Antike Geschlechterdebatten: Die soziale Verortung der Frauen und Männer in der griechisch-römischen Antike
Von Kordula Schnegg
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Kordula Schnegg
Dr. Kordula Schnegg ist Assistenzprofessorin am Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik an der Universität Innsbruck.
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Buchvorschau
Antike Geschlechterdebatten - Kordula Schnegg
Vorwort
Was zeichnet Frauen aus, was zeichnet Männer aus? Worin unterscheiden sich Frauen von Männern? Wozu dient die Unterscheidung beziehungsweise wem nützt sie? Diese und ähnliche gesellschaftspolitisch relevanten Fragen beschäftigen derzeit die Zivilgesellschaft, die Politik und die Wissenschaften. Aber Gedanken darüber, was Frauen und was Männer ausmacht, welche Aufgaben einzelne Personen in einer Gemeinschaft aufgrund ihres Geschlechtes übernehmen müssen, sind nicht nur aktuell, sondern lassen sich bereits für die griechische und römische Antike nachweisen. In der antiken Überlieferung werden soziale Verhältnisse, insbesondere die Geschlechterverhältnisse vielfältig thematisiert. Vor allem die antiken Texte bieten ein Panorama an Geschlechtervorstellungen und Geschlechternormen. Sie dokumentieren Erwartungshaltungen an Männer und Frauen und bieten Erklärungen für bestehende Geschlechterordnungen.
Wie differenziert sich die Geschlechterverhältnisse in der Antike gestalteten, will ich anhand dreier Beispiele illustrieren. Diese führen uns in die Welt der griechischen pólis (die Gemeinschaft der Bürger) und in das antike Rom. In allen drei Beispielen werden die Geschlechterverhältnisse im Zusammenhang mit dem Funktionieren der jeweiligen Bürgerschaft besprochen: Im Fall der Periktione ist die Bezugsgröße die soziale und politische Ordnung einer griechischen pólis, im Fall der Scipionen und der Hortensia ist die Bezugsgröße die soziale und politische Ordnung der römischen Republik (res publica).
Die geschlechterhistorische Perspektive, die hier vertreten wird, ermöglicht es dabei, die Geschlechterverhältnisse in ihrer Vielgestaltigkeit zu analysieren, Geschlecht als zentrales, aber nicht als einziges Kriterium für die Ausgestaltung der sozialen Verhältnisse in den Blick zu nehmen. Geschlecht wird in Relation zu weiteren sozialen Differenzierungsmerkmalen wie Klasse, ethnische Zugehörigkeit oder Alter untersucht.
Geschlechternormen werden in den antiken Zeugnissen reflektiert und thematisiert. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit macht die antiken Besprechungen als Debatten über Geschlechterverhältnisse greifbar. Es ist daher besonders passend, einzelne dieser antiken Debatten in der Reihe Dialoge zu präsentieren. Das vorliegende Buch bietet den Leser*innen die Möglichkeit, die griechisch-römische Antike aus einer geschlechterhistorischen Perspektive kennenzulernen und dabei Einblicke nicht nur in die Denkweisen der Antike, sondern auch in die Methoden der (post-)modernen Geschichtswissenschaft zu nehmen. Das altgriechische Wort „διάλογος" (diálogos) bedeutet „Unterredung, Gespräch". In diesem Sinne kann dieses Buch also auch dazu anregen, sich über Geschlechterverhältnisse und -normen im Allgemeinen auszutauschen, einen Dialog zu führen, an den antiken wie den aktuellen Debatten teilzunehmen.
Es sei hier noch all jenen gedankt, die mich bei der Fertigstellung des Buches unterstützt haben: Dem Narr Francke Attempto Verlag, vor allem Valeska Lembke und Corina Popp, danke ich für die professionelle Begleitung des Projektes. Das Buch präsentiert in Auszügen die Ergebnisse des Forschungsprojektes „Geschlechterdebatten in der Antike. Historische Materialien und ihre Auswertung", das durch die Richard & Emmy Bahr Stiftung in Schaffhausen 2018 finanziell unterstützt wurde. In diesem Zusammenhang gilt mein besonderer Dank der Universität Innsbruck sowie der Projektmitarbeiterin Delila Jordan für die Unterstützung bei den Recherchearbeiten und bei der Erstellung der Grafiken.
Kordula Schnegg Innsbruck, Dezember 2020
1 Einführung: Geschichte – Geschlechtergeschichte
Bevor das Augenmerk auf die Geschlechterverhältnisse in der griechischen und römischen Antike gelenkt wird, sind drei Punkte vorab zu erläutern, die für eine historische Analyse der Geschlechterverhältnisse zentral sind.
1.1 Der historische Raum
Raum und Zeit sind die zwei Dimensionen, die in der Geschichtswissenschaft für die wissenschaftliche Strukturierung der Vergangenheit herangezogen werden und die in der Bezeichnung „historischer Raum" ihren Ausdruck finden. Mit dem Hinweis auf einen historischen Raum wird auf die konkrete zeitliche und geographische Einordnung der untersuchten Verhältnisse aufmerksam gemacht. Demzufolge beziehen sich auch die Aussagen über das Zusammenleben von Frauen und Männern in der vorliegenden Darstellung stets auf einen konkreten historischen Raum. Daher sind die beschriebenen sozialen Verhältnisse und Geschlechterverhältnisse weder ahistorisch noch universalhistorisch, sondern räumlich und zeitlich bedingt.
Ahistorisch bedeutet „keine Geschichte zu haben und in diesem Sinne „unveränderbar, nicht wandelbar
zu sein.
Universalhistorisch meint „allgemein gültig", auf alle Kulturen und Gesellschaften zutreffend, unabhängig von Zeit und Raum.
1.2 Vergangenheit, Geschichte, Quellen
Für das historische Arbeiten ist es notwendig folgende Begriffe zu unterscheiden: Vergangenheit, Geschichte, Geschichtswissenschaft. Die Vergangenheit als solche ist für uns nicht mehr greifbar. Wir können die Vergangenheit nicht wiederbeleben. Was wir jedoch fassen können, sind Materialien (Hinterlassenschaften von Menschen), die sich aus vergangener Zeit erhalten haben, wie Artefakte, Texte, Gebäude. Nur über diese Materialien können wir uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen.
In der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft werden die Materialien gängig als „Quellen, mitunter auch als „Zeugnisse
und „Überreste" bezeichnet. Die Quellen müssen einer Analyse unterworfen werden, damit eine historische Aussage über die Vergangenheit erzielt werden kann. Denn weder sprechen die Quellen von selbst zu uns, noch reicht es aus, bloß einen Blick auf sie zu werfen, um in die Vergangenheit zu sehen. Vielmehr befasst sich die*der Historiker*in mit den Überresten aus der Vergangenheit, indem sie*er das Analysematerial darstellt und mit einer theoriegeleiteten Fragestellung und mit methodischem Werkzeug bearbeitet.
Die Darstellung der Analyseergebnisse in erzählender Form ist Geschichte. Eine Wissenschaft, die sich explizit mit Quellen und Geschichte beschäftigt, ist die Geschichtswissenschaft.
Die Quellen bilden die Grundlage für das historische Arbeiten. Ohne Quellen können keine historischen Aussagen über die Vergangenheit getroffen werden.
Literaturhinweise
Achim Landwehr, Historische Diskursanalyse (Historische Einführungen, Band 4), Frankfurt am Main 2008.
Achim Landwehr, Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit. Essay zur Geschichtstheorie, Frankfurt am Main 2016.
1.3 Die antike Überlieferung
Für die Antike sind uns Materialien unterschiedlicher Art überliefert: Texte, Inschriften, Gebrauchsgegenstände, Überreste von Wohnhäusern oder von ganzen Städten. Diese Zeugnisse sind jedoch im Vergleich etwa zum Mittelalter, dessen bauliche Spuren vielerorts in Europa noch Teil des Stadtbilds sind, oder zum 19. Jahrhundert, dessen Dokumente Bibliotheken und Archive füllen, für die Antike weit weniger zahlreich vorhanden. Bestimmte Aspekte, vor allem das soziale Leben betreffend, können daher historisch nur vage festgemacht bzw. allein mittels theoriegeleiteter Fragestellungen historisch