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Jüdisches Leben in Tirol im Mittelalter: Jüdisches Leben im historischen Tirol
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eBook309 Seiten3 Stunden

Jüdisches Leben in Tirol im Mittelalter: Jüdisches Leben im historischen Tirol

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Über dieses E-Book

"Jüdisches Leben in Tirol im Mittelalter" ist ein Auszug aus dem dreiteiligen Sammelwerk "Jüdisches Leben im historischen Tirol". Die Geschichte des jüdischen Lebens im historischen Tirol, welches das heutige Trentino, Süd-, Nord- und Osttirol sowie über ein Jahrhundert lang auch Vorarlberg umfasste, ist über 700 Jahre alt.

Dieser Auszug des Sammelwerks befasst sich unter anderem mit den Grundzügen der Geschichte der Juden im mittelalterlichen Europa. Eine Minorität, die als einzige nichtchristliche Bevölkerungsgruppe toleriert wurde und einen gewissen Schutz vor Missionierung oder Zwangstaufe genoss. Nach und nach wurde das Judentum aber zu einer Art Sündenbock und stieß auf Ablehnung und Diskriminierung. Neben den Grundzügen der Geschichte beleuchtet das vorliegende Werk auch die jüdische Siedlungsgeschichte, die Herkunft und Migration, die rechtliche Situation zu dieser Zeit sowie die beruflichen und wirtschaftlichen Aktivitäten, die das jüdische Volk im Mittelalter ausübte. Der vorliegende Titel schließt mit ersten Anfeindungen, Vertreibungsabsichten sowie dem Beginn der Ritualmordprozesse ab.
SpracheDeutsch
HerausgeberHaymon Verlag
Erscheinungsdatum26. Aug. 2014
ISBN9783709973394
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    Buchvorschau

    Jüdisches Leben in Tirol im Mittelalter - Klaus Brandstätter

    Klaus Brandstätter

    JÜDISCHES LEBEN IN TIROL IM MITTELALTER

    HAYMONverlag

    Herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler KULTURinstitut.

    Die Arbeit am Projekt wurde gefördert von der Israelitischen Kultusgemeinde für Tirol und Vorarlberg.

    © 2013

    HAYMON verlag

    Innsbruck-Wien

    www.haymonverlag.at

    Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

    ISBN 978-3-7099-7339-4

    Covergestaltung: hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol

    Buchgestaltung und Satz: Karin Berner nach Entwürfen von Stefan Rasberger.

    Dieser Text wurde dem dreibändigen Werk Jüdisches Leben im historischen Tirol, erschienen 2013 im Haymon Verlag, entnommen. Das Gesamtwerk Jüdisches Leben im historischen Tirol erhalten Sie in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at.

    Inhalt

    Vorwort – Vom jüdischen Leben im historischen Tirol 1300–1805

    Grundzüge der Geschichte der Juden im mittelalterlichen Europa

    Juden im Alttiroler Raum im Mittelalter

    Siedlungsgeschichte

    Herkunft, Migration, Beziehungen zu Juden anderer Städte

    Die rechtliche Situation

    Berufliche und wirtschaftliche Aktivitäten

    Gemeinden und Gemeindeinstitutionen

    Leben in der Stadt

    Diffamierung, Vertreibungsabsichten, Ritualmordprozesse

    Zusammenfassende Bemerkungen

    Anmerkungen

    Abkürzungsverzeichnis

    Literaturverzeichnis

    Autor

    Vom jüdischen Leben im historischen Tirol 1300–1805

    Thomas Albrich

    Seit über 700 Jahren leben Jüdinnen und Juden in Alttirol, das historisch das heutige Trentino, Südtirol, Nord- und Osttirol umfasste und seit den 1780er Jahren bis zum Ende des Ersten Weltkriegs sowie zwischen 1938 und 1945 auch Vorarlberg inkludierte. Die vor 1803 noch unabhängigen Bistümer Brixen und Trient werden im vorliegenden ersten Band natürlich mitbehandelt. Geografisch umfasst der in den drei Bänden be- handelte Raum daher (fast) immer den Raum der heutigen österreichischen Bundesländer Tirol und Vorarlberg sowie die italienische Region Trentino-Südtirol. Der erste Band behandelt die Anfänge einer jüdischen Existenz in Tirol von ca. 1300 bis 1805, als ganz Tirol und Vorarlberg zum Königreich Bayern kamen.

