Die Paschkes reisen wieder
Von Sabine Pires
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In diesem amüsanten Roman, agieren unter anderen typische Berliner Charaktere mit der dazugehörigen ruppigen Herzlichkeit. Ein Buch, des jede Generation anspricht und in dem die Autorin ein wenig mit der eigenen Biografie spielt.
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Buchvorschau
Die Paschkes reisen wieder - Sabine Pires
abrufbar.
-1-
Paschkes reisen wieder! So beschwor es mein Vater. Vier Wochen Urlaub mit der gesamten Familie. Nicht gerade das wonach sich eine Frau über dreißig, unverhofft arbeitslos und vom Lebenspartner sitzengelassen, sehnt.
Manch einer wird der Annahme verleitet sein, mit seinen Eltern zu verreisen sei halb so wild, aber da kenne er den Berliner Paschke Clan nicht!
Nehmen wir zuerst meinen Vater, Heinrich-Anton Paschke, im siebenundfünfzigsten Lebensjahr und Meister in einer Heizung- und Sanitärfirma. Ein mittelgroßer und dicklicher Mann, den alles gesellig und lustig stimmt, solange es genügend Bier gibt.
Seine Angetraute und meine Mutter, hört auf den Namen Inge. Eigentlich Ingrid-Heidemarie geborene Beck. Vier Jahre jünger und das Gegenstück zu ihrem Mann. Groß und schlank gewachsen, kopiert sie Stil und Haare nach der französischen Schauspielerin Catherine Deneuve. Sofern sie nicht den Haushalt erledigt, frönt sie ihrem Hobby, der Querflöte. Immerhin kann sie seiner Majestät Friedrich II. Flötenkompositionen auswendig begleiten.
Ihr alltäglicher Schatten ist Großmutter Beck. Die Mutter meiner Mutter und ein Überbleibsel der 68´er Ära. Oma Beck wurde als Lilly 1939 in Hamburg geboren. Durch einen „Liebesunfall", wie sie jedermann unvoreingenommen erklärt, ist sie recht jung zu Inge gekommen. Die frühzeitige Heirat und Verschacherungsmentalität deren Mutter, Jolante Poggenmühl, haben dafür gesorgt, dass Lilly nie die Veranlassung sah einen Beruf zu erlernen, denn Jolante war nach dem Krieg eine der ersten Immobilienmaklerinnen und demzufolge finanziell gut gepolstert. Nachdem Lillys Mann neun Jahre nach Inges Geburt verstarb, reiste sie auf der Suche nach Kuriosem und Antiquarem durch die Welt. Fit hält sich Oma Beck mit Yoga, den Rolling Stones - deren ergebener Fan sie ist – und einem eigens zu recht gelegten esoterischen Welt- und Leitbild:
»Ich säe nicht, ich ernte nicht und das Universum nährt mich trotzdem!«
Ich wurde im Dezember 1974 als Antonia Petra Paschke geboren. Als Erbanlage erhielt ich die grünen Augen meines Vaters und die eigentlich mausbraunen Haare meiner Mutter.
Da die gesamte Familie im Berliner Norden ansässig ist, wuchs ich trotz Großstadt eher im Kleinstadtmilieu auf. Nach der Schulzeit wurde ich Erzieherin und zog aus der elterlichen Vier-Zimmer-Wohnung zu meinem Lebenspartner in den Wedding.
Es war nicht nur die Flucht vor dem Hermsdorfer Kleinbürgertum, meine Schwester war der Hauptgrund des Auszugs. Melanie Rudolfina Paschke mittlerweile fünfzehn Jahre und der unverhoffte Nachzügler meiner Eltern. Bei Melle, wie sie knapp genannt wird, geben diverse Superstars der Woche im wahrsten Sinne des Wortes den Ton an. Obwohl sie nach Vater schlägt, blonde Kräusellocken, moppelig und eine alte Studentenbrille tragend, sieht sie ausgesprochen niedlich aus. Alles was ich als Kind nie durfte, darf sie selbstverständlich. Was kämpfte ich seinerzeit um einen Hasen, fast problemlos kam Melle zu einem Kater, den Mutter im Nachhinein am liebsten aussetzen würde. Dieses unförmige rote Katervieh, Mister Jones genannt, hat es sich zur Angewohnheit gemacht, regelmäßig vor der sonntäglich gedeckten Kaffeetafel seine unverdauten Haare auf Mutters Chinateppich heraus zu würgen.
Um auf das zu Beginn erwähnte zurückzukommen, war es vor allem eine Reise, die das traute Leben der Paschkes gründlich auf den Kopf stellte insbesondere meines.
