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…und dann…
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eBook491 Seiten6 Stunden

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Über dieses E-Book

Ein Leben voller Brüche und Widersprüche. Berta von Brunsbrek schreibt über einen Mann, der, mitten im Krieg geboren, eine glückliche Kindheit in einer bürgerlichen Familie erlebte, die ihn zuletzt sehr ins Grübeln brachte. Als Student war er revolutionärer Aktivist in der 68er Bewegung bis zum bitter verfahrenen Ende, absolvierte danach eine Druckerlehre, war Mitbegründer einer der inzwischen ältesten, alternativen Wohnprojekte in der ehemaligen Papierfabrik, wo er immer noch lebt und als bildender Künstler arbeitet. Vor einigen Jahren geisterte er durch die Medien, weil er sich öffentlich gegen den Export von Panzern nach Saudi-Arabien äußerte. Er war seit kurzer Zeit Mitglied des Aufsichtsrates dieses Rüstungsunternehmens und wurde bald danach von diesem Posten wegen seiner öffentlichen Auftritte wieder entfernt. In dieser Erzählung lässt Berta von Brunsbrek ihre Phantasie durch die öffentlich zugänglichen Berichte beflügeln. Und immer wieder verwickelt sie ihren Protagonisten in Reflexionen über die gegenwärtigen globalen Krisen, die damals, als die weltweite 68er Bewegung ihren Niedergang organisierte, und der Bericht des Club of Rome sie in aller Deutlichkeit bekannt machte, ihren Amoklauf begannen.
SpracheDeutsch
HerausgeberEuropa Edizioni
Erscheinungsdatum31. Okt. 2022
ISBN9791220133821
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    Buchvorschau

    …und dann… - Berta von Brunsbrek

    Berta von Brunsbrek

    …und dann…

    © 2022 Europa Buch | Berlin

    www.europabuch.com | info@europabuch.com

    ISBN 9791220129558

    Erstausgabe: Oktober 2022

    Gedruckt für Italien von Rotomail Italia

    Stampato presso Rotomail Italia S.p.A. - Vignate (MI)

    …und dann…

    Besonderer Dank gilt Berta von Brunsbrek,  ihrer Ausdauer und Einfühlsamkeit, und ihrem Erfindergeist,

    wenn er der dürftigen Erinnerung aushelfen musste.

    Abu Bee

    Wenn wir nicht lernen, über unsere Schatten zu springen, werden sie über uns zusammenschlagen.

    Unbekannter Autor 

    DECOLONIZAR! DESCARBONIZAR! DEMO-

    CATIZAR! 

    Der Weltgeist liebt seine Sottisen.

    Das passt zu den weltweiten Krisen, die niemand ernst nimmt, außer wenn er dran verreckt.

    Es werden immer mehr, das stimmt. Das hat der Weltgeist jetzt gecheckt.

    DECOLONIZAR!       DESCARBONIZAR!       DEMO-

    CATIZAR!

    Er müsse das doch anders beginnen, meinte er jetzt bei unserem letzten Treffen.

    Heute Morgen habe er in den Nachrichten gelesen, dass in Nigeria über 50 Menschen bei der Explosion einer illegalen Erdölraffinerie getötet worden seien. Nigeria ist das Land mit den größten Erdölvorkommen, aber es gäbe dort so gut wie keine Raffinerien außer diesen illegal betriebenen. Das Weiterwirken des Kolonialismus könne man nicht kürzer auf den Punkt bringen und was es zu tun hat mit der Klimakrise.

    Das hätte er vorgestern auf der Abschlussveranstaltung eines Festivals in Porto eingebracht. Dies international beworbene Festival stand unter dem Motto

    DECOLONIZE, DECARBONISE, DEMOCRATIZE.

    Das habe ihn so elektrisiert, dass er spontan dorthin gefahren war in der Annahme, dass da die Leute anzutreffen wären, die den weltweiten Krisenzusammenhang verstehen und auf diese griffige Formel bringen wollten. Überrascht war er schon bei der Eröffnungsveranstaltung, bei der knapp über 20 junge Leute in einem geräumigen Hörsaal der alten Universität, die heute als Museum dient, zusammengekommen waren, um dem Eröffnungspodium zu lauschen, auf den fünf jungen Akademikerinnen intelligente Dinge von sich gaben, aber kein Wort zu der Brisanz, die ihn gerissen hatte, als er spontan mit nur vier Tagen Vorlauf, einen 3 Flug nach Porto und ein Zimmer in einer günstig gelegene Pension gebucht hatte. Es schien auch niemanden zu irritieren, dass da nicht einmal 30 Leute inklusive der Organisatoren gekommen waren. Als er sich den Flyer und das Journal des Festivals genauer ansah, war unter den Sponsoren-Ikons klein das der EU, die das Ganze großzügig finanzieren, was ihm eine junge Frau aus dem Veranstaltungs-team strahlend erzählte, auch den Auftritt einer Berliner Band, die eine hervorragende Performance mit künstlerisch anspruchsvoller Lightshow wiederum vor knapp dreißig Leuten darbot. Auch der junge Mann, der hervorragende Flötist und Sänger, erklärte zu Beginn des Konzerts, dass er glücklich sei, hier zu spielen, alles sei umsichtig und einfach super angenehm mit Flug und Hotel organisiert, und alle seien so nette Leute. Mag sein, dass er mit seinem miserablen Englisch und schwächer werdenden Gehör nicht alles verstanden hatte. Aber dies wolle er jetzt auf der Abschlussveranstaltung, auf der eine neue Deklaration der Menschenrechte gemeinsam redigiert und verabschiedet werden sollte, die die alte amerikanische bezüglich Vollständigkeit und politischer correctness weit in den Schatten stellt, dies wollte er dort noch sagen: Was hat die EU in all den Jahren sogenannter Entwicklungshilfe dafür getan, dass solche brutalen Unglücke, wie das jetzt in Nigeria, nicht geschehen, und die Länder nicht mehr daran gehindert werden, Ihre Reichtümer selbst zu besitzen und zu verarbeiten. Im Congo, der über 60% der Kobaltvorkommen weltweit verfügt, das wir so dringend für die Technologie der Energiewende benötigen, arbeiten

