noch hinter mir!

    „Emily?, hauche ich erst leise und dann, als keine Antwort kommt, rufe ich laut: „Emiiiilyyyy?

    Wieder nichts. Mein Herz schlägt schneller. Ich schlucke, stolpere den kleinen Schutthügel herunter und gehe ein Stück zurück, leuchte in den Gang, aus dem wir gekommen sind. Sie ist nicht da!

    „EMIIIILLYYYY!"

    Mein Schrei verhallt. Plötzlich schießt etwas aus einer dunklen Nische links von mir, packt mich und reißt mich herum. Mein Herz setzt für einen Moment aus. Ich hebe die Taschenlampe, will zuschlagen, mich losreißen, da spüre ich feuchte Lippen auf den meinen. Und dann höre ich ihr Lachen.

    „Na, du großer Held? Hast du dich vielleicht erschreckt?" Sie lacht und das Geräusch klingt herrlich fröhlich in dieser trostlosen unterirdischen Dunkelheit. Mein Herz schlägt immer noch wie ein Dampfhammer, ich drücke sie an mich.

    „Du Biest! Na, warte, das wirst du mir büßen ..."

    Ich küsse sie. Lange. Sie öffnet ihren Mund, unsere Zungen umspielen sich.

    „Oh, so büße ich aber gerne ..." sagt sie und dann küssen wir uns. Leidenschaftlich. Sie schmiegt sich an mich, ich spüre jede Kontur ihres Körpers. Meine lederne Umhängetasche gleitet zu Boden. Emily muss bemerken, wie erregt ich bin, aber es ist mir nicht peinlich. Bei ihr ist mir nichts peinlich. Und sie sträubt sich nicht. Im Gegenteil. Sie drückt sich mit der Hüfte fest an mich, als es plötzlich da ist.

    Das Geräusch.

    Das dunkle Grollen.

    2

    Wir stehen wie versteinert da. Die aufgeheizte Stimmung, die Leidenschaft, alles ist mit einem Mal verflogen. „Hast du das gehört?, haucht sie. Ich nicke, ziehe sie langsam ein Stück in Richtung Schuttkegel. „Was war das?, fragt Emily, aber ich lege den Finger an die Lippen, bedeute ihr, leise zu sein. Wir lauschen.

    Da ist es wieder. Und es klingt näher.

    Man hört Schritte im flachen Wasser. Da kommt etwas auf uns zu.

    „Komm!", schreie ich, ziehe Emily hinter mir her, stürme auf den Schuttkegel zu. Wir hasten ihn hinauf. Folgt es uns? Ist es immer noch hinter uns her? Im Rennen werfe ich kurz einen Blick über die Schulter. Etwas ist da. Etwas Bleiches, Helles.

    Wir lassen den Schutthügel hinter uns, das Wasser spritzt zur Seite, während wir vorwärts hasten. Irgendwo da vorne muss der Ausgang sein, wenn die Karte stimmt. Irgendwo da vorne geht es nach Draußen. Wir schrammen mit den Schultern gegen die engen Wände. Das dumpfe Grollen hinter uns wird lauter. Das bleiche Ding kommt näher. Der Gang zweigt nach links ab, dann wieder nach rechts. Das Etwas folgt uns noch immer.

    Emily keucht heftig, hält sich an mir fest, um mich nicht zu verlieren. Ich wechsle die Taschenlampe in die andere Hand, fummele in der Umhängetasche nach dem Revolver aus der Sammlung meines Großvaters, den ich heimlich eingesteckt habe. Hoffentlich funktioniert das Ding.

    Ich werde ihn benutzen, wenn es nötig ist.

    Nach der nächsten Ecke muss der Ausgang kommen, wenn die Karte stimmt. Das Geräusch hinter uns wird lauter. Ich blicke kurz über die Schulter, als wir um die Ecke biegen. Es ist ein Mensch, der uns folgt. Oder zumindest so etwas Ähnliches. Er ist bleich, groß und unglaublich mager.

    Und er ist schnell.

    „Jonathan! Jonathan!", schreit Emily atemlos. Sie deutet hektisch auf den Weg vor uns. Ich blicke nach vorne und meine Kehle schnürt sich zu. Das ist nichts. Kein Ausgang. Nur eine Wand.

