Seewölfe - Piraten der Weltmeere 95: Arkana, die Schlangenpriesterin
Von John Curtis
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Rezensionen für Seewölfe - Piraten der Weltmeere 95
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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 95 - John Curtis
9
1.
Zehn Tage waren vergangen, seit die „Isabella VIII." der Packeishölle entronnen war. Vor einem steifen Wind aus Südost segelte die Galeone etwa dreihundert Meilen querab der südamerikanischen Küste unter Vollzeug auf Kurs Nord. Eine achterliche lange Dünung hob und senkte Schiff und ließ den Bug manchmal tief in die grünblaue See eintauchen. Am wolkenlosen, blauen Himmel stand die Sonne. Mit jeder Meile, die die Galeone nordwärts segelte, wärmten ihre Strahlen mehr.
Will Thorne, der sich erstaunlich rasch von seiner schweren Lungenentzündung erholte, saß zusammen mit Bill, den neuen Schiffsjungen der „Isabella", auf den Planken der Kuhl und war damit beschäftigt, zwei Persenningbahnen zusammenzunähen. Bill half ihm dabei. Er hatte sich erstaunlich geschickt und gelehrig im Umgang mit der Segelnadel erwiesen.
Kritisch verfolgte er jeden Stich des Segelmachers, während es hinter seiner glatten Jungenstirn sichtlich arbeitete.
„Kaum zu glauben! hörte er den alten Segelmacher murmeln. „Noch vor ein paar Tagen dieses verdammte Packeis und die klirrende Kälte, die einen sogar unter Deck fast in der Koje festfrieren ließ, und heute eine Sonne, die einem die alten Knochen mal wieder so richtig durchwärmt!
Wohlig dehnte er die Schultern, und gleichzeitig warf er einen nachdenklichen Blick auf den Jungen. So anstellig und geschickt wie Bill hatte sich bisher noch niemand gezeigt. Er beobachtete, wie der Junge Stich um Stich sauber und akkurat ausführte, nicht zu lang, nicht zu kurz, sondern genauso, wie sie sein mußten und wie er selbst sie nicht hätte besser ausführen können.
Bill spürte den Blick des Segelmachers und sah den Alten an. Will Thorne hatte längst bemerkt, daß den Jungen irgend etwas beschäftigte, daß ihm irgendeine Frage auf den Lippen brannte.
Er lächelte dem Jungen zu.
„Nun, Bill, was möchtest du denn wissen? ermunterte er den Jungen. „Ich sehe doch schon die ganze Zeit, daß dir eine Frage auf der Seele brennt, also heraus damit. Was willst du wissen?
Zum Erstaunen des Alten lief Bill rot an. Verlegen blickte er zu Boden und schluckte ein paarmal.
Will Thorne schüttelte den Kopf. So kannte er Bill gar nicht, der Junge hatte sich ganz im Gegenteil wirklich gemausert, er schien sich unter den Seewölfen sauwohl zu fühlen, und die „Isabella" war nach dem Tod seines Vaters zu einer neuen Heimat für ihn geworden.
„Los, heraus damit, Bill! Wenn ich kann, dann werde ich dir antworten. Also?"
Bill gab sich einen Ruck.
„Ich habe gehört, daß diese Persenning für Siri-Tong sein soll, wenn – wenn sie sich morgens wäscht …" Wieder wurde Bill rot bis über beide Ohren, er wagte nicht, den alten Segelmacher anzusehen.
Auch Will Thorne war erstaunt. Natürlich stimmte das, was der Junge da sagte, schließlich war Siri-Tong eine Frau, eine bildhübsche noch dazu. Sie konnte sich nicht einfach vor den Augen der Seewölfe splitternackt an Deck waschen, aber wie, zum Teufel, hatte der Junge schon Wind davon gekriegt?
Gespannt wartete der Segelmacher auf die nächste Frage, obwohl er bereits ahnte, wie sie lauten würde.
Bill, einmal entschlossen, überwand seine Verlegenheit und ließ nicht mehr locker.
„Ich meine, also ich habe mir überlegt …; abermals gab er sich einen spürbaren Ruck, „also warum muß Siri-Tong hinter einer Wand aus Segeltuch stehen, wenn sie sich wäscht? Wir waschen uns doch alle einfach an Deck! Und wer schüttet ihr denn nun eine Pütz Salzwasser drüber?
Will Thorne mußte sich gewaltsam das Lachen verbeißen. Das war ja heiter, und jetzt saß er ganz hübsch in der Klemme. Himmel und Hölle, was sollte er diesem aufgeweckten Bürschchen bloß antworten?
Mit einer Gegenfrage versuchte er Zeit zu gewinnen, und er konnte nicht ahnen, wie gut ihm das gelingen sollte.
„He, Bill, sag mal, wie kommst du eigentlich auf so was? fragte er. „Wer hat dir gesteckt, wozu wir beide die Persenning nähen?
Bill hatte seine anfängliche Verlegenheit überwunden. Zudem mochte er den alten Segelmacher von Herzen gern.