    20.000 Kinder in den illegalen Minen, um ihre Familien am Leben zu erhalten. Im Handelsblatt habe er kürzlich einen Bericht über neue Speichertechnologien gelesen, die weniger Kobalt benötigten und den angenehmen Nebeneffekt hätten, ein moralisches Problem zu lösen. Ein Festival unter diesem Thema, da hatte er einen Aufschrei erwartet mit vielen Tausend Menschen und den führenden Personen der Klimaaktivisten, der Fridays und vieler mehr. Statt-dessen eine Spielwiese für ein paar junge Leute, und einigen akademischen Dozenten, die ein paar Seminar-Stuhlkreise anleiteten.

    Die verbesserte Erklärung der Menschenrechte entspräche genau dem wording, das die EU gut beherrsche, aber praktisch die Zustände verdecke, die es selbst mit anrichte. Auf seine Wortmeldung hin, die ungerührt oder peinlich berührt aufgenommen wurde, wurde dann noch fix ein Satz vom Dozenten hinein redigiert, der das Recht auf Opposition garantiert sehen will.

    Für diese lückenlos verbesserte Erklärung der Menschenrechte, stimmten 14 junge Menschen, die total glücklich schienen, an den Formulierungen mitgewirkt und ein Festival ganz unter sich gefeiert zu haben. So unbemerkt und angenehm funktioniert Korruption, und er wolle wetten, dass nicht einmal die EUguys, die das mit entworfen hatten, etwas davon bemerkt haben. Und die jungen Leute, die da mitgewirkt haben, haben sich sicher gedacht, endlich mal ein Job und ein so angenehmer zugleich, der einer guten Sache dient. Bezüglich Aufschreies könne er sich an einen winzigen Essay unter dem Titel Empört euch des alt gewordenen Widerstandskämpfers der Resistance und Überlebenden des KZ, Stéphane Hessel, vor über 10 Jahren erinnern, den man so gut nachempfinden konnte, aber ohne zu wissen, wie das funktionieren könnte.

    Vielleicht sei das ja eine gute Einleitung für Geschichten, die manchmal kurzweilig dennoch versuchen, etwas Licht in die eigene Vergangenheit zu bringen. Denn dies Licht sei auch gut brauchbar, um die Zukunft besser verstehen zu können. 

    „That's one small step for man, one giant leap for man-kind."… ein gewaltiger Sprung für die Menschheit?

    Was hat die Mondlandung gebracht? Erstaunliche Kenntnisse der Astronomie hat die Menschheit seit eini-gen tausend Jahren, und über die Wirkungen innerhalb unseres Planetensystems wissen schon die alten Mythen mehr als die neuen Erkenntnisse über einige Gesteinsbrocken vom Mond.

    Unbekannter Wissenschaftler

    Wir saßen in einem Kaffee, und wie ein Menetekel nebenan auf dem Marktplatz eine Kundgebung der Fridays for Future, immerhin ungefähr hundert junge Leute in der kleinen Stadt auf dem Lande. Sie wollen nur, dass die Alten in Politik und Wirtschaft endlich das machen, was die Wissenschaft fordert, um das Klima, die Zukunft des Planeten, ihre Zukunft zu bewahren. Es scheint so ein-fach und ist so deprimierend, meinte er. Wir haben das al-les vergeigt.

    Wir, wen meinen sie mit wir? Überschätzen sie sich so maßlos? Wir wollten uns doch mit ihrer Biografie befassen.

    Das ist kein Kinderkreuzzug, fuhr er einfach fort, die Jugendlichen wissen ganz realistisch, an welchem Wen-depunkt wir stehen. Alle Parteien haben es ins Programm genommen, alle, die jetzt gewählt werden wollen, und zeigen mit jedem Versprechen, dass sie das Notwendige nicht können. Und dann sagen sie, und das glauben viel zu viele, es liegt an Euch, ihr müsst Eure Lebensgewohnheiten ändern, dabei sind es die großen Konzerne, ihre Wirtschaft, die das Leben nach den Regeln und Erfordernissen dieser Wirtschaft steuern, und die niemand stoppen will, weil er dann weg vom Fenster wäre, und weil dann gar nichts mehr ginge.