    Eine Sackgasse. Das Ende.

    Ich reiße den Revolver hoch und feuere, zwei, drei Mal nach hinten, ohne wirklich hinzusehen. Das Ding kreischt auf, ein schriller Schrei voller Zorn.

    „Du hast getroffen! Du hast ihn getroffen, Jonathan!"

    Es zuckt zurück. Kurz verschwindet das bleiche Leuchten in der Dunkelheit. Aber man hört das Geräusch noch. Es ist noch da. Er ist noch da. Emily zittert.

    Dann geht die Taschenlampe aus. Einfach so. Ohne ein einziges Mal zu flackern.

    Einfach aus. Emily stöhnt erschrocken auf. „Jonathan", flüstert sie. Ihre Stimme ist brüchig.

    Das Leuchten in der Dunkelheit ist deutlich zu sehen.

    Der bleiche Mann kommt näher. Ich habe irgendwo in der Tasche noch eine zweite Lampe, ich krame hektisch danach, aber ich wage es nicht, die Augen von dem bleichen Mann zu lassen. Ich nehme den Revolver hoch, drücke noch mal ab. Und noch mal. Der Schüsse hallen von den Wänden zurück, der Lärm ist unbeschreiblich.

    Das bleiche Ding zuckt zusammen. Aber es kommt weiter auf uns zu.

    Gleich wird es bei uns sein.

    Ich schieße noch mal. Das Ding macht ein paar Schritte rückwärts. Als ich noch mal abdrücke, gibt der Revolver nur noch ein Klicken von sich.

    „Scheiße! Scheißescheißescheiße!"

    Der bleiche Mann hält inne. Dann kommt er wieder näher.

    „Jonathan! Da!" Emily deutet nach oben. Über uns sieht man einen matten Lichtschein. Da ist ein Loch. Ein quadratisches Loch in der Decke, und von irgendwo scheint Licht einzufallen.

    „Schnell! Hoch mit dir!"

    Emily hält sich an meiner Schulter fest, stemmt einen Fuß auf meinen Oberschenkel, den anderen gegen die Wand. Sie schiebt sich nach oben, zieht sich hoch. „Hier ist Licht!, schreit sie. „Da geht es raus! Komm! Komm!

    Der bleiche Mann kommt auf mich zu. Schnell. Ich stecke den Revolver ein, stemme mich hoch. Emily streckt mir ihre Hand entgegen und ich packe sie.

    „Mach, Jonathan, MACH SCHNELLER!"

    Der bleiche Mann rennt jetzt auf mich zu. Er wird gleich bei mir sein. Das Herz schlägt knapp unter meinem Kinn. Ich schlage mir Ellbogen und Knie an, drücke mich verzweifelt nach oben, als eine bleiche Hand mit langen, sehnigen Fingern meinen Fuß packt und an mir zerrt.

    „Nein! Lass mich! Lass mich!", schreie ich, Emily schreit auch, sie zerrt an meinen Armen, das Ding an meinem Fuß. Es röchelt bösartig, es will mich beißen, ich weiß es. Mit der Kraft der Verzweiflung trete ich mit dem freien Fuß nach unten, und treffe das Ding. Es kreischt schrill, lässt mich für einen Augenblick los und ich katapultiere mich nach oben, Emily reißt mich förmlich auf die Füße und wir stürzen auf die dünnen Schlitze zu, aus denen Tageslicht auf uns fällt. Holzbretter, Lichtschlitze dazwischen. Ich werfe mich mit aller Kraft dagegen.

    Es knirscht und ein höllischer Schmerz fährt in meine Schulter. Wir werfen uns zusammen dagegen. Das morsche Holz bricht.

    Und das gleißende Sonnenlicht explodiert in meinem Kopf.

    Wir sind Draußen.

    3

    „Weg, weg hier!", schreit Emily, immer noch voller Panik.

    Noch geblendet vom Sonnenlicht rappeln wir uns auf und stolpern vorwärts. Alles ist grün und hell und ich bekomme langsam wieder Luft. Luft! Wir rennen über eine hohe Wiese und dann sind da Büsche und schließlich dicke Baumstämme, der Wald. Ich kann nicht mehr. Ich bleibe keuchend stehen, blicke mich um, sehe in der Ferne das Loch, aus dem wir gekrochen sind. Ein mit Brettern vernagelter, alter Abwasserkanal in einer mächtigen Mauer.

