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China tickt anders: Jahre einer intensiven Begegnung
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eBook356 Seiten3 Stunden

China tickt anders: Jahre einer intensiven Begegnung

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Über dieses E-Book

Der Autor kann aus dem Vollen schöpfen, denn jahrelang war er in China ansässig und für einen Verlag tätig.
In bunten Bildern schildert er seine Beobachtungen und lässt den Leser an der rasanten Entwicklung des Landes und seiner Menschen teilhaben. Alltägliches und Skurriles bilden ein brodelndes Potpourri der chinesischen Gesellschaft in heutiger Zeit.
Ob´s um alte chinesische Medizin mit seltsam anmutenden Ingredienzen geht, Regenwürmer gegen Asthma beispielsweise, um linguistische Fallstricke oder um ein seltsames aus Deutschland importiertes "Weihnachten" - immer bringt der Autor den Leser zum Schmunzeln.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum19. Jan. 2016
ISBN9783860402603
China tickt anders: Jahre einer intensiven Begegnung

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    Buchvorschau

    China tickt anders - Atze Schmidt

    www.reisetops.com

    Inhaltsverzeichnis

    Inhaltsverzeichnis

    Vorweg

    Irriges und Albernes von Journalisten und Touristen

    Reisen und Nationale Minderheiten

    Reisen in China – ein Abenteuer

    Guangxi: Entwicklungseuphorie und die Not der Bauern

    Guizhou: Wo der Glaube an Geister die Natur schützte

    An den Rändern des Reiches

    Fujian: Kleine Provinz – großes Naturwunder

    Das Rätsel der Höhlen von Guyaju

    Eine „deutsche" Stadt am Gelben Meer

    Die Große Mauer

    „Einzigartiges Denkmal des Fleißes und der Narretei"

    Die Große Mauer, wie wenige sie kennen

    Essen und Trinken

    Besoffener Reis und eingelegte Heuschrecken

    Prost mit grünem Gurkenbier

    Viel Busen – viel Bier

    Religion und Aberglaube

    Götter, Götzen und die Geister der Ahnen

    Weihnachten – ein Kuriosum

    120 neue Heilige und der Ungeist der Vergangenheit

    Ventilator am Unterbauch

    Die Farbe Rot und der Aberglaube

    Politik und Korruption

    Alle Jahre wieder: Anti-Korruptions-Kampagne

    April, Mai, Juni 1989 ...

    ... und die Monate danach

    Abschied vom Schwarzen Geldmarkt

    Umgang mit Aids und Sars – verheerende Folgen

    Zurückgeblättert: Hab Mao im Herzen, die Rote Sonne

    Mao auf den Kopf gestiegen

    Chinas langer Weg zum Umweltschutz

    Schrift und Sprache

    Zypressenwald und Tugendland

    Ein schwerer Fauxpas

    Marx und Murks

    Bedrohliches und Bizarres

    Räuberische Erpressung nach dem Abendessen

    Eheschließung und Hochzeitsreise auf Chinesisch

    Regenwürmer gegen Asthma und anderer Hokuspokus

    Alltag und Freizeit

    Düstere Staatsläden, bunte Freimärkte

    Ein Hai im Meer der fetten Fische

    Pausensport und Morgentanz

    Der „Yuan" im Yuanmingyuan

    Sex-Museum zeigt Erotisches von zart bis deftig

    Zufallsbegegnungen, Freunde, Studenten

    Ein paar unter 1,4 Milliarden

    Außer Quark alles okay

    „Dann kauf ich ein Messer und bringe mich um"

    Von Shakespeare blieb nur der Titel

    In China-Briefen nachgelesen

    Aus meiner China-Bibliothek

    Glossar

    Abb. 1, Statue im Konfuziuswald, Qufu

    Vorweg

    ZU MEINEM JOB IN CHINA KAM ICH,

    … wegen meiner großen Vorliebe für Wochenmärkte und einer ebenso ausgeprägten für kühles Bier im Freien.