Er rutschte ein wenig näher an Will Thorne heran, dann beugte er sich zu ihm hinüber.
„Ich weiß mehr als du denkst. Neulich habe ich vom Großmars aus gesehen, wie Siri-Tong sich gewaschen hat. Der Profos hatte alle Männer nach vorn gejagt, nur mich hat er nicht bemerkt. Ich konnte nicht mehr weg, da habe ich eben zugeschaut. Ist das denn eigentlich schlimm, daß sie anders aussieht als wir Männer? Ich finde sie hübsch, wirklich, sie ist – ist – einfach – ach ich weiß auch nicht. Ich mag sie schrecklich gern, Will, ich finde es schade, daß sie sich jetzt hinter der blöden Persenning verstecken will. Vor dem Seewolf versteckt sie sich doch auch nicht."
Will Thorne fuhr hoch. Und diesmal stand auf seiner Stirn eine steile Falte des Unmuts.
„Hör mal, Junge, was weißt du vom Seewolf und Siri-Tong? Du hast doch nicht etwa auf dem Achterdeck, ich meine von der Heckgalerie aus …"
Weiter gelangte er nicht. Siri-Tong, von den beiden unbemerkt, hatte an der Schmuckbalustrade gelehnt und alles gehört. Zuerst hatte sie sich köstlich über den Bengel amüsiert, nur die Wendung, die das Gespräch zuletzt genommen hatte, ging ihr verdammt gegen den Strich.
Mit einem Satz war sie in der Kuhl. Und da alle anderen damit beschäftigt waren, Schäden auszubessern, die Decks zu klarieren, die gesamte Takelage, das laufende wie das stehende Gut zu überprüfen, wobei sie von der Donnerstimme des Profos Ed Carberry kräftig angetörnt wurden, nahm niemand von den dreien in der Kuhl sonderlich Notiz.
Die Rote Korsarin fackelte nicht lange. Sie hockte sich kurzerhand neben Bill und griff sich sein rechtes Ohr.
Schreckenstarr sah der Junge sie an, aber das half ihm gar nichts.
„Hör mal, Bürschchen, wann hast du den Seewolf und mich belauscht?" Der Zug an Bills Ohrläppchen verstärkte sich, die dunklen, leicht geschlitzten Augen der Roten Korsarin funkelten den Bengel an.
Will Thorne registrierte den Ärger in Siri-Tongs Gesicht, und auch er selber war wütend. Aber dann mußte er über das Häufchen Elend, das da neben ihm und vor der Roten Korsarin auf der Kuhl hockte, innerlich lachen.
„Siri-Tong, er ist noch ein Bengel, er hat es bestimmt nicht böse gemeint, er …"
Die Rote Korsarin warf dem alten Segelmacher der „Isabella" einen schrägen Blick aus ihren dunklen Augen zu, und innerlich mußte sie ebenfalls lachen. Aber sie ließ sich das nicht merken, der Junge mußte lernen, was erlaubt war und was nicht.
„Bill, ab, marsch mit dir in die Kammer des Seewolfs. Dort unterhalten wir beide uns weiter, sagte sie streng. „Und rühr dich ja nicht vom Fleck, bis ich da bin, ich kriege dich, so oder so!
Bill wurde blaß um die Nase. Er warf dem Profos, der eben ein paar Männer durch die Wanten jagte, einen ängstlichen Blick zu. Wenn bloß Carberry von dieser Sache nichts erfährt! dachte er voller Angst. Er hing sehr an dem Profos, Carberry war wie ein Vater zu ihm, er kümmerte sich rührend auf seine rauhe Weise um Bill, der Junge konnte mit jeder Frage zu ihm kommen. Aber es gab Dinge, da verstand der riesige Profos keinen Spaß. Bill ahnte, daß dies wohl dazu gehören würde.
Er wartete eine zweite Ermahnung gar nicht erst ab, sondern flitzte los, verfolgt von den Blicken Siri-Tongs und Will Thornes.
Siri-Tong stand auf, aber der Segelmacher hielt sie zurück.
„Seien Sie nicht zu streng mit dem Bengel, Siri-Tong, bat er. „Er hat ganz gewiß nichts Böses dabei gedacht, bestimmt nicht!
Die Rote Korsarin sah den Segelmacher nachdenklich an. Wenn sie daran dachte, daß der Bengel sie und den Seewolf in der Kammer belauscht hatte, dann schoß ihr noch nachträglich die Schamröte ins Gesicht. Es war zwar ein offenes Geheimnis, daß der Seewolf und sie sich liebten, aber die Männer redeten nicht darüber, nie hatte irgend jemand aus der Crew auch nur einen zweideutigen Witz darüber gerissen. Die Männer respektierten sie und den Seewolf. Vielleicht spürten sie sogar, wie sehr der Seewolf sie brauchte, nachdem er auf so schreckliche Weise seine Frau und seine beiden Söhne verloren hatte. Nur zu oft hatte Siri-Tong bemerkt, wie stark ihm das alles auch heute noch zusetzte, auch wenn er sich nichts anmerken ließ.
Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht