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Reisen unter Osmanen und Griechen: Vom Peloponnes zum Olymp in einer ereignisreichen Zeit
Reisen unter Osmanen und Griechen: Vom Peloponnes zum Olymp in einer ereignisreichen Zeit
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eBook471 Seiten6 Stunden

Reisen unter Osmanen und Griechen: Vom Peloponnes zum Olymp in einer ereignisreichen Zeit

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Über dieses E-Book

Am Vorabend der Staatsgründung des modernen Griechenlands unternahm Urquhart eine längere Reise, die ihn von der Peloponnes über Makedonien in das heutige Albanien führte. Offiziell war er als Privatmann unterwegs, inoffiziell jedoch statte er regelmäßig Berichte nach London über die politische Situation und die sozialen Verhältnisse im Land ab, da England nicht an einer massiven Schwächung des osmanischen Staates und an einem weiteren Vordringen Russlands im Orient interessiert war. Insbesondere die russischen Aktivitäten im heutigen Nordgriechenland beobachtete man in England mit großer Sorge. Sein Tagebuch über seine Reise des Jahres 1830 veröffentliche David Urquhart im Jahr 1838 unter dem englischen Titel The Spirit of the East (dt. Der Geiste des Orients). Eine deutsche Übersetzung erschien bereits im selben Jahr, was die große Bedeutung Urquharts als Politiker und Literat in seiner Zeit unterstreicht. In dem ganzen Bericht scheint seine Skepsis gegenüber dem neuen Griechentum durch, das seiner Meinung nach mit dem der Antike nicht mehr viel zu tun habe. Überall begegnet man schlechtem Benehmen, Betrügereien und Überfällen der allgegenwärtigen "Klephthen", also räuberischer Diebesbanden, während man in dem türkisch dominierten Norden weit sicherer unterwegs wäre, da dort noch eine staatliche Ordnung existiere. Auch seien die Menschen dort, vor allem natürlich in den größeren Städten, angenehmer und weit gebildeter als im griechischen Süden. Bereits die englische Originalausgabe erschien in zwei Bänden. Die ursprüngliche Aufteilung wird in dieser Neuausgabe beibehalten. Der erste Band reicht von der Peloponnes bis zum Berg Olymp in Mittelgriechenland, behandelt also jenes Gebiet, in dem sich der größte Teil des neugriechischen Staates bis zum Ende des Ersten Weltkriegs befand.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Nov. 2013
ISBN9783843803519
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    Buchvorschau

    Reisen unter Osmanen und Griechen - David Urquhart

    Tagebuch)

    ERSTES KAPITEL

    REISEZWECKE - ABREISE VON ARGOS - BESCHWERDEN UND FREUDEN EINER REISE IM ORIENT

    Am Anfang des Jahres 1830 war ich in Argos auf der Rückreise von Konstantinopel nach England, nachdem ich fast drei Jahre in Griechenland und der Türkei zugebracht hatte. Ich war gerade im Begriffe mich einzuschiffen und einem Land Lebewohl zu sagen, in dessen Geschick ich tief verflochten gewesen, das aber jetzt sein gewissermaßen dramatisches Ansehen und Interesse verloren hatte und in Frieden und Ehren unter die schützenden Fittiche der drei grössten Mächte auf Erden gestellt war. Gerade in diesem Augenblicke berührte ein Fahrzeug, ein königliches Schiff, die Landesküsten und brachte ein Protokoll mit, das mit wahrhafter Zaubermacht augenblicklich alle in Zwietracht versetzte. Es wäre wahrlich eine hübsche Aufgabe, zu schildern wie die Leute kamen und gingen und redeten und ratschlagten, wie die Fustanellen¹ flatterten und rauschten, wie die Schnurrbärte gedreht wurden. So war es in Argos, aber überall war die Wirkung dieser Neuigkeit nicht weiter merkwürdig. Von Tage zu Tage trafen Nachrichten ein aus einer Provinz, aus einer Stadt nach der anderen; überall, wie in Argos, waren alle anderen Gedanken und Beschäftigungen bei Seite gelegt; überall verließ das Volk seine Läden und Häuser, und in Ermangelung einer Agora (Marktplatz) zum Ratschlagen versammelte man sich in den verschiedenen Kaffenien² oder Kaffeehäusern, und dort entstanden Kampfplätze heissen Streites und Schulen der kräftigsten Beredsamkeit.

    Man kann sich leicht denken, wie unterhaltend dies alles für Reisende war; aber es war auch wirklich sinnverwirrend, wie ein Stück Papier mit drei Unterschriften ein ganzes Land in einen solchen Zustand der Aufregung versetzen konnte. Die Schwierigkeit, uns die vor unseren Augen vorgehenden sonderbaren Auftritte zu erklären, wurde dadurch noch grösser, dass eben jenes Aktenstück mit gegenseitigen Glückwünschen schloss, welche die Unterzeichnenden sich selbst darbrachten. Hatten sie doch gemeinsam das vorliegende Protokoll abgefasst, das für Griechenland eine neue und herrliche Ordnung der Dinge einführen sollte; verstummen sollte nun alsbald das Geräusch der Waffen und die Stimme der Parteiung, und fortan und für immer sollten die Griechen ihre Herzen und Harfen nur zu Preis und Ehren der Tripel-Allianz stimmen.

    Es war aber klar, mit Worten liess sich das nicht abmachen; wir konnten zu keinem befriedigenden Ende gelangen, weil Männer von gleichen Fähigkeiten und gleicher Sachkenntnis Ansichten hegten, die einander schnurstracks entgegen liefen. Jedenfalls waren alle Parteien darüber einig, dass die Selbstglückwünsche des Protokolls voreilig waren, und auf diesen Punkt berief man sich beständig, um den Grad der Unkunde in der Londoner Konferenz zu beweisen, eine Unkunde, von der man behauptete, sie könne nur aus absichtlich falschen Vorstellungen entstehen, die von Griechenland ausgingen.

    Während diese Gegenstände in Argos besprochen wurden, trafen Nachrichten ein, die Sulioten³ in Albanien ständen wieder unter den Waffen; dann, die Albanesen wären aufgestanden. Einige sagten, sie hätten obendrein beschlossen, sich dem unheilbringenden Protokoll zu widersetzen; andere, sie rüsteten sich zu einem allgemeinen Einfall in Griechenland; die allgemein überwiegende Meinung aber ging dahin, ein großer Bund der christlichen und muselmännischen Albanesen unter Anführung des fürchterlichen Pascha von Skodra⁴ rüste sich, den Krieg nach Mazedonien und Thrakien zu versetzen und, Mustafa Bairaktar⁵ nachahmend, das illyrische Banner auf die Höhen zu pflanzen, welche die Kaiserstadt beherrschen.

    So traf denn das Protokoll, das Griechenland abermals auf ein stürmisches Meer schleuderte, mit den Bewegungen in Albanien zusammen, welche das Dasein der Pforte selbst gefährdeten und so möglicherweise das bestehende Gebäude europäischer Macht zu zerschmettern drohten. Dieses Zusammentreffen aber bewog mich, meine Rückkehr nach England zu verschieben, um mich, soweit es die Kenntnis von den streitigen Punkten vermochte, zum Meister der Angelegenheiten zu machen. Ich beschloss, das Festland von Griechenland und das streitige Grenzland zu besuchen. Ich fühlte, dass meine Teilnahme an Griechenland so wie die Bekanntschaft mit diesem Lande daraus entsprang, dass ich teilgenommen hatte an seinem Kampf, und deshalb beschloss ich den Versuch, gleicherweise Albanien kennen zu lernen, und mich dem ersten Lager, dem ersten Anführer anzuschließen, die der Zufall mir in den Weg führen würde.