    Der erste warme, sonnige Junitag des Jahres 1987: Meine Frau und ich sind auf den Wochenmarkt im benachbarten Holland gefahren und haben uns nach erfolgreichem Einkauf auf ein Bier vor eine der Kneipen gehockt, wo auf dem Bürgersteig ein paar Tische und Stühle stehen. Eine Frau, die einen Sportkinderwagen vor sich herschiebt, kommt näher, zögert, bleibt stehen. „Hallo, Herr Schmidt, sagt sie, „lange nicht gesehen. Ich schaue sie an, und erinnere mich: Eine Kollegin, die ich als freie Mitarbeiterin bei der Tageszeitung kennengelernt, aber schon länger nicht mehr getroffen habe. Sie erzählt, dass sie eigentlich jetzt in China sein sollte. Es war alles bereits geregelt, da stellte sich bei der obligatorischen gesundheitlichen Untersuchung überraschenderweise heraus, dass sie schwanger war. Sie hatte absagen müssen. „Sie sind doch so ein Rumtreiber, meint sie, „das wär’ doch was für Sie. Der Kollege, der jetzt in Peking ist, kommt Ende des Jahres zurück. Rufen Sie doch mal seinen Vater an, der kann Ihnen mehr sagen.

    Aus diesem Zufall wurden siebzehn Jahre China, 17 Jahre eines unglaublichen Wandels und einschneidender Veränderungen. Die Reform- und Öffnungspolitik hatte, als wir ins Land kamen, zwar schon gut acht Jahre Zeit gehabt, ihre Spuren zu hinterlassen, doch die Auswirkungen auf das öffentliche Leben waren nicht überwältigend. Gut, man sah keine Schlangen mehr vor den Staatsläden (ein typisches Symptom kommunistischer Mangelwirtschaft, wovon auch meine Kollegen zu berichten wussten), aber das Leben in den Straßen Pekings war doch noch sehr geprägt von der alten Ordnung. Davon zeugten alleine schon die vorherrschenden Farben Grün und Blau der uniformen Bekleidung vieler Menschen.

    Auffällig und sicher ein riesiger Unterschied zu vorher waren jedoch die Aktivitäten einer ungeheuer großen Anzahl von irgendwie geschäftlich Tätigen, und das auf eigene Rechnung: Süßkartoffelverkäufer mit ihren Ölfass-Öfen, Wassereisverkäufer mit ihren kleinen handgezimmerten, mit einer Steppdecke ausgekleideten Holzkastenwagen, Fahrradflicker, Schuster mit ihren tragbaren Nähmaschinen, Wassermelonenverkäufer mit ihren Ständen aus grünen Zeltplanen, unter denen sie während der Saison auch übernachteten – im heutigen Stadtbild von Peking unvorstellbar – Kleiderhändler, Garküchen, einfach so am Straßenrand, wo man auf bodennahen Klappstühlchen eine Schale Nudeln verspeisen konnte, Bauern, die in großen glasierten Keramikgefäßen auf Handkarren eingelegtes Sauergemüse anboten.

    Vieles fand an oder gar auf der Straße statt, denn da war Platz genug. Der Verkehr bestand zu mehr als 70 Prozent aus Fahrrädern, die restlichen 30 machten die öffentlichen Busse aus, ergänzt durch „offizielle" Autos, also Wagen im Besitz einer staatlichen Einheit. Abends und nachts waren die Straßen so gut wie leer – heute gibt es in Peking beinahe rund um die Uhr irgendwo einen Verkehrsstau.

    Zunächst war das Tempo der Veränderungen noch verkraftbar. Nach den Ereignissen des Jahres 1989 begann ohnehin eine Zeit der Stagnation: Der Anti-Reform-Flügel innerhalb der KPCh erstarkte, man wartete sozusagen mit angehaltenem Atem auf den Ausgang der Machtkämpfe, bangte, dass es eine Rücknahme der Wirtschafts-Liberalisierung geben könne. Das änderte sich fast schlagartig nach Deng Xiopings Reise in den Süden des Landes, wo das ökonomische Experiment mit der Wirtschaftssonderzone von Shenzhen seinen Anfang genommen hatte. Deng schien den Machtkampf für sich entschieden zu haben, und nun war die Geschwindigkeit der Entwicklung nicht mehr zu verlangsamen. 1992 versprach die Partei jeder chinesischen Familie bis zur Jahrtausendwende ein Auto. Das hat zwar nicht ganz geklappt, aber man ist auf einem guten Weg, leider ohne die Folgen für die Umwelt zu bedenken oder bei der städtischen Infrastruktur vorzusorgen.