    Biografie, deshalb sind wir zusammengekommen. Können wir jetzt mal damit anfangen? Interessiert sie das nicht mehr?

    Doch, sie haben ja recht, das will ich ja selbst raus bekommen.

    Und weiter

    Kulturrevolution! Fing da mein Leben an? Als Mao Tse Dong die große proletarische Kulturrevolution ausgerufen hatte, da wussten wir endlich mit Bestimmtheit, dass wir auf dem richtigen Dampfer saßen, nein direkt am Steuerrad standen neben dem großen Steuermann, das erschien uns noch ein wenig lächerlich, mit der grünen Mütze und dem roten Stern, ein wenig Theater muss schon sein und auch Spaß, dachten wir. Kulturrevolution, das war das Wort für das, was wir schon lange wussten, schon während der Schulzeit: Picasso, Berthold Brecht, die Musik von Schönberg, Alban Berg und Arthur Honnecker, Pacific 231. Die moderne Kultur und zugleich die Umwälzung der Kultur, die damals an der Schule nur bei einzelnen Lehrern schon angekommen war, aber bei den Nazis unterdrückt und danach noch nicht in den Lehrplänen angekommen war. Der Jazz, die Beatles und die Rolling Stones. I can get no satisfaction, ungeheuerlich! Ich und viele, viele mit mir. Und Rebellion ist gerechtfertigt! Kulturrevolution im bevölkerungsreichsten Land der Erde, dort wo der weltverändernde Umbruch ganz anders als in der Sowjetunion mit seiner kaum überwundenen Schreckensherrschaft unter Stalin ablief, in China, wo die Bauern endlich die hervorragende Rolle spielen durften als diejenigen, die die übergroße Mehrheit der Weltbevölkerung sind, nicht wie in Russland, wo sie brutal unterdrückt worden waren oder einfach beseitigt. Kulturrevolution, ein Zauberwort. Wir wussten ja, wie die revolutionären Werke der klassischen Musik als Leuchtkerzen der Tradition von den Nazis eingesetzt und missbraucht wurden, und Schiller und Goethe machtlos zuschauen mussten bei den größten Verbrechen der Menschheit. Kultur im Besitz der Herrschenden, als Totempfahle der menschenfeindlichen Macht, das musste umgewälzt werden. Kultur sollte der großen Freiheitsbewegung dienen, für alle Menschen sein und vor allem revolutionär. Kultur ist revolutionär.

    Ja ich weiß, es kam sehr anders als wir es zunächst begeistert aufgenommen hatten. Wie in der Sowjetunion wurde in China Kultur bekämpft, gedemütigt, ausgemerzt und umgelenkt. Tabula rasa für die Herrschaft der Erbschleicher der Revolutionen. Vor allem auch in Russland. Obwohl viele Einzelne inzwischen sich aus diesem bodenlosen Nichts wieder herausgearbeitet und heraus gelitten haben, wird der kulturelle Mainstream dominiert von rückwärtsgewandten Obskuranten, von den reaktionärsten Wiedergeburten der orthodoxen Kirche im Verein mit der herrschenden Mafia, die aus den skrupellosen, alten Geheimdienststrukturen sich etabliert haben und alles zusammen modern Lifestyle. Und China heute?

    Das Politische an einem Text geht zu Lasten der Literarität.

    Juli Zeh

    Ja, wir haben uns immer wieder betrügen lassen und oft viel zu lange, obwohl wir über genug Fähigkeiten verfügt hatten, mit denen wir ja zuvor den Horror des VietnamKrieges und das Nazidenken in Regierung, Justiz und Wissenschaft ans Licht der Öffentlichkeit gebracht hatten. Oder zumindest mit dabei geholfen hatten.

    Wir mussten immer wieder aufwachen mit dieser schrecklichen Erkenntnis und Zerstörung aller Hoffnungen auf die Möglichkeit einer besseren Welt, wir, die Kinder der Wohlstandsgesellschaft mit dem außerordentlichen Privileg eines ganzen Lebens unter Friedensbedingungen. Unsere Kinder müssen uns für verrückt halten. Wie sollen sie das verstehen?

    Nein, so können wir nicht beginnen, wo ich kaum angefangen habe, über Sie zu schreiben. Die Gesprächsführung müssen Sie schon mir überlassen. Und eine Biografie kann das so auch nicht werden.

    Das komme schon noch, Geduld, aber wollen sie alles weglassen, was mich bewegt in meinem Leben, nachhaltig bewegt hat? Ich will dies am Anfang, beharrt er, und wenn Sie über mich schreiben wollen, dann kommt eben dieser Monolog über das, was mich so umtreibt. Glauben Sie, dann wollte jemand weiterlesen wollen, was wird das für ein Buch? Abgesehen davon, wie Sie mit mir umgehen. Ihn interessierten halt mehr die geduldigen Rebellen. Er wolle das festhalten und los werden. Außerdem könne der Leser das ja erst mal überspringen und hinten anfangen, z.B. mit dem Kapitel Guten Morgen.

    …und so begann es

    Beginnen wir lieber vorgestern, das war damals, als wäre nichts gewesen. 1943/44, mitten im Krieg, könne er sich erinnern an einen blauen Himmel im Garten stehend zwischen Blumen, ein mächtiges Brummen von einem Fliegergeschwader, das nichts Bedrohliches hatte so weit oben. Da war er wohl zwei Jahre alt und genoss eine glückliche Kindheit, und da er sich am besten und frühesten an Gefühle erinnere, sei er sich sicher, da wären keine Ängste und Sorgen gewesen, die ja nur von den Älteren auf die Kinder eingewirkt haben könnten. Nennen Sie mich Bee. Sein Name habe ihm noch nie gefallen, aber ein Künstlername sei ihm zu prätentiös vorgekommen. Und ob das alles einen Sinn ergäbe, da würde er ja nie fertig. Ach nennen Sie mich doch, wie sie wollen, nur nicht mit meinem Namen. Aber es freue ihn, dass ich bereit sei, das aufzuschreiben. Wollen wir wirklich von vorne anfangen, wenn die Erinnerung ganz unordentlich so daherkäme? Nein damit will ich wirklich nicht anfangen, nur weil es ein reißerisches Thema ist, die wichtigste Bagatelle in meinem Leben, nur weil das in Zeitungen stand und im Fernsehen erwähnt wurde. Die hässlichsten Artikel mit der naheliegendsten Häme, die kommen immer noch zuerst, wenn man im Internet stöbert.

    Alles so wohlig

    Einen Tag nach Frühlingsanfang im Kriegsjahr 1941 wurde er geboren. Sein 10 Minuten älterer Bruder hatte ihm den Weg gebahnt, sodass er nach einem kurzen Schrei des Erschreckens seiner Mutter ein Lächeln schenken konnte. Die hatte auch gleich Milch in der Brust, sodass sie beide in zufriedener Erfüllung ihre Beziehung fortsetzen konnten und er ihr Herz gewann. Er hatte einen glücklichen Start ins Leben vielleicht auch im Unterschied zu seinen Geschwistern. Denn auf den erhaltenen Fotos sieht man ihn oft breit und zufrieden in der Mitte seiner Geschwister, die eher wie jeder für sich erscheinen. Er war das vierte oder fünfte Kind. Ein Bruder war schon im dritten Lebensjahr an Diphtherie und Tuberkulose gestorben. Es ist wohl oft so, dass ein Kind, das stirbt, das liebste, begabteste und schönste war, und wenn er die Fotos sah von seinem Geschwisterkind mit dunkel lockigem Haar, den dunklen Augen fröhlich und melancholisch zugleich, und immer verschieden ausdrucksvollen Bewegungen und Gesichtern, und die innere Bewegung seiner Mutter spürte, wenn sie diese Bilder zeigte, dann spürte er das wohl auch. Aber er lebte. Die Mutter war eine leidenschaftliche Fotografin mit der Leika, sie entwickelte die schwarzweißen Fotos selber; und die farbigen waren brillante Dias, die sie gelegentlich vorgeführt bekamen mit dem damals leichten Blaustich von Agfa, nicht wie Kodak mit dem hervorstechenden Rot, das erst nach dem Krieg nach Deutschland kam.

    Die Mutter blieb bei Agfa

    Die Mutter war streng und gerecht, aber nicht in der Verteilung von Zuneigung. Emotionale Dinge waren für sie nicht wert zu denken. Sie war eine rationale, moderne Frau, die es verachtete, Gefühle zu zeigen. Ihr Verständnis von Emanzipation und Modernität traf sich hier mit ihrer Verehrung für preußische Soldatentugenden. Kinder, die noch gestillt werden, müssen vor und nach dem Stillen gewogen werden in der Säuglingswage auf der Wickelkommode. Aber solange sie gestillt werden, müssen die mütterlichen Emotionen noch nicht erzieherisch abgewogen werden. Solange die Kinder klein waren, waren sie ihr am liebsten, erzählte sie ihm später freimütig.  Ihr Vater war Offizier aus verarmtem, alten Raubritteradel, der, um das Offizierspatent bezahlen zu können, eine Frau aus einer vermögenden, bürgerlichen Familie geheiratet hatte. Er war gleich zu Beginn des Krieges 1914 gefallen, als die Offiziere noch vor der Mannschaft ritten, bis die Heeresreform den Massenheldentod im deutschen Offizierschor beendete. Die Mutter war damals 14 Jahre alt. 

    Nach den wenigen Erzählungen meiner Mutter muss er alles andere als ein schneidiger preußischer Offizier gewesen sein, sondern feinsinnig und liebevoll zu seiner Tochter. Aber auch in den verarmten Teilen des preußischen Adels war eine andere Karriere als die Offizierskarriere kaum vorstellbar, wenn nicht andere Traditionen und Verbindungen bestanden etwa zum diplomatischen Dienst. Der Offiziersberuf war standesgemäß, und dies Standesgemäß fesselte alle Vorstellungen über das eigene Leben.

