Irrlicht 59 – Mystikroman: Der Schatz im alten Schloß
Von Anne Karen
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Düstere Nebel wallten um das alte, unheimliche Schloß. Finster war es in den endlos langen Gängen, in denen die Angst und das Grauen zu Hause zu sein schienen. Graubraun und kalt waren die Wände, und nur ab und zu verirrte sich durch die kleinen Fenster ein wenig Mondlicht in das Innere des Gebäudes. Es war eine gespenstische Szene. Eine Nacht, in der die Toten zurückkehren konnten, um die Lebenden zu peinigen. Das Böse schien sich manifestiert zu haben und führte nun geisterhafte Regie. Durch diese unheimliche Szenerie schlich eine junge Frau. Ihre Füße waren nackt, doch sie spürte die Kälte der steinernen Stufen nicht, die sie hinunterstieg. Sie befand sich auf dem Weg in eine finstere Unterwelt. Eine Art Hades tat sich vor ihr auf, trügerisch und gefährlich, alles, was lebte, verschlingend. Ihr seidenes Nachthemdchen war lachsrosa und schulterfrei. Leise raschelnd umspielte es ihre schlanken Beine, und ihr apartes Gesicht war von honigfarbenem, schulterlangem Haar umrahmt. Sie hieß Florinda Bankhead, war Anfang Zwanzig und sah äußerst begehrenswert aus. Schlank und geschmeidig war ihr Körper, und sie bewegte sich mit einer unnachahmlichen Grazie. Selbst jetzt, da sie sich anscheinend in Trance befand. Ihre Lider schienen schwer zu sein, waren halb gesenkt. Die Frau schien einem geisterhaften Ruf zu folgen, den außer ihr niemand hörte. Jetzt fiel fahler Mondschein auf ihr Gesicht und machte sie so blaß wie eine Tote. Es hatte den Anschein, als fühlte sie sich vom Licht berührt. Sie blieb stehen.
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Irrlicht 59 – Mystikroman - Anne Karen
Irrlicht
– 59 –
Der Schatz im alten Schloß
Anne Karen
Düstere Nebel wallten um das alte, unheimliche Schloß. Finster war es in den endlos langen Gängen, in denen die Angst und das Grauen zu Hause zu sein schienen.
Graubraun und kalt waren die Wände, und nur ab und zu verirrte sich durch die kleinen Fenster ein wenig Mondlicht in das Innere des Gebäudes.
Es war eine gespenstische Szene. Eine Nacht, in der die Toten zurückkehren konnten, um die Lebenden zu peinigen. Das Böse schien sich manifestiert zu haben und führte nun geisterhafte Regie.
Durch diese unheimliche Szenerie schlich eine junge Frau. Ihre Füße waren nackt, doch sie spürte die Kälte der steinernen Stufen nicht, die sie hinunterstieg.
Sie befand sich auf dem Weg in eine finstere Unterwelt. Eine Art Hades tat sich vor ihr auf, trügerisch und gefährlich, alles, was lebte, verschlingend.
Ihr seidenes Nachthemdchen war lachsrosa und schulterfrei. Leise raschelnd umspielte es ihre schlanken Beine, und ihr apartes Gesicht war von honigfarbenem, schulterlangem Haar umrahmt. Sie hieß Florinda Bankhead, war Anfang Zwanzig und sah äußerst begehrenswert aus.
Schlank und geschmeidig war ihr Körper, und sie bewegte sich mit einer unnachahmlichen Grazie. Selbst jetzt, da sie sich anscheinend in Trance befand.
Ihre Lider schienen schwer zu sein, waren halb gesenkt. Die Frau schien einem geisterhaften Ruf zu folgen, den außer ihr niemand hörte.
Vielleicht war sie im Begriff, ins Verderben zu laufen…
Jetzt fiel fahler Mondschein auf ihr Gesicht und machte sie so blaß wie eine Tote. Es hatte den Anschein, als fühlte sie sich vom Licht berührt.