    Wie im Westen bestimmen die Anforderungen der rasant anwachsenden Blechlawine die Planung des urbanen Lebens. Wir erlebten den Ausbau eines dritten, vierten und fünften Rings (innerstädtische Autobahnen) in Peking. Ein sechster soll geplant sein. Auch dafür wurden ganze Stadtviertel geschleift. Peking sollte „schöner" werden, moderner, glitzernder, westlicher. Die Hochhausviertel wuchsen, und mit ihnen wuchs auch Peking, fraß sich unerbittlich in die umgebenden Dörfer. Die Hofhausviertel, deren Sanierung viel Geld verschlungen hätte (sie hatten keinen Anschluss an die Kanalisation und waren darüber hinaus über Jahrzehnte hinweg vernachlässigt worden) verschwanden größtenteils völlig aus dem Stadtbild. Ohne dass dazu eine einzige kriegerische Auseinandersetzung hätte stattfinden müssen, entstanden jede Menge Heimatvertriebene, auch im übertragenen Sinn.

    Die Ansprüche der Bevölkerung stiegen, Anspruch an Wohnungsgröße und Wohnbedingungen, an den allgemeinen Lebensstandard, an Freizeit und Erholung. Wie gewaltig diese Veränderungen auch in der Wahrnehmung der Menschen waren, zeigt das Beispiel einer introspektiven Freundin. Unsere Wohnung im Youyibinguan (zwei Zimmer, Küche, Diele, Bad) sei ihr in den ersten Jahren riesig erschienen, sagte sie nachdenklich, aber nun (sie hatte sich gerade ein Loft gekauft) könne sie sich über diese Einschätzung nur wundern. In Städten wie Peking entwickelte sich eine Konsumgesellschaft nach westlichem Vorbild: Mit all ihren Vorteilen für den Einzelnen und vielen der Nachteile für die Gemeinschaft, z.B. harter Konkurrenzkampf, eklatante Ungleichheit, Überstrapazierung natürlicher Ressourcen – im Falle Pekings vor allem des Wassers – obendrein eine horrende Luftverschmutzung. Begab man sich aus der Stadt auf einen der höheren Punkte ihrer ländlichen Umgebung, ließ sich der gelb-graue Deckel, der über ihr lag, mit bloßem Auge erkennen. Stand irgendein prestigeträchtiges Ereignis bevor, wurden die größten Dreckschleudern von staatswegen einfach abgedreht, d.h. 14 Tage dicht gemacht – so kam man dann noch einmal in den Genuss echter Sonnenstrahlen und jenes berühmten Blaus des nordchinesischen Himmels, der einst einen so strahlenden Kontrast zum kaiserlichen Gelb der Palastdächer bildete. Konsum in seiner heutigen Form und Nachhaltigkeit sind eben unvereinbare Gegensätze, nicht nur in China, sondern weltweit.

    Kurz, wir erlebten, ungetrübt von jeder Rücksicht auf Umweltbedenken, die Realisierung eines ungebremsten Kapitalismus unter der Herrschaft einer Partei, die dafür auch eine interessante Formulierung bereit hatte: Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken. Mit anderen Worten: Kritik und Widerspruch unerwünscht, vielmehr verboten.

    Was die Freiheit im privaten Bereich betraf, erlebten wir jedoch eine gewisse Lockerung. So durften unsere Freunde uns unregistriert besuchen, und Ausländern wurde es möglich, in chinesischen Mietshäusern zu wohnen. Wir bekamen unsere Briefe ungeöffnet zugestellt, zumindest ließ sich nicht mehr feststellen, ob sie schon jemand vor uns gelesen hatte – vielleicht hatte man auch nur Fortschritte beim Kaschieren gemacht. Die Partei förderte den privaten Wohnbesitz. So wurden die Mieter angehalten, Eigentümer ihrer bis dahin staatlichen Wohnung zu werden, für viele Menschen ein finanzieller Kraftakt. Zusammenfassend lässt es sich vielleicht so formulieren: Solange man der Partei nicht in die Quere kommt, lässt sie einen weitgehend in Frieden. Den mündigen Staatsbürger, obwohl diese Spezies nicht zuletzt dank der neuen Kommunikationswege auch in China langsam heranwächst, gibt es für sie nicht: Mündig ist nur die KPCh.

