Die Augen des Eremiten: Die Fähigkeit zu glauben
Von Lisett Erden
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Über dieses E-Book
Lisett Erden
Die Autorin wurde 1940 in Zweibrücken/Rheinland-Pfalz geboren und wuchs dort auf. Heute lebt sie in mit ihrer Familie in der Kolpingstadt Kerpen/Nordrhein-Westfalen. Neben dem Schuldienst im In- und Ausland (Santiago de Chile) bildete sie sich weiter zur Bibliodrama- und Meditationsleiterin. Ihr Interesse gilt den Weltreligionen, und hier besonders den mystischen Zugängen zum Glauben. Die ostasiatische Poetenmalerei liebt sie und malt im meditativen Aquarell-Stil. Zunächst veröffentlichte sie unter dem Autorennamen Lisa Erden, jetzt unter Lisett Erden.
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Buchvorschau
Die Augen des Eremiten - Lisett Erden
„Wer den Unterschied spürt, was vom Himmel gegeben wird und was bei den Menschen liegt, der ist angekommen mit seinem Erkennen. Das, was wir vollenden ohne absichtsvolles Handeln, das, was wir erlangen, ohne danach zu streben – seht, hier liegen Aufgaben, die wir vom Himmel haben."
Hsün Tzü (305 – 235 v. Chr.)
Inhalt
Tag: Kinderwunsch
Tag: Gartenmarkt
Tag: Chinagarten
Tag: Teo „ohne h"
Nacht vom 4. auf den 5. Tag
Tag: Novene
Tag: Gonda
Tag: Chinatag
Tag: Märchentag
Tag: Familientag
Am Tag danach
1. Tag
Kinderwunsch
Beim Umkreisen des Häuschens stolperte Alma mit dem linken Fuß über ein Grasbüschel, das ihre bloßen Zehen in den leichten Sandalen stumpf getroffen hatte. Sie bückte sich, um den Schmerz herauszukneten. Dieser stieg den Spann hinauf, in das Wadenbein, weiter durch den Oberschenkel in die Vagina und setzte sich in der Gebärmutter fest. Dort vernestelte er sich mit dem Klumpen von neun Jahre alter Kümmernis und vergrößerte ihn. Seufzend strich sie über ihren Schoß, fasste sich und unterbrach die Umrundung, weiter leise murmelnd.
„Was sagst du?"
Erschrocken fuhr sie herum und erblickte Greta. Mit ihrem dunkelblauen Babywagen war diese auf dem Hauptweg unterhalb der Kapelle stehengeblieben, zu einem Schwatz bereit. Der jüngsten Mutter im Viertel musste Alma Aufmerksamkeit zollen. So erkundigte sie sich schnell - auch um von der ihr gestellten Frage abzulenken - nach dem kleinen Mädchen und vernahm die großartigen Neuigkeiten über Schlaf, Nahrungsaufnahme und Gewichtszunahme.
„Hofft ihr auch noch auf Nachwuchs?", endete die Milchbrüstige abrupt, mit trompetenschmetternder Stimme, die sich in dünne Drähte zerschleißend um Almas Kehle legte.
„Ja, schon. - Ach, sind die Bienen aufdringlich."
Mit ihren Händen scheuchte sie zwei, drei Plagegeister von sich weg.
„Ja dann, ich muss mal wieder."
Gott sei Dank beharrte die noch immer stattlich Beleibte, wobei der Mutterstolz als Zweizentimeter-Ring den Bauchumfang noch verdickte, nicht auf einer ausführlicheren Beantwortung ihrer Frage.
An die grobe, braune Rinde einer der drei über hundertjährigen Sommerlinden gepresst, schaute Alma ihr nach. Es war ihr unangenehm, überrascht worden zu sein. Ihre Konzentration auf ihr Vorhaben war gerissen, spaltete sich auf in zahllose Fetzen und verhedderte sich im Geäst. Diese Ausfragerei, die plumpe Neugier! Nur gut, dass Greta nicht wissen wollte, was sie um diese Zeit - es war noch Geschäftszeit - hier oben machte. Zu lügen fiel ihr schwer. Ungeschickt stellte sie sich dabei an, dass jeder es merkte. Das behauptete zumindest Albrecht.
Im heißen Juliwind rauschten die Baumweiber - so alt und noch trächtig - und schüttelten einige zu früh gereifte, kleine Nussfrüchtchen herab auf ihre schwarzen, leicht gelockten Haare, die sich aus dem seitlich geflochtenen Zopf gelöst hatten, und spannten sich wie ein milchgelbes Haarnetz darüber.
„Frühgebürtchen!, sagte sie, „wie meine zwei.
Einen Grund wird sie finden müssen, warum sie in den nächsten acht Tagen hier oben ist. Frische Blumen bringen und Wasser nachgießen, das klänge gut. Wer würde ihr das nicht glauben? Floristin Alma Vonderhöh spendet der Kapelle auf dem Westhügel Blumen. Zustimmung würde das finden, nicht mehr und nicht weniger. Auch ihrem Mann könnte sie so plausibel machen, warum sie täglich um die Mittagszeit das Geschäft verließ, gegen halb zwölf. Da flaute der Kundenstrom ab und die Angestellten kamen ohne sie zurecht. Dennoch, wären gepflückte Wiesenblumensträuße nicht passender für das schlichte, wirklich sehr einfache Heiligenhäuschen? Überall blühte die Wiesenmargerite, auch die pinke Malve und sogar der blaue, gesundheitsverheißende Wiesensalbei. Sträuße daraus zu binden wäre angebrachter. Nein, sie muss sich etwas anderes ausdenken.
„Wie schön es um die Mittagszeit hier oben ist!"
Meist war sie mit Albrecht in den Abendstunden hierherspaziert, wenn er nicht zu müde war. Seit sie vor einem Jahr den Gartenmarkt eröffnet hatten, kaum noch. Jetzt erlebte sie den abgelegenen Ort auf eine neue Weise. Sommerhitze, Sommerlüfte, Sommerfarben und Sommerdüfte brachen ihre zugekitteten Sinne auf. Geschlossenen Auges lauschte sie dem Insektengesurre, dem Gekicher der Herzblätter, dem Gezänk kleiner Vögel.
Eine Ameise kitzelte sie am Knöchel. Unter ihren Sohlen krabbelte es emsig. Aus den Rissen der Rinde von ihrer Ausdünstung herausgelockt, juckten kleine Mietsgäste auch im Rücken. Nachdem sie ihre Achtsamkeit wieder aus der Blattkrone herausgeangelt hatte, wandte sie sich von dem Baum ab, der Kapelle zu.
Unschlüssig blieb sie unter dem rotbraun gestrichenen Rundbogen der offenen Frontseite stehen. Durch die unliebsame Ablenkung hatte sie ihr Ritual nicht beenden können. Also begann sie noch einmal von vorne, den bescheidenen Bau zu umschreiten, einmal, zweimal, … neunmal, immer die eine Bitte flüsternd. Außer einem Zaunkönig, der wie ein Mäuschen über einen Reisighaufen hüpfte, schaute ihr niemand zu. Anschließend setzte sie sich im Innern auf das Wandbrett zur Linken und betrachtete die mannsgroße, langbärtige Statue an der Rückwand. Die wiederum nahm keine Notiz von ihr, sondern starrte mit ihren großen, schwarzen Klickerpupillen durch das gedämpfte Licht hinaus in die Weite.
In einer Tonvase, die sie wegen ihres üppigen wülstigen Dekors hässlich fand, welkten Blumen; das Wasser stank modrig. Morgen wollte sie Nachschub mitbringen, gewiss. Ihr angezündetes Teelicht flackerte lebendig und hellte ihr Gemüt auf, das von der schwarzen Gestalt mit ihrer strengen Aura eingedunkelt worden war. Unsicher warf sie ihr heischende Blicke zu, die an der Holzmaserung abprallten und von der flimmernden Luft verschluckt wurden.
„Wir müssen uns erst aneinander gewöhnen. Ich hatte noch nie ein Anliegen. "
Zügigen Schrittes lief sie die Anhöhe hinab, keiner begegnete ihr. Der Busen senkte sich schwerer als sie es gewohnt war. Hatte sie zugenommen? Wahrscheinlich weil sie nicht mehr zum Joggen kam. Oder weil sie in die Jahre kam? Gestern noch hatte Albrecht eine Bemerkung gemacht, halb flapsig, halb ernst, sie sei fraulicher geworden.
„Das ist es, grinste sie, „ich werde die nächsten Tage joggen müssen.
Albrecht kam zum Mittagessen, das sie in Hast zubereitet hatte. Er war, was Essen anbelangte, überhaupt nicht anspruchsvoll, zu ihrer Erleichterung. Ihm genügte oft ein schlichtes, vegetarisches Gericht. Ein Gärtneressen halt, mit Zutaten, die aus der Erde wuchsen.
„Wo warst du denn, du Linde?"
Aus ihren Haaren zog er einige Nüsschen und zerstörte das Gewebe ihres Geheimnisses.
„Ich war joggen, antwortete sie, „du meintest doch neulich, ich sei dicker geworden.
„Dicker? Ich sagte runder. Das ist etwas ganz anderes."
„Egal, wie du ’s meinst, ich werde wieder joggen. Um die Mittagszeit passt es mir. Zur Kapelle und zurück."
„Wenn du ’s willst! Aber nicht übertreiben; deine kleinen Wölbungen mag ich lieber als deine Hungerknochen von früher."
Mit seinen kräftigen Händen umfasste er sie und strich ihr über Rücken und Po. Sie schmiegte sich in seine Umarmung.
„Heb dir deine Lust für heute Abend auf!", flirtete sie und küsste ihn.
„So, so! Heute Abend. Klingt verheißungsvoll."
Beim Essen fragte sie ihn, wie ihm der Name Linda gefiele. Sie fände ihn gut. Wenn sie eine Tochter hätten. - Überrascht schaute er sie an und zögerte einen Augenblick mit der Antwort.
„Besser vielleicht Linde."
„Oder was hälst du von Tilia?"
„Willst du mich testen? Ich weiß, dass Tilia der botanische Name der Linde ist, lachte er. „Tilia Vonderhöh, klingt gut, klingt edel, zu edel. (Alma schaute etwas beleidigt.) Noch schöner wäre: Albrecht Vonderhöh, junior.
„Mann, nein! Das ist total altmodisch, den Sohn wie den Vater zu benennen. Wir leben doch nicht im Mittelalter. Wie