    Am 7. Mai 1830 reiste ich von Argos ab, in Gesellschaft des Herrn Ross aus Bladensburg⁶, doch waren wir in Folge des allgemeinen Gerüchts genötigt, unser eigentliches Ziel zu verschweigen. Hätten unsere Freunde ahnen können, dass wir beabsichtigten, die wilden Arnauten zu besuchen, so würden sie uns für Wahnsinnige gehalten haben. Das hätte nun freilich wenig ausgemacht, aber wir hätten gewiss keine Diener gefunden, die uns hätten begleiten wollen.

    Ich denke mir, die Sachen haben sich jetzt geändert, natürlich zu viel Besserem; allein zu der Zeit, von der ich schreibe, als Griechenland noch leichtherzig und jung war, damals wurde es einem Menschen schwer, seine Absicht zu verbergen. Bei jeder Biegung des Weges, an jeder Gassenecke, überall auf der Landstrasse wurde man alle Augenblicke aufgehalten, um eine ganze Reihe von Fragen zu erdulden. „Woher kommen Sie?, „Wohin gehen Sie?, „Was ist Ihr Geschäft?, „Wie befinden Sie sich?, „Wo ist Ihr verehrungswürdiges Vaterhaus?, „Welcher von den großen Verbündeten hat die Ehre, Sie zu den Seinen zu zählen?, „Was gibt’s Neues?"⁷ - und das alles wohlverstanden, zwischen völlig Fremden. Begegneten sich aber Freunde oder Bekannte, traf es sich gar, dass einer oder der andere zum Frauengeschlechte gehörte, dann begann mit den verdoppelten S-Lauten der griechischen Fragen ein Gezisch, das man für eine Zwiesprache zwischen Riesenschlangen hätte halten sollen. Nach dem Stand, der Gesundheit, der Stimmung, nach allem wurde einzeln gefragt, und dann folgten ähnliche Fragen in Betreff all und jedes bekannten Angehörigen, jedes Pferdes und Hundes. Zur schuldigen Danksagung musste man dann auch in den herkömmlichen Komplimenten für jeden antworten, der auf diese Weise beehrt wurde, zum Beispiel: „Wie befindet sich Ihr Herr Vater, der verehrungswürdige Archon? „Er lässt Sie schönstens grüßen. - „Wie befindet sich Ihr Herr Bruder, der achtungswerte Bürger? „Er küsst Ihre Augen. - „Wie befindet sich der hoffnungsvolle Sprössling, Ihr Sohn? „Er küsst Ihre Hand. Und von einem Dutzend Personenwird jeder sein Recht ausüben, einzeln den Reisenden zum Antworten zu bringen und jeder wird durchaus dieselben Fragen stellen, die er schon oben hat tun und beantworten gehört.

    Während meiner früheren Wanderungen in Griechenland war ich wirklich nervös angegriffen von dieser Plage, die um so widerlicher wird, wenn man gerade aus der Türkei kommt, wo jede persönliche Frage, die nur irgend nach Neugierde schmeckt, dem Nationalgefühle und den Bräuchen völlig zuwider ist. Am Ende kam ich auf einen Einfall, der die Neugierde erstickte. Ich erzählte nämlich den Leuten, ich käme von Konstantinopel und ginge nach Jannena⁸ - eine so seltsame Erklärung machte allen ferneren Redensarten ein Ende. Jetzt aber, wo ich wirklich von Konstantinopel nach Jannena ging, musste ich auf die Vorteile des Eingeständnisses verzichten und unterwarf mich dem Hin- und Herfragen mit der Geduld, die sich mit den Jahren einstellt - und dies noch früher auf Reisen.

    Wir waren also genötigt zu einer Pilgerfahrt nach den seit langer Zeit von den Fussstapfen hyperboreischer Wanderer unberührten Türmen und Gräbern der Helden, die sich von nah und fern an Aulis Küste versammelten und dem „Könige der Männer" Treue schworen. Nicht besser konnten wir daher unsere Pilgerfahrt antreten, als indem wir unsere Andacht verrichteten bei dem Grab des großen Agamemnon und mit ehrfürchtigen Schritten die altersgrauen Trümmer von Mykenai durchwanderten, dieser Nebenbuhlerin Trojas. Diese Ruinen liegen nur wenige Meilen⁹ von Argos, und dort beschlossen wir, die erste Nacht zu bleiben. Unser Zelt - ich sage mit einer Art von Stolz, dass es ganz frei von eigener Hausarbeit war - hatten wir schon am Morgen mit Dienern und Packpferden vorausgeschickt. Erst nachdem die abendlichen Schatten begannen in der Ebene länger zu werden, verließen wir die zerstreuten Gässchen von Argos und schieden von seinen gastfreien Einwohnern. Wir kamen an dem schroffen und seltsam gestalteten Felsen vorbei, auf dessen Gipfel die alte Feste Lárissa steht. Dann durchwateten wir das leichte Flüsschen des „Vater Inachos" und traten nun in die herrliche Ebene, die noch den Namen nach der Stadt des Agamemnon führt.

    Noch jetzt, nachdem über sieben Jahre verlaufen sind, ist es mir eine wahre Freude, die Gefühle zurückzurufen, womit ich diese Reise antrat, und wenn es auch nicht leicht sein mag, zu beschreiben, was nur verstehen kann, wer es mitfühlt, so halte ich es doch für meine Pflicht, bevor wir aufbrechen, den Versuch zu machen, dem Leser, der mich begleiten will, die Art und Weise unseres bevorstehenden Marsches gewissermaßen anschaulich zu machen.

    Durch die ganze europäische und einen großen Teil der asiatischen Türkei, wie auch in Persien und Mittelasien reist man zu Pferde. Mit eigenen Pferden macht man etwa 20 bis 25 Meilen täglich im Durchschnitt. Mit Postpferden, die man auf Stationen wechseln kann, die von 10 bis 48 Meilen entfernt sind, kann man täglich 60 Meilen bequem machen; 100 heißt schnell reisen, 150 am schnellsten; 600 Meilen in vier und einem halben Tage, 1200 in zehn, sind freilich schon Gewaltmärsche, aber durchaus nicht ungewöhnlich.

    Diese Art zu reisen, wenn auch nicht gerade in solcher Eile wie eben erwähnt, ist beschwerlich, angreifend und ermüdend. Es ist keine Erholung, die für jedermann passt, und sogar ein Probestück für den, der kräftig ist und gleichgültig gegen Weichlichkeit und Bequemlichkeit; aber doch erzeugt sie nicht die Ermattung und den fieberhaften Zustand, der so gewöhnlich vom Fahren entsteht. Die Beschwerden selbst bringen ihre Freuden mit sich: Die Gesundheit wird kräftiger, die Nerven gestählter, die Lebensgeister frischer. Man ist in unmittelbarer Berührung mit der Natur; jede Veränderung in der Umgebung und in der Witterung bekommt ihren Wert und ihre Wichtigkeit, und nicht die kleinste Merkwürdigkeit der Gegend oder der Ortsgebräuche kann der Beobachtung entgehen. Die brennende Sonne kann uns zuweilen ermatten, ein Gewitterregen uns durchnässen, aber was kann erheiternder sein als die Ansicht, wenn der lange Trupp in bunten und lebhaften Trachten im vollen Galopp vorwärts sprengt, die Kurierpeitsche knallt und der wilde Zuruf des Surridschi (Führers der Karawanen) ertönt? Was kann malerischer sein, als das kühne Jagen zu betrachten, über Tal und Hügel, oder längs der Wellenlinie der Landschaft, wenn sie vorwärts eilen im tauigen Morgen oder heimwärts jagen am rosigen Abend?

