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Jezebel Files - Und täglich grüßt der Nekromant
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Jezebel Files - Und täglich grüßt der Nekromant
eBook453 Seiten6 Stunden

Jezebel Files - Und täglich grüßt der Nekromant

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Über dieses E-Book

Eine Reihe kniffliger Rätsel, die sie meisterhaft löst – so hat sich Ash ihr Leben als Privatdetektivin vorgestellt. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass ihre Familie sie vor das größte aller Rätsel stellen würde.

Am Tatort eines Mordes entdeckt Ash, dass ihr Vater der Schlüssel dazu sein könnte, Chariot den Traum von Unsterblichkeit zu vermasseln. Der Haken? Seit ihrer Teenagerzeit hat sie ihn nicht mehr gesehen. Er könnte sich überall auf der Welt verstecken. Ausgerechnet jetzt überträgt Levi, ihr Lieblingsfeind (mit Vorzügen) und frischgebackener Boss, ihr den ersten offiziellen Fall: Sie soll seiner Ex-Freundin helfen – der Frau, die Ash früher das Leben zur Hölle gemacht hat.

Ihre Ermittlungen führen Ash immer tiefer in das tödliche Dickicht der Geheimnisse, zurück nach Hedon und in ihre eigene Vergangenheit. Wenn sie diesen Fall löst, könnte sie ihre Familie wieder vereinen – oder alle, die sie liebt, für immer verlieren.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum19. Jan. 2023
ISBN9783948457358
Jezebel Files - Und täglich grüßt der Nekromant
Autor

Deborah Wilde

Deborah Wilde ist Weltenbummlerin, ehemalige Drehbuchautorin und Zynikerin durch und durch. Sie schreibt mit Vorliebe witzige Romane für Frauen in den Genres Urban Fantasy und Paranormal Romance. In ihren Geschichten geht es um selbstbewusste, toughe Frauen, starke weibliche Freundschaften und Romantik mit einer Prise Charme und Feuer. Sie mag Happy Ends, und es ist ihr wichtig, dass auch der Weg dorthin ihre Leser:innen zum Lachen bringt. Deborah Wilde lebt in Vancouver, zusammen mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrer überaus eigenwilligen Katze Abra.

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    Buchvorschau

    Jezebel Files - Und täglich grüßt der Nekromant - Deborah Wilde

    DEBORAH WILDE

    UND TÄGLICH GRÜẞT DER NEKROMANT

    JEZEBEL FILES 3

    Aus dem Englischen von Julia Schwenk

    Über das Buch

    Eine Reihe kniffliger Rätsel, die sie meisterhaft löst – so hat sich Ash ihr Leben als Privatdetektivin vorgestellt. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass ihre Familie sie vor das größte aller Rätsel stellen würde.

    Am Tatort eines Mordes entdeckt Ash, dass ihr Vater der Schlüssel dazu sein könnte, Chariot den Traum von Unsterblichkeit zu vermasseln. Der Haken? Seit ihrer Teenagerzeit hat sie ihn nicht mehr gesehen. Er könnte sich überall auf der Welt verstecken. Ausgerechnet jetzt überträgt Levi, ihr Lieblingsfeind (mit Vorzügen) und frischgebackener Boss, ihr den ersten offiziellen Fall: Sie soll seiner Ex-Freundin helfen – der Frau, die Ash früher das Leben zur Hölle gemacht hat.

    Ihre Ermittlungen führen Ash immer tiefer in das tödliche Dickicht der Geheimnisse, zurück nach Hedon und in ihre eigene Vergangenheit. Wenn sie diesen Fall löst, könnte sie ihre Familie wieder vereinen – oder alle, die sie liebt, für immer verlieren.

    Über die Autorin

    Deborah Wilde ist Weltenbummlerin, ehemalige Drehbuchautorin und Zynikerin durch und durch. Sie schreibt mit Vorliebe witzige Romane für Frauen in den Genres Urban Fantasy und Paranormal Romance.

    In ihren Geschichten geht es um selbstbewusste, toughe Frauen, starke weibliche Freundschaften und Romantik mit einer Prise Charme und Feuer. Sie mag Happy Ends, und es ist ihr wichtig, dass auch der Weg dorthin ihre Leser:innen zum Lachen bringt.

    Deborah Wilde lebt in Vancouver, zusammen mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrer überaus eigenwilligen Katze Abra.

    Die englische Ausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Shadows & Surrender« bei Te Da Media Inc.

    Deutsche Erstausgabe Januar 2023

    © der Originalausgabe 2020: Deborah Wilde

    © für die deutschsprachige Ausgabe 2023:

    Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,

    Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg

    Alle Rechte, einschließlich des Rechts zur vollständigen oder

    auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden

    oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

    Umschlaggestaltung: Frauke Spanuth, Croco Designs,

    unter Verwendung von Motiven von yurkaimmortal, agsandrew,

    Maksim Shmeljov, faestock, robin_ph,

    alle stock.adobe.com

    Lektorat: Stephanie Langer

    Korrektorat: Julia Funcke

    Satz & Layout: Second Chances Verlag

    ISBN: 978-3-948457-35-8

    www.second-chances-verlag.de

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Über die Autorin

    Impressum

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Weitere Bücher von Deborah Wilde

    Danksagung

    KAPITEL 1

    Normalerweise hielt ich es für eine schlechte Idee, Cops anzulügen, aber eine Frau durfte durchaus mal ihre Meinung ändern.

    Der Mann auf dem Foto hätte mit seinen hellbraunen Haaren und den unauffälligen Gesichtszügen jeder x-beliebige Weiße sein können, doch das violette Muttermal in Form eines Kometen unter einem Auge machte ihn unverwechselbar.

    »Den habe ich noch nie gesehen.« Ich reichte Sergeant Margery Tremblay von der Weltigenpolizei das Bild zurück. Unter den Cops war sie für mich das, was einer Freundin am nächsten kam. »Wer ist das?«

    »Können Sie mir sagen, wo Sie vorgestern zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens waren?« Wie immer war ihr Make-up makellos, und ihr grauer Pixie saß perfekt, doch heute ließ sie sich nicht anmerken, dass wir einander ganz gut kannten. Sie musterte mich mit stahlhartem Blick.

    Ich lehnte mich auf dem Plastikstuhl zurück. »Da habe ich geschlafen.«

    »Allein?«

    »Schockierend, ich weiß. Meine Mitbewohnerin war aber auch zu Hause.«

    »Es gibt also niemanden, der bestätigen kann, dass Sie Ihre Wohnung nicht verlassen haben?«, bohrte sie weiter nach.

    »Nein.« Ich verschränkte die Arme. »Worum geht es hier eigentlich, Sergeant?«

    Sie tippte auf das Foto. »Yevgeny Petrov wurde erschossen.«

    Das warf zahlreiche Fragen auf, doch ich strich schnell die von der Liste, die seltsam wirken könnten, wenn eine vollkommen Außenstehende und vermeintliche Weltige sie stellte. Fragen wie: »Warum ermitteln weltige Polizisten in diesem Fall, wo Yevgeny doch ein Nefesh war?« Oder: »Wie hat man es geschafft, ihn zu erschießen, obwohl er seine Haut in Gummi verwandeln konnte? Das weiß ich, weil er genau das gemacht hat, als er mich angriff und ich versehentlich versucht habe, ihm seine Magie aus dem Leib zu reißen. Sein erstes Mal vergisst man nie, stimmt’s?«

    »Mein Beileid«, meinte ich stattdessen. »Ich bin mir sicher, dass seine Mutter ihn geliebt hat. Was hat das mit mir zu tun?«

    Margery massierte sich die Schläfen. »Er ist derjenige, den Sie laut dieser anonymen Anzeige angegriffen haben sollen. Als Sie undercover als alte Frau aufgetreten sind.«

    Yevgeny hatte mein wahres Gesicht nie gesehen, nur die Lillian-Tarnung, die ich in Form einer Illusion getragen hatte. Als ich mich über seine Magie hermachte, hatte er allerdings erkannt, dass ich eine Jezebel war – und damit der Feind der religiösen Schattenorganisation namens Chariot, für die er arbeitete. Jezebels waren was Besonderes.

    »Sie denken, dass ich das herausgefunden und ihn erschossen habe? Das ist ganz schön weit hergeholt, oder? Die Anzeige wegen Körperverletzung war doch Bullshit. Ich besitze keine Magie, was wäre also mein Motiv dafür, ihn anzugreifen, Sergeant?«, erwiderte ich kühl. Es hatte durchaus ein paar Vorteile, dass ich in den Akten immer noch als Weltige geführt wurde.

    Margery schnaubte entnervt. »Na schön. Hör schon auf mit dem ›Sergeant‹-Mist. Ich mache hier nur meinen Job. Ich glaube nicht, dass du was damit zu tun hast, und es wird auch keine Anklage gegen dich erhoben, aber du könntest etwas wissen. Bist du dir sicher, dass bei seinem Namen nichts bei dir klingelt?«

    Ich schüttelte den Kopf. »Wo wurde er gefunden?«

    »Eins unserer Dezernate hat einen Hundekampfring hochgenommen. Dabei haben sie seine Leiche gefunden und die Nefesh-Mordkommission informiert.«

    Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte Yevgeny wimmernd und vollkommen fertig auf dem Boden gelegen, weil er davon überzeugt gewesen war, von einem Haufen Ameisen überrannt zu werden. Diese Illusion war meinem Komplizen an dem Abend zu verdanken gewesen. Offensichtlich hatte Yevgeny sein Trauma weit genug überwunden, um wieder ein produktives Mitglied der kriminellen Untergrundgesellschaft zu sein.

