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Und alle Lieben leben
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eBook132 Seiten1 Stunde

Und alle Lieben leben

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Über dieses E-Book

Eine poetische Reise durch den Alltag des Lebens, voller kleiner Nadelstiche.

Die Jahreszeiten fliessen dahin, dahin und der Kampf mit und um das Leben nimmt einen ruhigen Verlauf. "Und alle Lieben leben", das ist die Behauptung. Das Haus schützt und sperrt ein, zwei Personen sind für den zeitlosen Moment zusammengeschweißt - und doch wie gemeinsam ausgesetzt. Der Alltag will bewältigt werden. Erinnerungsbilder steigen hoch, die Chemotherapie beginnt sowie die Suche nach dem ich. Oder ist es ein Du? Schon stellt sich die nächste Jahreszeit ein, in der und mit ihr "alle Lieben leben".

Ausdrucksstark und bilderreich führt uns Hans Eichhorn in eine Welt der Entfremdung, der Krankheit und der Zuversicht. Brillant!
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum2. Sept. 2013
ISBN9783701743315
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    Buchvorschau

    Und alle Lieben leben - Hans Eichhorn

    Handke

    NACHDEM ER IN DIESER NACHT unverhältnismäßig viel abgenommen hatte, sah er morgens sein Gesicht im Spiegel so, als wäre es für immer um den richtigen Ausdruck gestorben. Nicht zu lange hinschauen, nicht vorschnell die Wörter dem klugen Verdauungsprozess einverleiben! Winterzeit ist, unter der Gummisohle kracht der gefrorene Schnee. Das Haus ist in seiner Stille ein Ort des Traums. Die Träume sind zuckende Mundwinkel, sind zu kurz gekommene, für den Rest des Lebens eingeklemmte Leistenbrüche. Der Ort und das Haus sind eine einzige Nachdenklichkeit, beliefert von Lebensmittelketten und Nahversorgungsbetrieben. Schau dir die Holzplafondverschalung an, flieg meinetwegen mit Polsterbank und abgebeiztem Nachtkastl zu den Hindupropheten. Dieses Haus verschluckt, und dieses Haus verdaut. Hier stillgelegt bei offenen Türen, brütend von einem Impuls zum nächsten, der aufstehen und schon auf halbem Wege kehrtmachen lässt. Das will heraus, das will dem Haus einen Traum zum Besten geben, den ersten nach langen Frosttagen und durchzechten Nächten. Nichts davon ist zu hören, nichts davon ist zu sehen. Das Haus ist eine Schnittstelle der Mütter und Väter, die mit Ausputzfetzen und Handwerkszeug herumgeistern. Er sitzt davor, er spielt ein Lied, er hat kaum geschlafen und ist kaum aufgestanden und verkompliziert die Sprache zu einem pompös aufgezäumten Drahtesel. Und die Sprache schnappt sich ihren Teil, fuhrwerkt und tut, müht sich ab und lässt verschwinden, als Haus, als Hausgeburt. Hier, mit den aufblitzenden Glastürblicken, mit den zeitweise hochgehorchten Autovorbeifahrgeräuschen, tut sich nichts, Mangel an Bewegung, bist eingestellt, eingesackt, im Haus verborgen zu einer längst dem Frühling entgegenfiebernden Ribiselstaude. Bist keine Ribiselstaude, bist ein Geldschein, der den Besitzer wechselt, bist der Kaffeesatz einer vergessenen Sommerkannenfüllung. Du breitest dich nicht aus, du bleibst auf der Stelle, es mangelt dir an nichts, du hast alle deine Lieben im Gepäck und packst sie der Reihe nach aus. Sind es Votivbildchen, die an einem Seitenaltar geopfert werden, Gott vergelt’s! Oder sind es Menschen aus Fleisch und Blut, wie gesagt wird, mit Rossschwänzen und mit Granitköpfen, die abgenommen und wieder hinaufgehievt werden? Das Haus und die Nacht geben dir den Rhythmus vor, du hast auf einmal Flügel, aber es fliegt nichts, es wird nur leisegetreten und ein Glas Wasser gezapft und das Klosett aufgesucht. Das ist erst der Anfang, unermüdlich rinnt das Heizöl in den Heizkessel, und die kleinen Explosionen verteilen sich bis unter den Dachboden. Abgenommen, behauptest du, hättest du, dabei drückt dein Körper schwer auf das Sofa. Da steigt auf der Traum vom Haus, da wird Heizöl geliefert, werden Thermostate gewechselt, wird mit der flachen Hand über Schweißperlenstimmen gefahren. Es sind zwei Personen zu sehen, sie huschen oder lungern herum, der Gewalt des Hauses ausgesetzt, seinem Schweigen, seinem Horchen, seiner sehnsüchtig erhorchten oder erschwiegenen Keimlingsnatur, die bloß zu pflücken und sorgfältig in die das Haus umgebende Wiese einzupflanzen ist. Von diesen Keimlingen wird geträumt. Das Haus hat seinen Geist, ist rachsüchtig, hat einen Stab an diensthabenden Personen, die jedes Aufblitzen oder Aufkeimen ausspionieren und aufzeichnen und der Fruchtbarmachung den Saft entziehen. Ohnmächtig, ohne Hände, mit einem Oberkörperklumpen sitzt du da, bist wehrlos, bist immer wehrlos gewesen, lebst von den Brosamen, die an dir vorbeiziehen. Zwei Personen, verschworen und doch wie zufällig gemeinsam ausgesetzt, von gemeinsamen Interessen gespeist und zusammengekommen in diesem Haus. Handlos, lidlos, augenlos, aber es muss gekocht werden, es muss und wird gegessen werden, es werden Geldscheine gezückt, und es werden neue Kleidermodelle für die Opernballroben entworfen, mühelos, handlos, mit forsch zupackenden Blicken auf die die Opernstiegen hinaufflatternden Gewänder. Zwei Personen zusammengeschweißt für den Moment, der zeitlos ist, für Leberknödelsuppen und Sauerkrautreste, zum soundsovielten Male aufgewärmt. So tut sich Stille kund, da nichts geschieht, die ausgedienten Bohrwerkzeuge der Zahnärzte im Keller gelagert und vergessen werden. Zwei Personen, verkörpert im Traum des Hauses, das seine Krakenarmstifte in jede Ecke wirft. Du wirst dich nicht davonmachen und du erst recht nicht. Mit deiner Strickware wird kurzer Prozess gemacht, mit den vorgezogenen Vorhängen zucken deine Augenlider einer neuerlichen Attacke entgegen. Es nützt nichts, das Wort entgegenzuhalten, den Dämon in die Schweineherde zu treiben und in den Fluss zu jagen. Er ist immer schon längst Fluss, immer schon längst wieder erbrochen aus der Schweineherde, hier, auf das Sofa geschmissen, er ist immer schon längst mit den Schweinen und Flussbildern verquickt und hier unter dem Dachfirst abgelagert. Zwei Personen, zwei Siebenschläfer, zwei blinde Passagiere, schnell wachgerüttelt von dem glucksenden Rauschen der Heizkörper. Der leichtfertige Stift bohrt sich durch die Hausstille, wann ist Schluss, wann vergräbst du dich in deinem Schlafsack? Winterkälte bewegt den Dachstuhl, da und dort krachen die Fugen. Stellt sich der schwarze Kassettenrekorder ein, das kurze Haar, die lange wohlsuchenden Augen? Und Musik ist die reizende Begleitung. Heimisch geworden in der Fremde, immer einer Liebe auf der Spur. Das Viel-zu-viel eines Wortschatzes im Viel-zu-viel dieser Hausstille. Diesem Hausschweigen kracht das Gebälk entgegen. Minus fünfzehn Grad bei vollem Mond und klarer Nacht. Steh doch auf, geh doch hinaus mit deinem schlafenden Kind, atme die kalte, bewegende Winternachtluft! Du bist abgestellt, hast keine Hände, lauschst auf das Wachsen einer kleinwinzigen Conterganhand. So still, so allein, eingesperrt in der Vorstellung Einsperren, gar gekocht in diesem traurigen Haus, das keine Traurigkeit kennt, sondern nur den Mut und die Macht zu beschützen. Sitzt vor dem leeren Wasserglas, willst sie nochmals aufscheuchen, die Hausgeister, zu einer mitternächtlichen Tanzeinlage. Ein Faustschlegel liegt in deiner nicht gewachsenen Kleinwinzighand, Strohhalme für den Kakao werden verteilt. Dachflächenfenster werden zum Auslüften gehoben und schnell wieder zugemacht. Hier hast du einen Schlüssel für dein höhnisch lachendes Gefängnishaus. Der Schlüssel passt nicht, einmal ist er zu groß, dann zu klein, zu leicht, einmal ist die Tür eine Garagenschiebetür, einmal ist sie das ohnehin weit offen stehende Eingangstor. Wem horchst du nach, was erzählst du deinem Kind vom Erhorchten und vom dem Erhorchten prompt folgenden Unwetterpeitschen auf und in den Eternittafeln? Eine Schadensmeldung ist zu machen. Manches ist zu Bruch gegangen. Und die Lieben drängen sich auf, Gespenster, Bleichgesichter, Ideenträger. Fühlt sich das Kind bedroht, fürchtet es um seinen Platz? Das Kind ist die zweite Person, das Kind ist das Nächste unter diesem Dach, aber es entzieht sich. Lebt vor seinem Körper, ist ausgetreten und hofft darauf, angefüllt zu werden von allem Lebendigen, das wie sprudelndes Wasser über die Schalen rinnt. Du bist verurteilt zuzuschauen. Die Kettensägen dröhnen als ein Wachrütteln aus der Erinnerung, aus dem Schweigen ein Wolkengespinst, sich andauernd verändernd. Was stellt es dar? Und jetzt und jetzt? Du reißt die Eingeweide aus den Rotaugen und Hechten und stellst die Frage: Und? Du schleppst den schweren Außenbordmotor und stellst die Frage: Wer will hier schon nach Antwort suchen? Die Dachlandschaft des Dorfes ist noch immer der bestimmte, von der Kirche hinabgeworfene Vertrautheitsblick. Fischförmiges aller Art hängt im Zentralraum des Hauses. Ein Bekannter wird getroffen, und das Händeschütteln ist ein langes Erinnerungsgedankenschütteln. Die große Linde und der Blick auf den See, unter dem Kreuz und auf der Hiertreffen-wir-uns-Bank. Und schon ist die Hausstille um einen Keimling reicher, schon spitzt sie die Ohren, ist ganz Anteil und Sorge hier auf dem Sofa, in der Kugelschreiberfüllung. Jetzt geh schlafen! Sorge dich nicht! Es gibt Bulldozer, und es gibt Reißnägel, und es gibt Moltofillpackungen. Die Lebensmittel gehen nicht aus, die Geschichte geht nicht aus, der Außenbordmotor fällt nicht aus, das Friseurgeschäft stellt noch immer Lehrlinge ein, und Parkplatzraser sind eine Gefahr. Zwei blinde Passagiere, abgestellt in der Nacht, abgestellt im Sternbild des Hauses, des Gehäuses und seiner Geschwister und seiner Wandergesellen. Das kommt nicht zur Ruhe, das rumort in den Kniekehlen, in den Lesebrillensets. Leise tritt es auf, damit wie von selbst einmal die Hausenergie zur Verfügung stehe. Dann tritt die Veränderung ein, ganze Stadtteile werden umgebaut, ganze Wohnviertel abgerissen und neu konzipiert. Viel Arbeit, viel Spezialwissen, viele Berufszweige profitieren davon. Viele Stellen werden ausgeschrieben und besetzt, und es kann losgehen.