    Die Großmutter mütterlicherseits, die die Enkel nicht mehr kennen lernen konnte, war nach den spärlichen Erzählungen ihrer Tochter, seiner Mutter, eine Frau, die Gefühle zeigte und auch einsetzte, wie es nur Frauen taten. Das blieb seiner Mutter ganz fremd, wie aus ihren eher geringschätzigen Erzählungen hervor ging. Das Bild des früh gestorbenen Vaters, preußische Tugenden aber gepaart mit einer Vorstellung von einem modernen, wissenschaftlich orientierten Lebensstil war ihr selbst gewähltes Lebensideal. Aber vom Standesgemäß konnte sie sich dennoch nicht lösen.

    Auch sein Vater wurde von der Mutter verachtet, wenn er Gefühle oder eher Sentimentalitäten von sich gab. Sie verachtete sie und unterschied sie dabei nicht von seinen abgedroschenen schlüpfrigen Witzen. 

    Der Vater war ein lebenslustiger und Liebe suchender Mann, der in dieser Eigenschaft von der strengeren Mutter und der Convention behindert aber nicht außerhalb der Familie verhindert wurde. Er und wohl auch seine Geschwister konnten sich nie vorstellen, wie sie zusammenpassten, aber sie waren sechs Geschwister aus dieser Verbindung. 

    Während des Krieges ging es der Familie gut in einem geräumigen Haus mit Blick auf die Stadt von einem großen Balkon, der allerdings zum Zimmer der Mutter gehörte, das die Kinder eher selten betreten konnten. Sie durften nicht stören, zieht ab! hieß es, in den Garten oder ins Kinderzimmer. Kinder mochte die Mutter nur bis sie zwei Jahre alt waren, wie sie später ihrem staunenden Enkel erzählte, als der fünf Jahre alt war.

    Sie mochte das Kindsein nicht, das kindliche Verhalten, wahrscheinlich sich selbst als Kind nicht, aufgewachsen in einer Offiziersfamilie mit Brüdern. Sie wollte wie ihr Vater sein, den sie liebte und verehrte. Aber sie war ein Mädchen.

    Die Zeit der Entbehrung mit dem Ende des 2. Weltkrieges währte nur kurz, als die Mutter mit dem schweren Wandererfahrrad aufs Land zum Hausieren von Lebensmitteln fuhr und dann den Vater als Chef der Röntgenund Strahlen-Abteilung im Krankenhaus vertreten musste, der schwer an Typhus erkrankt war - vertreten durfte!

    Für sie war dies das beste Jahr ihres Lebens, als sie ihren Mann stehen konnte und von ihren Patienten als Frau Doktor verehrt und reich mit den damals raren Lebensmitteln beschenkt nach Hause kam.  Sie liebte die Bauern, die zu ihr als Patienten kamen und all das Lebendige, Schlichte und Selbstverständliche hatten, das ihr, ohne dass sie es wirklich wusste, fehlte.

    Wenn er versuche, sich bewusst zu machen, was er von diesen ersten Lebensjahren erinnere, dann seien es Gefühle und ein paar Bilder und das Geschenk der besonderen Zuneigung einer eher gefühlsverarmten Mutter, das Geschenk einer wohl behüteten Kindheit in den Jahren des Krieges und der Nachkriegszeit. Viel später wurde ihm bewusst, dass dies fortdauernde Geschenk immer ein unverdientes Privileg war, für das er nichts getan hatte und tun konnte, das aber andere entbehren mussten. Möglicherweise in emotionaler Hinsicht auch die Geschwister, die weniger Zuneigung ergattern konnten. Und dass sein Privileg dem privilegierten Leben geschuldet war, dass seine Familie auch während Krieg und Nazizeit genießen konnten, ohne sich aktiv in Naziführungspositionen zu betätigen. Was an ihrer Teilnahme nichts ändert aber im Erleben für uns Kinder damals viel.

    Krieg

    An den Krieg selbst erinnert er sich nur in wenigen Bildern, an diesen strahlend blauen Himmel mit einem lange brummenden und dröhnenden Fliegergeschwader, und er zwischen Blumen im Garten stehend, auch an ein brennendes Haus, als sie zu Fuß durch das Höllental in den Schwarzwald zogen, flohen?!

    Die Kinder hatten neue Haferlschuhe, die sehr drückten und auch schwer waren. Die Mutter war besonders stolz darauf, so besonders solides Schuhwerk aufgetrieben zu haben, Zwiegenähte, wie sie sagte, und dies zwei, ein Wort, das den Kindern fremd war, erforderte zwingend Unterwerfung unter die Expertin, die jeden Widerspruch gegen die drückenden Schuhe obsolet machte.  Der Weg war unvorstellbar lang für die Kinder, die Schuhe drückten nicht nur, sie waren auch schwer. Es ging einen Tag lang bergauf, und er erinnert sich noch, dass sie einem einzelnen Soldaten begegneten, der ihnen Schokolade schenkte. Und am Anfang des Wegs in der Ferne sei ein brennendes Haus gewesen, und auch die Nacht zu vor, als sie alle im Keller lagen über ihm wohl zum Schutz die dicke Käthe, war der Himmel immer wieder hell erleuchtet. Durch das Kellerfenster konnte er den brennenden Himmel von den Christbäumen sehen, die die Flieger zur Beleuchtung ihrer Bombenziele abwarfen. Und er spürte über sich den warmen dicken Leib der Käthe, der so weich und schwer wie ein Plumeau war. Ja die Käthe, sie kümmerte sich warmherzig um das Essen und um leibliche Zuwendung. Sie hatte im Gegensatz zur Mutter das, was er damals unter einem Busen verstand, nämlich ein zusammenhängendes lebendes Volumen, so vom Mieder gehalten, dass nur ein dünner Schlitz in der Mitte zu sehen war.