Es begann mit einem Ereignis, das wie sollte es anders sein, stets eine Kette von unglückseligen Schicksalsschlägen nach sich zieht. Als Erzieherin war ich in einem privaten Schülerladen angestellt. Den finanziellen Launen des Bezirkssäckels ausgeliefert, knauserten wir uns durch die Jahre. Die Schulreform setzte ein und aus diesem Grund offerierte mein Vorstand: »Bist du fristgemäß und mit großer Kulanz zu Anfang Juni bedauerlicherweise gekündigt, da wir uns nur noch eine Erzieherin leisten können. Das musst du verstehen, du bist die Jüngere und kannst dich neu orientieren.«
Verstehen, nach zehn Jahren Mitarbeit? Immerhin blieben mir dank großer Kulanz, zwei Monate für eine ereignislose Arbeitssuche.
Zu allem Übel interessierte sich mein Lebenspartner Joachim herzlich wenig für meine Belange, wie überhaupt er sich merklich distanzierte. Eine Woche nach Ostern gestand er sein Verhältnis: Babsi, sei völlig anders als ich. Viel spontaner, fröhlicher, weniger verkniffen und jünger! Ich müsse ihn verstehen, schließlich seien wir vierzehn Jahre zusammen und da hat sich die Beziehung ausgedünnt!
Dieses „ausdünnen" war mir seit gut einem Jahr bewusst und beruhte sogar auf Gegenseitigkeit, doch mein eigenes Phlegma zu überwinden hätte ich damals nie gewagt.
Dann sagte Joachim allen Ernstes:
»Bitte ziehe in den nächsten Tagen aus. Babsi hat nur ein kleines WG Zimmer; und da es meine Wohnung ist ... dafür hast du doch Verständnis?«
Wer war ich? Das personifizierte Verständnis für alles und jeden? Was sollte denn noch alles über mich hereinbrechen? Und was sollte mit all den Möbeln und Dingen geschehen, die wir gemeinsam angeschafft hatten? Verzweifelt betrachtete ich den teuren Wohnzimmerschrank aus biologisch einwandfreiem Massivholz und fand ihn augenblicklich hässlich. Alles in der Wohnung wirkte plötzlich unbedeutend. Nichts von dem wollte ich haben, keinen Stuhl auf dem er gesessen, kein Regal in dem seine Feuerzeugsammlung und Motorradmodelle einstaubten, keinen Becher, keinen Teller, nichts. Nur mein persönliches Eigentum wollte ich mitnehmen. Bluten sollte er allerdings, von all dem, wo ich die Hälfte der Kosten mitgetragen hatte, verlangte ich meinen Anteil, »mindestens zehntausend Euro!«
Er wand sich wie ein Aal und da platzte mir der Kragen, »ich habe nicht nur die Möbel, sondern auch dein Motorrad finanziert obwohl du derjenige bist, der dreimal soviel Gehalt kassiert und ein Aktiendepot unterhält. Ich habe sogar noch die Überweisungsformulare die über mein Konto liefen!«
Teilnahmslos hörte er zu und ich drohte mit Anwalt und Prozess. Ob ich das aus meiner Position heraus hätte machen können, ist mir bis heute fraglich.
»Ist ja gut«, kreidebleich zuckte er zusammen, »im Sommer könnte ich einen angemessenen Betrag überweisen, vielleicht deine gewünschte Summe. Momentan habe ich nichts frei, spätestens zum August, dass gebe ich sogar schriftlich. Vielleicht ziehst du vorübergehend in Babsis Wohngemeinschaft?«
»In eine WG? Vielleicht noch in das Zimmer dieser Person? Na, du hast sie wohl nicht mehr alle«, schrie ich wütend und erntete Unverständnis. Letzteres Wort habe ich in allen Variationen gefressen.
So nahm ich die schlimmste Alternative auf mich: Zurück ins Elternhaus! Einem Vorzeige-Altbau mit nur sechs Mietparteien, nebst einem gut laufenden Scheibwarenlädchen und einer kleinen Boutique im Parterre der es immer wieder gelingt, finanziell über die Runden zu kommen.