    ZARTER RAUREIF AM BAUMGEZWEIG, an den Spinnwebfäden zwischen den Balkonlatten. Es ist wieder Tag geworden. Nebel hüllt den See ein, Blässhühner, und eines kopfüber ins Wasser. Möwe weit über der Bootshütte, ruhige, kräftige Flügelschläge. Ihre Selbstverständlichkeit ist Beruhigung, beunruhigt dich in ihrer Fremdheit. Das offene Feuer im Kachelofen prasselt. Eisklumpen an den Fendern des Stegs klopfen dumpf herauf in den Dachboden. Kaum geschlafen, die Stimmen, die Geräusche im Haus ein bizarres Geisterleben. Vorfahren rücken ihre Sargdeckel zur Seite, das viele ungelebte Leben steht auf. Im Blick in den Nebel schweigt das Haus weiter. Im Blick auf die Raureifäste gellen die Möwenschreie höhnisch. Wie viel kostet ein zehn Jahre alter Gebrauchtwagen? Wir mögen das Haus bewohnen, wer ist imstande, die Fixkosten zu begleichen? Wir mögen das Haus bewohnen, aber das Haus bewohnt uns, wohnt uns aus, lässt uns bis auf das Gerippe abmagern. Ein wenig Schnee auf den Bootshüttendachziegeln, ein wenig wieder von den Wörtern beäugt, der galoppierenden Schwindsucht. Hast noch nicht die Kanalbenützungsgebühr entrichtet, hast noch nicht die Abfahrts- und Ankunftszeiten des Linienbusses studiert. Pappelalleen, Pappelalleen, wo immer sie herkommen, wie immer sie aufgenommen werden. Studier endlich den Fahrplan, schäl endlich die Erdäpfel, brat endlich den Fisch! Aber das zu wenig erhitzte Fett?! Die zu wenig gekochten Kartoffeln?! Und der Salat?! Der Salat hat Hände. Der Salat streckt seine Hände nach dir und würgt dich. Was hast du ihm angetan? Die Möwenschreie sind kein Zufall. Und die Autos rasen, als müssten sie so schnell wie möglich Tausende Tonnen von Legehennenbatteriendreck hinter sich lassen. Der Nebel lichtet sich, zwei rote Bojen kommen zum Vorschein, eine dicke Kröte hockt schwarz im verunglückten Wortbild. Wie zupacken ohne Hände und wie dem Wortbild das Schmalz auspressen? Dem Wortbild das Schmalz auspressen, und das Schmalz zum Braten der Fische verwenden. Dann werden sie schön

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