Besser tot als nie
Von Lisa Lercher
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Über dieses E-Book
Lerchers Mordgeschichten treiben alltägliche Geschehnisse auf die Spitze: Was könnte passieren, wenn Sie angesichts der sadistischen Quälereien durch Ihre Chefin rot sehen?
Wenn Ihre Schwester Sie seit Jahren nervt und aus Habgier vor nichts zurückschreckt?
Wenn der liebste Mensch in Ihre Leben Sie überraschend verlässt?
In "Besser tot als nie" werden Hass und Streit nicht länger unterdrückt, sondern bis zum bitteren Ende ausgefochten. Dabei wird eines schnell klar: Es braucht oftmals nur einen winzigen Schritt, nur die Haaresbreite einer Grenzüberschreitung, damit der Alltag in den Alptraum kippt.
Weitere Krimis von Lisa Lercher:
- Der letzte Akt. Kriminalroman
- Der Tote im Stall. Kriminalroman
- Ausgedient. Kriminalroman
- Die Mutprobe. Kriminalroman
- Mord im besten Alter. Kriminalroman
- Faule Marillen. Kriminalroman
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Buchvorschau
Besser tot als nie - Lisa Lercher
Verlag
Liebe glaubt alles, hofft alles …
Wenn der Hofrat Geiger das Mariandl als seine Tochter erkennt, kommen mir immer die Tränen. Dabei habe ich den Film sicher an die 50 Mal gesehen. Die Szene rührt mich immer noch, wie beim ersten Mal. Das ungläubige Erstaunen, die Erkenntnis, die sich langsam in den gereiften Zügen Rudolf Pracks breit macht, und dann der liebevolle Blick, als sich die beiden begegnen.
Der Picknickkorb ist weg. Ich habe nachgeschaut. Rolf ist gegen neun zur Arbeit gefahren, wie immer. Außentermine, schwer erreichbar, hat er mich wissen lassen. Er hat mich auf die Stirn geküsst, den Kaffee im Stehen hinuntergestürzt. Spät dran, war sein Kommentar, bevor er die Haustür hinter sich zugezogen hat.
Opa Windischgruber streitet mit dem Gustl Pfüller. Keiner bringt den Grantscherm so gut rüber wie der Moser. Der Pfüller bemüht sich, Eindruck bei der Marianne Mühlhuber zu machen. Er, der wohlhabende Hotelier, weiß, dass sie dringend Geld braucht, um das heruntergekommene Wirtshaus wieder in Schuss zu kriegen. Die Haas zu ihrer besten Zeit: strahlend, fraulich, kompetent. Der Gunther Philipp als Pfüller, ein Alkoholiker. Der Vorspann zur Leberzirrhose, ein Kasperltheater. Ich drücke auf Replay, die Szene ist einfach großartig.
Den Picknickkorb habe ich zufällig entdeckt. Der Hobbyraum ist Rolfs Reich. Darin habe ich genau so wenig verloren, wie er in meiner Galerie. Meine Seidenmaltücher interessieren ihn sowieso nicht. Manchmal spanne ich eines davon auf einen Rahmen und hänge es im Wohnzimmer auf. Blühende Marillenbäume sind es diesmal. Die Frühlingsstimmung passt perfekt zur cremefarbenen Couch.
Peter Weck ist ein Hallodri. Kein Wunder, dass sich der Prack-Hofrat Sorgen um das Wohl seiner Conny-Tochter macht und den potenziellen Liebhaber väterlich streng in die Schranken verweist. Aber die Liebe ist größer. Der Peter lässt nicht von seiner Conny-Mariandl und gibt dafür sogar sein Casanovaleben auf. So wie jeder Mann, wenn er endlich die Richtige gefunden hat.
Der Kreditkartenbeleg hat mich stutzig gemacht. Pension Weinheber in Dürnstein, im Juni. Da hat Rolf einen Prüfauftrag in der Steiermark erledigt. Ich bin ganz sicher, Bruck an der Mur, hat er gesagt. Zwei Tage später habe ich in Dürnstein angerufen. Herr Lohmeier mit Gattin, ja, hat die Frauenstimme am Telefon bestätigt. Mein Körper hat prompt reagiert. Brechdurchfall. Ich bin immer schon empfindlich gewesen.
Franzi, die Haushaltshilfe, kocht Franzl, den Hofrat, ein. Er bleibt unnahbar, zurückhaltend, Gentleman. Und Frauenschwarm. Dabei steht das Angebot verlockend vor ihm. Keine Chance. Er behandelt seine Perle höflich, distanziert, kann sich beherrschen. Denkt vielleicht an die alte Liebe in der Wachau? Hat sie auf einen Sockel gestellt. So hat keine neben ihr Platz.
Sie heißt Judit und arbeitet in St. Pölten. Blond, schlank, sportlich. Mindestens zehn Jahre jünger als ich. Klassisch. Wenn es ein Film wäre, würde ich den Kopf schütteln und nach dem nächsten Soletti greifen. Die Geschichte geht schon über ein Jahr. Natürlich habe ich etwas gemerkt. Stress im Job, Gerüchte über eine bevorstehende Ausgliederung – er hat mir viele Anhaltspunkte geliefert und jeden zweiten Samstag mit mir geschlafen. Also wieso gleich an so etwas denken?
Auch die Marianne Mühlhuber hat zu kämpfen. Der Pfüller lässt nicht locker, obwohl ihm der Opa Windischgruber die Annäherungsversuche bei der Mariann übel nimmt. Er hält nichts von dem reichen Hotelier. Die Haas ist pragmatisch – die große Liebe ist es nicht. Wie auch, mit Rudolf Prack als Herzensbrecher? Neben dem weltgewandten Helden kann der tollpatschige Philipp nicht bestehen. Aber die Schulden, die auf dem alten Gasthof lasten, sind ein zu gewichtiges Argument. Eine Vernunftehe scheint trotz Intervention der Tochter und des grantigen Opas möglich. Frauen müssen Opfer bringen. Das war immer schon so. Ich schnäuze mich in mein Taschentuch.
Ich kenne Rolf. Er würde es abstreiten. Mir wahrscheinlich auf den Kopf zusagen, dass ich spinne und mir alles nur einbilde. Er ist rhetorisch überzeugend. Nicht umsonst hat er all diese Kurse besucht. Wahrscheinlich war auch der Picknickkorb eine Fata Morgana. So wie die Geflügelpastete, die ich am liebsten mit Rattengift versetzt hätte.
Die Mühlhuber weist den Hofrat Geiger zurück. Hat er sich all die Jahre nicht um sie und das Kind gekümmert, braucht sie ihn jetzt auch nicht mehr. Verletzter Stolz. Ich versteh’ sie gut. Auch wenn sie dafür den Pfüller in Kauf nehmen muss. Der Hofrat ist gekränkt. Hat wahrscheinlich geglaubt, dass alles wieder gut ist, wenn er im Bild erscheint. So einfach wollen wir es den Männern aber nicht machen.
Dass er meine Herztabletten mit seinen Muntermachern verwechselt hat, ist glaubwürdig. Bei der Kurzsichtigkeit! Für Brillen ist er zu eitel. Ein fataler Irrtum. Die Romantik wird schnell dahin sein, wenn er sich mit Schaum vor dem Mund unter Krämpfen windet. Da wird selbst ihr das Tiramisu nicht mehr schmecken. Panik wird ausbrechen, während sich seine Finger um die Picknickdecke krampfen. Vielleicht wird sie schreien, die Enten in den Donauauen erschrecken.
Mariann und Mariandl singen. Das Lied vom Wachauerlandl, Landl und dem Herz am Bandl, Bandl. Romantisch vereint, unter Bäumen, dahinter der Donaustrom, der nicht schuld ist, genauso wenig wie der Wein. Rudolf Prack hört dem Haas-Froboess-Duo andächtig zu. Ein wenig melancholisch noch, Erinnerungen und viele vergebene Jahre, die man doch zu zweit hätte …? Aber vorbei ist vorbei. Sich lieber dem Jetzt zuwenden. Herbstliches Lebensglück. Ein heimeliges Kaminfeuer. Gemeinsam alt werden.
Rolf steht in der Tür. Einundzwanzig rote Rosen, zu unserem Hochzeitstag. Mir fällt vor Schreck die Fernbedienung aus der Hand. Er zeigt den Picknickkorb. Ich soll mich anziehen, wir fahren ins Grüne. Für das Picknick kennt er ein lauschiges Platzerl in den Donauauen. Nur wir und ein paar Enten. Klingt das nicht verlockend?
Gleich, antworte ich. Glockengeläut, die Doppelhochzeit. Mir kommen erneut die Tränen. Der Franzl-Hofrat und seine Marianne. Der Peter umarmt sein Mariandl. Die große Liebe, einzig, auf ewig. Die Alten als Vorbild. Auch die Jungen werden es schaffen. Liebe glaubt alles, hofft alles, …
Rolf steht auf dem Balkon, genießt die Zigarette in der Frühsommersonne.
Ich streiche über die Rosen, betrachte den Korb. Er ist anders als der aus dem Hobbyraum. Kleiner, irgendwie schäbiger.
Bremsen quietschen, der unvermeidbare Knall und das Splittern von Glas. Schreck fährt mir in die Glieder. Für Dramen bin ich empfänglich, springe auf. Rolf beugt sich nach vor. Ein Unfall, sagt er über die Schulter und reckt weiter den Hals. Sein nüchterner Tonfall bremst meinen Schritt. Früher hat er mich beruhigt, dem Alltag die Schärfe genommen.
Die breiten Schultern, kaum eine Armlänge entfernt. Er lehnt sich weit über die Brüstung, hat sich auf Zehenspitzen gestellt. Merkt nichts von der Entschlossenheit, die sich hinter ihm ballt.