    In der Zeit nach Kriegsende gab es tatsächlich Hunger und schlechtes Essen. Im Krieg waren sie noch gut versorgt gewesen. Aber nun gab es so Eintopfgerichte aus großen holzigen Rüben, die Mutter nannte es Eirisch Stju. Käthe und die Mutter fuhren zum Hamstern per Fahrrad zum Kaiserstuhl. Im Austausch gegen Kartoffeln und Gemüse konnten die Bauern damals ein Schmuckstück oder einen Perserteppich erhalten. Ihnen ging es vergleichsweise immer noch besser, denn die Patienten brachten Lebensmittel in die Klinik. 

    Der Bruder der Mutter, in dem sie so viele Gefühle, die sie an den verlorenen Vater banden, weiterleben lassen konnte, erlitt das gleiche Schicksal seines Vaters im ersten Jahr des zweiten Weltkriegs, obwohl er keine Offizierslaufbahn eingeschlagen hatte. Aber er soll voller Überzeugung in den Krieg gegangen sein. Er hatte ihn nicht mehr erlebt, - oder doch in gelegentlichen Erwähnungen seiner Mutter, die ihn immer bewegten, weil in ihnen ihre tiefe Liebe zu ihrem Bruder spürbar war. 

    Die Apfelsine

    Seine ersten lustigen Erinnerungen an den Vater waren mit Essensgenüssen verbunden. Eines Abends, es war in der Nachkriegszeit, kam dieser von der Arbeit und erzählte, er werde jetzt zaubern, und dann fuchtelte er wild in der Luft herum, sprach ein paar Zaubersprüche und hatte dann plötzlich eine Apfelsine in der Hand. So was hatten sie noch nie gesehen, und er erklärte, das sei eine Blutorange. Schon das Wort Blutorange hatte eine gewaltige Wirkung, die wahrscheinlich aus der Verknüpfung der Vorstellung von Blut und dem fremd klingenden Wort Orange kam. Und dann durften alle erst mal an der ungeschälten Frucht riechen. Ein Duft, der noch heute den Zauber der Erinnerung hervorrufe. Der Vater wusste sie zu schälen, was auch großen Eindruck machte, und als sie dann verteilt wurde, bekam jeder höchstens zwei Schnitze, die wie  einzigartige Kraft- und Zauberdrogen wirkten.

    Ein andermal kam der Vater mit einem Care-Paket, das sich in unsere französische Zone verirrt hatte. Darin war eine Tüte mit gesüßtem Kakao-Pulver, und jedes Kind bekam einen Esslöffel voll in den Mund. Ergriffen sagte er Danke, während sich der Löffel in seinen Mund schob, und so blies er das Kakaopulver zum größten Teil in die Luft. Als sie dann in die Schule kamen, wo es jeden Tag Schulspeisung gab, wofür sie immer einen blechernen Henkelmann aus alter Soldatenausrüstung mitnehmen mussten, gab es Samstags Kakao und eine weiße Semmel, das war das Höchste. Er wusste dann schon von der ersten Begegnung her, dass das nicht Kaka-o hieß, wie alle Mitschüler sagten, sondern Kakau ausgesprochen wurde.

    Die Atmosphäre zuhause war meist eher ungemütlich. Nach der Schule mussten sie ausgehungert und ungewiss bis zu zwei Stunden auf die Ankunft des Vaters warten, denn er verspätete sich immer. Bei Tisch hatten Kinder nichts zu melden, wie es hieß, und sie durften ihre Arme nicht auf dem Tisch aufstützen. Gelegentlich gab es die Drohung eines Garnröllchens unter die Achsel, welches nicht herunterfallen durfte, damit sie mit angelegten Armen und aufrecht am Tisch säßen.

    Und gegessen wird, was auf den Tisch kommt, über Essen redet man nicht, und der Teller wird immer aufgegessen. Manchmal hätten sie in der Tat lieber den Teller als das, was drauf war, gegessen, besonders wenn es Fisch gab. Der stank damals immer. Die Mutter erklärte, Essen sei nicht so wichtig. Gottseidank gab es die ersten Jahre noch die Käthe, die wunderbar kochte und ihr Verständnis für die Vorlieben der Kinder unauffällig praktizierte und zugleich mit der Mutter umzugehen wusste. Wenn sie Kartoffelsuppe kochte, rieb sie vorher den Topf von innen mit Knoblauch aus. Hätte das die Mutter gewusst, hätte sie die Suppe sicher nicht mehr gelobt, denn solche Verfeinerung war überflüssig. Später aber erzählte die

    Mutter selbst diese Geschichte, um ihre Bewunderung für Käthe, als diese längst aus dem Haus war, auszuschmücken. 

