Irrlicht 39 – Mystikroman: Das Geheimnis des versunkenen Kastellans
Von Maja Merling
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Es war so, als öffne die Erde sich vor ihnen, und die Erde zeigte sich wahrhaftig nicht von der freundlichen Seite. Da war ein dumpfes schwarzes Loch. Die Straße war anstrengend, sie erforderte volle Aufmerksamkeit und Konzentration. Dabei hätte Lena Sommer sich gern ein bißchen mehr in der Gegend umgeschaut. Aber dort drüben waren Inseln. Das müssen ja schon die Kornat-Inseln sein, sagte Lena Sommer zu sich selbst und wunderte sich. Es war ihr gar nicht bewußt geworden, daß sie schon so weit gekommen war, und nun merkte sie auch, daß sie reichlich müde war. Sie war ja fast ohne Pause durchgefahren. Regelrecht stur und verbissen war sie gefahren, und erst jetzt war es ihr, als setze ihr Denken wieder ein. Sie war ja schon fast an ihrem Urlaubsziel. Lena hatte sich vorgenommen, irgendwo zu bleiben, wo es ihr besonders gut gefiel, und aus dem Grund wollte sie sich während der Fahrt schon ein wenig umsehen. Aber das war bei dem hier herrschenden Reiseverkehr praktisch gar nicht möglich. Die Straße erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit, denn auf der gar nicht sehr breiten Fahrbahn bewegten sich zwei endlose Autoschlangen. Dazwischen gab es hin und wieder auch mal einen Bauernkarren oder einen Esel, der gemütlich dahintrottete, zwei Tragsäcke zu beiden Seiten oder eine alte Bäuerin mit schwarzem Kleid und weißem Kopftuch auf dem Rücken. Ein solcher Verkehrsteilnehmer war es auch gerade, der mit schwingendem Hinterteil vor Lenas Kühlerhaube einherzockelte und ihr das Überholen unmöglich machte, denn das Grautier hielt sich stur in der Straßenmitte, und in der sich in der anderen Richtung bewegenden Autokette gab es keine Lücke. Die alte Frau aber, die auf dem Esel hockte, beide Beine an einer Seite herunterhängen ließ und ganz selbstvergessen an einem weißen Tuch häkelte, dachte gar nicht daran, den Esel zur Seite zu lenken. Es hätte vermutlich ohnehin nichts genutzt, denn der Esel kannte schließlich seinen Weg, und diesen ging er so wie er wollte. In der Autokette hinter Lena wurde bereits gehupt, und Lena mußte unwillkürlich lachen. Sie stellte sich vor, wie Udo jetzt reagieren würde, Udo Sterning, der stets in Eile befindliche, vielbeschäftigte Industriemanager. Er – aufgehalten durch einen Esel und dessen hochbetagte Reiterin, die an einer Wollspitze häkelte, als hätte sie von der Neuzeit überhaupt noch nichts wahrgenommen!
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Irrlicht 39 – Mystikroman - Maja Merling
Irrlicht
– 39 –
Das Geheimnis des versunkenen Kastellans
Mehr als eine düstere Legende
Maja Merling
Es war so, als öffne die Erde sich vor ihnen, und die Erde zeigte sich wahrhaftig nicht von der freundlichen Seite. Da war ein dumpfes schwarzes Loch. Mordige Luft schlug ihnen entgegen, man dachte unwillkürlich an eine Totengruft …
Die Straße war anstrengend, sie erforderte volle Aufmerksamkeit und Konzentration. Dabei hätte Lena Sommer sich gern ein bißchen mehr in der Gegend umgeschaut.
Aber dort drüben waren Inseln. Das müssen ja schon die Kornat-Inseln sein, sagte Lena Sommer zu sich selbst und wunderte sich. Es war ihr gar nicht bewußt geworden, daß sie schon so weit gekommen war, und nun merkte sie auch, daß sie reichlich müde war. Sie war ja fast ohne Pause durchgefahren. Regelrecht stur und verbissen war sie gefahren, und erst jetzt war es ihr, als setze ihr Denken wieder ein.
Sie war ja schon fast an ihrem Urlaubsziel. Lena hatte sich vorgenommen, irgendwo zu bleiben, wo es ihr besonders gut gefiel, und aus dem Grund wollte sie sich während der Fahrt schon ein wenig umsehen. Aber das war bei dem hier herrschenden Reiseverkehr praktisch gar nicht möglich. Die Straße erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit, denn auf der gar nicht sehr breiten Fahrbahn bewegten sich zwei endlose Autoschlangen. Dazwischen gab es hin und wieder auch mal einen Bauernkarren oder einen Esel, der gemütlich dahintrottete, zwei Tragsäcke zu beiden Seiten oder eine alte Bäuerin mit schwarzem Kleid und weißem Kopftuch auf dem Rücken.