    Die Stadtmauer. Für einen kurzen Moment glaube ich, noch ein bleiches Schimmern neben den geborstenen Brettern zu sehen, doch dann ist es weg. Niemand folgt uns.

    Wir sind allein. Und wir sind draußen.

    „Warte! Emily!", rufe ich ihr zu. Sie ist ein paar Schritte weiter gerannt. Jetzt bleibt sie stehen und kommt zurück.

    „Es ist weg!, sage ich. „Wir haben es geschafft!

    Sie sieht mich mit großen Augen an, keucht, stützt die Hände auf den Oberschenkeln ab. Dann geht auch ihr Blick zur Mauer. Sie schüttelt fassungslos den Kopf. Das graue Bollwerk wirkt von dieser Seite gigantisch, es umspannt die ganze Stadt. Emilys Blick geht nach oben, ihre Augen weiten sich in Unglauben. Der Himmel über uns ist nicht einfach blau, er ist von einer so durchdringend schönen Farbe, wie man ihn in der Stadt, unter der Kuppel noch nie gesehen hat. Die Luft riecht klar und frisch und ist voller verheißungsvoller Düfte. Es ist warm und freundlich hier draußen und das viele Grün ist wie eine Überdosis von etwas Echtem, das man nur als schwachen Abklatsch kennt. Tausend Geräusche dringen zu uns, gedämpft und doch klar, ein Zirpen, ein Rascheln, der Wind in den Blättern, irgendwo hört man Vogelstimmen. Es ist, als wären ganz plötzlich alle Sinne geschärft und ein grauer Schleier über Augen, Ohren, Nase und Herz wären von einem abgefallen. Minutenlang bleiben wir einfach stehen und lauschen und sehen uns um. Ich blicke in Emilys Augen und sehe, dass es ihr genauso geht. Sie fällt mir um den Hals. Wir küssen uns. Eine Träne läuft über ihre Wange, sie wischt sie weg und muss gleichzeitig lachen.

    „Was ist?, frage ich. „Was ist so komisch?

    Sie lacht und kriegt sich kaum ein. „Nichts, es ist nur ... weißt du, was sie uns in der Schule immer gesagt haben? Das alles im Draußen Schmerz ist? Das ein Mensch keine fünf Minuten überleben kann?"

    Sie lacht. Und ich muss auch lachen. Es fühlt sich nicht an wie Schmerz. Es fühlt sich gut an.

    „Sir, da ist was! Da drüben im Wald!"

    Die Stimme lässt uns zusammenfahren. Sie kommt von einem Mann in einem sandfarbenen IFIS-Overall. Er hat einen Flammenwerfer auf dem Rücken und steht etwa dreißig Schritte entfernt von uns, halb verdeckt von Büschen und Bäumen. Da steht eine ganze Gruppe von IFIS-Männern auf einer schmalen Straße, es ist mehr eine steinige Piste, zwischen den Bäumen. Alle haben Motorsensen, Flammenwerfer oder Motorsägen in der Hand. Sie scheinen eine Ausfallstraße aus der Stadt zu roden. Ein anderer Mann mit schwarzem Barett auf dem Kopf kommt auf den Typ mit dem Flammenwerfer zu.

    „Was soll da sein, Hughes?", fragt er und blickt in unsere Richtung. Für einen kurzen Moment treffen sich unsere Blicke.

    „Da! Sehen Sie, Sir?"

    Emily und ich bleiben geschockt stehen. Man hat uns entdeckt. Der IFIS-Mann mit dem Barett zückt eine Waffe. „Stehenbleiben!", brüllt er und kommt auf uns zu.

    Ich bin wie versteinert, aber Emily ist hellwach. Sie packt mich an der Hand und zieht mich hinter sich her. „Los, weg hier!" zischt sie und dann rennen wir wieder.