    Ansonsten lernten sie früh ihre Bedürfnisse außerhalb der

    Familie zu befriedigen, sodass die unerfüllte Liebe zur Mutter weniger prägend für ihn war als vielmehr die permanente Suche nach Liebe und Zuwendung am Rande und außerhalb der Familie, sei es bei Damen, die zu Besuch kamen, bei den Müttern seiner Freunde oder bei Mädchen, die im Haushalt halfen. So erzählt er, dass er noch heute in seinem Gedächtnis die warme rauchige Stimme einer attraktiven Freundin seiner Mutter höre, die immer eine Herrenkrawatte anhatte und der er schon im Alter von 4 Jahren äußerst zugetan war. Er meint, dass seine Bewunderung und Verehrung für die Frauen, für ihre Schönheit, ihre zarte Haut, ihre Düfte und die Wärme ihrer Sprache diese wohl auch bemerkt haben mussten.  Später war es die Mutter seines Freundes, deren dunkle Augen und für die Nachkriegszeit auffallend elegante Erscheinung es ihm angetan hatten. Sonntags nachmittags wollte sein Freund nie mit ihm spielen, weil er an der Seite seines Vaters, dem gewichtigen Chefarzt für Chirurgie, auf dem tiefen, weichen Sofa sitzend, (so was Spießiges hatte es bei ihnen nicht gegeben), die Fussballreportagen im Radio anhören musste. Das machten Sonntags die meisten Leute, nur seine Familie nicht. Er spielte Interesse an diesen Übertragungen, die in der eigenen Familie als ordinär verachtet waren, verpönt waren, wie die Mutter sagte, und so durfte er als Gasthörer in der Nähe der bewunderten Mutter des Freundes sein. Apropos Fußball: Alle seine Schulfreunde spielten es und weil er dabei sein wollte, auch er, aber grottenschlecht, und so durfte er meist nur in die Verteidigung, wo er den Kasper machte, weil er durch gute Leistungen nicht auffallen konnte. Leistungen brachte er eher in Leichtathletik, und er trainierte als junges Mitglied des USC im Stadion. Er wollte so gut werden wie der Fütterer im 100 Meterlauf. Dessen damals berühmter Trainer Woldemar Gerschler, der einige Olympiasieger mit seinem Intervalltraining betreute, war im Club tätig.

    Und so peste er in Intervallen beschleunigend mit seinen Spikes, die er gebraucht geschenkt bekommen hatte und auf die er mächtig stolz war, denn die hatte sonst keiner in seiner Klasse, über die Aschenbahn, die beim USC damals schon aus rotem, feinen Split bestand und nicht mehr aus Asche.

    Die kleinen Verstecke

    Nachmittags spielten sie im unteren Teil des Gartens, wo niemand hinkam, da war nur der Komposthaufen der gärtnernden Mutter, die in ihrem Steingarten oberhalb des Hauses werkelte.

    In dieser unteren verlassenen Ecke des Gartens stand eine stattliche Platane mit einem alten Hocker davor, bis sie es schafften den ersten Zweig springend zu erreichen und sich dann emporzuschwingen und den Hocker zeremoniell zu verbrennen. Diese Platane war ein Lebensbereich, der immer ausgedehnter von ihrer kleinen Klicke möbliert wurde mit einer uneinnehmbaren Hütte auf der mittleren Astgabelung. Hier wurden beim Ratschlag die beißenden Glimmstengel von Lianen geraucht und gemeinsame Phantasien über exotische Lebensweisen meistens der Indianer gesponnen. Sie lasen Tecumseh, der Berglöwe, von Fritz Steuben. Wichtig war vor allem, dass sie hier ungestört waren und auch ihre Erfahrungen mit den verschiedenen Eltern austauschen und, sei es in Gedanken, Exkursionen in die Welt unternehmen konnten.

    Von der Platane konnten sie in das Nachbarbargrundstück schauen, in einen gepflegten parkähnlichen Garten, in dem sie gelegentlich einen Gärtner arbeiten sahen. Das Grundstück war gut nach außen mit einem Stacheldrahtzaun und einer hohen Mauer geschützt. Es gehörte einem älteren alleinstehenden Geschäfstmann, der jeden Morgen mit seinem Wagen von einem Chauffeur, vermutlich personengleich mit dem Gärtner, in seinen Betrieb gefahren wurde. Gelegentlich konnten sie, einen kurzen Moment, wenn das große Tor zur Straße schon offen war, die Zeremonie seiner morgendlichen Abfahrt beobachten. Eines Tages, sie hatten schulfrei, nutzten sie diesen Moment um alle Hindernisse überwindend in das fremde Grundstück zu klettern. Die Kieswege knirschten verräterisch unter ihren Füßen, und der Rasen war so unheimlich gepflegt, dass sie ihn nicht zu betreten wagten. Einer aus der kleinen Clique war in besonderer Weise still und bewegt. Er hatte hier während des Krieges gewohnt, sein Vater war ein hoher Parteigenosse der NSDAP und Arztkollege des Vaters. Nach dem Krieg war sein Vater im Gefängnis und er und seine Familie hatten die Villa verlassen müssen.

    Als sie das große Tor sich öffnen hörten und den zurückgekehrten Wagen, rannten sie herzklopfend an die Mauer, die sie nun nur mühsam und sich gegenseitig helfend empor geklettert kamen, erleichtert dann, dass man sie nicht aufgegriffen hatte.