    Es waren äußerst interessante Jahre: Wann lässt sich schon einmal aus solcher Nähe ein Land dabei beobachten, wie es sich anschickt, einen Platz ganz vorne zu erobern. Es waren spannende Jahre, mit Reisen zu ungewöhnlichen Zielen, in atemberaubende Landschaften, manchmal auch zurück in der Zeit. Und es waren Jahre des Lernens, der Auseinandersetzung mit dem Anderssein, die das Denken aus seinen unbewusst euro-zentrischen Bahnen hoben.

    Das Resümee meiner Frau: Eigentlich müsste es jedem Menschen ermöglicht werden, wenigstens ein Jahr seines Lebens außerhalb seines Heimatlandes zu verbringen.

    Irriges und Albernes von Journalisten und Touristen

    Im Jahr 1854 erschien in Paris ein Werk, das rasch zum Bestseller wurde. Heute gilt es in Frankreich als Klassiker der Reiseliteratur: „L`Empire Chinois".

    Schon zwei Jahre später lag das Buch in einer deutschen Übersetzung vor, herausgegeben vom Verlag der Dyk`schen Buchhandlung in Leipzig: „Das Chinesische Reich. Sein Verfasser, Regis-Evariste Huc, hatte als Missionar im Dienste des Ordens der Lazaristen 14 Jahre in China gelebt und das Land gründlich bereist, wobei er Einblicke gewann wie damals nur wenige Ausländer. In seinem Vorwort bemerkt Pater Huc, er wolle sich bemühen, „die irrigen und albernen Meinungen zu zerstören, die zu allen Zeiten über das chinesische Volk verbreitet waren. Und weiter: „Um die Verwirrung zu vermehren fehlten nur noch die Touristen, und auch sie haben bereits ihr Möglichstes getan. Es gibt wenige Reisende, die nicht das Bedürfnis fühlen, die Welt wissen zu lassen, dass sie das Reich der Mitte besucht haben. Obwohl sie fast nichts gesehen haben, hält sie dies doch nicht davon ab, viel zu schreiben..."

    Es hat sich diesbezüglich nicht so sehr viel geändert. Irriges und Albernes ist über China immer noch oft zu lesen, obwohl man heute, anders als zu Pater Hucs Zeiten, in wenigen Stunden von Europa nach China fliegen und das Gelesene überprüfen kann. Umso erstaunlicher, dass die angeblichen China-Kenner das Ertappt-Werden so bedenkenlos riskieren.

    Da zitierten die „Aachener Nachrichten den Vorsitzenden des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft Aachen-Ningbo mit den Worten „die Chinesen kennen kein Brot, keine Butter, keine Marmelade und keinen Kaffee. Richtig ist, dass chinesische Supermärkte das alles zu diesem Zeitpunkt schon in ihrem Sortiment hatten.. Und richtig ist auch, dass Chinesen der jüngeren Generation zunehmend auf den westlichen Geschmack kommen.

    Gerade die chinesischen Essgewohnheiten eignen sich vorzüglich, Dichtung und Wahrheit wunderbar zu vermischen. So konnte zum Beispiel der staunende Leser einer deutschen Boulevardzeitung entnehmen, im Frühling würden in Peking „an jeder Straßenecke Magnolienblüten als Delikatessen angeboten, in Mehl gewälzt und in Öl frittiert". Richtig ist: Es gibt sie schon lange nicht mehr, die Magnolienblütenbäcker. Wahr an der Geschichte ist lediglich, dass die Chinesen in ihrer an kulinarischen Experimenten reichen Geschichte auch mal gebackene Magnolienblüten verspeisten.

    Im Verlag der ZEIT erschien ein Sonderheft über China, eine Sammlung lesenswerter Beiträge, Autoren von Rang und Namen sind darin vertreten. In einem Text des geschätzten Kollegen Fritz Vorholz steht: „In der Hauptstadt ist in Flaschen abgefülltes Wasser teurer als Milch." Wie kam Vorholz zu dieser Erkenntnis? Hat er vielleicht in der Nobel-Herberge Palace-Hotel ein Fläschchen Perrier bestellt und den Preis mit dem von einer Tüte Milch im Supermarkt verglichen? So könnte die Geschichte hinhauen, aber so trifft sie auch auf Frankfurt oder München zu. Richtig ist: In Peking kostet ein Liter von chinesischen Kühen gewonnener Milch mindestens doppelt so viel wie eine Literflasche Mineralwasser.