Sie blieb stehen.
Tastend und suchend bewegten sich ihre schlanken Finger über die Wand. Unglück, Tod und Trauer schienen in diesem düsteren Gewölbe ihre spürbaren Spuren hinterlassen zu haben. In den Verliesen der Schlösser waren einst viele grauenvolle Dinge geschehen.
Die Schreie der Gefolterten und Getöteten schienen sich in die Mauern gezogen zu haben, waren von diesen aufgenommen worden wie der dumpfe Modergeruch, den sie überall abgaben.
Florinda fröstelte leicht. Sie setzte ihren Weg fort, doch nicht mehr so unbewußt, wie noch vor wenigen Augenblicken. Den nächsten Schritt machte sie immer ein wenig bewußter als den vorhergegangenen, und allmählich überzog sich ihr hübsches Gesicht mit dem Ausdruck großer Furcht.
Aber sie konnte nicht stehenbleiben. Sie mußte weitergehen. Irgend etwas schien sie magisch anzuziehen. Die schmale Steintreppe krümmte sich um die dunkle Mauer.
In der gruseligen Finsternis ragte eine Säule auf, die von einem eisernen Ring umschlossen war. Bestimmt waren dort unglückliche Menschen angekettet gewesen. Sie hatten geschmachtet, geweint und gelitten, bis ein gnädiger Tod sie erlöste.
Bis Gott sich ihrer erbarmte und sie zu sich geholt hatte, damit ihnen ihre Peiniger nichts mehr antun konnten. Schreckliche Zeiten mußten das gewesen sein.
War es möglich, daß sie jemals wiederauflebten?
In dieser unheimlichen Nacht war es zumindest denkbar.
Zum erstenmal zögerte Florinda Bankhead. Zum erstenmal wehrte sie sich dagegen, weiterzugehen. Zaghaft setzte sie ihre Schritte nun, und ihr war anzusehen, wie sie sich gegen den unhörbaren Lockruf wehrte.
Doch er war stärker. Er ließ es nicht zu, daß sie umkehrte. Das Unheil wartete. Es wollte ein Opfer haben, und Florinda war ihm gerade recht.
Graue Spinnweben zitterten in den schummerigen Nischen. Manchmal blieben die Fäden an Florinda hängen. Klebrig waren sie. Die blonde Frau ekelte sich davor und wischte sie angewidert fort.
Immer spürbarer kroch die Kälte in ihre nackten Füße und gelangte durch ihre Beine in ihren Körper. Als die Kälte das Herz der hübschen Frau erreichte, warf sie einen Blick über die Schulter zurück – dorthin, woher sie gekommen war.
Sie hätte dieses gespenstische Verlies gern wieder verlassen, doch die Tür, durch die sie es betreten hatte, schien endlos weit von ihr entfernt zu sein. Und entfernte sie sich nicht immer mehr?
Rotes Licht floß dort herein. Als würde eine heiße Glut davor liegen. Ein Alptraum konnte nicht aufregender sein als das, was Florinda in diesen Augenblicken erlebte.
Sie legte die letzten Stufen zurück, und dann patschten ihre weichen Fußsohlen über große Steinplatten. Natürlich waren sie schmutzig. Wer hätte hier unten saubermachen sollen? Jedes Steinchen, jedes Staubkörnchen glaubte Florinda zu spüren.
Etwas Kantiges, Rechteckiges zog ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich. Eine Kiste. Eine uralte Truhe, die irgend jemand vor vielen Jahren hierhergebracht und vergessen zu haben schien.
Befand sich das, was Florinda so magisch anzog, in dieser eisenbeschlagenen Truhe? Würde sie es sehen, wenn sie den Mut aufbrachte, den Deckel zu öffnen?
Etwas Bleiches schimmerte der Frau entgegen. Es war schlank und zylindrisch, und Metall glänzte darunter. Eine Kerze auf einem Ständer.
Florinda beugte sich darüber, entdeckte Streichhölzer und riß eines an. Ihr Schatten sprang wie ein schwarzes Ungeheuer an die Wand. Das Licht des Streichholzflämmchens schuf erschreckend klare Konturen. Was bisher ungenau und verschwommen gewesen war, war plötzlich klar und deutlich zu erkennen.
Florinda Bankheads Hand zitterte, als sie den Docht der Kerze anzündete. Der flackernde Schein spiegelte sich in ihren Augen, und schaurige Schatten umtanzten sie mit einemmal. Sie war fast versucht, vor lauter Angst die Flamme wieder auszublasen.
Aber vor der quälenden Dunkelheit schien sie sich jetzt noch mehr zu fürchten als vor den bösen Schatten, die sich manchmal duckten, als wollten sie sich ihr entgegenschnellen.
Florinda war nicht sicher, aber lag da neben der steinernen Säule nicht das Skelett eines Menschen?
Sie drehte sich entsetzt um, wagte keinen weiteren Blick mehr auf die bleichen Knochen zu werfen, die das Licht der Kerze zu geisterhaftem Leben erweckte.
Florinda wandte sich der alten Truhe zu.
Was für ein Geheimnis verbarg sich in ihr?
Öffne mich! schien die Truhe zu verlangen. Komm, und hebe den Deckel hoch…
Florinda schluckte. Zaghaft streckte sie die Hände nach der schweren Kiste aus. Fingerdick lag der Staub auf dem Deckel. Staub von Jahrzehnten. Vielleicht sogar von Jahrhunderten.
Öffne mich…!
Aber womit? Ein großes eisernes Schloß hing vor der Truhe. Es gab keinen Schlüssel dazu. Florinda berührte die Truhe. Wie elektrisiert zuckte die Frau zurück.
Aber sie legte die Finger gleich wieder auf den rissigen Holzdeckel, und diesmal zog sie die Hände nicht mehr zurück. Sie schien sich an die kalte Ausstrahlung der Kiste gewöhnt zu haben.
Konnten sich Gold und Juwelen darin befinden? Ein immenser Schatz? Würde Florinda steinreich sein, wenn sie die Kiste öffnete? Oder würde ihr daraus der Pesthauch des Todes entgegenschlagen, sie anstecken, krank machen und langsam sterben lassen?
Neben der Truhe lag eine Eisenstange.
Anscheinend hatte schon mal jemand versucht, das Geheimnis der Kiste zu erforschen. Etwa der, dessen Skelett jetzt dort hinten neben der Säule lag?
Florinda nahm all ihren Mut zusammen. Ihre Gefühlsregungen spiegelten sich deutlich in ihrem Gesicht wider. Angst und Zweifel nagten in ihr. Konnte richtig sein, was sie tat? Nahm sie jemandem etwas weg, wenn sie sich am Inhalt der jahrhundertealten Truhe vergriff?
»Ich habe ein Recht darauf«, flüsterte sie.
Doch selbst dieses Flüstern hörte sich hier unten noch wie ein Schrei an. Seit undenklichen Zeiten war hier kein Wort mehr gefallen.
Worte waren in diesem unheimlichen Verlies so fremd wie das Licht der Sonne.
Florinda griff nach der Eisenstange. Mit beiden Händen umschloß sie sie fest, und ihre Lippen wurden schmal.
Sie würde es tun... Sie mußte es tun…
Öffne mich!
Rasch setzte die blonde Frau das Eisen an. Sie drückte gegen den harten Widerstand. Ihr leises Ächzen flog durch das Gewölbe. Obwohl das Holz der Kiste schon morsch war, vermochte Florinda das Schloß nicht beim ersten Versuch zu sprengen.
Sie setzte das Eisen ab und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Nachdem sie die Strähne hinter ihr Ohr geklemmt hatte, richtete sie ihren entschlossenen Blick trotzig auf