Für einen Augenblick dachte ich daran, zu Onkel Harald, den Bruder meines Vaters, nach Heiligensee zu ziehen. Aber die Aussicht, sich mit Haralds ballettbesessener Frau Isadora auseinander setzen zu müssen, ließ mich den Gedanken rasch verwerfen. Tante Isadora, eigentlich Elisabeth Monika Jost und gebürtige Dresdnerin, glaubte mit ihren achtundvierzig Jahren die Wiedergeburt der Tänzerin Isadora Duncan zu sein. Daher der Namenswandel. Ebenso trägt sie deren Kennzeichen, einen roten Seidenschal. Seit Kindesbeinen ist sie dem Tanz verfallen. Sie selbst gibt Ballettstunden an der Volkshochschule, nachdem sie jahrelang im Friedrichsstadtpalast in der hintersten Reihe getanzt hatte und nicht wie sie behauptet, als zweite Besetzung. Es ist mir ein Rätsel, wie ausgerechnet sie an den Bruder meines Vaters geraten konnte, der von erheblich rundlicher Gestalt im Betriebsrat bei Siemens sitzt. Die Betonung liegt auf „sitzen".
Also packte ich meine Sachen exklusive Palme, belud meinen alten froschgrünen Audi 80 und stand Anfang Mai reumütig vor meiner Eltern Pforte. Reumütig, da Mutter es von Anfang an prophezeit hatte: »Kind, eines Tages wirst du zurückkehren!«
Demütig bezog ich die ehemalige Gesinde- und Vorratskammer der Wohnung, welches einst Melanies Babyzimmer, dann Nähstube und nun als mein Asyl herhalten musste. Endlos rannen meine Tränen.
Auf dem Arbeitsamt teilte man mir mit, dass aufgrund meines Alters meine Vermittlungschancen nicht besonders gut stehen würden. Aufgrund meines Alters? »Ja soll ich Rente beantragen?«, fragte ich die Sachbearbeiterin zynisch und erntete unterkühltes Schulterzucken. Man wies mich auf die Möglichkeit einer Umschulung hin, klärte mich über Hartz IV auf und dann durfte ich gehen, der Nächste wartete schon.
Um mich abzulenken, sortierte ich meine Schuhkiste.
Wäre jedes Schuhpaar eine hundert Euro Note, ich hätte locker eine Weltreise antreten können. Mutter kam herein, »du siehst unmöglich aus!«, rüffelte sie, derweil sie an mir Maß nahm. »Ich werde dir etwas Feines nähen.«
Wenigstens darauf konnte ich mich bei ihr, als gelernte Schneiderin, verlassen.
»Du hast zweikommasieben Zentimeter Oberschenkelmasse mehr, tststs«, bemerkte sie trocken und verschwand mit ihrer vernichtenden Bestandsaufnahme im Wohnzimmer. Ich brauchte frische Luft und ging nach draußen. Dort stand ich und blickte stumpf auf den Segensspruch des Hauses, welcher reich verziert über der Eingangstür prangert: arbeit ist des bürgers zier, segen ist der mühe preis! Als Jugendliche habe ich mir den Kopf über die Bedeutung dieser Worte zerbrochen, vor allem, warum man alles kleingeschrieben hatte? Jetzt drückte mir die Inschrift schier das Herz zusammen.
Frühmorgens stand ich vor dem Badezimmerspiegel und besah mein trauriges Gesicht. Das musste sich ändern, nur wie? Die Haare waren schuld! Wer sonst? Spröde fielen sie über die Schultern und halfen keineswegs meinen Gesichtsausdruck positiv aufzuwerten. Ohne Umschweife griff ich zur Haarschere meiner Mutter und schnitt eigenhändig die Haare auf Kinnlänge ab. Befreit schüttelte ich den Schopf und als wenn meine Haare sich gleichfalls von Ballast gelöst hätten, wellten sie sich und vermittelten, zumindest kurzfristig, ein Gefühl von Stärke.
Nach und nach richtete ich mich in dem kleinen Zimmerchen ein und gab meinem Laptop einen festen Platz. Ein Glück besaß meine Schwester W-LAN und so surfte ich stundenlang nach Arbeitsangeboten, Umschulungsmöglichkeiten und Fernstudien. Manchmal lud ich Musik aus dem Netz, zumeist die Lieder von Rosenstolz, welche meinen diffusen Seelenzustand spiegelten.
Am Samstagabend des letzten Juniwochenendes beschwor mein Vater die Eingangs erwähnten Worte. Passenderweise hatte es kurz vorher gewittert und gehagelt. Gewichtig faltete er seine Hände, tippelte mit den Mittelfingern an den Handrücken und blinzelte Melanie und mich erwartungsvoll an, »Inge und ... «
»Du, wolltest Ich sagen«, korrigierte Mutter schnippisch. »Es ist dein Plan gewesen!«
»Ja also, ich dachte, es wäre eine prima Idee, wenn wir zusammen verreisen würden, am ersten Juli!«
»Nach England, zu Robby seinem Schloss!«
»Blödsinn«, zischte Mutter und schaute streng zu Papa, der sich ein zweites Bier öffnete.
»Quatsch Melle, ich meinte, bezahlbaren Familienurlaub. Sei froh, dass du drei Tage eher aus der Schule kommst.«
»Fa-mi-lien-ur-laub?«, stammelte ich.
»Ja, Familienurlaub. So wie früher, alle zusammen in einem gemütlichen Ferienhaus in Dänemark.«
»Is´ ja öde, Dänemark, England ist viel schöner!«
Schwer schluckte ich an meinem Brot, »alle, auch Großonkel Roman und so weiter?«
»Natürlich, sofern der alte Schwerenöter sich von seiner Universität losreißen kann. Oma Beck hat mir via SMS bestätigt, dass sie mitkommt, solange sie ihre Dings - äh Mantas oder so singen darf. Isadora ist ebenfalls begeistert, da das Haus einen kleinen Pool und Sauna hat und sie ihre beiden Kanarienvögel mitnehmen kann.«
»Und Cousin Jost?«, fragte Melanie zaghaft.
»Der Hendrik auch. Weil Harald ihm versprochen hat, den Benz auf der Insel fahren zu dürfen. Jetzt wo der Bengel den Führerschein und sein Abitur hat.«
»Wenn Tante Isa, ihre Kanaries mitnimmt, will ich Emjay dabei haben!«
»Ach Melle, ich weiß nicht?«, gab Vater zu bedenken, höhnisch winkte Mutter ab, »lass nur Heini, vielleicht verläuft sich das Vieh dort!«
»Mister Jones verläuft sich niemals. Stimmt´s Dicker, du bekommst einen feinen Bauchgurt.«
»Um den Hals wäre besser«, stichelte ich und erntete einen düsteren Blick meiner Schwester. Während der Rest noch debattierte suchte ich nach Ausreden, um nicht mitfahren zu müssen. Zu teuer und die Sache mit dem Arbeitsamt ...
Vater widerlegte jeden meiner Einwände, »darüber mach dir keine Sorgen, vom Arbeitsamt her steht dir Urlaub zur Verfügung und melden musst du dich erst wieder im August. Solltest du von denen unverhofft Post bekommen, auch kein Problem, Nachbar Dieter gibt mir Bescheid. Das Haus haben Harald und ich bereits reserviert. Es liegt auf Møn. Einen Fernseher gibt´s zum Glück auch, wegen der WM und wir bekommen sogar jeden Freitag einen Koch.«
»Für Pölse mit Smöre Bröd, was?«, nölend stopfte Melanie sich den Mund mit Salzstangen voll, »hoffentlich ist das Wetter dort besser als hier!«
Mutter blickte zum Balkon, wo ihre mit Hingabe gepflegten pinkfarbenen Geranien vom Hagelschlag in Mitleidenschaft genommen worden waren, »schlimmer kann es nicht werden!«
Die Tragweite des bevorstehenden Ereignisses wurde mir an der sonntäglichen Kaffeetafel erst richtig bewusst. War ich nicht zu alt für Familienurlaube? Außer Oma Beck waren alle anwesend; auch Hendrik Jost. Zu ihm einige Worte: Ein Jahr nach dem Berliner Mauerfall, stand Isadoras ältere Schwester Eva, unangemeldet vor der Haustür. Wenig später erklärte sie, dass sie im Namen der russischen Forschung als Geologin für fünf Monate nach Kasachstan gehen wollte. Hendrik, ihr kleiner Sohn, sollte für diese Zeit bei Isadora wohnen. Abgereist ist Eva Jost tatsächlich. Seither gilt sie als verschollen und so haust der mittlerweile volljährige Bursche, dessen sächsischer Akzent sich trotz jahrelanger logopädischer Behandlung hartnäckig hält, im für ihn ausgebauten Gartenhäuschen. Als eingeschworener Technofreak trägt er kurze, grün gefärbte Haare und einen Zickenbart. Sein Taschengeld verdient er sich als DJ und steht nun vor einer Sinn- und Berufsfindung und der Angst einberufen zu werden.
Rege wurden die Einzelheiten besprochen und irgendwann startete Mister Jones erwartungsgemäß sein vehementes Würgen. Alles starrte zum Kater, dessen gesamter Körper bis in die Schwanzspitze rhythmisch zuckte.
»Emjay!«, schalt sein Kürzel durch das Haus und schon flitzte Melle los, um den Schaden zu beseitigen.
-2-
Am Abfahrtstag versammelte sich unsere Sippe um sieben Uhr morgens vor der Haustür. Wir waren weder zu überhören, noch zu übersehen. Paschkes verreisen!
Der Fleischermeister am Platz winkte munter herüber und wünschte: »Gute Fahrt!«
Onkel Harald