Ein solcher Verkehrsteilnehmer war es auch gerade, der mit schwingendem Hinterteil vor Lenas Kühlerhaube einherzockelte und ihr das Überholen unmöglich machte, denn das Grautier hielt sich stur in der Straßenmitte, und in der sich in der anderen Richtung bewegenden Autokette gab es keine Lücke. Die alte Frau aber, die auf dem Esel hockte, beide Beine an einer Seite herunterhängen ließ und ganz selbstvergessen an einem weißen Tuch häkelte, dachte gar nicht daran, den Esel zur Seite zu lenken. Es hätte vermutlich ohnehin nichts genutzt, denn der Esel kannte schließlich seinen Weg, und diesen ging er so wie er wollte.
In der Autokette hinter Lena wurde bereits gehupt, und Lena mußte unwillkürlich lachen. Sie stellte sich vor, wie Udo jetzt reagieren würde, Udo Sterning, der stets in Eile befindliche, vielbeschäftigte Industriemanager. Er – aufgehalten durch einen Esel und dessen hochbetagte Reiterin, die an einer Wollspitze häkelte, als hätte sie von der Neuzeit überhaupt noch nichts wahrgenommen! Nun, so viel war sicher, Udo würde nicht lachen. Er würde fluchen und schimpfen und auf Biegen oder Brechen versuchen, das Grautier samt Reiterin zu überholen, beide dabei dahin wünschend, wo der Pfeffer wächst. Er würde den zauberhaften Reiz dieser Idylle überhaupt nicht wahrnehmen.
Lena Sommer seufzte. So war Udo nun einmal. Ein Mann der Tat, wie er selbst immer wieder betonte, zupakkend, erfolgreich, wohlhabend geworden aus eigener Kraft – und dabei nüchtern, phantasielos und ohne jedes Gefühl für Romantik. Liebte sie Udo überhaupt noch? Zum ersten Mal dachte Lena ernsthaft darüber nach. Bisher hatte es für sie da nicht den geringsten Zweifel gegeben, doch nun war sie gar nicht mehr so sicher. Lena dachte daran, wie sie sich wütend in ihren Wagen gesetzt hatte und einfach abgefahren war, ohne sich von Udo zu verabschieden. Das tat ihr auch jetzt noch nicht leid, sie würde genau wieder so handeln. Immerhin war diese gemeinsame Urlaubsreise seit Monaten verabredet gewesen. Sie hatte sich darauf gefreut wie ein Kind auf Weihnachten, und dann, zwei Tage vorher, hatte Udo die ganze Sache abblasen wollen. Ein Termin mit irgendwelchen Geschäftspartnern war ihm wichtiger. Er beteuerte, die Sache unmöglich absagen oder verschieben zu können, und er setzte dabei Lenas Verständnis voraus.
Aber Lena hatte kein Verständnis. Sie wollte es nicht haben. Sie wollte sich nicht schon wieder um diese Reise bringen lassen. Es war schließlich nicht das erste Mal gewesen, daß Udo einen derartigen Rückzieher machte. Diesmal aber wollte Lena sich nicht damit abfinden. Sie bestand auf der Einhaltung ihrer Urlaubspläne, und als Udo beteuerte, beim besten Willen nicht mitkommen zu können, war Lena allein losgefahren.
Und nun befand sie sich in ziemlich zwiespältiger Verfassung. Auf der einen Seite war sie stolz darauf, sich durchgesetzt zu haben – immerhin war sie ja mit ihren achtundzwanzig Jahren und als recht erfolgreiche Journalistin nicht unbedingt auf männliche Begleitung angewiesen – andererseits aber fühlte sie sich jetzt doch ziemlich allein und verlassen.
Sie konnte nur hoffen, daß Udo Sterning sie genauso vermissen würde, wie er ihr fehlte.
Der Esel mit seiner häkelnden Reiterin trottete immer noch vor ihr her. Lena war durchaus nicht wütend wie die meisten Autofahrer hinter ihr, denn sie hatte ja Zeit. Und sie freute sich, nun doch mit etwas mehr Muße die wirklich faszinierende Landschaft betrachten zu können. Lieber Himmel, war das schön hier! Warum sollte sie eigentlich noch weiterfahren? War das hier nicht alles, was sie sich ersehnt hatte: Sonne, Wasser, eine Inselwelt wie aus dem Bilderbuch, und sicher auch freundliche Menschen.
So wie dieser Junge, der da am Straßenrand stand. Ein schwarzlockiger Bursche, vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt, braungebrannt, mit blitzenden schneeweißen Zähnen und funkelnden kohlschwarzen Augen. Er hatte ein paar Melonen neben sich aufgestapelt. Eine davon war durchgeschnitten, und eine leuchtendrote Hälfte davon hielt er Lena, die ja immer noch Schrittempo fuhr, mit strahlendem Lächeln entgegen.
Plötzlich spürte Lena auch, wie durstig sie war, und es erfaßte sie eine fast unbändige Lust, in diese verlockende Melone hineinzubeißen.