    Die Geschichte der Jüdinnen und Juden in Tirol und Vorarlberg war von den Anfängen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts gekennzeichnet durch Ansiedlungsbeschränkungen, Verbote und Vertreibungen. Jüdische Gemeinden konnten sich bis ins 17. Jahrhundert nicht etablieren, es gab nur Ansiedlungen einzelner tolerierter jüdischer Familien in Bozen, Trient und Innsbruck. Während sich in Tirol an dieser Grundsituation bis zum Abschluss der staatsbürgerlichen Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung durch die Staatsgrundgesetze von 1867 nichts änderte, gewährte Graf Kaspar von Hohenems im Jahre 1617 die Ansiedlung einer jüdischen Gemeinde in Hohenems, die mit einer kurzen Unterbrechung – der Vertreibung ins benachbarte Sulz im 18. Jahrhundert – bis zur Zerstörung 1940 dort existierte.

    Während die Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts mittlerweile aufgrund unserer Forschungen und Publikationen der vergangenen Jahre zumindest biografisch gut aufgearbeitet wurde1, fehlt für die Jahrhunderte zwischen 1300 und 1800 noch eine ausführliche Darstellung für Tirol.2 Diese Lücke wird im vorliegenden Band weitgehend geschlossen.

    Wer waren die Jüdinnen und Juden, die vor 1805 in Alttirol lebten? Im Mittelalter treten Juden erstmals um 1300 in den Tiroler Quellen auf: Isaak von Lienz ist zu dieser Zeit der wichtigste Geldgeber im Ostalpenraum. Zusammen mit den anderen damals im Tiroler Raum ansässigen Juden dürfte er aus der Friauler Gegend zugezogen sein. Die Nachrichten über diese erste Phase jüdischen Lebens in Alttirol enden jedoch schon um 1330. In der Folge ließen sich bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts einige aus dem Norden zugewanderte Juden in Tirol nieder, darunter der in Innsbruck wohnhafte Salomon, der bis 1347 belegt ist. Ob es auch in Tirol anlässlich der großen Pestepidemie des Jahres 1348 zu Verfolgungen kam, wie dies für viele Städte des römisch-deutschen Reiches belegt ist, lässt sich den spärlichen regionalen Quellen nicht entnehmen. Eine dritte, im ausgehenden 14. Jahrhundert einsetzende Phase jüdischer Präsenz in Tirol ist durch eine markante Vermehrung der Siedlungsorte gekennzeichnet. Jüdische Bewohner finden sich nunmehr in Lienz, Innsbruck, Hall, Mils, Brixen, Glurns, Meran, Bozen, Kaltern sowie in Trient und in einigen anderen Gemeinden des Trienter Hochstifts. Noch in diesem Jahrhundert fand aber die jüdische Ansiedlung an den meisten dieser Orte schon wieder ein Ende. Ritualmordprozesse führten zur Vernichtung der Judengemeinden in Lienz und in Trient, und der Trienter Prozess des Jahres 1475 dürfte den Tiroler Landesfürsten zur Ausweisung aller Tiroler Juden veranlasst haben. Auch nach der Rückkehr bzw. dem Zuzug neuer jüdischer Familien nach Tirol lebten bis 1867 keine Jüdinnen und Juden mehr in Trient.

    Kurz nach 1500 tauchen vereinzelt wieder jüdische Familien in Bozen und wenig später auch in Innsbruck auf. Wichtig sind im Laufe des Jahrhunderts vor allem die Bassevi im südlichen Landesteil oder die May, die bis nach 1700 Hofjuden und Hoffaktoren in Innsbruck waren. Im 16. und 17. Jahrhundert lebten immer einige wenige jüdische Familien in Tirol, die aber keine Gemeinde bilden konnten. Einschneidend für die antijüdische und später antisemitische Zukunft vor allem in Nordtirol waren die Aktivitäten und Veröffentlichungen von Hippolyt Guarinoni, der seit etwa 1620 den bislang sehr lokalen Kult um Andreas von Rinn im Inntal und auch landesweit bewarb. Hundert Jahre später wurde auch die Legende um Ursula Pöck in Lienz neu belebt und 1744 der Tod des Franz Thomas Locherer in Montiggel bei Eppan zu einer neuen Ritualmordlegende gemacht.

