Die Reise durch Albanien
Von Karl Otten
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Buchvorschau
Die Reise durch Albanien - Karl Otten
Karl Otten
DIE REISE DURCH ALBANIEN
1912
herausgegeben von
Elisabeth Pfurtscheller
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Einleitung
Der Freiheitskampf in Albanien
Die Reise durch Albanien 1912
Karte zu Ottens Reise durch Albanien
Erläuterungen
Zeittafel zur Entstehung und Verbreitung der Reise durch Albanien 1912
Biografie von Karl Otten (1889–1963)
Bildnachweis
Impressum
Reisebücher in Print und Digital - Reisecontent
Königsberger Straße 11
23701 Eutin
www.reisebuch.de
info@reisebuch.de
© Deutsches Literaturarchiv Marbach a.N./reisebuch.de 2014
Verlag GD Publishing Ltd. & Co KG
ISBN: 9783957031075
E-Book Distribution: XinXii
http://www.xinxii.com
Einleitung
»Sie dürfen Notizen machen,
ich bitte Sie sogar, in Ihre Zeit-
ungen zu schreiben, was Sie
gesehen haben ...«
Auf seinen Wanderungen durch Albanien – ausgehend vom montenegrinischen Antivari (Bar) und Dulcigno (Ulcinj) ins albanische Skutari (Shkodër) und von dort nach Wandais (Vau i Dejës) und schließlich Durazzo (Durrës) – marschierte der 23-jährige Karl Otten 1912 durch ein Krisengebiet, vor dessen Erkundung überall gewarnt wurde. In den beiden Jahren zuvor lebte der mit Frank Wedekind und Heinrich Mann befreundete Kunstgeschichtestudent in München, wo er Anschluss an die Schwabinger Boheme gefunden hatte. Etwa sechs Monate vor seiner Reise über Venedig und die dalmatinische Küste entlang nach Montenegro, Albanien und Griechenland kam er in Kontakt mit linken und anarchistischen Kreisen; er wurde Mitglied der »Gruppe Tat« und im »Sozialistischen Bund« rund um Erich Mühsam. Bis auf einige Texte im Aachener Almanach hatte der spätere Journalist und Schriftsteller des Expressionismus noch nichts veröffentlicht – insbesondere die Reise durch Albanien sollte Karl Otten allerdings entscheidend prägen und sein künftiges Leben und Schaffen maßgeblich beeinflussen.
Bar Montenegro
»… über Dalmatiens Ruinenstädte ging es nach Albanien, dort trat ich aus dem Hause Europa und seiner, wie mir schien, ewigen Zivilisation in das Haus eines wilden Urvolkes, dessen Sprache und Gewohnheiten zu erforschen mein erstes Ziel sein sollte. Tagelang kletterte ich im weißglühenden, kahlen Karst von Dorf zu Dorf, bis ich eines Morgens, aus dem Hinterhalt, überfallen und gefangengenommen wurde. Ich war ahnungslos in den Aufstand der Albaner geraten. Der Anführer der Rebellentruppe, ein englisch sprechender Zivilist, lud mich nach kurzer Vernehmung ein, zu bleiben und über den Freiheitskampf seines Volkes zu berichten. Drei Tage später, immer noch im wildesten Gebirge, wurde ich abermals festgenommen. Diesmal von türkischen Soldaten. Ich war mitten in einen noch geheim gehaltenen Krieg, den Anfang des ersten Balkankriegs, geraten. Ja, das war der Krieg, darüber konnte es keinen Zweifel geben, unbeobachtet, brutal, mit sich allein war dieser Krieg. Hier wurden die ersten Schüsse jenes Krieges abgefeuert, der die Welt bis heute nicht zur Ruhe hat kommen lassen. Ohne es zu wissen, erlebte ich die Geburtsstunde eines Weltunterganges …« (Karl Otten, in: Vorwort zu Der Ölkomplex. Emsdetten 1958. S. V. f.)
Seine insgesamt etwa neunmonatige Balkanreise, die ihn zwischen Ende Mai 1911 und Anfang 1912 auch durch Nord- und Mittelalbanien führte, markierte einen Wendepunkt in seinem Leben: Die Szenen im Ausbruch des albanischen Freiheitskampfs gegen die osmanische Herrschaft begründeten in ihm jenen Pazifismus, dem er sich bis zum Ende seines Lebens stärker verpflichtet fühlte als jeder politischen Gruppierung oder Partei. Sie festigten außerdem seine Überzeugung, dass sich ebenso im Rest von Europa ein großer Krieg ankündige – eine geradezu prophetische Ahnung, die aber nicht einmal seine anarchistischen Freunde für realistisch hielten (vgl. Weltbild Luitpold, in: Karl Otten Lesebuch, Köln 2007, S. 120). Allerdings bewahrheiteten sich Ottens Befürchtungen, schließlich waren die Spannungen am Balkan der Auslöser des Ersten Weltkriegs.
1913 erscheint der Albanien-Reisebericht des jungen Otten als seine erste selbstständige Veröffentlichung im Münchner Verlag von Heinrich F.S. Bachmair. Sprache und Stil Ottens lassen sich hier durchaus bereits als frühes Beispiel expressiver Prosa bezeichnen – und was erwartet den Leser inhaltlich? Mit unvoreingenommenem und durchdringendem Blick hält Otten die Atmosphäre im Pulverfass am Balkan in Albanien exemplarisch fest. Was allerdings noch vergleichsweise pittoresk mit der Beschreibung seiner Ankunft im montenegrinischen Antivari beginnt, entwickelt sich im weiteren Verlauf in einen klaren Eindruck des Horrors, dessen Zeuge der deutsche Student in Albanien wird, und endet schließlich mit der Ankunft des Österreichischen Lloyds, der Otten nach Griechenland bringt.
Der Freiheitskampf in Albanien
Sein Aufenthalt in Nord- und Mittelalbanien konfrontierte Otten mit einem besonderen Grenzland, dessen bewegte politische Geschichte an der sprachlichen, religiösen und ethnischen Vielfalt auch in der bereisten Region und somit in seinem Reisebericht deutlich wird: Ein halbes Jahrtausend beherrschten Römer das Gebiet, 800 Jahre lang waren byzantinische Befehlshaber an der Macht, seit dem 15. Jahrhundert die Osmanen und zwischenzeitlich Goten, Bulgaren, Serben, Normannen und Venezianer. Dabei war stets die geopolitisch ideale Lage Albaniens als Brücke zwischen Ost und West ausschlaggebend für das Interesse der Großmächte, ebenso verhinderte diese die dauerhafte Unabhängigkeit des Volkes. Folglich erweist sich die albanische Historie als eine nicht enden wollende Kette von Angriff und Verteidigung, von Unterdrückung und Rebellion – immer vor dem Hintergrund der permanenten Teilung. Dies erklärt auch die Kriegstraditionen der Albaner und den Rückzug in die kargen Gebirgslandschaften, die in ihrer Abgeschlossenheit Schutz und Freiheit boten.
Demnach hatten es die vereinzelten Forschungsreisenden in der bis heute am wenigsten bekannten europäischen Region mit einer von der modernen Zivilisation völlig unbeeinflussten, geheimnisvollen Kultur zu tun – so auch Otten, der in seinem Reisebericht von Albanien als dem »merkwürdigsten aller europäischen Länder, wo bei so viel Krieg und Unglück doch die weiteste und freieste Gastfreundschaft gedeiht«, spricht. 1912 hatte sich Albanien durch die Auswirkungen des türkischen Machtverfalls längst zu einer Art Trophäe entwickelt, die jeder der Nachbarstaaten bzw. deren befehlshabenden Großmächte für sich beanspruchen wollte. Im nordwestlichen Gebiet des Osmanischen Reiches kam es seit den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts infolge der Aushebung der wehrpflichtigen Bevölkerung und neuer Steuereinführungen zu diversen Aufständen – die dadurch geförderte Bildung eines albanischen Nationalbewusstseins zeigte sich in der Nationalbewegung »Rilindja« (Wiedergeburt, Renaissance): Dabei spielten neben den wenigen Vertretern der bürgerlichen Schicht, in erster Linie Feudalherren und Beamtenfamilien mit westlicher Weltanschauung, auch die Geistlichen unterschiedlicher Konfessionen eine wichtige Rolle.
»Liga von Prizren« nannte sich das Zentrum der Nationalbewegung, die 1877/78 nach dem türkisch-russischen Krieg gegründet wurde und eine konfessionsübergreifende patriotische Vereinigung darstellte. Zunächst ging es um den Kampf gegen die im Frieden von San Stefano sowie auf dem Berliner Kongress von 1878 vereinbarten Abtretungen der nordalbanischen Regionen an den dem russischen Zarenreich angeschlossenen Nachbarsstaat Montenegro. Zudem beeinflusste die von der Nationalbewegung geforderte kulturelle und administrative Selbstbestimmung die Beziehungen zur Zentralregierung in Konstantinopel, die in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg durch innenpolitische Machtkämpfe und außenpolitische Niederlagen zunehmend Schwäche zeigte.
Schließlich führte der im Oktober 1912 ausbrechende Balkankrieg zum Ende der jahrhundertelangen türkischen Herrschaft in Südosteuropa. Das seit 1909 verstärkte Streben nach nationaler Autonomie der Albaner, die unter der Führung von Ismail Qemali am 28. November 1912 – das Land teils besetzt von slawischen und griechischen Invasionseinheiten – in Vlorë die Gründung der Republik Albanien ausriefen, war ein Kriegsvorspiel, das Otten hautnah miterlebte.
Während seines Aufenthalts von Ende Mai 1911 bis Anfang 1912, mitten im albanischen Unabhängigkeitskampf, geriet er zwischen alle Fronten: auf der einen Seite die Freiheitskämpfer-Kämpfer, dort die türkischen Soldaten und immer wieder Checkpoints. Der dabei entstandene literarische Reisebericht ist allerdings mehr als eine lediglich landeskundliche Dokumentation eines Landes im nationalen Aufstand – er verdeutlicht auch die damals herrschende »Europamüdigkeit«, die vor allem Teile der Intelligenz im deutschen Kaiserreich ergriff. Auch Karl Otten kann man der Gegenbewegung zur imperialistischen Außenpolitik und ihren Ideologien zuordnen, die sich sinnsuchend bevorzugt mit fremden Kulturen beschäftigte: »Eines Tages erfasste mich die in jedem latente, lastende Unruhe und ich verschwand für etwa 14 Monate von der Bildfläche. Ich wollte weg von Europa und wählte den finstersten Balkan, Albanien, Türkei, Hellas als Wanderziel […].« (Weltbild Luitpold, in: Karl Otten Lesebuch, Köln 2007, S. 120)
Fluss Buna
Dass Karl Otten schon in jungen Jahren ein kritischer und genauer Beobachter seiner Zeit war, zeigt sich auch in seinem Bericht über jene Reise, die ihn bereits vor dem Ersten Weltkrieg zum Pazifisten reifen ließ – eine Haltung, die ihm 1914 eine monatelange Internierung einbrachte und bis