Ich packe ihn an den Fußgelenken, nutze den Schwung des Hebels. Im wirklichen Leben ist vieles leicht. Er fällt anmutig, sekundenlang. Rudert mit den Armen, bis zum Aufschlag, Hirn spritzt gegen die Wand. Erst jetzt löst sich der Schrei. – Meiner. Voller Schreck, Angst und Erleichterung. Unten entsteht ein Tumult. Die Schaulustigen verlassen den Blechschaden; Aufregung um die neue Sensation.
Ich wanke benommen ins Zimmer, drücke auf den Knopf der Fernbedienung. Wenn der Hofrat Geiger das Mariandl als seine Tochter erkennt, kommen mir die Tränen. Das war immer schon so. Dabei hab ich den Film sicher mehr als fünfzig Mal gesehen.
Die Polizei wird gleich hier sein. Meine Glieder zittern, ich kann meine Zähne klappern hören. Innen bin ich ganz klar. Der Schock, sie wollte ihn zurückhalten, werden sie sagen. Mein Gott, die arme Frau. Ein Schluchzen befreit sich aus meiner Kehle.
Der Franzl-Hofrat umarmt seine Mariann. Er hält sie fest und lässt sie nie mehr wieder fort.
Erstmals veröffentlicht in: An der öden lauen Donau? Geschichten aus der Donauregion, Edition Aramo, Wien 2005, herausgegeben von Sylvia Treudl.
Erntedank
Seine Nase verfehlt die Wurzel knapp. Die Hände dämpfen die Wucht des Aufpralls. Langsam richtet er sich auf.
„Weh getan?" Die Worte der alten Frau drücken Mitgefühl aus.
War es ihr Spazierstock, über den er gestolpert ist? Sie sitzt auf der Bank, den Kopf ein wenig geneigt. „Geht schon", presst er zwischen den Zähnen hervor, reibt sein schmerzendes Knie und verfällt in einen humpelnden Trab.
Sie kichert, als er um die Wegbiegung verschwunden ist. Das war schon der Fünfte in dieser Woche. Ein Ruck mit dem Spazierstock und schon liegen sie. Ihre Technik wird mit jedem Mal besser. Nicht dass sie etwas gegen Jogger im Speziellen hätte … Die gehören zum Wienerwald, so wie die ersten Buschwindröschen, die sie jedes Jahr im Februar holt. Sie kennt die Plätze genau, die Gegend hier wie ihre Westentasche.
Sie putzt ein paar Brösel getrockneter Erde von ihrem Mantel. Der Stiel der kleinen Schaufel ragt aus dem Plastiksackerl.
Lieb, freundlich und bescheiden, hat er gesagt und ihr dabei die Hand getätschelt. Als ob sie ein kleines Kind wäre. Keinen Respekt vor dem Alter. Ihr einzureden, sie sei im Seniorenheim besser aufgehoben. Sie ballt die Finger zur Faust, spürt die Verbitterung. Meint er wirklich, dass eine Mutter ihren Sohn nicht besser kennt? Nicht weiß, dass er die Wohnung für den Enkel braucht?
Sie wollte nie ins Heim. Lieber sterben als diese Bevormundung hinnehmen zu müssen. Dabei hat sie Glück, ist mobil. Wird nicht um sechs ins Bett gesteckt und mit Schlaftabletten sediert, damit die Nachtschwester in Ruhe Kaffee trinken kann.
Die Sonnenstrahlen lassen sie blinzeln, dann niesen. Sie ist gern auf der Rudolfshöhe, betrachtet die Baumwipfel, die sich sacht im Wind wiegen.
Ein quengelndes Kleinkind stört die beschauliche Ruhe. Die Frau wird sich doch nicht … mit dem Kind … auf ihre Bank? Sie greift in die Manteltasche, umklammert die Dose. Die wirkt Wunder. Der alte Steirerkäse vertreibt ungebetene Besucher. Scheele Blicke nimmt sie gern in Kauf. Das entschuldigende Lächeln hat sie vor dem Spiegel geübt. Peinlich ist es immer den anderen. Warum? Das hat sie noch nie verstanden. Aber es gefällt ihr, macht die Vorstellung reizvoller.
Die Frau nimmt das Kind auf den Arm, geht weiter, an der Bank vorbei. Sie löst den Griff, lässt die Dose im Mantel, zieht den Korb näher zu sich heran, streicht über das Setzholz.
In ein Zweibettzimmer haben sie sie gesteckt. Sie, die sie schon seit Jahren alleine lebt, ihre Gewohnheiten pflegt. Und redselig ist die, diese verrückte Alte mit den breitkrempigen Hüten. In der zweiten Woche hat sie ihr Tropfen in den Kaffee geschüttet. Danach war das Geplapper schnell vorbei. Das Würgen im Badezimmer wurde ihr dann doch zu viel, sie ging derweil ins Musikzimmer.
Später hat sie