    Es geht bergab, Äste peitschen an uns vorbei, hinter uns sind Stimmen und Schritte, lautes Geschrei. Ein Schuss schlägt dicht neben uns in einen Baum, zerfetzte Rinde spritzt zur Seite. Wir folgen einem Trampelpfad durch dichtes Unterholz, Büsche mit länglichen roten Früchten nehmen uns die Sicht, aber Emily drückt die Zweige zur Seite und schlängelt sich durch die Büsche, als würde sie den Weg kennen. Dann wird der Untergrund steinig, wir sind an einem Bachlauf angekommen, hasten über flache Steine im Wasser auf die andere Uferseite. An einem großen Felsen bleiben wir stehen, ducken uns.

    Ich atme heftig, Emily legt den Finger an die Lippen. Wir lauschen.

    Nichts. Vereinzelt das Knacken von Ästen. Vogelgezwitscher.

    Aber keine Stimmen. Keine Schüsse.

    „Warten die, dass wir rauskommen?" Emily sieht mich mit angstgeweiteten Augen an.

    Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber ich würde nicht hier bleiben. Lass uns lieber noch etwas weiter."

    „Weiter wohin?"

    Ich habe keine Ahnung, nehme sie an der Hand und wir folgen einfach dem Bachlauf bergab. Wortlos. Nach einer halben Stunde weitet sich das Dickicht und der Bachlauf mündet in einen großen See, der komplett von Wald eingefasst ist. Hübsche weiße Blüten schwimmen auf dem Wasser. Schwärme von irgendwelchen schwarzen Vögeln ziehen über der spiegelglatt daliegenden Wasseroberfläche ihre Kreise. Ihr kehliges Krächzen füllt die Stille, die ansonsten an diesem Ort herrscht.

    Wir machen eine Pause. Emily lässt sich am sandigen Ufer des Sees nieder, legt sich hin, atmet tief durch. Wir sind völlig fertig. Aber nachdem wir ein paar Minuten durchgeatmet haben, bin ich überzeugt davon, dass uns niemand gefolgt ist.

    Ich krame in der Umhängetasche, und fördere eine Packung Kekse und eine Flasche Wasser zutage, die ich die ganze Zeit mitgeschleppt habe. Gierig stürzen wir uns darauf. Emilys sorgenvoller Blick geht zu den Baumwipfeln hinter uns.

    „Ich sehe die Stadt nicht mehr. Nicht mal den Sato-Tower."

    Ich nicke. „Wir sind weit weg."

    Emily schüttelt den Kopf. „Was machen wir jetzt? Wir werden Riesenärger bekommen! Es ist schon Nachmittag. Mrs. Gratschow wird mich fertigmachen! Und wie sollen wir überhaupt zurück in die Stadt? Ich geh nie wieder in dieses dunkle Loch mit diesem ... Etwas!"

    „Das musst du auch nicht", sage ich.

    Emily sieht mich verwirrt an. „Warum nicht? Wie willst du zurückkommen?"

    „Wir werden einfach an die Tür klopfen. Wir gehen zum Tor und klopfen einfach an."

    Emily schüttelt verständnislos den Kopf. „Ja, und dann? Mrs. Gratschow wird mir den Kopf abreißen und ich denke, deine Großmutter wird auch nicht begeistert sein."

    Ich nicke. „Gut möglich. Aber ... verstehst du nicht, wie wichtig das ist, was wir hier gerade erleben? Was wir gerade herausfinden?"

    Ich mache eine ausladende Bewegung mit den Armen, die den See, die Bäume, den ganzen Wald um uns einschließt. „Das hier! Es ist nicht so, wie mein Großvater und seine Leute glauben! Es ist nicht feindlich! Es ist nicht Schmerz oder was sie uns eingetrichtert haben! Es ist gut! Diese Früchte dort drüben, siehst du die?"

    Ich deute auf einen Baum, von dem violette Früchte von der Größe eines Footballs hängen. Emily nickt. „Ja. Ich hab sie im Sato-Tower gesehen, als ich dich zum ersten Mal besucht habe. Deine Großmutter hat gesagt, das wären Züchtungen deines Großvaters."

    Wieder nicke ich eifrig. „Ja, und es stimmt nicht. Sie wachsen hier, siehst du? Hier draußen! Und diese Typen, die uns verfolgt haben, sahen auch nicht aus, als würden sie Schmerzen haben, oder?"

    Emily blickt zu Boden. „Nein. Das stimmt. Du meinst –"

    „Ich meine, das ist alles Schwachsinn!" unterbreche ich sie. „Die Mauer und dieses Tod-und-Verderbens-Zeug und alles. Hier draußen ist es cool! Vielleicht müsste kein Mensch in Porterville dieses ekelhafte Supreme essen, verstehst du? Vielleicht gibt es hier draußen genug für alle. Überleg mal: Bauernhöfe, wie in diesen alten Filmen! Eine Hütte und etwas Land für jeden und genug zu essen! Wir müssen es ihnen sagen! Wir klopfen einfach ans Tor und gehen zu meinem Großvater. Ich muss mit ihm reden!"

    Emily sieht mich nachdenklich an. „Was, wenn er es längst weiß?"

    Ich blinzle. „Wie meinst du das?"

    „Na, ja. Wenn er weiß, dass es hier draußen nicht tödlich ist und es eigentlich genug Platz und zu essen für alle gäbe. Aber er will nicht, dass es jemand erfährt?"

    Ich blinzle erneut. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ja, was wenn er es tatsächlich weiß? Was, wenn er es die ganze Zeit gewusst hat? Bevor ich etwas antworten kann, steht Emily plötzlich auf. Sie knöpft ihre völlig verdreckte Bluse auf.

    „Was machst du da?", frage ich und starre sie dabei entgeistert an.

    „Wenn wir schon Ärger bekommen, dann soll es sich auch lohnen, oder?", sagt sie grinsend, dann streift sie ihren BH ab, schlüpft rasch aus ihrer Hose und dem Slip.

    Sie ist nackt. Komplett nackt steht sie vor mir.

    Die tiefe Nachmittagssonne lässt den See in einem hellen Kupferton schimmern, als Emily jubelnd und lachend ins Wasser rennt.

    Ich brauche keine zweite Einladung.

    4

    Emily bäumt sich auf. Sie wirft die Haare zurück, schließt die Augen und stemmt sich mir ein letztes Mal entgegen. Der Sand reibt an meinem Rücken. Sie sitzt rittlings auf mir. Sie spürt mich. Ich spüre sie.

    Alles ist gut.

    Für eine endlose, ewige Sekunde verharren wir so. Das Licht der untergehenden Sonne spielt in ihren Haaren. Emily seufzt tief, dann öffnet sie die strahlenden Augen und lächelt mich an. Sie beugt sich vor, küsst mich. Ihre Brustwarzen streifen meine Haut. Dann sinkt sie neben mir in den Sand, legt ihren Kopf auf meine Brust. „Das ist es also. Das wollten sie uns vorenthalten, flüstert sie. „Warum nur. Warum?

    Ich schüttle den Kopf, lächle. „Ich habe keine Ahnung."

    Ein Windhauch fährt über unsere schweißnassen Körper. Es wird kühl.

    Wir ziehen uns an, sammeln etwas Holz auf und entfachen ein Feuer. Die Kekse und die Wasserflasche sind längst leer, aber wir pflücken einige der violetten Früchte und trinken das Wasser aus dem Bach. Das Wasser ist köstlich. Die Früchte sind fantastisch. Alles ist gut.

    Wir lachen viel. Fühlen uns stark und cool, weil es stark und cool ist, dass wir hier draußen sind, allein, und tun, was wir tun. Es wird dunkel und wir liegen zusammen beim Feuer und lieben uns wieder. Es ist nicht so, dass einer damit anfängt und der andere sich dann darauf einlässt. Es geht von uns beiden aus, passiert von ganz allein, immer wieder, seit ich ihr, ebenso nackt wie sie, in den See gefolgt bin. Es ist, als hätten wir plötzlich eine neue Fertigkeit, ein angeborenes Talent an uns entdeckt und müssten uns ständig versichern, dass es noch da ist. Und es ist nicht nur der Sex. Ich liebe Emily. Das wird mir fast schmerzhaft an diesem Lagerfeuer, weit weg von allen anderen Menschen, weit weg von Porterville und dem Sato-Tower und allem anderen, bewusst.

    Ich streife ihre Bluse zur Seite,

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