    Man ist beständig im vollen Genuss der freien Luft eines himmlischen Klimas - die Leichtigkeit der Atmosphäre dringt in unseren Geist, der heitere Himmel erhebt das Gemüt; man ist vorbereitet, sich über alle Dinge und alle Lagen zu freuen; man ist bereit zur Arbeit und freut sich über die Ruhe; man ist vor allen Dingen bereit zum Essen, das immer gut schmeckt, wenn man es haben kann und nie zur Unzeit aufgetragen wird. Ich muss ehrlich gestehen, dass ein nicht geringer Teil der Freuden einer Reise im Orient aus den wirklichen Beschwerden und Entbehrungen entsteht, die den wenigen unglücklichen Wesen, welche nicht um ihr täglich Brot arbeiten müssen, einen vorübergehenden Blick auf das wirkliche Glück zu verschaffen, welches die ganze Menge Menschen dreimal täglich genießt, die um das Brot arbeitet und auf die Schüssel hungert.

    Um mit Bequemlichkeit oder Nutzen im Orient zu reisen, muss man es so machen, wie die Regel und die Sitte des Landes es mit sich bringt. Das ist freilich sehr leicht als Vorschrift aufzustellen, aber verzweifelt schwer auszuführen, weil es eine lange Erfahrung und genaue Bekanntschaft mit einem Gegenstande voraussetzt, wo man erst eben über die Schwelle getreten ist. Vorausgesetzt aber, das lässt sich ins Werk richten, so wird man auf seinen Wanderungen vorwärts schreiten, begleitet von Dienern, welche die verschiedenen Geschäfte unserer Einrichtung so verrichten, wie sie es daheim in einem festen Hausstand tun würden. Jedes Bedürfnis und jede Bequemlichkeit führt man bei sich und fühlt sich selbst gänzlich unabhängig von Umständen und Beiständen. In der Wüste, wie in der bevölkerten Stadt, begleiten uns die heimischen Verbindungen und lehren uns praktisch die Gefühle der beweglichen Unabhängigkeit kennen, und den Zusammenhang zwischen Familienbanden und nomadischem Dasein, den Grundzug des orientalischen Charakters. Wie heimisch und einfach werden selbst jene Fragen, die von Ferne betrachtet so abstoßend erscheinen; man umgebe sich nur mit der Atmosphäre der Sitte! Ohne weiteres liegen die Gründe zur Hand; ohne weiteres gelangt man zu Schlüssen, ohne die Mühe des Nachdenkens, oder die Gefahren, welche den Geburtswehen der Logik so traurig drohen. Steht man unter einem fremden Volk, muss der Fragende eine Sprache reden, die zu den fremden Ideen nicht passt, so wird jede Schlussfolge sich auf eigene Eindrücke, nicht auf die ihrigen stützen; versetzt man sich aber in eine der ihrigen ähnliche Lage, so fühlt man gleich ihnen und das ist der Endzweck nutzbarer Nachforschung. Burke¹⁰ erwähnt in seinem Versuche über das Schöne und Erhabene eines alten Philosophen, der, wenn er wünschte, den Charakter eines Menschen zu erforschen, ihm in allem nachahmte, den Ton seiner Stimme nachzumachen versuchte, und sogar sich bemühte, so auszusehen wie jener: die beste Regel für einen Reisenden, die jemals erfunden worden.

    Betrachtet man von diesem Gesichtspunkt aus die Verhältnisse im Orient, welche interessanten Gedankenreihen, welche Kontraste entstehen bei jedem Schritt, und welche Wichtigkeit, welchen Wert gewinnen unbedeutende Umstände, nicht nur die im Morgenland, sondern auch in Europa! Wie zusammenhängend erscheinen dann bisher unbeachtete Beziehungen zwischen täglichen Gewohnheiten und dem Nationalcharakter von Jahrhunderten, zwischen häuslichen Gebräuchen und ge schichtlichen Ereignissen! Erst seit zehn Minuten ist das Zelt aufgeschlagen, vom Herd steigt der Rauch auf, und wir fühlen, wir begreifen den Unterschied zwischen gotischer und orientalischer Kolonisierung und Vaterlandsliebe. Wir lagern vielleicht zwischen den Trümmern eines Tempels der althellenischen Götterwelt; ein Diener bringt zum Abendessen Kräuter, die er auf einem Schlachtfeld suchte, bei dessen Namen das Schulknabenherz hoch aufschlug; er nennt sie mit denselben Namen, die Hippokrates oder Galen gebraucht hätten, und während der Zeit pfählt der Reitknecht das Pferd an, wie es Brauch im Altai-Gebirge.

