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Im Jahr des Hasendrachen: Zwei weitere chinesische Jahre
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Im Jahr des Hasendrachen: Zwei weitere chinesische Jahre
eBook196 Seiten2 Stunden

Im Jahr des Hasendrachen: Zwei weitere chinesische Jahre

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Über dieses E-Book

Im alten China war der Hasendrache eine mit Sprengstoff gefüllte Granate, mit der sich auch die dicksten Mauern brechen ließen. Das ist zwar gar nicht wahr, doch immerhin eine tolle Metapher für ein Buch, das ähnlich explosiv daherkommt. Die Kapitel zu den chinesischen Dissidenten Ai Weiwei, Liao
Yiwu und dem Dalai Lama riefen bei Erscheinen als Kolumne in der taz wütende Proteste hervor. Als Versöhnungsangebot schildert Christian Y. Schmidt in gewohnt komischer Weise, wie er in Peking unter anderem auf Giorgio Armani, Angela Merkel und die Machtmaschine Gerhard Cromme trifft. Außerdem werden bisher unbekannte chinesische Phänomene wie Drahtpenisfrauen, Backsteinopium und Pekingpalmen vorgestellt.

Mit diesem China-Tagebuch der Jahre 2011 und 2012 schließt Christian Y. Schmidt an den erfolgreichen Vorgängerband "Im Jahr des Tigerochsen" (2011) an. Für alle, die mehr über China erfahren wollen als das, was sie sowieso schon wissen!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum5. Apr. 2013
ISBN9783943167283
Im Jahr des Hasendrachen: Zwei weitere chinesische Jahre

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    Buchvorschau

    Im Jahr des Hasendrachen - Christian Y. Schmidt

    (2012)

    Vorwort

    Nach zehn Jahren in Asien – acht davon in China – ist dies das vierte Buch, das ich aus meinem Leben hier destilliert habe. Es schließt direkt an den Vorgängerband »Im Jahr des Tigerochsen« an und enthält gründlich überarbeitete und zum Teil deutlich erweiterte China-Kolumnen, die in der Berliner tageszeitung zwischen Februar 2011 und Februar 2013 erschienen sind. Dieser Zeitraum entspricht den beiden im Titel genannten chinesischen Mondkalenderjahren. Zudem finden sich im Anhang Texte, die zuvor anderen Orts oder noch nicht publiziert wurden.

    Dieses Buch bildet zugleich einen vorläufigen Schlusspunkt unter die zehn Jahre, in denen ich zunächst aus Singapur, dann aus Peking Kolumnen geschrieben habe. Das liegt nun keineswegs an mangelnden Themen. Wie man aus den Fragmenten im Anhang ersehen kann, hätte ich gerne über vieles noch geschrieben: über die chinesische Kunst des Schaufelns (am Buffet), über schreckliche Taschen (die am Ende von Veranstaltungen und Empfängen verschenkt werden), über den einträglichen Beruf des Leichenfischers oder meine Begegnungen mit Maos Mumie. Außerdem plante ich, über die Entwicklung meiner Raub-DVD-Sammlung zu berichten (inzwischen 1.561 katalogisierte Filme und komplette Serien), und das Verhältnis zwischen China und der Schweiz. An diesem Text bin ich allerdings schon mehrmals gescheitert, zunächst aufgrund eines Mangels an Schweizern in Peking, sodann an ihrem plötzlichen Überfluss.

    Warum ich aufhöre

    Für die Einstellung der Kolumne gibt es ein ganzes – schönes Wort – Gründebündel. Ein Grund ist sicher, dass die komische China-Meldung inzwischen zu einem gängigen Genre in der deutschsprachigen Presse verkommen ist. Anders als noch vor zehn Jahren finden sich heute sogar in einem Boulevardblatt wie dem Kölner Express Schlagzeilen wie diese: »Verrückt! Dieses Ösi-Dorf steht in China« (Juni 2012). Im selben Monat deklarierte das Magazin Abenteuer und Reisen meinen Wohnort zur »verrückte[n] Mega-Metropole Beijing«. Und wenn es selbst auf bild.de heißt: »BILD erklärt den verrückten China-Milliardär« (September 2012), ist es an der Zeit, selbst wieder etwas dröger zu werden.

    Auch deshalb – und weil es immer wieder konkrete Anlässe gab – bin ich in den letzten zwei Jahren zusehends von der Schilderung der komischen Seiten Chinas abgerückt und habe mich verstärkt darauf konzentriert, das Bild zu korrigieren, das viele deutsche Medien von der politischen und sozialen Lage in China zeichnen. So enthält dieses Buch mehr kritische Beiträge zur deutschen China-Berichterstattung und -Kommentierung als noch »Im Jahr des Tigerochsen«. Doch auch China-Wahrnehmungskritik ermüdet auf die Dauer. Die Gegen- und Hintergrundrecherchen sind zeitaufwendig, auch weil jemand, der einer Behauptung widerspricht, seinen Widerspruch doppelt und dreifach belegen muss. Und dann ist diese Kritik auch noch weitgehend vergebens. Denn eigentlich kommt das verzerrte Chinabild in Deutschland nahezu ohne Fakten aus, da es sich im Wesentlichen aus anderen Quellen speist. Von diesen wird noch die Rede sein.

    Ich will aber auch nicht leugnen, dass ein Grund fürs Pausieren die Bezahlung ist bzw. der weitestgehende Mangel an dieser. Das ist ja ein Punkt, der meistens schamvoll verschwiegen wird, weil man insbesondere im deutschen Journalismus über Geld nicht sprechen will, zumindest nicht öffentlich. Ich denke, es ist an der Zeit, sich über dieses informelle Gebot hinwegzusetzen (siehe auch Kapitel 16). Schließlich hat die Höhe des Honorars direkte Konsequenzen für die Texte und die Radio- und Fernsehberichte, die das Publikum zu lesen, zu hören und zu sehen bekommt.

    So leidet die Qualität des deutschen Journalismus auch unter der zunehmenden Arbeitsüberlastung der Journalisten, die immer mehr schreiben und zuliefern müssen, um nicht vollends ins Prekariat abzusinken. Zeit für wirkliche Recherchen bleibt kaum. Andererseits aber verfügt der von Interessen geleitete, durch Anzeigen, den Staat oder durch Stiftungen finanzierte Journalist weiterhin über ein passables Einkommen. Das heißt: Der Anteil dieses Journalismus an der gesamten Wirklichkeitsvermittlung nimmt kontinuierlich zu. Unabhängiges Schreiben speziell über politische Zusammen­hänge ist dagegen ein Luxushobby geworden, das sich kaum noch einer leisten kann, weil er dabei draufzahlt. Eine Zensur ist unter solchen Verhältnissen über­flüssig.

    Warum ich bleibe

    Aber wenn ich auch mit dem Schreiben über China für eine Weile pausieren werde, so bleibe ich doch im Land. Auch dafür gibt es ein dickes Gründebündel. Einige Argumente sind im weiteren Verlauf des Buches zu finden, zum Beispiel in dem Kapitel, das mit »Mein Leben als Wendiist« (Kapitel 14) überschrieben ist. Doch das sind nicht alle. So ist sicher ein wichtiger Bleibegrund, dass ich in China Zeuge der gewaltigsten materiellen Umwälzung in der Geschichte der Menschheit bin, die allenfalls in der industriellen Revolution im Europa des 19. Jahrhunderts eine matte Entsprechung findet. Und auch schon damals wäre ich gerne dabei gewesen.

    Um die Geschwindigkeit zu begreifen, mit der China umgestaltet wird, genügt eigentlich ein Blick auf das Pekinger U-Bahn-Netz. Bei meiner Ankunft in der Stadt im Jahr 2005 war es 94,4 Kilometer lang, heute, Anfang 2013, umfasst es 442 Kilometer, und bereits im Juni wird es wieder um einiges länger sein. Eine noch rasantere Entwicklung hat das Hochgeschwindigkeitsnetz der chinesischen Eisenbahn genommen. Erst 2007 wurde die erste Strecke eingeweiht, gute fünf Jahre später verfügt China über das größte Hochgeschwindigkeitsnetz des Planeten. Dazu zählt auch die längste Strecke der Welt, die über 2.300 Kilometer von Peking ins südchinesische Guangzhou führt. Das entspricht in etwa der Entfernung von Kopenhagen bis zur Südspitze Siziliens.

