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Im wilden Balkan: Vom Berg Olymp bis zur albanischen Adriaküste um 1830.
Im wilden Balkan: Vom Berg Olymp bis zur albanischen Adriaküste um 1830.
Im wilden Balkan: Vom Berg Olymp bis zur albanischen Adriaküste um 1830.
eBook516 Seiten6 Stunden

Im wilden Balkan: Vom Berg Olymp bis zur albanischen Adriaküste um 1830.

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Über dieses E-Book

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verlor das Osmanische Reich, in seiner Blütezeit einer der mächtigsten Staaten der Weltgeschichte, mehr und mehr an innerer Kraft. Wichtige, an den Rändern gelegene Regionen wie etwa Ägypten erklärten ihre Unabhängigkeit und insbesondere in Südosteuropa gelang es zahlreichen Volks- und Sprachgruppen immer besser, sich gegen die als bedrückend empfundene osmanische Oberherrschaft zur Wehr zu setzen. Auf ein großes allgemeines Interesse stieß dabei der mühevolle griechische Unabhängigkeitskampf, und nicht von ungefähr prägte man in Europa damals mit Blick auf den Orient das Wort vom "Kranken Mann am Bosporus". Allerdings waren sich die europäischen Nationalstaaten nicht einig darüber, wie man sich den Osmanen gegenüber nunmehr am besten zu verhalten hätte. Insbesondere England sah sich durch eine mögliche Ausdehnung der russischen Interessensgebiete bedroht, sodass man sich in London eher für den Erhalt des Reichs einsetzte, das sich unter Sultan Abdulmecid I. (1839-1861) und dessen auf das Allgemeinwohl hin ausgerichteten Reformen wieder festigen konnte. Zur besseren Beurteilung der Lage brachen wiederholt britische Gesandtschaften nach Konstantinopel auf, und auch Reisende sahen sich in den bedrohten Grenzregionen in teils offiziellem, teils inoffiziellem Auftrag nach den aktuellen politischen Gegebenheiten um. Im Jahr 1830 unternahm der Schotte David Urquhart eine solche Reise, die ihn von der Peloponnes über Mittelgriechenland und Thessaloniki nach Skutari/Skodar im heutigen Albanien führte. Der vorliegende Band hat Urquharts Erlebnisse vom Berg Olymp bis an die albanische Adriaküste zum Inhalt, eine Reise, die ihn, den begeisterten Freund und Bewunderer der türkischen Lebensweise, durch die eindrucksvollen, aber auch gefährlichen Täler und Schluchten des Balkangebirges führte.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Juli 2013
ISBN9783843800709
Im wilden Balkan: Vom Berg Olymp bis zur albanischen Adriaküste um 1830.

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    Buchvorschau

    Im wilden Balkan - David Urquhart

    erschienen.

    ERSTES KAPITEL

    RITT IN DAS TAL TEMPE – ANKUNFT IN AMBELÁKIA

    Als unser Mittagsschlummer vorbei und die Sonne schon aus unserem hohen Gesichtskreis verschwunden war, stiegen wir auf die Pferde und ritten nach Rapsána¹. Wir ritten am Rand des Sees entlang, wendeten uns dann links über einen niedrigen Hügel und hinab in eine tiefe Schlucht oder „Lak"², die in das Meer auslief. Wir konnten es zwar nicht sehen, aber ein nach Meer duftender Wind blies zwischen den Hügeln hindurch. Hier trafen wir auf eine Gesellschaft von Dorfbewohnern, die eben einen wilden Eber erlegt hatten. Mit viel Mühe machten wir uns von ihnen los, denn sie drangen darauf, wir sollten die Nacht in ihrem Dorf verbringen, und priesen den Speisezettel, auf dem der uns erwartende Schmaus stand: Zuerst kam der Eber, der mit seinen Rubinfarben ganz beredt zu unsern Sinnen sprach und, im vollen Redeschwung, auch durch seine schönen, gerundeten Formen; dann kamen die Zicklein, noch ganz zart und gerade erst vom Olymp zurückgekehrt³; Wildbret von einem schönen, erst vor einer Stunde geschossenen Wild, Sumpfvögel, Fasane, goldfarbene Wasserhühner, wilde Enten aus Nizeros¹, und alles, was die Hürde, der Hühnerhof und die Milchkammer bieten konnte, ohne Zahl und Maß. Wir flohen indes die so furchtbaren Zurüstungen, und gerade als wir den steilen Hügel an der anderen Seite der Schlucht hinaufritten, sahen wir über dem Kessoba (Ossa) den Rand des Mondes hervortreten, der im tiefen und düsteren Schatten den fürchterlichen Spalt zeigte, welcher den Ossa vom Olymp trennt, wo in alten Zeiten die Musen thronten und durch den der Peneios fließt.