Warum eigentlich nicht? Noch während sie dies dachte, lenkte sie ihren Wagen bereits zur Seite und suchte am staubigen Straßenrand nach einem Platz, wo sie parken konnte. Der Junge hatte ihre Absicht sogleich erkannt und lief neben ihr her. Er stieß dabei anfeuernde, begeisterte Rufe aus, die Lena nicht verstand. Aber sie vermutete, daß es sich um die Melonen handelte, die der Knirps ihr noch weiter anpries. Kaum brachte sie den Wagen zum Stehen, als der Kleine auch schon die Tür aufriß. Er strahlte sie förmlich an und war eigentlich noch hübscher, als Lena es ohnehin schon gedacht hatte.
So was müßte man malen können, dachte sie unwillkürlich. Ein Bild der vollkommensten Lebensfreude. Gibt es so etwas überhaupt noch bei uns? Der Kleine hatte ein Messer in der Hand, schnitt mit einem raschen, energischen Schnitt eine dicke Scheibe von der Melone ab und reichte sie ihr mit einem herzlichen, aufmunternden Nicken. Ohne zu zögern griff Lena zu und biß mit großem Appetit in die saftige Frucht.
»Mein Gott, ist das gut«, sagte sie mit einem wohligen Seufzer, »ein wahres Göttergeschenk.«
Während sie nach ihrer Geldbörse suchte, um dem Kleinen seine Gabe zu bezahlen und sich noch eine weitere Frucht zu kaufen, durchforschte der Junge mit flinken Augen das Innere des Wagens. Er sah Lenas Koffer, die Reisetasche – und witterte sogleich ein neues Geschäft. »Sie brauchen Zimmer?« radebrechte er. »Quartier? Ich prima Zimmer. Sauber, gute Essen, prima Blick auf Meer… billig, ganz billig! Du angucken, ja?«
Die Jungenaugen schauten jetzt so bittend, daß Lena, die eigentlich automatisch hatte ablehnen wollen, nun zögerte. Warum eigentlich nicht? überlegte sie. Sie hatte noch kein Quartier gebucht, wie sie ja im Grunde auch kein festes Reiseziel hatte. Sie wollte sich in einem der großen Urlauberhotels hier an der Küste einquartieren, wie sie es bei früheren Reisen auch gemacht hatte und wie es ihr eigentlich ganz selbstverständlich erschien.
Aber warum war das selbstverständlich? Konnte es nicht auch einmal ganz interessant sein, in einer kleineren Pension oder gar in einem Privathaus zu wohnen? Das würde auch wesentlich billiger sein. Obschon diese Frage für sie im Augenblick nicht unbedingt entscheidend war, denn sie verdiente ja gut und ihre Urlaubskasse war ganz hübsch gefüllt. Aber es reizte sie plötzlich, diesen Urlaub einmal anders zu gestalten als vorgesehen. Dieser Junge hatte sie da auf eine ganz gute Idee gebracht.
So nickte Lena also zustimmend und sagte: »Na gut, dann zeige mir mal das Zimmer.«
Wenn Lena geahnt hätte, wie verhängnisvoll dieser Entschluß war, den sie da so spontan faßte, wenn sie auch nur den Anflug einer Ahnung gehabt hätte, daß in diesem Augenblick ein Abenteuer für sie begann, dessen grauenhafte Ausmaße sie sich überhaupt nicht vorstellen könnte – dann hätte sie ganz bestimmt nicht angehalten, sie wäre gefahren, so schnell sie nur konnte, um aus dieser Gegend zu verschwinden.
Aber Lena hatte keinerlei Vorahnungen, und die äußeren Umstände waren ganz bestimmt nicht dazu angetan, irgendwie mißtrauisch zu werden. Im Gegenteil, alles war so hell, so freundlich, Lena wurde geradezu fröhlich. Und sie hatte es auch nie für möglich gehalten, daß diese Jungenaugen noch mehr strahlen könnten. Aber es war tatsächlich so. Sie leuchteten förmlich vor Vergnügen. Der Kleine klatschte in die Hände und begann dann wieselflink seine Melonen in Lenas Wagen einzupacken. Dann kletterte er selbst hinterher und ließ sich mit glücklichem Lachen auf den Beifahrersitz fallen.
»Dobro«, sagte er. »Gut.«
Lächelnd gab Lena wieder Gas. »Hoffentlich wirst du gleich nicht enttäuscht sein, Kleiner«, sagte sie. »Ich muß mir das Zimmer ja erst einmal anschauen. Ob ich es dann auch nehme, ist längst nicht so sicher.«
»Prima Zimmer«, sagte der Junge, machte ein wichtiges Gesicht und nickte nachdrücklich mit dem Kopf. »Prima Zimmer, gefällt dir.«
»Na, hoffentlich.«
Gerade tauchte am Straßenrand ein Ortsschild auf. »Biograd na moru«, las Lena. Bisher war ihr dieser Ortsname noch kein Begriff, aber es schien eine kleine, recht freundliche Ortschaft zu sein. Der Junge deutete nach rechts. Lena betätigte den