    Thema Sprache: Da schreibt ein Christian Müller, Diplom-Ingenieur, der durch Vermittlung des Senior-Experten-Service ein paar Monate in der nordostchinesischen Stadt Tangshan gearbeitet hatte, in der „Sächsischen Zeitung in mehreren Folgen über seine Erfahrungen. Er vergisst auch nicht zu erwähnen, „dass die Chinesen kein R sprechen können. Und weil er es wohl ganz logisch findet, es könne deshalb im Chinesischen ein R gar nicht geben, setzt er hinzu: „Wenn man die Landkarte betrachtet, wird man auch keinen chinesischen Ortsnamen mit R finden. Ich weiß nicht, welche Landkarte Christian Müller betrachtet hat. In meinem China-Atlas jedenfalls sind von Rabang bis Ruyang exakt 144 Orte eingezeichnet, die (in der offiziellen Umschrift Pinyin) mit dem Buchstaben R beginnen. Und die alte Geschichte, die Chinesen könnten allesamt kein R aussprechen, stimmt so auch nicht. Es sind vor allem die Südchinesen, deren Zungen da hartnäckig streiken. Andere Bewohner des Reichs der Mitte haben damit kein Problem. Einer meiner Kollegen im Pekinger Verlag für fremdsprachige Literatur hieß Ren, und er stellte sich keineswegs als „Len vor, wie er es den bekannten Chinesenwitzen zufolge wohl hätte tun müssen. Allerdings: Das chinesische „r" ist kein deutsches Zäpfchen-r.

    Wahrscheinlich gibt es kein Land, über das so viel Falsches und Unsinniges berichtet wird wie über China. Warum nur schreiben Leute gerade über China immer wieder Dinge, die nicht stimmen? Marco Polo hatte, als er 1299 zu Hause in Venedig über Chinas damalige Hochkultur berichtete, sich den Vorwurf „Il Milione eingehandelt, „Der Aufschneider. Inzwischen scheint bestätigt, dass er, der lange Jahre in China lebte, Tatsachen berichtet hat, so wie er in seinem Buch versichert: „Wir werden die Dinge mitteilen, wie wir sie sahen und hörten. Unser Buch ist wahr und frei von aller Lüge."

    Heutige China-Besucher, die Unstimmiges über Land und Leute berichten, tun dies wohl in den seltensten Fällen bewusst. Manch einer neigt bei der oft verwirrenden Fülle von Eindrücken zu voreiligen Analogieschlüssen. Andere kommen nach China mit der Vorstellung von einem nach wie vor exotischen Land, verbringen ihre Zeit aber meist in Städten, in denen nun wirklich kaum noch Exotisches zu entdecken ist. Was aber soll man später daheim berichten Da wird dann eben ein bisschen übertrieben, und so erzählte zum Beispiel ein Sepp Heiland der Zeitung „Bayerwald Echo", dass in Peking Rikschas zum gewohnten Straßenbild gehörten und dass im Umland der Hauptstadt bis zu neunmal im Jahr Gemüse geerntet werden könne. Richtig dagegen ist, dass es die alten Rikschas schon lange nicht mehr gibt und einige wenige neue Fahrrad-Rikschas ihre Runden nur auf festgelegten Routen in der arg geschrumpften Altstadt drehen. Was den angeblich so reichen Erntesegen an Gemüse betrifft, so gibt der Freilandanbau nicht mehr her als bei uns. Und in beheizten Gewächshäusern wird natürlich auch in China rund ums Jahr geerntet.

    Nicht zuletzt gibt es dann noch die Leichtgläubigen, die alles für bare Münze nehmen, was ihnen chinesische Reiseführer erzählen. So gab z.B. der China-Reisende Eckhard Galley in der Zeitung „Neues Deutschland brav wieder, was ihm seine nette Begleiterin Lu in Peking anvertraut hat: „Noch wird nicht geklaut in China! Schön wär`s, doch Tatsache ist leider, dass die Taschendiebe in Peking und anderen chinesischen Städten äußerst aktiv sind, wie ich leider selber mehrmals erfahren musste. Lautsprecherdurchsagen mit entsprechenden Warnungen sind immer mal wieder zu hören, allerdings in der Regel auf Chinesisch.