    Wir wendeten uns nach links, ritten am Fuß eines Höhenzuges hinunter, an dem entlang das Tempe-Tal² verläuft, und sahen nun endlich von Thessalien aus die See und das Delta des Peneios. Silbern glänzte das Wasser im Mond, der hin und wieder durch die Bäume schien. Wieder gegen das dichterische Tal gewendet, kamen wir nach Rapsána, einem Trümmerhaufen, wo wir aber ein höchst bequemes Unterkommen fanden und uns ein Abendessen vorgesetzt wurde, das sich vor dem Küchenzettel der Bauern unterwegs nicht zu schämen brauchte. Die Nacht war weit vorgerückt, und ich musste am nächsten Morgen in aller Frühe nach Ambelákia³ aufbrechen. So kam also die immer schwere Stunde des Abschiednehmens heran. Kapitano Dimo erklärte, der Tag meiner Ankunft sollte als ein Festtag in Karia gefeiert werden, und ich wäre vor der Abreise gar nicht zu Bett gekommen, hätte ich nicht versprochen, den Olymp wieder zu besuchen und einige Monate dort zuzubringen. „Dann, sagte er, „wollen wir ausgehen und Hirsche und Eber, Wölfe und Füchse jagen, Fasane, Rebhühner und all das Geflügel schießen, das auf dem Nizeros haust. Ab und an wollen wir die Leute besuchen, die drunten in den Ebenen leben, und wollen Fische schießen im Salembria¹; dann mögt Ihr gehen, sooft Ihr Lust habt, nach dem Gipfel des Olymp und das ganze Land durchstreifen nach alten Steinen. Aber denkt daran und vergesst mir nicht die Kartoffeln.

    Voll Ungeduld, zu dem Tempe-Tal zu kommen, verließ ich Rapsána bei Tagesanbruch. Bald darauf kletterte ich über den Kamm eines Felsens, und da trat mir plötzlich das Gemälde vor die Augen, dessen Umrisse wiederzugeben ich versuchen will. Gerade vor mir türmte sich die Felsmasse des Ossa empor. Drunten lag das enge Tempe-Tal, der grünliche Strom schlängelte sich durch die Bäume und bildete Inselchen in seinem Bett. Rechts öffnete sich das Tal und bildete eine dreiseitige Ebene. Die Seite des Ossa zur Linken und des Olymp zur Rechten hemmten die Aussicht, bis sie in der Ferne auf den Fuß eines Hügels traf, der in der Ebene vor dem Eingang nach Tempe lag. Dieser Hügel bildet die Grundlinie der anscheinend dreiseitigen Ebene. Dann eröffnen sich wieder in der Ferne jenseits des Hügels und der Außenlinie des Ossa an der einen, der des Olymp an der anderen Seite, zwei Ebenen, die wiederum Dreiecken gleichen, die dem Betrachter ihre Spitzen zuwenden. In der Ebene links, und fast dicht bei dem Ossa, kann man Larissa mit seiner lachenden Oase entdecken, in der zur Rechten Túrnovo¹ mit dem weißen Bett des Titaressos, und jenseits derselben berühren die undeutlichen Bergketten des Pindos den Horizont. Der Pindos windet sich um den Fuß des Ossa. Zwischen reichen Feldern und grünen Waldungen und wo er in den engen Pass tritt, steht das Dorf Babá, mit Moscheen und Zypressen geschmückt. Wo der Ossa gegenüber weniger wild und rau ist und wo künstliche Terrassen das spärliche Erdreich zusammenhalten, das der Weinstock liebt, ist Ambelákia mehr hineingesteckt als hineingebaut, und seine prächtig aussehenden Häuser scheinen an den Felsen befestigt. Es lag dem Punkt, auf dem ich stand, unmittelbar gegenüber und fast in gerader Linie mit dem Gipfel des Ossa, der sich hoch auftürmte. Bei Babá beginnt das Tal Tempe, aber da es sich nach links hinzog, konnte ich nur einen kleinen Teil seines Laufs verfolgen, denn die Abgründe nähern sich von beiden Seiten, so dass es aussieht, als fließen Ossa und Olymp zusammen, und das Tal, wo es zwischen den Felsen sichtbar war, glich dem Eingang in eine weite Höhle.