    Anders die Lage in Vorarlberg, wo die jüdische Gemeinde in Hohen-ems immer größer wurde. Um 1750 lebten die Uffenheimer in Innsbruck und Hohenems als Hoffaktoren und Großhändler und waren auch auf den Märkten in Bozen anzutreffen. Ab den 1780er Jahren treffen wir neben den Uffenheimern auf die Familien Weil, Dannhauser und Bernheimer in Innsbruck sowie die Familien Hendle und Gerson in Bozen.

    In der bayerischen Zeit zwischen 1806 und 1814 begegnen wir einer relativ geschlossenen jüdischen Gemeinde in Innsbruck, die durch die Ereignisse des Jahres 1809 schwer geschädigt wurde. Wir wissen, wer danach in Innsbruck lebte und blieb, wer wegzog und wer zuzog. Im restlichen Land gab es nur noch die Nachkommen des Markus Gerson in Bozen, aber noch immer keine Juden in Meran oder im Trentino.

    Mit der Rückkehr Tirols und Vorarlbergs zu Österreich im Sommer 1814 begann eine neue Zeit. Im Vormärz bestimmten neue Männer wie Martin Steiner und David Friedmann das jüdische Leben in Nordtirol, und die Familie Schwarz und die Brüder Biedermann etablierten sich in Südtirol. Mit der rechtlichen Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung durch die Staatsgrundgesetze 1867 bot sich nun auch die Möglichkeit der freien Zuwanderung und Niederlassung in Tirol und Vorarlberg. Während die jüdische Bevölkerung Vorarlbergs zwischen 1857 und 1910, hauptsächlich durch Abwanderung in die Schweiz, aber auch in weiter entfernte Länder, von 515 auf 126 abnahm, erfolgte im gleichen Zeitraum in der ganzen Region Tirol durch Zuwanderung vor allem aus den östlichen Teilen der Monarchie, meist über einen Zwischenstopp in Wien, eine Zunahme von 33 auf 1750! Handelte es sich in Hohenems um eine in drei Jahrhunderten gewachsene Gemeinde, so war Tirol eine neue, junge Gemeinde. Diese Konstellation hatte zur Folge, dass die gesamte zugewanderte jüdische Bevölkerung Tirols nördlich und südlich des Brenners im Jahre 1938 theoretisch noch am Leben war und Opfer der NS-Verfolgung wurde. Immerhin starb Bertha Dannhauser, das älteste Mitglied der Innsbrucker jüdischen Gemeinde, erst im Alter von knapp 100 Jahren im Februar 1940. Sie gehörte noch zur „Urgemeinde" der 33 im Jahre 1857 gezählten Jüdinnen und Juden Tirols. Die Zeit nach der Shoa war für die wenigen Überlebenden der NS-Lager und die Rückkehrer aus der Emigration viele Jahre lang schwer. Erst in den letzten zehn Jahren kann von einer Normalisierung die Rede sein.

    Zum Abschluss möchte ich meinen beiden Mitautoren Klaus Brand-stätter und Heinz Noflatscher danken, die äußerst kompetent gearbeitet haben, auch wenn das ganze Unternehmen etwas länger gedauert hat, als ursprünglich geplant war. Ein besonderer Dank gilt Niko Hofinger, der die Bebilderung der drei Bände souverän durchführte. Weiters möchte ich Roland Sila und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum danken, die uns wie immer vor allem die umfangreichen Bildrecherchen sehr erleichtert haben. Zum Abschluss ein Dank an Verlagsleiter Markus Hatzer vom Haymon Verlag für die Geduld mit dem Projekt, Georg Hasibeder und Anna Stock für die kompetente Betreuung. Nicht zuletzt sei Esther Fritsch, der Präsidentin der IKG Innsbruck für Tirol und Vorarlberg, für ihre jahrelange Unterstützung gedankt, ebenso dem Österreichischen Nationalfonds sowie den zahlreichen teils großzügigen Geldgebern der öffentlichen Hand in Tirol, Südtirol, dem Trentino und in Vorarlberg, die das vorliegende dreibändige Buchprojekt erst möglich gemacht haben.

    Innsbruck, im Oktober 2012

    Grundzüge der Geschichte der Juden im mittelalterlichen Europa

    Es gehört zu einer der grundlegenden Bedingungen für die Geschichte des Judentums im Mittelalter, Geschichte einer Minorität zu sein.1 Zwar wurden Juden als einzige nichtchristliche Bevölkerungsgruppe toleriert, und sie genossen einen gewissen Schutz vor Missionierung und Zwangstaufe. Aber ihr religiöses Anderssein führte, im Verein mit der allmäh-lichen beruflichen Spezialisierung, zu Misstrauen und Ablehnung von Seiten der christlichen Umwelt. Im Laufe der Zeit erwies sich die jüdische Bevölkerung als „universaler Sündenbock"2 wie geschaffen.

    Im Mittelalter war die Stellung der Juden aufs Engste davon geprägt, wie das Christentum sich gegenüber dem Judentum verhielt, wobei die das christliche Bild von den Juden bestimmenden Elemente bereits in der Spätantike grundgelegt waren. Zwar galten die Juden weder als Heiden noch als Ketzer, jedoch sah man die Juden als verstockt und mit Blindheit geschlagen an, da sie die Gottheit Christi nicht anerkannten; aus diesem Grund wird im Mittelalter die Personifikation des Judentums, die Synagoge, in der Plastik immer wieder als Frau mit einer Augenbinde dargestellt. Ausgehend von der Annahme, der Gottesbund sei von den Juden auf die Christen übergegangen, erfolgte – z. B. bei Augustinus – die Schlussfolgerung, dass die Juden wegen ihres Unglaubens den Christen untertan sein sollten; dies führte in letzter Konsequenz zur Ausbildung des Begriffes der Knechtschaft, wonach die Juden wegen ihrer Mitschuld am Kreuzestod Christi zur ewigen Knechtschaft verdammt seien.3

    Bereits zu Ende des 4. Jahrhunderts hatte Johannes Chrysostomus die Diaspora als gerechte Strafe für die Kreuzigung Christi, die Juden als Feinde Gottes und ihre Synagogen als „Quartiere von Teufeln" bezeichnet.4 Allmählich wurden die „Kollektivschuld am Tode Jesu, Teufelssohnschaft und Knechtschaft […] zum integralen Bestandteil der mittelalterlichen Theologie"5, weshalb Juden bei Weltgerichtsszenen immer auf Seiten des Teufels und der Hölle erscheinen. Gerade diese theologische Missachtung führte später in Verbindung mit der besonderen wirtschaftlichen Situation, in der sich die Juden befanden, oft zu einer Verteufelung, zur Dämonisierung, zur Verdächtigung der Anwendung magischer Kräfte in Verbindung mit Verschwörungstheorien. Für ein friedliches Zusammenleben konnte dies selbstverständlich wenig förderlich sein.

    Schon im Codex Theodosianus (438) wurden Juden von allen öffentlich-staatlichen Ämtern und Würden ausgeschlossen, wenn sich auch das spätantike Kaiserrecht grundsätzlich für die Duldung der Juden ausgesprochen hatte. Im Mittelalter unterstanden Juden von Anfang an dem Fremdenrecht, und als solche waren sie nur beschränkt rechtsfähig.6 Allerdings waren Juden lange Zeit im Fernhandel insbesondere mit dem Orient geradezu unentbehrlich, denn als Nichtchristen und Nichtmuslime waren sie dafür besonders geeignet und konnten von jüdischen Gemeinden an bedeutenden Handelsplätzen profitieren.7 Der Warenhandel stellte zweifellos lange Zeit die vorherrschende wirtschaftliche Tätigkeit der Juden dar, ohne dass man freilich von einer monopolartigen Stellung oder einer klaren Dominanz sprechen könnte.8 Vorwiegend als Warenhändler wurden sie auch von ihrer Umwelt wahrgenommen. Dies verdeutlicht eine Stelle in der Raffelstetter Zollordnung (um 900), in der von „Iudaei et ceteri mercatores", von Juden und anderen Kaufleuten, die Rede ist. Aus diesem Grund hatte das Königtum am Schutz der Juden durchaus Interesse9, um ihre Handelstätigkeit nicht zu beeinträchtigen; bis in die Zeit des ersten Kreuzzuges wurde ihre Stellung durch vom Herrscher verliehene Spezialprivilegien geregelt.

    Im Raum nördlich der Alpen etablierten sich größere Judengemeinden erst seit dem 10./11. Jahrhundert in den damaligen wirtschaftlichen Zentren und parallel zur Ausbildung des hochmittelalterlichen Städtewesens, etwa im Rheinland, an der Elbe, in Prag und Regensburg. Neben den Siedlungsgebieten im heutigen Frankreich entstand damit ein weiterer Schwerpunkt des aschkenasischen Judentums, wie sich im Laufe des Mittelalters die vor allem in Mittel- und dann auch in Osteuropa ansässigen Juden zur Unterscheidung von den sefardischen Juden Spaniens nennen sollten. Eine erste Erschütterung erlebten diese neu entstandenen Gemeinden durch Pogrome anlässlich des ersten Kreuzzugs zu Ende des 11. Jahrhunderts. Diese führten zwar noch nicht zu einem grundsätzlichen Wandel der Stellung der Juden, denn die teils vernichteten Gemeinden entstanden neu und die Zahl der jüdischen Gemeinden im Gebiet des römisch-deutschen Reichs nahm im 12. und insbesondere im 13. Jahrhundert sogar deutlich zu, eine Entwicklung, die parallel zum intensiven Urbanisierungsprozess verlief. Allerdings verloren die Juden seit dem ersten Kreuzzug allmählich ihre bis dahin bedeutende Position im Fernhandel, der nun verstärkt von Christen wahrgenommen wurde, so dass die Juden seit damals zunehmend auf nichtzünftige Berufe wie Kramhandel und (im Zusammenhang mit dem kirchlichen Zinsverbot) Geldverleih abgedrängt wurden.10

    Die im späten Mittelalter dominierende wirtschaftliche Tätigkeit im Geldhandel darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass viele Juden auch andere Berufe ausübten. Selbstverständlich benötigten gerade größere jüdische Gemeinden auch jüdische Handwerker, wie Bäcker oder Metzger, und viele verdienten sich als Lehrer und Erzieher oder in kultischen Funktionen ihren Lebensunterhalt. Als Spezialisten mit bedeutendem technischen Fachwissen, etwa als Büchsenmacher11, wurden sie oftmals an Fürstenhöfe gezogen, und eine erhebliche Bedeutung kam ihnen als gelehrte Ärzte zu.12

    Durch ihre Stellung im Geld- und Kreditwesen spielten Juden bis zum Ende des 14. Jahrhunderts weiterhin eine äußerst wichtige Rolle im ökonomischen Bereich, denn bedingt durch die Edelmetallknappheit des Mittelalters besaß der Kredit große Bedeutung. Aus diesem Grund waren Fürsten und Städte an der Ansiedlung von Juden durchaus interessiert13 und erteilten dementsprechende Privilegien, deren Bestimmungen vielfach die Bedürfnisse der Juden offen legen, wie etwa Verbot der Zwangstaufe, Möglichkeit der Beschäftigung christlicher Dienstboten oder vor Gericht Verteidigung durch Eidesleistung (und nicht Unterwerfung unter das Gottesurteil wie bei Unfreien).14

    Bereits seit dem 12. Jahrhundert hatte sich allerdings die rechtliche Stellung der Juden allmählich zum Schlechteren gewandelt. Denn an- lässlich der Pogrome des ersten Kreuzzugs sah sich das Kaisertum dazu veranlasst, statt wie bisher Sonderrechte zu verleihen den kaiserlichen Schutz auf alle Juden auszudehnen und sie als Sondergruppe in den Mainzer Reichslandfrieden von 1103 aufzunehmen. Ohne dass dies unmittelbar zu einer radikalen Veränderung der rechtlichen Situation geführt hätte, wurde damit doch ein Prozess in die Wege geleitet, der schließlich – über die Judenpolitik Barbarossas15 – zum Judenprivileg Kaiser Friedrich II. 1236 führte: Mit der darin festgelegten Formel von der „Kammerknechtschaft der Juden wurde eine für lange Zeit gültige Umschreibung des kaiserlichen Schutzverhältnisses über die Juden gefunden. Aufbauend auf der kirchlichen Lehre von der Knechtschaft der Juden und angesichts der erhöhten Schutzbedürftigkeit infolge eines aktuellen Ritualmordprozesses wurden alle Juden des Reiches als der kaiserlichen Kammer direkt unterstellte „Knechte definiert, woraus sich Schutz- und Herrschaftsrechte ableiten ließen. Damit im Zusammenhang stand die gleichzeitige Einführung einer reichsweiten Judensteuer, und allmählich wurde der Schwerpunkt des Judenschutzes auf die finanzielle Seite verlagert.16

    Besonders seit der Mitte des 13. Jahrhunderts kam es verstärkt zur Verleihung des Judenschutzrechtes und der damit verbundenen Einkünfte, des Judenregals, an Territorialherren und Städte, die bis zum 14. Jahrhundert dieses Regal größtenteils in ihrer Hand hatten – die Juden avancierten damit zu Handelsobjekten, denen die „Kammerknechtschaft einen kostspieligen, letztlich aber geringen Schutz gewährte. Die Kehrseite des fürstlichen Schutzes war außerdem, dass das jüdische Eigentum quasi als „fürstliches Eigentum betrachtet werden konnte. Von Fürsten dekretierte Schuldenerlässe waren damit jederzeit möglich, und insgesamt lässt sich insbesondere seit dem 14. Jahrhundert eine Entwicklung in Richtung zunehmender Willkür feststellen; mehr und mehr waren Juden von der Gnade des Fürsten abhängig.17

    Da mit dem Übergang des Judenregals an Fürsten und Städte die königlichen Einkünfte geschmälert wurden, suchte man Ersatz, den Kaiser Ludwig der Bayer 1342 in der Einführung einer Steuer fand, des später so genannten Goldenen Opferpfennigs: Jeder über zwölfjährige Jude mit einem Mindestvermögen von 20 Gulden sollte eine Kopfsteuer von einem Gulden entrichten.18 König Sigismund schließlich versuchte zunächst 1414/1415 durch die Eintreibung einer allgemeinen Konzilssteuer, dann 1433 durch die Forderung einer exorbitant hohen Krönungssteuer dem Königtum neue einträgliche Finanzquellen zu erschließen; auch wenn gleichzeitige Versuche, permanente ordentliche Judensteuern einzuführen, scheiterten, so sollten sich Opferpfennig und Krönungssteuer bis ins 16. Jahrhundert als übliche Einnahmen des Königtums halten.19

    Die rechtliche Situation der Juden im Spätmittelalter hatte nicht nur durch die Formulierung der „Kammerknechtschaft" und durch die Überlassung des Judenregals an andere Herrschaftsträger Beeinträchtigungen erfahren, auch in den Städten kam es zu gravierenden Veränderungen im Rechtsstatus der Juden. So wurde aus dem vollberechtigten jüdischen Bürger des 11./12. Jahrhunderts allmählich ein nur noch zeitweilig geduldeter Bewohner20; die wirtschaftlichen Veränderungen seit dem hohen Mittelalter, die Ausbildung von nur Christen vorbehaltenen Handwerkerzünften, die allmähliche Abdrängung von Juden in das Geldverleihgeschäft bei zugleich wachsender christlicher Konkurrenz schlugen hier zu Buche. Insbesondere im 14. und 15. Jahrhundert wurde neben der rechtlichen Ausgrenzung auch die soziale Randstellung der Juden verschärft, erkennbar etwa an der beginnenden räumlichen Absonderung (ohne dass Juden vollständig isoliert worden wären), an der verstärkt durchgesetzten Kennzeichnung, die die Kirche schon länger gefordert hatte, und an spürbaren Veränderungen hinsichtlich der Einstellung gegenüber den Juden: sie waren nun Gottesmörder und „verdächtigt, Christenkinder zu morden, Hostien zu entweihen, gottlos zu wuchern, die Christen zu schmähen und zu spotten".21

    Dieses neue Judenstereotyp zeigt viele irrationale Komponenten: Juden wurden zu Handlangern des Teufels erklärt und verdächtigt, sich gegen die Christenheit verschworen zu haben. Aktuell wurde dies vor allem im Zusammenhang mit dem Entstehen von Ritualmordfabeln und Hostienfrevelgeschichten seit dem 12. bzw. 13. Jahrhundert, die den Judenhass immer mehr schürten: Als Hostienschänder würden sie den Mord an Christus wiederholen, als Ritualmörder Christenkinder foltern und umbringen, um das Blut für rituelle Zwecke zu benutzen – eine völlig absurde Verleumdung, widerspricht dies doch den religiösen Reinheits-vorschriften des Judentums aufs Schärfste, was auch von einigen Zeitgenossen bereits klar erkannt wurde; so ließ Friedrich II. aus diesem Grund die in Fulda und Lauda Beschuldigten 1236 freisprechen, und auch Päpste wiesen solche Anschuldigungen deshalb wiederholt zurück.22

    Bezeichnend ist, dass sich die Vorwürfe immer gegen die Juden insgesamt richteten, wobei dann der Einzelfall als Beweis für die Christen-feindschaft aller Juden diente.23 Die antijüdischen Vorurteile führten in Verbindung mit den von der christlichen Umwelt als charakteristisch angenommenen wirtschaftlichen Tätigkeiten bereits im Spätmittelalter nicht nur zum sich ständig verschärfenden Vorwurf des Wuchers sondern auch zur Überzeugung, die Juden würden über eine bedeutende wirtschaftliche Machtposition verfügen und diese auch gegen die Christen einsetzen.24 In den Texten des bekannten Predigers Berthold von Regensburg findet sich bereits im 13. Jahrhundert der Satz: „Das Übel ist, dass sie überhaupt leben25, wie überhaupt in Volkspredigten bekannte Stereotype nachhaltig tradiert wurden. Gerade zu Ostern war die Gefahr groß, dass es zu tätlichen Angriffen auf die Juden kam, was durch die spätmittelalterlichen Oster- und Passionsspiele noch gefördert wurde. War es den Juden nicht ohnehin verboten, in den Kartagen ihre Häuser zu verlassen, so taten sie gut daran, sich in dieser Zeit nicht auf die Straße zu wagen.26 In einigen Spielen wurde seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert das traditionelle Bild der verstockten Juden durch die Kennzeichnung als „geldgierige Wucherer und als Symbol für das Böse schlechthin erweitert.27 Komprimiert fasste etwa Johannes Eck in einer 1542 gedruckten „Widerlegung einer projüdischen Verteidigungsschrift antijüdische Vorurteile zusammen:28 „[…] die juden seind mutwillig, hertneckig, vnlustig, tückisch, vnzüchtig, vntrew, falsch, mainaidig, diebisch, schalckhaftig, verbittert, neidisch, ain vnuolck, rachselig, blutgierig, verreterisch, manschlechtig, mörderisch, gotslesterlich uolck.

    Zu ersten Verfolgungen nach den Kreuzzügen kam es in Mitteleuropa zu Ende des 13. und in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, bis dann zur Mitte des 14. Jahrhunderts anlässlich der Großen Pest schwerste Pogrome einsetzten.29 Man warf den Juden vor, die Brunnen vergiftet zu haben, um die gesamte Christenheit auszurotten. Mehrere hundert Gemeinden wurden damals vernichtet, indem die Juden „erschlagen, ertränkt, verbrannt, gerädert, gehenkt, vertilgt, erdrosselt, lebendig begraben und mit allen Todesarten gefoltert30 wurden. Vielfach wurde die Gelegenheit genützt, um sich der Schulden bei Juden zu entledigen; der Straßburger Chronist Fritsche Closener notierte damals, allein das Geld sei das Gift gewesen, das die Juden getötet habe. Um sich eine Vorstellung vom Ausmaß der Verfolgungen zu machen: In der „Germania Judaica waren von insgesamt 1038 Siedlungsorten über 400 von mindestens einer Verfolgung betroffen.31

    Noch aber waren jüdische Geldgeber nicht zur Gänze ersetzbar, man „brauchte" sie noch, weshalb Juden in den meisten Städten in der Folge wieder zugelassen wurden, wenn auch vielfach unter verschlechterten Bedingungen: Anstatt generellen Privilegierungen traten z. B. nunmehr individuelle Schutzbriefe in den Vordergrund, die noch dazu in aller Regel zeitlich befristet waren.32 Aber gegen Ende des 14. Jahrhunderts erstarkte das

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