    Wenn er mit seinem Bruder allein war, langweiligten sie sich oft, weil sie miteinander wenig anzufangen wussten und eigentlich lieber ihre eigenen Wege gegangen wären. So kamen sie dann eher auf abwegige Ideen.

    Der ältere Bruder hatte sich mal eine Amsel gebraten, die er sich irgendwie erlegt hatte. Er hatte sie auch selber entfiedert, ausgenommen und bratfertig gemacht. Die Mutter äußerte zwar ihr Missfallen, weil sie Vögel liebte, aber der ältere Bruder wurde dennoch eher bewundert wegen seiner pfadfinderischen Fähigkeiten. Jagen durfte man Wild, auch wenn es nur ein Singvogel war.

    Es war Frühsommer und sie hatten ein Vogelnest entdeckt mit jungen Amseln, die eifrig gefüttert wurden. Es war in der Hecke an der Gartenmauer und einsehbar auch für die Kinder, wenn sie auf die Mauer kletterten. Dann kamen sie auf die Idee mit einem Stöckchen die Vögel zu ärgern, und es blieb nicht bei der Störung. Da lagen nun die nackten noch unfähigen Vögelchen auf dem Boden. Sie hatten gehört, dass man sie nicht anfassen durfte, sonst würden die Vogeleltern sie ablehnen. Eine Weile später waren sie tot. Es war ihnen sofort bewusst, dass sie ein schlimmes Verbrechen begangen hatten. Die Eltern flogen durcheinander um die Unglücksstelle, die Kinder trauten sich weder das Nest aufzuheben, noch irgendetwas zu tun und betrachteten erregt und beschämt, was sie angerichtet hatten.

    Es blieb nicht unbemerkt und sie erhielten eine moralische Standpauke von allen, und es waren ja alle, die es mitbekommen hatten. Heile Welt!

    Die Wespen,

    kann man auch überfliegen

    Es waren einmal zwei Wespen, sie schienen gute Kumpels zu sein und trafen sich auf einem Tisch in der Sonne an einem leegetrunkenen Apfelsaftglas, an dessen Rand und Innenseite sie noch genug süße Reste fanden, die ihren Duft verbreiteten. Sie waren so beschäftigt, dass sie den alten Mann nicht beim Zeitungslesen belästigten. Ab und zu warf er einen kontrollierenden Blick mit dem linken Auge auf das Geschehen, und wenn es turbulenter brummte, vergaß er seine Zeitung.

    Und es wurde turbulent. Andere Wespen schwirrten hinzu, angelockt vom Duft und aufmerksam geworden, durch die Rempeleien der zwei, die sich im Überfluss immer wieder um die besten Stellen balgten.

    Dennoch waren sie vorsichtig. Sie kannten offenbar die Gefahr, an der glatten Innenwand bis auf den Boden abzustürzen. Das passierte auch aber harmlos, weil der Boden annähernd trocken war. Es war Spätsommer, und die Wespen hatten ihre Brut in der Wabe schon großgezogen, sodass sie sich nur um sich selbst kümmern mussten. Als Räuberbande flogen sie auf ihre Raubzüge, jeder nur gierig und fresslustig für sich selbst, die Alten und die Jungen zusammen und gegeneinander. 

    Der alte Mann war ein böser Mann, oder war er nur neugierig? Er nahm die Apfelsaftflasche und schüttete einen kleinen Schluck in das Glas. 

    Nach kurzer Zeit setzten die Wespen ihr Treiben fort wie zuvor und unsere beiden Kumpels rauften so übermütig, dass einer nun in den Schluck Apfelsaft fiel und hektisch darin rumruderte aber nicht mehr an der Glaswand hochkam. Die anderen und auch seinen Kumpel kümmerte das wenig. Sie schwirrten in und um das Glas wie zuvor, während der eine hilflos mit Füßen und Flügeln um sich schlug ohne Chance auf Rettung. 

    Die Neugier des alten Mannes schien nun doch vordringlicher als seine Bosheit.

    Jedenfalls fand er einen kleinen Holzspan, den er in das Glas warf, sodass es auf dem Schluck Apfelsaft schwamm. Der hilflose Wespenkumpel könnte nun auf den Holzspann klettern und seine Flügel trocknen, aber der kraulte weiter aufgeregt und immer erschöpfter an der Glaswand entlang und bemerkte das rettende Holzstückchen hinter sich nicht. Da sich nichts neues tat, verlor der alte Mann sein Interesse und wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Er hatte die Sache ganz vergessen, als er am nächsten Morgen das Glas mit dem Schluck Apfelsaft und dem schwimmenden Holzspan sah. Keine Wespe.

    Hatte sie sich gerettet, allein oder doch mit Hilfe des anderen?

    Nur von der Wespe, die ihren Kumpel achtlos im Stich gelassen hatte, ist bekannt geworden, dass sie sich dem Mönchstum in einem Kloster zugewandt hatte, wo sie nach vielen Jahren verstarb.

    Nein, keine Geschichte für seine Enkel. Das Mönchstum, sie wissen, dass ich mich die letzte Zeit mit dem Leben und der Bedeutung des Heiligen Antonius beschäftigt habe, der

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