    Das Tempe-Tal

    Der Anblick Tempes machte größeren Eindruck auf meine Nerven als auf meine Einbildungskraft. Ich fühlte, dass meine Lungen sich erweiterten, dass meine Glieder elastisch wurden, als ich die Luft von Tempe einatmete und seinen Boden betrat. Man kann ebenso wenig die empfundenen Eindrücke beschreiben, wie sie durch eine Beschreibung hervorrufen. Ich rief mir keine Bilder der Vergangenheit zurück, ich zitierte keine Verse aus Pindar oder Lucan¹, aber ich fühlte eine Erweiterung meines Daseins und eine Tiefe der Luft, als ich auf die vor mir ausgebreitete Landschaft blickte, die jeden Platz übertrifft, an den so stolze und doch so gewohnte Namen sich knüpfen.

    Keine vom Altertum geheiligte Szene hat jemals einen solchen Eindruck auf mich gemacht wie Tempe. Der Grund mag darin liegen, dass hier des Menschen Geist sich nicht an vergängliche Denkmäler knüpft, sondern an die unzerstörbare Größe der Natur selbst, die frisch atmend und lächelnd mit allen Abwechslungen der Lebendigkeit und allen wunderlichen Wirkungen entzückt, so wie die alten Barden aus ihrem Anblick Begeisterung schöpften oder vor ihrem Schrein in Anbetung ausbrachen. Hier ist kein Säulenknauf gefallen, keine Farbe hat ihre Frische, keine Rede ihre Blüte verloren; hier braucht man nichts hinzuzudenken, man darf nur alles genießen; man braucht keine verschwundenen Helden zu betrauern, keine verlorene Sprache zu dolmetschen, keine verwischte Inschrift herzustellen. Der Ossa ist noch so hoch wie er immer war, der Olymp noch so majestätisch, die Ebenen Larissas noch so weit, noch gleitet des Peneios Welle zwischen Ufern, die die Myrte und die Daphne (Seidelbast) tragen. Tausende von Jahren haben nicht die Farben verwischt, in denen der Morgen über diesem Zauberland anbricht, nicht die Majestät des Sonnenuntergangs verringert. Es gehörte noch mit zum Effekt, nach Tempe vom Olymp hinabzusteigen, von Männern begleitet, die Gefährten des Theseus hätten sein können.

    Als wir die rauen Klippen hinunterritten, fiel plötzlich unsere Aufmerksamkeit auf Ambelákia an der anderen Seite der Schlucht, wo wir Flintenschüsse hörten. Wir hielten an, um die Art des Gefechts zu beobachten und nachzudenken, wer die Parteien sein könnten. Zwanzig Minuten lang dauerte das Feuern fort, dem oberen Rand des Fleckens entlang, aber wir konnten nicht unterscheiden, ob es ein Angriff auf den Ort oder ein Lärmen unter den Einwohnern selbst war. Kapitano Dimo hatte mir zwei Leute zur Begleitung mitgeschickt. Sie drängten darauf, nach Rapsána zurückzukehren, ich hingegen bestand darauf, vorwärtszugehen, sagte ihnen jedoch, sie möchten umkehren, wenn sie dies wollten. Da nun die Leute immer mit ihren Diensten bei der Hand sind, wenn sie wissen, dass man eben dieser nicht bedarf, so erklärten sie mir, dass sie dazu bereit wären, mir bis ans andere Ende der Welt zu folgen, und nichts dagegen einzuwenden hätten, bis Babá¹ mitzugehen. Nachdem sie sorgfältig frisches Pulver nachgeschüttet hatten, schritten wir vorwärts, gingen über den Peneios und erreichten Babá. Der Aga sagte, er wisse nicht, was das Schießen bedeute, doch wenn die Leute droben irgendeine Not hätten, so würde er es schon erfahren haben. Ich kletterte daher die Abhänge des Ossa hinauf, und in etwa zwanzig Minuten stieg ich in den engen Häuserreihen des einst so berühmten und wohlhabenden, jetzt bankrotten und verschollenen Ambelákia umher.

