Die Bundesrepublik beginnt auf dem Papier. Die Urschrift unseres Grundgesetzes ist aus rauem, schwerem Büttenpapier gemacht und wiegt fast anderthalb Kilo. An einem Montagvormittag liegt sie auf einem goldfarbenen Tisch in der Aula der Pädagogischen Akademie Bonn. Die Fotografin Erna Wagner-Hehmke macht eine Aufnahme von ihr. An diesem Montag, dem 23. Mai 1949, unterzeichnen die Mitglieder des Parlamentarischen Rates die Urschrift. Wagner-Hehmke macht aus dem flüchtigen Moment eine zeitlose Inszenierung – mit dem Grundgesetz in der Mitte ihrer Fotografie, vom Scheinwerfer beleuchtet.
Mit Wagner-Hehmkes wertvoller Aufnahme beginnt der Bildband Die Bundesrepublik – Eine visuelle Geschichte. Gerhard Paul hat den Band aus Anlass des diesjährigen 75. Jubiläums des Grundgesetzes entworfen. Pauls Werk macht uns auf neue Weise mit unserer eigenen Vergangenheit bekannt. Es präsentiert 75 Jahre der Bundesrepublik auf über 500 Bildern. Darunter sind nicht nur Fotografien, sondern auch Cover, Werbebilder, Plakate, Ansteckbuttons und Flyer – die visuelle Dokumentation einer faszinierend vielseitigen wie komplexen Demokratie.
Dieser Bildband mag im ersten Moment nach einem Instagram-Account der Bundesrepublik klingen. Aber in innen, die Massenquartiere, die Armut. „Gegen die bunten Bilder der ‚Wohlstandswunder‘-Presse formierte sich seit Beginn der 1970er Jahre eine an die Traditionen der Arbeiterfotografenbewegung der Weimarer Republik anknüpfende sozialdokumentarische Arbeiterfotografie“, schreibt Paul – und hält unserer Gesellschaft immer wieder kritisch den Spiegel vor.