    Ähnlich explosiv hat sich das chinesische Internet entwickelt. Im Juni 2005 gab es in ganz China 103 Millionen Internetnutzer, was gerade mal 7,9 % aller Chinesen entsprach. Ende 2012 waren bereits 564 Millionen im Netz, 42,1 % der Bevölkerung. Jemanden, dem wie mir die Verkünstlichung der Welt gefällt, zwingen solche Modernisierungsprozesse geradezu zum Bleiben, weil man sie nur hier im Zeitraffer bestaunen kann.

    Gleichzeitig finden in diesem Land gewaltige gesellschaftliche Umbrüche statt, die genauso aufregend sind. Gerade in jüngster Zeit überstürzten sich die Entwicklungen. Dabei sind die erfolgreichen Massendemonstrationen gegen zwei große Industrieprojekte im Juli 2012 in Shifang (Provinz Sichuan) und im Oktober 2012 in der ostchinesischen Stadt Ningbo (siehe auch Kapitel 52) nur ein Ausdruck des Wandels in den Köpfen der stetig wachsenden chinesischen Mittelschicht.

    So wurden in letzter Zeit auch immer häufiger Forderungen nach Abschaffung der Zensur laut, und das nicht bloß außerhalb, sondern auch innerhalb des bestehenden Macht- und Mediengefüges. Als Anfang 2013 ein Editorial der liberalen Zeitschrift Nanfang Zhoumo zensiert und umgeschrieben wurde, protestierten die Redakteure offen und drohten mit Streik. Unterstützt wurden sie dabei durch Universitätsprofessoren sowie den Chefredakteur der Tageszeitung Beijing News, der im Zusammenhang mit der Zensur­affäre von seinem Posten zurücktrat. Zur selben Zeit kündigte ein Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei an, die Arbeitslager würden noch im Laufe des Jahres 2013 abgeschafft. Zwar wurde diese Ankündigung danach wieder relativiert, doch dass sich China in absehbarer Zeit eher verrechtlichen und demokratisieren wird (siehe Kapitel 52) als in eine autoritärere Vergangenheit zurückzumarschieren, ist doch – trotz der Vorsicht, die man bei Prognosen walten lassen sollte (Kapitel 53) – sehr wahrscheinlich.

    China und Deutschland

    Die materiellen und gesellschaftlichen Veränderungen in China aber schärfen auch die Sinne für die entsprechenden Vorgänge in dem Land, aus dem man stammt. Denn anders als vielfach angenommen und behauptet, unterscheiden sich die Verhältnisse in China gar nicht so fundamental von denen in Deutschland, auch wenn die Deutschen etwas anders regiert werden. In beiden Ländern herrschen der gleiche Kapitalismus und die gleiche Marktwirtschaft. Dabei legt der chinesische Staat dem Kapital etwas kräftigere Zügel an, indem er Banken und Wirtschaft entschiedener steuert, während der deutsche die Existenz seiner Bürger über ein Sozialversicherungssystem abfedert. Auch weil Letzteres in China noch weitgehend fehlt, treten hier die gesellschaftlichen Widersprüche deutlicher zutage.

    So erregen die chinesischen Widersprüche natürlich auch schneller die Aufmerksamkeit des internationalen Publikums. Vergleicht man dann aber ein konkretes Problem mit der Situation in Deutschland, bemerkt man bald, dass es dort ebenso existiert, wenn auch meistens geschickter verschleiert. Diese Rückschlüsse dürften alle ziehen, die China, Deutschland und den Rest der Welt weitgehend vorurteilslos und nicht isoliert voneinander betrachten. Als Altbundeskanzler Helmut Schmidt zum Beispiel im November 2012 vom Handelsblatt zur Korruption in China befragt wurde, kam er wie von selbst auf die Korruption in Deutschland zu sprechen: »Also die internationalen Konzerne finanzieren natürlich die Korruption. Sie haben es bisher getan, und das werden sie auch in Zukunft noch tun … Das, was Siemens in China vorgeworfen wurde und was dem Herrn von Pierer vorgeworfen wurde, haben sie alle gemacht. Und manche machen es heute noch.« Streicht man aus diesen Ausführungen die Wörter »in China« und »manche«, wird man wohl die ganze Wahrheit haben.