    Ambelákia (18. Jahrhundert)

    Im ganzen Land sind die Künste des Färbens, Webens, Gerbens und der Lederherstellung häusliche Geschäfte. Die Ingredienzien und Geräte, aber auch das Verfahren, sind daher beständiger Veränderung unterworfen. Auf meine Fragen in dieser Hinsicht lautete die immer wiederkehrende Antwort: „Fragt in Ambelákia, „das werdet ihr alles in Ambelákia erfahren. Sooft ich nach Gegenständen des Ackerbaus, der Verwaltung oder der Statistik des Landes fragte, hieß es: „Wartet, bis Ihr nach Ambelákia kommt. Dort sind Leute mit langen Köpfen, dort findet ihr Leute, die in Europa erzogen sind und euch über alles Auskunft geben werden." Ich kam daher nicht nur mit den übertriebensten Erwartungen in diesen Ort, sondern hatte auch alle meine Gedanken über diese Gegenstände bis dahin vertröstet, wo ich von den Weisen in Ambelákia würde belehrt werden. Niemals bin ich heftiger enttäuscht worden! Derselbe Tag, den ich in Ambelákia zubrachte, öffnete mir zuerst die Augen über die moralischen Wirkungen, die daraus entstehen, wenn man junge Morgenländer ausschickt, um abendländische Sitten zu erlernen, oder vielmehr – wie ich es besser ausdrücken sollte – alle und jede Spur dessen zu verlieren, was an ihren eigenen Sitten würdig, freundlich und anziehend ist.

    Ich erblickte nun den griechischen Geist in seiner Faschingsjacke und kann die ganze Verachtung und den ganzen Widerwillen begreifen, womit er alle die erfüllen muss, die ihn nur so angetan gesehen haben. Was soll aus Griechenland werden, wenn die verschiedenen Einflüsse Europas so nachhaltig und auf diesen neuen Staat einwirken, wie sie es in Ambelákia getan haben?¹

    Zwei Tage vorher hatten die Klephten² einen der vornehmsten Grundbesitzer von Ambelákia entführt. Mit einem Corps von fünfzig bis sechzig Ortsbewohnern, die ihre langen Kleider um die Mitte des Leibes gegürtet und Klepper, Maultiere und Esel bestiegen hatten, war der Aga zur Verfolgung ausgezogen. Das Schießen, das wir vom Berg gegenüber gesehen und gehört hatten, war zu Ehren des triumphierend zurückkehrenden Zuges geschehen. Dieser gefeierte Triumph bestand aber nicht etwa darin, dass sie ihre verlorene Herrschaft wieder erobert hätten, sondern in der Flucht der Entführer, die es nicht gewagt hatten, sich zu zeigen! Dieses Schauspiel des kriegerischen Geistes der Ambelakioten machte mir viel Spaß. Ich habe früher erwähnt, dass Herr Dodwell¹ den Wohlstand von Magnesia der „Zahl und Tapferkeit der bewaffneten Griechen zuschreibt, „welche die Türken in Respekt halten. Auf gleiche Weise erklärt Herr Beaujour in seinem Tableau du Commerce de la Grèce² den Wohlstand und das Gedeihen von Ambelákia durch die Tapferkeit der Ambelakioten, die mit gleichem Geschick das Weberschifflein und die Muskete handhaben. Was würden wir aber von einem türkischen Reisenden sagen, der nach einer Reise durch England seinen Landsleuten erzählte, dass ein achtzehn Zoll langer Stock eine mächtigere Waffe sei als eine Flinte und ein Bajonett, und dass wir ein Geschlecht von Helden hätten, die man Constable, also Schutzmann nenne, von denen jeder auf seine eigene Hand ein ganzes Regiment schlagen könnte? Und dennoch sind die gelehrten Bemühungen des Herrn Beaujour über den Zusammenhang der Tapferkeit der Ambelakioten mit ihrer wirklich bewundernswerten Handelsspekulation und ihrem Wohlstand, oder sind die des Herrn Dodwell über die Zagoriten¹ nicht noch um ein Haarbreit phantastischer, als wollte ein Fremder in England einem Constablestab die angedeutete Zauberkraft beimessen.

    In Ambelákia wurde ich in das sogenannte Serail einer jener Herrschaften geführt. Es war geräumig und hoch, im türkischen Stil errichtet, mit heiteren Farben bemalt und mit einem Überfluss von Vergoldungen, Dekorationen, Schnitzwerk und Arabesken geziert. Ich erwartete natürlich, alles auf europäische Weise zu sehen, fand aber, dass alles der wahre Gegensatz zu Europa war. Höhere und niedere Fußböden; Bohnenranken, die die Zimmer durchschnitten; Doppelreihen von Fenstern in allen Zimmern und ein Überfluss an mattem Glas; nirgends Gänge, in denen man sich die Nase quetschte; nirgends das Zusammenstoppeln von Kasten an Kasten, die man Zimmer nennt, als wären die Zimmer zusammengewachsen, um das Haus zur Tür hinauszudrängen; nirgends Geräte, um halb darauf zu sitzen, die man Stühle nennt; nirgends höhere Fußböden, um Speisen darauf zu setzen, die man Tische nennt; sondern nach allen Seiten lustige Räume zum Umhergehen; Ruhestätten, die wirklich zum Haus gehörig schienen und nicht das Tageslicht zwischen sich und den Fußböden durchblicken ließen; Freiheit der Bewegung im Mittelpunkt; Einladungen zum Ausruhen rund umher, und wohin man auch die Augen wendete, boten die dicht aneinander, ohne Zwischenräume gebauten Fenster eine freie Aussicht auf die Pracht der umgebenden Natur.

    Bild des Kaufmanns Giorgios Mauros (1783-1818), der aufgrund seiner intensiven Handelsbeziehungen nach Österreich und Deutschland den Namen „Schwar(t)z" annahm.

    Ich fand hier meinen Reisegefährten, der aus Larissa gekommen war, um mich zu erwarten, vom Fieber genesen, aber sehr beunruhigt über mein Leben und äußerst verdrießlich und entrüstet über den Charakter der Bewohner eines Ortes, den er mit ähnlichen Erwartungen wie ich betreten hatte. Der Unterschied zwischen diesem Ort und allen anderen, die wir besucht hatten, hätte uns beinahe auf den Gedanken gebracht, wir wären von einer Welt in die andere gekommen. Es kamen keine Besuche der angesehensten Leute, um uns willkommen zu heißen, nirgends fanden wir das zarte und warme Gefühl, das uns sonst überall sogleich heimisch gemacht hatte. Versuchten wir die Hausbewohner zu sehen, so starrten sie uns an oder rannten davon. Die Frauenzimmer hüllten Tücher um ihr Gesicht, und die Männer verließen das Haus. Entschlossen, einer so seltsamen und ungewohnten Aufnahme auf den Grund zu kommen, ging ich auf die Gasse, und da ich in einem sehr zierlichen Haus die Tür offen stehen sah, ging ich die Treppe hinauf und trat in den Divan-Hanéh¹, wo ich verschiedene Dorfbewohner im Gespräch fand. An allen anderen Orten würde ein solcher Besuch Äußerungen des Willkommens, selbst der Dankbezeugung hervorgerufen haben, hier jedoch entstanden Erstaunen und Verlegenheit. Ich erzählte ihnen, dass ich ein Fremder wäre, angezogen von dem Ruf Ambelákias und den Schönheiten Tempes. Sie fragten mich, ob ich ein Bujurdi² vom Pascha von Larissa hätte. Ich antwortete, dass ich unter den Klephten des Olymps nicht nach einem Bujurdi gefragt worden wäre. Sie erklärten mir darauf, in Ambelákia wäre nichts zu sehen, sie hätten mir keine Auskunft zu geben, und unsere Anwesenheit könnte ihnen bei den Türken nachteilig und gefährlich werden. Ich konnte mich nicht enthalten, mein höchstes Erstaunen über den Empfang an einem Ort auszudrücken, dem ich mich mit so großem Interesse genähert hätte, und über den Unterschied zwischen ihnen und ihren Landsleuten, während ich vielmehr bei Leuten, die so viele Verbindungen mit Europa hätten, Gefühle ganz anderer Art erwartet hätte. Einer von ihnen erwiderte: „Seid Ihr es etwa in Europa gewohnt, in Häuser von Leuten zu gehen und darin zu wohnen, die Ihr nicht kennt, und auf Kosten von Leuten, die Euch nicht kennen? Was beabsichtigen zwei junge Leute damit, dass sie in ein Dorf kommen und dort bleiben, wo sie nichts zu tun haben, und in einem Haus, wo nur Frauen sind?" Ich verließ sie mit Entrüstung, nachdem ich indes eine gute Portion der Ausdrücke wiederholt hatte, die ich von Diogenes gelernt, der den Charakter seiner Landsleute bewundernswürdig gut beurteilte.¹ Ich kehrte zu meinen Gefährten zurück und schlug vor, den unwirtlichen Ort augenblicklich zu verlassen und zu versuchen, ob wir von den Türken in Babá² besser behandelt würden. Es ist vielleicht überflüssig zu sagen, dass wir den Eintritt nicht erzwungen hatten, weder in das Dorf, noch in das Haus, da nämlich der griechische Erzbischof und der Kiaja Bey³ eine gemeinschaftliche Empfehlung vorausgeschickt hatten, jenes Haus zu unserer Aufnahme einzurichten.

    Der Vorschlag, den Ort zu verlassen, war denn kaum ausgesprochen auch schon angenommen worden. Indes ergab sich eine Schwierigkeit, denn mein getreuer Aristoteles war das einzige vierfüßige Tier, über dessen Dienste wir gebieten konnten. Wir mussten daher unsere Sättel und unser Gepäck auf seinen alleinzigen Rücken packen und ihn voraus nach Babá treiben. Gerade als wir diese Einrichtung getroffen hatten, die wir ganz allein selbst besorgen mussten – denn jede Seele rannte vor uns davon als wären wir Pestkranke –, kam ein Albaner die Treppe herauf, klirrte wie eine rasselnde Waffentrophäe in den Divan-Hanéh, wo wir saßen, setzte sich und sprach in unsere erstaunten Ohren: „Suppenfresser (Tschorbadschi), steht auf und geht fort! Wir fragten, woher denn dieser höfliche Gruß käme. „Ich bin, antwortete er, „der Kavasch¹ des Aga, und der Kodscha Baschi² befiehlt euch, augenblicklich dies Haus zu verlassen und eurer Wege zu gehen."³. Der Kavasch nahm seinen Abgang ebenso wenig zeremoniell, aber etwas eiliger als seinen Eintritt, und nie ist jemand schneller eine Treppe hinuntergekommen. Das Hausgesinde zuerst und dann alle Ambelakioten insgesamt waren bei diesem Ausgang ihres Staatsstreiches wie vom Donner gerührt, und bevor noch Aristoteles beladen war, kamen alle Weiber des Hauses – denn die Männer hielten sich noch fern – und baten und flehten, wir möchten sie doch nicht verlassen. Der Kavasch wäre ein böser Albaner, ein Wilder, ein Barbar, der weder unsere Verdienste noch unsere Größe kenne und um Verzeihung bitte. Wir sagten, das wäre jetzt eine Sache, die sie mit dem Pascha ausmachen müssten. Diese Erklärung erzeugte einen sonderbaren Auftritt tränenreicher Erklärungen und reichte hin, uns die groben, frechen und doch so kriechenden Wichte zuwider zu machen, aus denen diese Gemeinde zu bestehen schien – ein kleines Beispiel von dem moralischen Krebsschaden, der ein heruntergekommenes Handelsvolk ergreift.

    Wir schritten abwärts, begleitet von den stummen Blicken der Einwohner, die herausgekommen waren, um unsern Auszug anzusehen. Zuerst kam der Diener meines Gefährten, ein Tscherkesse, mit einem gräulich grimmigen, grämlichen Gesicht, einen Strick, das Halfter meines Aristoteles, fest umklammernd und mannhaft ziehend, dann kam Aristoteles, Kopf und Hals waagerecht ausgestreckt, mit einem Pelion von Gepäck auf seinen Ossa getürmt. Wir folgten, jeder mit einem tüchtigen Knüppel, um das Gepäck zu halten und das Maultier anzutreiben. Als wir so fortzogen, gaben wir den Ambelakioten Hohn für Hohn zurück, und schüttelten den Staub von unseren Füßen, als wir den Ort räumten. Gegen Sonnenuntergang erreichten wir das Dorf Babá, um Gastlichkeit zu erbitten und Obdach zu suchen. Die wenigen Leute, die wir sahen, starrten uns an und gingen uns aus dem Weg, ohne Zweifel des Glaubens, es sei nicht anständig, sich in solcher Gesellschaft sehen zu lassen. Wir nahmen unsere Zuflucht bei einem Krämerladen. Der Besitzer war ein Albaner, einige Anspielungen auf sein Vaterland öffneten sein Herz, und ein kleines Zimmer über dem Laden wurde zu unserer Aufnahme ausgeräumt. Mein Gefährte kehrte am folgenden Morgen nach Larissa zurück, und ich blieb etwa eine Woche der einsame Bewohner dieser Zelle – ein Einsiedler in Tempe.

