An die Totgeborenen Teil 1 - Gefangenschaft
Von Gregor Samsa
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Über dieses E-Book
Der erste Band versammelt 22 Kurzgeschichten, deren Stil sich durch die hohe Individualität nur schwer einem Subgenre des Phantastischen zuordnen lässt. Es sind Elemente des Übernatürlichen, des Grotesken, des Horrors, aber auch oft der Gesellschaftskritik enthalten.
Erlöse aus meinen privaten Veröffentlichungsprojekten werden für den Naturschutz gespendet.
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Rezensionen für An die Totgeborenen Teil 1 - Gefangenschaft
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Buchvorschau
An die Totgeborenen Teil 1 - Gefangenschaft - Gregor Samsa
Gregor Samsa
An die Totgeborenen
Teil 1 – Gefangenschaft
Zeit
Ein Weltraumschiff
fliegt durch die Ewigkeiten
zu einem fremden Stern
Bevor es ankommt
ist er erloschen
Bereits erschienen:
„Der unheimliche Säugling" in Die Schwarze Botin, Berlin, 1976 Nr. 1., Brigitte Classen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Urheberrecht, Herausgeber, Titelbild, Verlag, Satz und Korrektorat: Ruth Boose, 2020, Berlin
Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Kontaktaufnahme: krangii@aol.com
Inhaltsverzeichnis
Teil 1 – Gefangenschaft
An die Totgeborenen
Grabräuber
Die Reise
Der Fremde
Der Schlüssel
Das Grenzgespenst
Die Fabrik
Exekution
Der Blutfleck
Berufsethos
Das Mädchen mit der Katze
Sterbendes Bild
Haus der Angst
Das Kino
Das Krankenhaus
Die Hochzeit
Die verbotene Stadt
Der unheimliche Säugling
Marathonlauf
Das Labyrinth
Einzelhaft
Klavierspiel
Traum
Über den Autor
Danksagung und Ausblick
An die Totgeborenen
Gestern Ist nie gewesen
Morgen Wird nie sein
Das Heute Ist nur vergängliches Nichts
Doch nur für ewig Sind wir allein
Wir werden erst Morgen geboren
Und sind schon Seit gestern tot
Wir haben das Heute Verloren
Doch niemand Versteht unsre Not
Wir faulen In eurer Enge
Zum Sarg Wird der fruchtbare Schoß
Stolz trägt man uns Unter dem Herzen
Und gebiert dann Verwestes bloß
Nie werden wir Atmen noch schreien
Die Augen sehn niemals Das Licht
Kein Mensch Wird uns zärtlich streicheln
Was Liebe ist Wissen wir nicht
Erstickt am Gift Eures Wesens
Zu früh Vom Verderben bedroht
Sind wir Um das Leben betrogen
Und sinnlos Ist unser Tod
Grabräuber
Die Nacht war kalt. Am Himmel funkelten die Sterne wie Eiskristalle. Schneidend blies der Wind von den nahen Bergen. Das dunkle Blut auf den Steinen war gefroren. Mit durchgeschnittenen Kehlen lagen die Wächter auf den Felsen. Ihre schwarzen Körper waren schon erstarrt. Finstere Gestalten huschten lautlos hin und her. Seit Stunden schon suchten sie den versteckten Eingang. Immer wieder klopften sie den Boden ab, fuhren mit aufgesprungenen Fingern über das harte Gestein, doch das Felstal gab sein Geheimnis nicht preis. Sie hatten den Wachposten die Dolche auf die Brust gesetzt, doch die schwiegen in abergläubischer Furcht und nahmen ihr wertvolles Wissen mit in den Tod.
So waren die Männer allein, angewiesen auf sich und ihr Glück. Sie waren eine unheimliche Gesellschaft – entlaufene Sklaven, die lieber den Tod auf sich nahmen, als sich wieder in das Joch des Pharao zu begeben. Ihre Rücken trugen die Spuren der Peitschenhiebe, aber in ihren Gesichtern lag eine kalte Entschlossenheit. Keiner sprach ein Wort. Ihre Namen hatten sie schon lange vergessen. Um sie war das Schweigen der Nacht.
Sie legten ihr Ohr auf den Fels und lauschten. Manchmal erschien es ihnen, als vernähmen sie Geräusche von da unten – ein leises Scharren und Flüstern – Urstimme aus endloser Tiefe, Worte einer unverständlichen Sprache. Und eine unheimliche Sehnsucht überfiel sie und nahm ihnen fast die Sinne.
