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Nel Arta - Kleine Betriebsstörung
Nel Arta - Kleine Betriebsstörung
Nel Arta - Kleine Betriebsstörung
eBook252 Seiten3 Stunden

Nel Arta - Kleine Betriebsstörung

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Über dieses E-Book

Endlich spricht mich einer der Uniformierten an. "Du, bist du Mann oder Frau?"
Wie ich diese Frage hasse. Die Diskrepanz zwischen Pass und Wirklichkeit bringt Welten ins Wanken. "Ich bin transident."

Nel Arta will eine Geschlechts-OP, wie die anderen in ihrem Berliner Bekanntenkreis. Da kommt das Angebot der brasilianischen Privatklinik Casa da Beleza gerade recht. Modern, hygienisch und sensationell günstig - doch Nel macht eine beunruhigende Entdeckung ...
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Jan. 2016
ISBN9783946408031
Nel Arta - Kleine Betriebsstörung

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    Buchvorschau

    Nel Arta - Kleine Betriebsstörung - Ria Klug

    Ria Klug

    Nel Arta –

    Kleine Betriebsstörung

    Impressum

    © tensual publishing, Mettingen 2016

    http://www.tensual.de

    tensual publishing ist ein Imprint des dead soft verlag

    http://www.deadsoft.de

    © the author

    Cover: Irene Repp

    http://www.daylinart.webnode.com/

    Bildrechte:

    © Porenchenskaya – fotolia.com

    © d1sK – shutterstock.com

    1. (Neu)Auflage

    ISBN 978-3-946408-02-4

    ISBN 978-3-946408-03-1 (epub)

    Vorwort

    Als mich 2008 die unüberwindbare Idee, ich könne einen Krimi schreiben, anfiel, hatte ich noch keine Ahnung, wo die Reise hinführen würde.

    Ich schrieb also drauflos und je mehr Seiten dazukamen, desto besoffener war ich von meinem eigenen Text.

    Auf Einwendungen von Freund_innen, es handele sich um ein Spartenthema, erwiderte ich lapidar, im Fernsehen liefen Krimis, in denen der Kommissar nur einen Arm hat und die meisten Zuschauer_innen dagegen mindestens zwei. Oder in Krimis träten Polizist_innen mit Liebeskummer und Alkoholproblemen auf und das läsen auch beziehungsferne Misantrop_innen und überzeugte Abstinenzler_innen.

    Aber machen wir’s kurz: Erst nachdem ich mir ein Online-Seminar zum Krimischreiben leistete, erkannte ich, dass Schreiben ein zu erlernendes Handwerk ist und ich bis dato keinen erdenkbaren Anfänger_innenfehler ausgelassen hatte. So wurde der zweite Roman mit Nel Arta vor dem ersten fertig und veröffentlicht. Schließlich waren alle drei Nel-Arta-Geschichten erschienen, eine vierte in Teilen geschrieben, aber sie dümpelten unter der Wahrnehmungsschwelle des Buchmarktes.

    Nun wagt dead soft eine Neuedition des Debuts, was mich außerordentlich freut. Zum einen, weil ich die Gelegenheit hatte, den Text behutsam zu überarbeiten und so etwas von den sieben Jahren Schreiberfahrung einzubringen und zum anderen, weil ich Idee, Plot und Schreibe immer noch mag.

    Geneigte Leserschaft, hier hältst du also den ersten und einzigen Kriminalroman mit einer Transfrau als Hauptfigur in den Händen. Ich wünsche gute Unterhaltung.

    Ria Klug, November 2015

    Anmerkung: Am Ende des Buches befindet sich ein Glossar mit Erklärungen von spezifischen und portugiesischen Formulierungen.

    1

    »Du glaubst, du weißt immer alles besser.«

    Sabrina beugt sich vor und stellt ihren prallen Busen auf den Tisch. Damit will sie den Worten Nachdruck verleihen. Mit ihrer großen Klappe und dem schrillen Getue drängelt sie sich immer in den Mittelpunkt. Sie quillt fast aus ihren blümeligen Fetzen. Nicht nur mit dem rosa Lippenstift, den sie reichlich über ihre Schlauchbootlippen verteilt, ist sie die Karikatur einer Frau. Alles an ihr ist prall: Der Lockenkopf, das üppig bemalte Gesicht, die Fettpolster, die dicken Ringe an dicken Fingern, die Handgelenke mit den achtundachtzig Armreifen, der fette Hals, eingewickelt in kilometerlange Halsketten. Am prallsten ist ihr Arsch, in den ich ihr gerne treten würde. He, ich kann sie einfach nicht leiden. Seit ich sie mal auf einer Sexparty bei Pinkelspielen gesehen habe, nenne ich sie insgeheim Latrina.

    Mag ja sein, dass sie recht hat und ich eine verflixte Besserwisserin bin, aber in diesem Fall habe ich wirklich recht. Ich finde es unerträglich, wenn Julie ihrer Krankenkasse in diesem jämmerlichen Ton schreibt. Sie soll ihren Willen kundtun und aufhören so rumzukriechen, erst dann nehmen die sie ernst. Sie kann doch verdammt noch mal verlangen, dass die ihr nicht immer mit: »Sehr geehrter Herr Tolksdorf …« schreiben.

    Julies Blick irrlichtert eingeschüchtert zwischen mir und Sabrina hin und her. Das ist wieder typisch für unsere Selbsthilfegruppe TransForm. Rat und Tat für Transgender.

    Jason zupft mich am Ärmel.

    »Dann schreibt’s so, wie ihr denkt, wenn ihr euch mit dem Gejammere besser fühlt«, sage ich.

    Sabrina verdreht die Augen und schnauft. Wenigstens hält sie jetzt die Klappe.

    »Lass die mal machen«, sagt Jason und gurgelt den Rest aus seiner Bierflasche. Er schließt einen dezenten Rülpser an und lehnt sich zurück, weil er etwas aus seiner Hosentasche ziehen möchte. Nicht so leicht, bei seinem Wanst. Er fördert einen verknüllten Wisch hervor und faltet ihn sorgfältig auseinander. »Das hat Cristina heute Abend gemailt«, sagt er und reibt sich die stoppelige untere Gesichtshälfte, dabei starrt er versonnen auf das Papier.

    »Ja, was denn? Wie sieht’s aus? Komm ich auch dran? Gib doch mal her.«

    Jason verzieht den Mund. »Ich weiß nicht, ob ich dir das wirklich geben soll. Du bist auf einmal so scharf auf dieses Geschnippel. Ich frage mich wirklich, ob du dir das gut überlegt hast.«

    »Los, gib her, Blödmann. Ich weiß, was ich tue.« Ich beuge mich zu ihm hinüber und will ihm den Zettel wegnehmen. Er hält ihn blitzschnell weit von mir weg. Obwohl ich mich ganz lang mache, falle ich nur auf ihn drauf.

    Jason umfasst mich mit dem anderen Arm, rückt mich zurecht und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. »Ich mache mir halt Sorgen um dich«, sagt er, während er mich loslässt und mir den Zettel gibt. »Du hast so ein Talent Unheil anzuziehen wie Kacke die Fliegen.«

    Ich gebe keine Antwort, denn Cristinas Mail hat mich in ihren Bann gezogen. Ihr putziges Deutsch ist schwer zu verstehen, aber ich finde sofort, was ich wissen will. Am neunten November kann ich drankommen. Einen Tag nach ihr. Mir ist ein bisschen flau. Wie immer, wenn es ernst wird.

    Ich sehe zu den anderen rüber, die sich um Sabrina und Julie klumpen und die Köpfe zusammenstecken. Ein richtiger Haarauflauf, in allen Schattierungen. Einiges davon Horn, anderes Kunststoff. Von denen haben das schon einige hinter sich und hocken trotzdem hier, um ihre Weisheiten zum Besten zu geben. Wieder mal fühle ich mich fremd und frage mich, ob die OP daran etwas ändern könnte. Von Ärzten und Krankenhäusern krieg ich Panik. Mein ganzes Geld geht für die Aktion drauf. Vielleicht machen die mich dafür zum Krüppel. Ein Sozialfall bin ich schon.

    »Angst?«, fragt Jason.

    »Nö«, sage ich, »oder vielleicht ’n bisschen. Was willst du eigentlich? Du hast dir auch die Möpse absäbeln und die Quarktasche leermachen lassen.«

    »Aber hier und nicht sonst wo. Casa da Beleza heißt der Laden. Ich hab’s nachgeschlagen. Das heißt ›Haus der Schönheit‹. Klingt nach Seifenoper«, sagt Jason.

    Amanda-Chantal und Ronja kommen zu uns rüber. Sie sind mit ihrem Getratsche und Geschmiere fertig, aber die Neugier lebt noch.

    »Am Siebten flieg ich nach Brasilien und lass mich operieren«, sage ich, als ich merke, dass sie sich nicht abwimmeln lassen.

    »Oktober?«, fragt Ronja.

    Gott, die ist ja fast so bescheuert wie Sabrinalatrina. Sieht so aus, als fängt auch bei ihr das Transen an, indem das Hirn auf die Hälfte eingedampft und mit rosa Watte aufgefüllt wird. Damit nicht so viel Gewicht auf die Stilettos drückt. Ich habe mich sowieso schon gefragt, warum eine mit so einer Möbelpackerfigur sich so einen Mädchennamen aussucht.

    »Das war vor zwei Wochen, Herzchen, liest du denn wirklich nie Zeitung?« Ich seufze.

    »Ist das nicht gefährlich?« Amanda-Chantal kräuselt die Oberlippe, soweit es die Lippenstiftbeschichtung zulässt.

    Ihr gebe ich auch noch einen mit: »Zeitung lesen?«

    »Nein, die OP in Brasilien natürlich.«

    »Für euch ist doch alles gefährlich, was nicht mit Schminken und Klamotten zu tun hat.«

    Amanda-Chantal ist eher besorgt als sauer. »Warum bist du in letzter Zeit so aggressiv? Mit dir ist ja kaum noch zu reden.«

    »Bestimmt vergisst Nel dauernd die Hormone.« Das war Sabrina, die sich ein neues Betätigungsfeld sucht. Mir bleibt heute einfach nichts erspart. Dann fangen sie alle an zu quasseln, jede weiß natürlich was.

    »... hab ich neulich gelesen über so eine Klinik in – glaube Costa Rica oder wo – so ein Pfusch, aber ganz billig – Straßenräuber – im Flughafen das ganze Geld weg – Hygienestandards einfach schlechter ...«

    Ich schalte ab, nur ein paar Fetzen nehme ich sozusagen vegetativ wahr. Auf einmal ist es ganz still. Alle gaffen mich an. Ich suche nach dem Echo der Frage.

    »Ist doch kein Geheimnis, oder? Ich möchte schon gerne mal wissen, was das kostet.« Ronja hat sich offenbar ganz gut erholt.

    Ich sehe mich um und fühle mich genötigt. »Viertausendfünfhundert …«

    »Etwa Euro? Oder das brasilianische, wie heißt das noch …?«

    »Dollar, Schätzchen. Cash Kralle.«

    Für einen Moment bleiben die Mäuler offen stehen, ungläubige Mienen, rundum. Ich möchte gerne über was anderes reden. Natürlich keine Chance.

    »Bist du sicher? Das gibt’s doch nicht, das ist doch viel zu billig. Selbst in Thailand zahlst du mindestens zehntausend Euro. Viertausendfünfhundert, da stimmt doch was nicht. Warum lässt du es nicht hier machen?«

    »Meinst du, ich habe Lust in der Charité auf’m Klo zu vergammeln?«

    »Aber Nel, Viertausendfünfhundert, das kann doch nur Metzgerei sein. Du bist verrückt.« Sabrina trägt die geballten Bedenken vor. Dahinter schnattern die anderen durcheinander.