    1 Berg und Siedlung in Thessalien, die wegen ihrer antiken Ruinenstätten häufig von europäischen Reisenden besucht wurden [Red.].

    2 Eine der Volksetymologien für den Ortsnamen besagt, dass die Siedlung ringsherum von „Lachen", also von natürlich aufgestauten Bachläufen, umgeben gewesen sei [Red.].

    3 Dadurch, dass die Herden sehr hoch ins Gebirge getrieben werden, verspätet sich die Wurfzeit.

    1 Ein Hochplateau im Bergmassiv des Olymp [Red].

    2 Schroffe, acht Kilometer lange Schlucht, die die Bergmassive des Olymp und des Ossa voneinander trennt [Red].

    3 Seit Mitte des 18. Jahrhunderts aufstrebende Handelsstadt, in der man bereits zu dieser Zeit größere Kooperativen einrichtete und einen regen Warenaustausch mit Österreich, Deutschland sowie Frankreich betrieb. Diese Aktivitäten standen natürlich in einem eklatanten Gegensatz zu den britischen Interessen. Das schlechte Bild, das Urquhart von dieser Stadt zeichnet, ist also keineswegs objektiv, sondern als plumpe Stimmungsmacherei zu verstehen [Red.].

    1 Ein Fluss, der am Olymp entspringt und in den thessalischen Golf einmündet [Red.].

    1 Zur Stadt Túrnovo, die kurzzeitig auch Residenz eines Sultans war, siehe ausführlich D. Urquhart, Reisen unter Osmanen und Griechen, Seite 309–315 [Red.].

    1 Gemeint sind der altgriechische Dichter Pindar (etwa 520–445 v. Chr.) sowie der lateinische Marcus Aeneus Lucanus (35 n. Chr.-69 n. Chr.) [Red.].

    1 Eine Siedlung oberhalb der Tempe-Schlucht, die im Allgemeinen mit dem antiken Tempe gleichgesetzt wird. Das Dorf wurde von türkischen Einwanderern aus Konia/Ikonio gegründet [Red.].

    1 Zur abwertenden Beurteilung der Bewohner Ambelákias durch Urquhart siehe oben S. 38, Anm. 3 [Red].

    2 Zur Zeit Urquharts handelt es sich bei den Klephten um marodierende Banden, die zum Teil nur kriminell agierten, zum Teil aber auch zur großen Gruppe der griechischen Aufständischen gehören konnten. Entführungen etwa der reichen Händler waren ein damals weitverbreitetes Mittel, über das sich die sogenannten Klephten finanzierten [Red.].

    1 Der irische Theologe und Reiseschriftsteller Edward Dodwell (1767–1832) legte im Jahr 1819 sein Buch A Classical and Topographical Tour through Greece vor [Red].

    2 Das hier erwähnte Werk, das vornehmlich auf die französischen Handelsinteressen im Gebiet des späteren Griechenland abzielte, veröffentlichte der französische Diplomat und Handelsagent Felix de Beaujour (1765–1836) im Jahr 1799 [Red.].

    1 Urquhart spielt hier auf die sog. Zagori-Dörfer nördlich von Jannena an, die bereits in osmanischer Zeit Handelsprivilegien besaßen und damit zu großem Reichtum kamen [Red.].

    1 Dies bezeichnet den Hauptraum im Obergeschoss der osmanischen Häuser, in dem man auch geladene Gäste empfing [Red.].

    2 Ein Bujurdi war ein offizielles Schriftstück der osmanischen Verwaltung, das ein freies Reisen oder das Betreten einer Stadt überhaupt erst ermöglichte [Red.].

    1 Anspielung auf den kynischen Philosophen Diogenes (ca. 390–321 v. Chr.), der seine Zeitgenossen durch zahlreiche Aussagen in ein schlechtes Licht stellte [Red.].

    2 Das albanisch-türkische Dorf Babá wird im Allgemeinen mit dem antiken Tempe gleichgesetzt [Red.].

    3 Hier ist der osmanische Distriktverwalter oder Ortsvorsteher als Stellvertreter des Sultans gemeint [Red.].

    1 Anführer der Wacheinheit [Red.]

    2 Der Kodscha Baschi war Leiter und Anführer der griechischen Volksgruppe.

    3 Den hier im Text angeführten griechischen Ausdruck εἰς τò ϰαλλó/eis to kalló) muss man im Sinne von „Gute Reise", aber mit ironischem Unterton verstehen.