    Wer in China lebt, dem wird auch sehr schnell klar, dass die meisten Chinesen nichts anderes wollen, als möglichst bald denselben Lebensstandard wie im Westen zu genießen. Und der ist trotz der rasanten Entwicklung in den letzten Jahrzehnten bei Weitem nicht erreicht. Im Jahr 2011 betrug das durchschnittlich verfügbare Einkommen eines chinesischen Städters rund 21.000 Yuan (ca. 2.500 Euro) pro Jahr, und das eines Landbewohners 6.900 Yuan (ca. 825 Euro). Ein Deutscher hatte im selben Zeitraum durchschnittlich rund 27.000 Euro zur Verfügung. Beim Human Development Index, einem Indikator, der Faktoren wie Lebenserwartung, Alphabetisierungsrate, soziale Absicherung usw. vergleicht, steht China auf Platz 101 (2011). Das heißt, das Land rangiert zwar immerhin vor dem ärmsten europäischen Staat Moldawien sowie knapp hinter der Türkei, vom Lebensstandard der Deutschen (HDI-Index Platz 9) ist China aber immer noch so weit entfernt wie der Pluto von der Sonne.

    Das Programm der chinesischen Regierung lautet deshalb, den Lebensstandard der Chinesen weiter zu steigern. So versprach der scheidende Staatspräsident Hu Jintao im November 2012 auf dem 18. Parteitag der Kommunistischen Partei eine Verdopplung des chinesischen Pro-Kopf-Einkommens für 2020. Für 2040 prognostiziert die Chinesische Akademie der Wissenschaften den Chinesen ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von 20.000 US-Dollar pro Jahr. Achtzig Prozent aller Bürger würden dann in Städten leben, und etwa ebenso viele hätten eine Universitätsausbildung, absolute Armut sei ausgerottet, die durchschnittliche Lebenserwartung betrage mehr als achtzig Jahre und alle Bewohner des Landes seien kranken- und rentenversichert. Damit will China dann auf dem Human Development Index einen Platz unter den ersten 20 Staaten einnehmen. Nur zur Orientierung: 2011 war es Frankreich, das auf Position 20 stand.

    Dass solche Zielvorgaben keine leeren Propagandaformeln sind, hat die chinesische Führung in den letzten Jahren bewiesen. So stieg allein von 2002 bis 2011 das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen im Land um erstaunliche 180 %. Auch wenn Teile der chinesischen Bevölkerung mit anderen Entscheidungen ihrer Regierung nicht einverstanden sind und mehr und mehr gegen ungerechte Enteignungen, Korruption oder Umweltverschmutzung rebellieren: Bei den Anstrengungen zur Steigerung des Lebensstandards, die die Regierung macht, hat sie die Bevölkerung nahezu geschlossen hinter sich. Zwar steht die Führung nach innen auch für wachsende Ungleichheit (der die ungleiche Reichtumsverteilung messende Gini-Koeffizient betrug 2012 nach Regierungsinformationen 0,474; damit ist der von Wissenschaftlern errechnete kritische Ungleichheitsquotient von 0,4 deutlich überschritten). Nach außen verfolgt Chinas Führung jedoch eine Politik zur Durchsetzung globaler Gerechtigkeit, indem sie dafür sorgt, dass sich die Lebensverhältnisse in China auf die in der Ersten Welt zumindest zubewegen.

    China als Repräsentant einer Hoffnung auf ein besseres Leben – das sieht man wohl in vielen anderen Ländern der Dritten Welt so ähnlich. Und deshalb wundert es wenig, dass ­immer mehr dieser Staaten versuchen, dem chinesischen Entwicklungsmodell nachzueifern. So wachsen in Afrika gerade die Volkswirtschaften stark, deren Regierungen intensive Wirtschaftsbeziehungen zu China pflegen (Mosambik: 7,2 % Wachstum; Äthiopien: 10,7 %; Sambia: 6,6 %; alle Zahlen für 2011). Aber auch die Industrieländer profitieren von Chinas rasanter Modernisierung. Deutschland beispielsweise wurde wohl nur durch China davor bewahrt, im Zuge der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise in eine Rezession abzurutschen. Während nämlich ab 2008 die deutschen Exporte in nahezu alle anderen Länder zunächst einmal einbrachen, steigerte sich der Wert der deutschen Ausfuhren nach China allein von 2009 bis 2011 von 37 auf 65 Milliarden Euro. Damit rückte China auf Rang 5 der Länder vor, in die Deutschland exportiert, knapp hinter Großbritannien.

    Grenzen des Wachstums?

    So haben also bisher fast alle etwas von den Bemühungen der chinesischen Regierung, China auf das Niveau der entwickelten Länder zu katapultieren. Es stellt sich allerdings

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