    Zu den Gründen, die verantwortlich sind für die Fülle der über China zu lesenden Unstimmigkeiten, kommt noch ein sonderbares Phänomen: Irgendwie muss China mehr als andere Länder Touristen das Gefühl vermitteln, sie wüssten, egal wie kurz sie in das Land hineingeschmeckt haben, nun Bescheid und könnten fortan sachkundig mitreden. Besuchern von Luxemburg zum Beispiel scheint das so gut wie überhaupt nicht zu passieren.

    Reisen und Nationale Minderheiten

    Reisen in China – ein Abenteuer

    Manche Leute buchen ganz bewusst Abenteuerreisen und geben für diesen arrangierten Nervenkitzel viel Geld aus. Oder sie springen an einem Gummiband hängend in Abgründe und kreischen ihren Adrenalinkick in die wehrlose Natur.

    Für uns waren einfach alle Reisen in China ein Abenteuer, in jeder Hinsicht. Es waren Ziele von abenteuerlicher Schönheit: Zum Beispiel zum „Vater der Eisberge", dem Muztagh Ata in Xinjiang im Nordwesten des Landes, oder in die Bergwelt von Guizhou im Süden Chinas. Oft war auch der Weg zum Ziel abenteuerlich: Der Bus machte schlapp und musste über Stunden repariert werden; die Straße war von einem Unwetter kilometerlang weggespült worden, und der Versuch, stattdessen durch den Wüstensand zu fahren, resultierte in einem Verkehrsstau ungeahnter Dimension. Der Busfahrer hatte völlig andere Vorstellungen von Verkehrssicherheit als ein durchschnittlicher Westeuropäer und versuchte bei 80 kmh auf schwankendem Chassis seinem Kollegen im Zweitbus mal eben einen Apfel hinüber zu reichen – auf diese Art von Adrenalinschub würde man allerdings gern verzichten. Doch eigentlich war sogar der Start einer Reise schon Abenteuer genug, erst Recht zu Beginn unserer Zeit in China, denn da waren wir ziemlich ahnungslos.

    DAS KREUZ MIT DEN TICKETS

    Unsere erste größere selbstständige Reise sollte nach Sichuan gehen. Zunächst mussten wir feststellen, dass man nicht so einfach zum Bahnhof gehen konnte, um sich dort eine Fahrkarte zu besorgen. Die musste bestellt und konnte erst einige Tage später abgeholt werden. Hinzu kam, dass, da China ein Land der langen Wege ist, man fast immer im Zug übernachtet, also ein Schlafwagenabteil buchen sollte, wenn man den Bestimmungsort nicht als rückengeschädigtes Wrack erreichen will. Die Betonung liegt auf Abteil, denn in allen anderen Klassen sitzt oder liegt man in durchgehenden Wagen, wo zu der Zeit noch ungehemmt Kette geraucht wurde. So ein Schlafwagenabteil heißt „Soft Sleeper" und erfreute sich offenbar großer Beliebtheit, denn häufig waren alle Wagen ausgebucht. Entsprechend musste man dann den Reisetermin verschieben – ärgerlich wenn man an feste Daten gebunden ist.

    Nun muss man wissen, dass in den ersten Jahren die wenigsten Normalbürger überhaupt auf Reisen gingen, einerseits hatten sie keine Zeit, andererseits nicht genug Geld, denn das weiche (selbst das harte) Sitzen und Schlafen kostete. Wer also besetzte unentwegt all diese Soft Sleeper? Zugegeben, ein Zug hatte allenfalls drei bis vier Wagen erster Klasse. Dennoch. So viele Kader konnten doch nicht wirklich unablässig unterwegs sein. Wahrscheinlich wurde immer ein gewisser Prozentsatz an Plätzen vorgehalten, für den Fall dass. Aber das ist eine Vermutung. Und heute nehmen sie sicher ohnehin den Flieger.

    Ein weiteres Problem ergab sich aus dem Umstand, dass es in China keine Rückfahrkarten gibt. So wurde mir von den Kollegen empfohlen, sobald ich vor Ort sei, am besten schon am Tag der Ankunft, sofort zum Bahnhof zu marschieren und die Rückfahrt zu buchen. Zu diesem Zweck statteten sie uns mit einem offiziellen Schreiben der Einheit, also meines Arbeitgebers, aus, das, versehen mit einem dicken

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