    Aber der Durst des europäischen Reisenden nach Neuem wird nicht gestillt werden, wendet er nicht seinen Geist auf das, was ich das Neue vom Altertum nennen möchte. Die feineren und kleineren Teile des Wesens der früheren Zeiten, die man nicht mit Worten fassen konnte, sind für unsere Zeiten und in unserem Erdteil verloren. Im Morgenland aber leben und atmen noch die Sitten des Altertums. Dort kann man essen, wie die Leute in Athen aßen; dort kann man im größten, im verlorenen Genuss der Vorzeit schwelgen und baden wie einst in Rom, und während man dort noch frisch und lebendig, mit Fleisch und Blut angetan die homerischen Gebilde von dreitausend Jahren erblicken kann, mag man sich das leibhaftige Gegenstück in unseren angelsächsischen Urahnen denken, wie Beda¹¹ sie beschreibt, und den von Alfred¹² angeordneten Gauthingen beiwohnen.

    Sollte ich die köstlichste Stunde auswählen aus diesem einfachen und nomadischen Leben, so wäre es die der Abend-Biwacht. Man wählt sein Lager und schlägt sein Zelt auf, wo Phantasie oder Laune es eingeben, am Bergesabhang, im abgeschlossenen Tal, am murmelnden Bach oder in einem düsteren Wald. Vertraut geworden mit der Mutter Erde streckt man sich nieder und legt sein Haupt an ihre nackte Brust. Schnell knüpft man Gemeinschaft an mit ihren anderen Kindern, mit dem Forstmann, dem Pflüger im Blachfeld oder dem Schäfer auf den Bergen. Man ruft zur Teilnahme am Abendbrot einen müden Wanderer, dessen Namen uns ebenso unbekannt ist wie sein Stamm und sein Geburtsland. So angenehm diese Ungewissheit ist, so sicher ist doch die Belohnung aus einem solchen Zusammentreffen, mag nun der Gast die Abendstunden mit Märchen aus der Wüste ausfüllen oder mit Geschichten aus der Hauptstadt, und mag er in diesem Pilgerland die Ströme Kaschmirs oder die brennende Sahara besucht haben.

    Obgleich man aber die Gesellschaft eines Menschen nirgends besser genießen kann, so kann man sie doch auch nirgends leichter entbehren als in seinem Zelt nach den Beschwerden eines langen Tages. Es ist ein mit Worten nicht auszusprechendes Vergnügen, diese überall sich gleiche, bewegliche Heimat zu hüten, die ihren Zauberkreis aufschlägt und ihre vergoldete Kugel in die Lüfte erhebt. So wie ein Strick nach dem anderen eingepfählt wird, nimmt sie ihre gewohnten Formen an, und dann breitet sie weithin ihr zierlich ausgezacktes Dach, drinnen mit ihren bunten Teppichen und Polstern und Kissen prunkend. Nach den Beschwerden des Tages und den Mühen der Reise verrichtet der Reisende zuvörderst seine Abwaschungen am fließenden Bach, sagt sein Namaz¹³ her, und dann ruht er in seinem Zelt, den letzten Strahl der Abenddämmerung belauschend, in der abgeschlossenen Ruhe, die nicht Nachdenken ist, nicht Gedankenleere, sondern die Stille in der ganzen Natur, die stumme Betrachtung der Menschen und Dinge. So fördert man die nachdenkliche Weise, so erlangt man die Nüchternheit des Sinnes, die, wenn auch nicht tief, doch niemals oberflächlich wird. So sollte man den Moslem sehen, daheim in der Wildnis, malerisch in seinem Aufzug, Würde auf der Stirn, Willkommen auf seinen Lippen und Poesie rund um ihn her. Ein solches Gemälde vor Augen habend, mag der immer geschäftige Abendländer das innere Wesen, die Gemütsbildung derer belauschen, die an ein solches Leben gewöhnt sind und die eben deshalb zu ihrem Lebensbetrieb die Ruhe mitbringen, die wir nur in der Einsamkeit finden können, wenn wir unserer selbst geschaffenen Welt von Umständen entronnen, einen Augenblick lang das Weltall besuchen und bewohnen dürfen, und mit ihm uns unterhalten in einer Sprache ohne Worte.

    Diese Vergnügungen aber, von denen ich nur die Schatten zu skizzieren versucht habe, sind keineswegs die einzigen auf einer Reise im Morgenland. Die große Quelle der Lust für einen Fremden ist der Mensch, der Charakter des Volkes und seine politischen Verhältnisse; die neue und verschiedenartige Handlung; die dramatische, einfache und eigentümliche Darstellung. Bei uns sind die Nationalverhältnisse, die des Forschers Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, so analytisch und wissenschaftlich, dass nur diejenigen sich ihnen nahen dürfen, die jedem einzelnen Zweig eine Lebensdauer voll Arbeit gewidmet haben. Wer aber das vermocht hat, ist vertieft in ein ausschliessliches Studium; wer es nicht gekonnt, hat kein Stimmrecht und scheut zurück vor der Prüfung. Im Osten aber, wo das System der politischen Verhältnisse einfach ist, wo man das sittliche Recht und Unrecht im persönlichen Charakter klar auffasst, sind alle unserer Aufmerksamkeit würdigen Gegenstände im Bereiche unwissenschaftlicher Beobachtung und selbst der gewöhnlichen Auffassung zugänglich. Freilich muss der Fremde damit beginnen, dass er vorgefasste Meinungen bei Seite lege; das ist der erste Schritt, um sich bekannt zu machen mit Begriffen, die ganz verschieden sind von denen, die die Erziehung in volkstümlichen Gewohnheiten und die Erfahrungen des Geburtslandes ihm einpflanzten.

    ¹Der albanische Schurz, weiß, länger als der schottische und sehr reich an Falten.

    ²Das vornehmste Kaffeehaus in Napoli di Romania war, in Folge der günstigsten Wirkung eines früheren Protokolls „les trois puissances" genannt worden. So wie das Protokoll vom 3. Februar 1830 eintraf, erhielt es augenblicklich den Spottnamen: Café des trois potences.

    ³Die Sulioten aus dem unzugänglichen epirotischen, heute nordgriechischen Bergland waren eine der Keimzellen der sog. Epanastasis gegen die Osmanen. Einer ihrer herausragenden Anführer war Markos Botzaris (Red.).

    ⁴Oder Skutari/Skoder in Albanien (Red.).

    ⁵Im Jahr 1808 war der Großwesir Mustafa Bayraktar nach Konstantinopel marschiert, um dort einen Janitscharenaufstand niederzuschlagen, bei dem der amtierende Sultan abgesetzt worden war.

    ⁶Der britische General Robert Ross, der 1814 Washington eroberte und die dort von Seiten der Amerikaner bereits errichteten öffentlichen Gebäude zerstörte (Red.).

    ⁷Diese Frage wird zur größeren Deutlichkeit oft dreifach wiederholt, mit Ausdrücken, die aus dem Italienischen, Türkischen und Griechischen abgeleitet sind, nämlich: Ti m(p)ándata - ti chabéri - ti néa?

    ⁸Provinzstadt in Nordwestgriechenland (Red.).

    ⁹Wenn im Texte von Meilen die Rede ist, so sind damit immer englische gemeint, 69 auf einen Grad. (Anm. d. Übers.)

    ¹⁰Edmund Burke (1729-1797), englischer Philosoph und Staatsmann (Red.).

    ¹¹Beda Venerabilis, englischer Geschichtsschreiber und Literat (Red.).

    ¹²Alfred der Große (ca. 846-899), der im Jahr 886 die beiden angelsächsischen Königreiche zusammenführte (Red.)

    ¹³Türkische und persische Bezeichnung der moslemischen Tagesgebete (Red.).

    ZWEITES KAPITEL

    ZUSTAND DES GRIECHISCHEN LANDVOLKES IM JAHRE 1830 - MILITÄRISCHE UND POLITISCHE WICHTIGKEIT DER BUCHT VON KORINTH - VORFALL IM BEFREIUNGSKRIEGE - SEEGEFECHT IN DER BAY VON SALONA

    Nachdem wir, wie schon erwähnt, die erste Nacht unserer Reise in den Trümmern von Mykenai zugebracht hatten, gingen wir am folgenden Morgen nach Korinth. Wir kamen durch das Dervenákia¹, welches durch die Niederlage berühmt geworden war, die der Pascha von Drama hier erlitt. Nicht ohne Interesse bemerkten wir die damals aufgeworfenen Cambouris (Brustwehren, Feldschanzen) und vernahmen verschiedene Erzählungen von der Vereinigung und dem Sieg der Griechen. Einige Meilen weiter ergötzte es mich, die durch ihre malerischen Trümmer geweihte kleine Ebene von Nemaia wieder zu erblicken; allein ich musste bedauern, dass ein ganzes Jahr weder den Anbau vermehrt, noch die Lage der wandernden Vlachen² verbessert hatte. Derselbe Monat fand sie wieder, ihre Butter unter demselben Baum bereitend und ihre einfachen Geräte an dieselbe Säule hängend; keine Last war erleichtert - ich möchte, dass ich hinzufügen könnte: keine Aussicht war zerstört.

    Der gegenwärtige Zustand des Landes ist weit entfernt, die Hoffnungen zu erfüllen, die ich nach den Fortschritten hegen zu dürfen glaubte, welche ich beobachtete, als ich denselben Landstrich ein Jahr zuvor bereiste. Alle Vorschläge zum Anbau der Staatsländereien, zur Errichtung von landwirtschaftlichen und sonstigen Instituten, zum Straßenbau, sind entmutigt oder verworfen von der Regierung, die jedes Unternehmen selbst durch Einschüchterung und Drohungen hemmt und aus ihren Endabsichten und Maßregeln ein Geheimnis macht. Schon die bloße Tatsache, dass überhaupt eine Regierung vorhanden war, hatte während des Jahres vorher Leben und Tätigkeit über das ganze Land verbreitet, und die Wirkung war wirklich wundergleich. Aber diese Kraft wurde gelähmt, als das von der Regierung gewählte System in Vollzug gesetzt wurde, und jetzt ist keine einzige Hütte neu entstanden, nicht ein Baum gepflanzt, nicht ein Feld eingehegt, nicht eine Brücke wieder gebaut, nicht ein Weg ausgebessert. Aber das ist noch nicht alles.

    Von den öffentlichen Ländereien, wozu die ergiebigsten und ebensten Striche gehören, erhebt die Regierung drei Zehntel vom Ertrage. Die Bauern wirtschaften größtenteils mit Geld, das sie gegen 2 ½ Prozent monatlicher Zinsen borgen oder sie erhalten das Saatkorn unter der Verpflichtung, die Hälfte des reinen Ertrages wieder abzuliefern. Zur Saatzeit war wegen der Blockade der Dardanellen der Kornpreis sehr hoch, während das Saatkorn noch höher stand, wegen des allgemein herrschenden Vorurteils, nur das im Land gewachsene Saatkorn könne eine gute Ernte geben -und davon gab es nur einen sehr geringen Vorrat. Zur Erntezeit, als die Blockade aufgehoben war, fiel der Preis um die Hälfte, ein merkwürdiger Beweis des Einflusses der Dardanellen auf die umliegenden

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