    »Das sind ja in Euro – was für ein Zimmer – wie lange – aber der Flug noch – aber in Thailand – hör mir auf mit Thailand – würd ich nie – die Kasse – hör bloß auf mit der Kasse.«

    Julie hängt eindeutig zu viel vor der Glotze: »Ich hab da neulich so’n Bericht im Fernsehen gesehen, wie die in Brasilien Leute entführen und Nieren oder so klauen, manchmal Kinder, die verschwinden …«

    Ronja fällt ihr ins Wort: »Ja, das hab ich auch gesehen, gruselig, da machen ganz renommierte Ärzte und Kliniken mit.«

    »Habt ihr Turistas gesehen?«, fragt Amanda-Chantal. »Der lief doch neulich in der Brauerei. Da wird in Brasilien so ’ne Gruppe Rucksacktouristen erst ausgeraubt, dann schnappt sie so ’n Menschenhändler und sperrt sie ein wie so Stalltiere. Der will die Organe verkaufen. Ey, das war voll eklig.«

    Ich will das nicht ernst nehmen. Davon habe ich auch gelesen. Beim Googeln nach Brasilien findet sich ja praktisch nichts anderes als Korruption und Gewaltverbrechen. Aber Turistas ist doch nur ein scheißverdammter Film, oder? Dass an den billigen Preis Bedingungen geknüpft sind, verrate ich nicht. Ich habe keine Lust, darüber auch noch zu diskutieren.

    Cristina hat mir diese Gelegenheit vermittelt. Sie wird sich auch dort operieren lassen. Wir würden uns ein Zimmer teilen. Die brasilianische Klinik bildet Ärzte in den gängigen OP-Methoden aus, weil sich ab zweitausendzehn transsexuelle Brasilianerinnen auf Kosten der Gesundheitsfürsorge operieren lassen können. Natürlich erst nach dem ganzen Psychobrimborium, fast wie bei uns. Die verbilligten OP’s dienen als Lehrmaterial. Zuschauer sind auch dabei, dazu muss ich meine Einwilligung geben. Wenn ich genug Knete hätte, würde mir das im Traum nicht einfallen. Aber für achttausend Euro fange selbst ich an Kompromisse zu machen.

    Eigentlich glaube ich, die Mädels sind nur neidisch, weil ich eine Abkürzung nehme und dem TSG und der Krankenkasse eine Nase drehe. Das Geld dafür habe ich noch von dem Anteil über, den mir meine Mama aus der Lebensversicherung meines Papas gegeben hat. Wenn er geahnt hätte, was ich mit der Kohle mache, wäre er bestimmt am Leben geblieben, aus reinem Starrsinn.

    Die Mädels sind immer noch feste am Rumunken, aber nur weil Jason ihnen den Gefallen tut und zuhört. Da fällt es nicht weiter auf, dass ich den Wisch lese, den Julie vom Medizinischen Dienst ihrer Krankenkasse bekommen hat.

    »Sehr geehrter Herr Tolksdorf … Sie haben beantragt, dass … Ihrem Wunsch können wir daher nicht entsprechen, solange die Gutachten …«

    Vielleicht sollte ich Gutachterin werden, dann könnte ich mich jedes Jahr zweimal operieren lassen. Beim Begutachten würde das nicht stören, die Textbausteine liegen ja gemütlich auf dem Rechner. Ich müsste jedes Mal nur ein paar neue Namen und Daten eingeben. Solange die Hand die Maus bewegen kann, würde das Geld niemals knapp werden.

    Sabrinas Handy schmettert die Ode an die Freude. Das passt wie Arsch auf Eimer. Gerettet, der Redeschwall versiegt.

    Ich schaue auf die Uhr. Wir können nach Hause gehen, statt uns gegenseitig zu nerven. Unser Treffpunkt ist ein Nebenzimmer der Kultur- und Bildungsinitiative Kuhle Wampe. Das ist eine höchst linke Angelegenheit. Deren stinklangweilige Abendveranstaltung ist verendet und wir können durch den Saal ins Freie.

    Es stehen noch mehrere Grüppchen herum, die sich noch nicht genug über die herrschenden Verhältnisse ausgekotzt haben. Die sehen immer gleich aus: Kleine, dicke Frauen in Bequemschuhen, die Baskenmützen keck auf die burschikosen Frisuren geschoben, Männer mit Hängebäuchen in karierten Hemden und Bundfaltenjeans. Klar, da gibt’s auch Jüngere dabei, die sind aber auf dem Weg genauso zu werden. Weltverbesserer eben. Ein paar von denen heften ihre Stielaugen auf mich. Ich wackele ein bisschen mit dem Arsch, dann drehe ich mich rum.

    »Maul zu, der Sabber läuft raus.« Natürlich hat das den gegenteiligen Effekt. Ich bin weg, bevor die Pfütze zu groß wird.

    Draußen holt mich Sabrina ein. »Wenn die uns den Raum wegnehmen, bist du schuld. Das war doch jetzt völlig unnötig.«

    »Du kannst ja wieder reingehen und brav Pfötchen geben.«

    Sabrina holt tief Luft, aber Julie zieht sie am Ärmel. »Ich habe noch mal überlegt, ob ich nicht lieber doch so schreiben …«

    Ich hake mich schnell bei Jason ein. Wir gehen ein paar Schritte die Kopenhagener entlang, natürlich immer mit Hundescheißesonar auf voller Leistung. Die Stadt spart am Licht. Jason bleibt stehen. Ich blende noch mal voll auf, ob ich was übersehen habe.

    »Kommst du mit ins Kings & Queens? Ich bin verabredet. Nick hat gesagt, ich soll dich mitbringen.«

    Das ist eine heftige Versuchung für mich. Dann spüre ich aber, dass ich nicht die Kraft aufbringe, ihr nachzugeben. »Ach Jason, du weißt doch, wie’s läuft: Ich saufe Schampus, bis ich rausgekehrt werde, und versuche in jeden Ausschnitt zu krabbeln, der mir zu nahe kommt. Für die OP muss ich mein Sparschwein killen. Ich gehe besser nach Hause und suche nochmal nach billigen Flügen.« Das ist fast schon ein Zipfelchen Weisheit.

    Jason schnallt es nicht: »Wenigstens passt Cristina auf dich auf. Wenn ich dich schon nicht davon abbringen kann.«

    Manchmal ist er ’ne echte Nervensäge.

    2

    Ich schlucke und schlucke. Der Druck lässt nicht nach. Langsam muss die Kiste doch endlich oben sein. So viel geschluckt habe ich seit dem Folsom Europe im September nicht mehr. Da ging’s mir aber bedeutend besser.

    Fliegen ist eine Qual. Erstens mach ich mir ins Höschen vor Angst und zweitens habe ich kein Sitzfleisch. Ich muss immer mit dem Leben vorläufig abgeschlossen haben, sonst halte ich nicht durch. Es gibt Seminare von den Fluggesellschaften zur Bekämpfung der Flugangst. Aber da ist doch was faul, wenn Firmen extra Aufwand treiben, damit ihr Krempel verdaulich wird. Elf Stunden Rumhocken und Grübeln, das ist Vorhölle. Mit Umsteigen in Amsterdam sind es sogar fünfzehn Stunden. Zum Glück hat die Passkontrolle keine Zicken gemacht, kann sein, die gewöhnen sich langsam an Transen.

    Zu Hause habe ich alles geregelt. Jason hat versprochen das Backoffice zu machen. Ab Ankunft in Sorocaba jeden Tag Mailkontakt zwischen halb sechs und sechs, es sei denn, eine meldet sich ab. Direkt nach der OP kann ich vom Mailen sicher nur träumen.

    Jason denkt auch daran, dass halb sechs in Sorocaba im Winter halb neun in Berlin ist. Auf ihn kann ich mich eigentlich immer verlassen. Er ist Handelsklasse A. Wenn ich hetero wäre. Und Jason nicht schwul. Er hat Cristina geheiratet und ihr den Aufenthalt legalisiert, damit sie zurückkommen kann nach ihrem Besuch in der alten Heimat.

    Die Hochzeit war mein persönlicher Höhepunkt des Sommers. Die Tante vom Standesamt verhaspelte sich dauernd: »Und Sie Herr … äh Fenner … äh Frau … äh … Herr Ribeiro …« Sie wusste auch nicht, welche wem den Ring anstecken soll. Mir tat die Seite weh vor unterdrücktem Lachen. Ich sah schon die MoPo-Schlagzeile vor mir:

    VERKEHRTE WELT! TRANSVESTITEN BEI DER TRAUUNG!

    »So weit ist es schon gekommen: Jose Luis Ribeiro, 28, Transvestit aus Brasilien, der sich Cristina nennt und Jana Fenner, 31, Mannweib aus Schwerin, das sich Jason nennt, gaben sich auf dem Standesamt F’hain-Kreuzberg das Jawort.

    ›So etwas habe ich noch nicht erlebt‹, sagte die Standesbeamtin Frauke B., 43 …«

    Mein Sitznachbar kickt mich wieder mit Ellenbogen und Schulter an. Er ist der breitbeinige Teil eines Ehepaars neben mir. Ich frage mich, ob er Anschluss sucht. Beim Einsteigen haben sie mich neugierig gemustert. Jedes Mal, wenn ich nach rechts blicke, ertappe ich sie, wie sie mich beobachten. Sie sind im sogenannten besten Alter. Ihn hindert das nicht am Zappen nach Cartoons.

    Ab und zu rempelt mich die Flugbegleiterin an, die mit den schönen Beinen. Während ich ihre bestrumpften Waden anhimmele, vergesse ich für Momente, wo ich bin. Ich hab Lust ihr ein Bein zu stellen. Vielleicht könnte ich unter ihren Rock schauen, wenn sie strauchelt.

    Sie muss es gespürt haben, denn jetzt kommt sie mit dem Serviercontainer. Ich ziehe besser meine Tentakel ein, wenn ich sie behalten will. Sie fragt, was ich zum Essen trinken will. Dabei kräuselt sie die Nasenflügel. Ein schmales Gesicht mit breitem Mund und vollen Lippen, fast schon ein wenig herb.

    Ich lasse mir einen Zahnputzbecher Rotwein und ein Mineralwasser geben. Der Fingerkontakt klappt nicht.

    Zum Abräumen kommt eine andere.

    Mein Nachbar zappt immer noch. Bugs Bunny schiebt sich eine Riesenmöhre rein. »Darf ich Sie mal was fragen?«

    Ich zucke zusammen. Er trinkt Bier, das verleiht ihm offenbar Mut.

    »Nein.« Es hilft nicht.

    Seine Frau lacht und sagt: »Na Udo, hast du kein Glück?«

    Er lacht ebenfalls und setzt nach. »Meine Frau und ich, also wir haben uns gefragt … Also, ich bin der Udo und das ist Gerlinde, meine Frau. Wir sind aus Köln.«

    Ich merke schon, dass er nicht locker lassen wird. »Was wollen Sie?«

    »Ach, eigentlich nur … ob Sie schon mal im Fernsehen waren. Gerlinde meint, sie hätte Sie schon mal …«

    »Nein.«

    Jetzt greift Gerlinde ein. Sie streckt ihre Hand aus. »Wie war noch mal Ihr Name?«

    »Nel.« Die Hand übersehe ich einfach.

    »Aha. Angenehm. Als wir eingestiegen sind, sagt mein Mann ›Willst du dich neben die Frau setzen?‹ und ich sag zu Udo ›Das ist doch

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