    ZWEITES KAPITEL

    AUFSTIEG UND NIEDERGANG DER HANDEL TREIBENDEN ORTSCHAFT AMBELÁKIA

    In der Türkei vereinigt sich das im Grundsatz und Gefühl freie Volk mit dem Sultan, um die Macht der Statthalter einzuschränken oder sich für den Druck zu rächen, den sie ausübten. In Europa vereinte sich das Volk, nachdem es in den Zustand der Leibeigenschaft gebracht war und die Aufopferung seiner Rechte Gesetzeskraft erlangt hatte, mit dem König, um die Feudalaristokratie zu stürzen, die ursprünglich aus Statthaltern bestanden hatte, denen es aber gelungen war, Ansehen in Besitz zu verwandeln, und diesen Besitz dauernd, erblich und gesetzlich zu machen. In der Türkei aber haben diese Übel noch nicht Wurzel gefasst im System: Sie sind nicht durch Verjährung, Titel und Gesetz geheiligt; sie werden als Verirrungen bezeichnet, als Verbrechen verworfen. Der Landbauer ist kein Leibeigener, er ist nicht einmal ein Arbeiter, er ist Eigentümer.¹ Hier brauchen entlaufene Sklaven nicht in eine Freistätte zu flüchten, um dort eine von ihrem Stamm und von der Volksverwaltung getrennte Stadtgemeinde von Verjagten zu errichten. Mit den väterlichen Saatfeldern erbt die ganze Masse der Bevölkerung jene einfachen Institutionen, denen, wenn sie zufällig auf den Boden gelangten, Europa seine gegenwärtigen Fortschritte und seine Freiheiten verdankt.

    Als ich das Dasein städtischer Gemeinden und Handel treibender Korporationen im Orient entdeckte, kam ich natürlich darauf, sie mit den Munizipien und Freistaaten des Mittelalters zu vergleichen, die in entlegenen Winkeln oder an bis dahin vernachlässigten Gestaden aufblühten, in strahlendem Gegensatz zu der sie umgebenden Barbarei, und die ihren Reichtum, ihr Gedeihen, ihre Freiheit und ihre Intelligenz nicht den Zufällen der Herkunft, des Bodens oder der Umstände verdankten, sondern einzig den Grundsätzen der Verwaltung.

    Deuten die früheren Blätter der Geschichte, deutet die Karte vom mittelländischen Meer auf ein glückliches Zusammentreffen, das Amalfi, Montpellier, Barcelona oder Ancona – Plätzen, die keine Macht hatten, um sich Ansehen zu verschaffen, keine frühere Verdingung oder gewohnte Geschäfte, die nicht im Bereich des Handels gelegen hätten, die nicht mit örtlicher Fruchtbarkeit gesegnet oder wegen einheimischer Manufakturen berühmt waren – jenes Gedeihen verheißen hätte, dessen Aufblühen blendete, dessen Verfall aber ohne Lehre geblieben ist? Ihre öden Hallen, ihre unbewohnten Gebäude, ihre fürstlichen Reste verschwundenen Reichtums erinnern jetzt nur noch an die Sucht des menschlichen Geistes, Gesetze zu geben, und an die Erfolge der Gesetzgebung.

    Ambelákia bietet uns die Mittel zu einem Vergleich mit jenen Städten: Seine Geschichte liefert den Beweis dafür, dass die Grundrechte, die die Munizipien Europas, die städtischen Gemeinden im Mittelalter, als Ausnahme erhielten oder mit Gewalt erzwangen, im Orient dem ganzen Volk gemeinsam zustehen und die Grundlage der öffentlichen Meinung sowie der Regierung sind. Ambelákia war vielleicht der Platz, den ich unter allen reichen Erinnerungen an Thessalien mit dem größten Interesse besuchte, und ohne die stattlichen Häuser, die noch das Tal Tempe überschauen, könnte der Reisende an der Wirklichkeit einer fast fabelhaft klingenden Geschichte zweifeln. Ich entlehne aus Beaujours Tableau du Commerce de la Grèce¹, das am Anfang unseres Jahrhunderts erschien, die von ihm festgehaltenen Beobachtungen, insoweit sie sich mir durch die an Ort und Stelle eingezogenen Erkundigungen

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