Bleich erschien der Mond am Horizont und erhellte die wilde Gegend mit seinem gespenstischen Glanz. Die toten Steine schienen zu seltsamem Leben zu erwachen. Die Leichen warfen bizarre Schatten. Etwas bewegte sich zu ihren Füßen. Die Männer klemmten die Messer zwischen die Zähne und schlichen sich misstrauisch näher. Da scheuchten sie eine riesige Ratte auf. Sie schlüpfte zwischen den Männern hindurch und war urplötzlich verschwunden. Lautlos hatte sie der Fels verschluckt.
Oder hatte ein Spuk sie getäuscht? Wovon konnte eine Ratte in dieser Einöde leben? Wohin war das Tier entwischt? Sie untersuchten die Stelle und entdeckten ein faustgroßes Loch. Senkrecht führte es hinab. Wie kam es hierher? Eine unbestimmte Ahnung stieg in ihnen hoch. Einer griff mit der Hand in die Öffnung. Es war kein Ende abzusehen. Sie warfen einen Stein hinein. Hohl schallte es herauf. Da kannten sie kein Halten mehr. Die Hände, die geschickt die Blöcke für die Pyramiden zurechtgehauen hatten, zerschlugen in kurzer Zeit die Steinplatte. Das also war das Geheimnis der Wüste. Ein tiefer Schacht tat sich auf. Nacheinander ließen sie sich hinab in die unbekannte Finsternis. Ihnen schlug das Herz im Halse. Endlich würden sie auf die Schätze stoßen, mit denen sie ihre Freiheit erkaufen würden. Es war der erste Tag ihres Lebens. Und zum ersten Mal seit vielen Jahren trat in ihre Augen ein hoffnungsvoller Glanz, schienen sich ihre steinernen Mienen aufzuhellen.
Mit brennenden Fackeln drangen sie in den engen Stollen ein. Fantastische Schatten geisterten die Wände entlang. Fremd hallte ihnen das Echo ihrer Schritte aus der Tiefe entgegen. Plötzlich war da etwas – wie ein kalter Windhauch, der durch die Gänge strich und ihnen das Blut erstarren ließ. Mit bleichen Gesichtern sahen sie sich an.
Zitternd schlichen sie weiter. Und es schien ihnen, als ob jemand sie unablässig aus der Dunkelheit beobachtete. Es war wie eine unsichtbare Warnung – unerklärlich und doch stets gegenwärtig. Sie spürten förmlich die lauernden Blicke im Rücken, doch keiner wagte es, sich umzudrehen.
Sie wussten nicht mehr, wie lange sie so gingen. Sie hatten jedes Gefühl für Zeit verloren. Immer unwirklicher wurde die verbotene Welt, in die sie eindrangen. Sie bemerkten rätselhafte Zeichen, die sie nicht zu deuten wussten. Und nach einer Biegung waren die Mauern des Stollens mit bunten Bildern bedeckt.
Der Totengott starrte sie feindselig an. Die stummen Wände erwachten zu gespenstischem Leben. Bemalter Stein, in Stein gehauen ihr Schicksal. Hochmütig thronte der Pharao. Sklaven bedienten ihn, bauten Paläste, verrichteten niedere Arbeiten. Und Aufseher waren zu sehen. Sie schwangen ihre Peitschen und trieben die Menschen an.
Und da glaubten sie, in den Bildern sich selbst zu erkennen. Verborgene Wunden brachen auf. Ein uralter, unbezähmbarer Hass stieg in ihnen hoch. Rasend vor Wut packten sie ihre Meißel und zerstörten die Bildnisse der Aufseher und der Götter, aber auch die der Sklaven, denn so wollten sie sich nicht mehr sehen. Wie im Rausch eilten sie weiter, stürmten in die Grabkammer, zertrümmerten den Sarkophag. Sie rissen die Mumie heraus und warfen sie auf den Steinfußboden. Man rollte sie aus den endlos langen Leinenbahnen. Nackt lag der Pharao vor ihnen, verschrumpelt und vertrocknet, der einstmals gefürchtete Herrscher über Millionen Menschen. Die Messer blitzten in ihren Händen, in Sekunden war der Leichnam in viele Stücke zerfetzt.
Jetzt erst fanden sie Zeit, sich umzusehen. Die Wände waren prächtig bemalt. Um sie herum standen viele Statuen, kleine Götter, riesige Vasen. Schmutzige Hände griffen nach dem Gold, auf dem der Widerschein der Fackeln schaurig hin und her hüpfte.
Zwei Hände fassen nach einem Gott. Ein kurzer Kampf, ein Röcheln, Blut tropft auf die Platten des Bodens. Doch den hastig zugreifenden Fingern entgleitet die kleine Figur, sie zerfällt auf dem Stein in tausend Scherben.
Gold? Wo ist das GOLD? Fassungslos zerschmettern sie auch die anderen Götter. Alles nur bemalter Ton. Sie untersuchen die großen Vasen. Sie sind leer. Gold! Wo ist das Gold? Soll alles umsonst gewesen sein? Hier muss es doch Gold geben. Es war doch ihr Gold. Mit ihrem Schweiß und Blut waren die Reichtümer zusammengetragen worden. Sie haben ein Anrecht darauf. Sind sie erneut betrogen worden? Wie wahnsinnig jagen sie durch die Gänge. Wohin sie blicken, Stein – nichts als Stein. Wo sind die Schätze verborgen? Sie brechen die Wände auf, arbeiten sich in den Fels hinein. Und auf einmal geben die großen Blöcke nach – die Männer springen schnell zurück – die Decke, ohne Halt nun, bricht herab.
Gefangen! Der Ausweg ist verschüttet. Sie schauen sich in die bleichen Gesichter, und sie wissen, dass sie verloren sind. Und auf einmal ist es wieder da, das Entsetzen, wie ein eiskalter Windhauch, der sie erstarren lässt. Eine unnennbare Angst lähmt sie. Sie sitzen in der kühlen Grabkammer und zählen ihre Herzschläge.
Und langsam brennen ihre Fackeln herunter. Und je dunkler es wird, umso mehr scheinen die Wände zusammenzurücken, scheint die schwere Steindecke sich zu senken, um sie zu zerdrücken. Ihr Atem keucht. Sie schnappen nach Luft. Ihre Augen treten aus dem Kopf und um ihren Hals scheint sich eine kalte Hand zu legen, die unbarmherzig immer fester zudrückt. Nie zuvor empfanden sie so stark wie jetzt die Einsamkeit. Sie waren allein. Niemand würde sie herausholen. Und sie fürchteten sich vor der großen Finsternis, die kommen würde. Ihre letzte Fackel erlosch. Und im letzten Aufflackern glaubten sie, aus einem Spalt eine große braune Ratte herauskommen zu sehen.
Die Reise
Mir bleibt wenig Zeit. Gehetzt jage ich durch die menschenleeren Gänge des Bahnhofsgebäudes, haste die Treppe zum Bahnsteig hinauf und schwinge mich in den schon fahrenden Zug. Erschöpft schlage ich die Tür hinter mir zu und lehne mich schwer atmend gegen die kalte Scheibe. Befriedigt sehe ich die Lichter der Stadt schemenhaft an mir vorübergleiten und in der Dunkelheit verschwinden. Draußen tost ein heftiger Schneesturm. Das verwirrende Spiel der hin- und hertanzenden Flocken behindert die Sicht. Kein Wunder, dass ich beinahe die Abfahrt verpasst hätte. Bei solchem Wetter bleibt man vernünftigerweise zu Hause. Doch mein Gepäck ist leicht – und dies war die letzte Möglichkeit, mein Ziel rechtzeitig zu erreichen.
Der Gang des Wagens ist leer. Ich gehe die lange Flucht der Abteile entlang, deren Vorhänge abweisend zugezogen sind, und öffne die erstbeste Tür. Verbrauchte Luft schlägt mir entgegen. Müde Gesichter blinzeln mich an. Der Raum ist nur von bläulichem schwachen Licht erhellt, das die Menschen wie Gespenster erscheinen lässt. Für einen Moment trage ich Unruhe in ihre Reihen. Widerstrebend rückt man zusammen und macht mir eine Ecke frei. Doch schon Sekunden später versinkt alles wieder in tiefsten Schlaf, als hielte ein magischer Zauber alles in Bann. Hier ist es angenehm warm. Es ist noch mitten in der Nacht. Da ich sowieso nicht zum Lesen komme, mache ich es mir – so gut es geht – bequem und versuche ebenfalls, ein wenig Schlaf nachzuholen.
Draußen tobt das Unwetter immer wütender. Immer neue Schneeschauer heulen aus der Finsternis heran und stürzen sich auf die winzig erscheinenden Waggons. Mühsam bahnt sich die Lokomotive ihren Weg über die verschneiten Gleise. Langsam dämmere ich ein und bemerke bloß im Halbschlaf, dass der Zug oft anhält. Sicherlich werden wir heute wieder mit viel Verspätung ankommen, denke ich noch, doch schon überwältigt mich ein bleischwerer Schlaf, aus dem mich nur ab und zu die merkwürdigsten Träume aufschrecken.
So vergehen die Stunden. Der Sturm lässt mit der Zeit nach. Nur manchmal zuckten seltsame Lichter lautlos über den Himmel. Es war wie ein Wetterleuchten, bloß viel unwirklicher,