    »Yevgeny hat Magie?«, fragte ich mit dem richtigen Maß an Neugier in der Stimme. »Hat House Pacifica was damit zu tun?«

    »Nein. Er ist bei House Ontario registriert und war nur hier, um seine Schwester zu besuchen. Sie ist als nächste Angehörige bereits informiert worden.«

    Was für ein Unsinn. Selbst wenn das mit der Schwester stimmte, hatte ich im Zuge meiner Ermittlungen doch schon rausgefunden, dass er hier in Vancouver für Chariot gearbeitet hatte – indem er Teenager in prekären Lebensverhältnissen entführte, um ihnen ihre Magie zu stehlen. Diese war anschließend bei einer Auktion versteigert worden, wo er als Wachmann fungiert hatte.

    »Sind wir dann fertig?«, wollte ich wissen.

    Da ich nichts weiter zu ihrem Fall beizutragen hatte, entließ Margery mich seufzend, nicht jedoch ohne mich vorher anzuweisen, keine Schwierigkeiten zu machen, bis sie im Herbst Urlaub hatte.

    »Ich bringe doch Freude in Ihr Leben!«, rief ich ihr noch im Gehen zu.

    Ich eilte zu meinem Auto Moriarty zurück und loggte mich von dort aus in die Datenbank von House Pacifica ein. Sieh mal einer an, Yevgeny hatte tatsächlich eine Schwester. Tatiana Petrov, eine Bannweberin mit Magielevel fünf. Shit. So viele Leute mit Level fünf gab es nicht, egal bei welcher Magieform. Wie hoch war wohl die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Bannweberin gewesen war, die mit den Schutzzaubern des Hauptquartiers von House Pacifica beauftragt worden war, nur um später den Zauber aufzulösen und so einem deutschen Chariot-Attentäter Zutritt und damit die Möglichkeit zu verschaffen, einen potenziellen Zeugen umzubringen?

    Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.

    Ihre Adresse zu ermitteln, war dank meiner exzellenten Schnüfflernase kein Problem. Leider half sie mir jedoch nicht beim Anlassen meines Autos. Der Kühlerschlauch hatte ein Leck. Also holte ich die notwendigen Utensilien aus der »Erzfeind«-Kiste im Kofferraum. Ausgestattet mit Gummihandschuhen und Sonnenbrille – Sicherheit ging schließlich vor, wenn man mit Kühlflüssigkeit hantierte – trocknete ich den Schlauch und dichtete das Loch sauber ab, indem ich ein paar Schichten Panzertape darumwickelte. Das gute alte Panzertape. Gab es irgendwas, was man damit nicht reparieren konnte? Zum Schluss füllte ich den Behälter wieder mit Kühlflüssigkeit auf. Bonuspunkte gab es dafür, dass ich das alles im strömenden Regen erledigte.

    Ich setzte mich mit klatschnassen Haaren wieder hinters Steuer. »Ich habe jetzt echt keine Zeit, dich in die Werkstatt zu bringen und den Schlauch austauschen zu lassen, also wirst du dich damit zufriedengeben, dass ich meinen inneren MacGyver für dich ausgepackt habe, und anständig funktionieren, sonst geht’s direkt auf den Schrottplatz. Haben wir uns verstanden, Auto?«

    Was für ein herrlicher Start in den Tag. Ich drehte die Heizung auf und fuhr zu Tatianas Haus, das sich außerhalb von Langley, etwa eine Stunde von Vancouver entfernt, befand. Ein kurzer Zwischenstopp führte mich in einen Starbucks-Drive-in, wo ich mir einen dringend benötigten Mocha Latte mit extra Sahne und einen Chicken-Wrap gönnte, die ich beide lange verputzt hatte, bevor ich mein Ziel erreichte.

    Ich parkte am Straßenrand neben der Einfahrt eines Nachbarn und schlich eine Runde um Tatianas großzügiges Grundstück – wie man das als Privatdetektivin eben so machte. Außer dem Haus im Ranch-Stil mit seinen beeindruckenden Ahornbäumen im Vorgarten gab es keine Gebäude. Auf einem Streifen totem Gras neben dem Schotterweg, der als Einfahrt diente, stand ein SUV mit kaltem Motor. Im näheren Umkreis gab es nichts, was für irgendwen von Interesse hätte sein können, und da gewöhnlich nur Briten und Masochisten freiwillig im Regen im Wald spazieren gingen, war Tatiana wohl zu Hause – sofern sie keinen Zweitwagen besaß.

    Das Haus war weit genug von der Landstraße zurückgesetzt, dass man hier nur den Wind in den Bäumen hörte. Und das Quietschen der Hintertür. Ich blieb unterhalb der Fenster und huschte gerade noch rechtzeitig um eine Hausecke, um ein Auto mit matschverschmierten Nummernschildern zu sehen, das mit durchdrehenden Reifen davonraste. Es handelte sich nicht um den SUV, und die Person hinter dem Steuer trug eine Baseballmütze, unter deren Schirm ich sein oder ihr Gesicht nicht erkennen konnte.

    Alle Sherlock-Sinne auf »Hab Acht«, stieg ich die Treppe zur hinteren Veranda hoch und manifestierte mithilfe meiner Blutmagie einen scharfen roten Dolch in einer Hand. Ausgerüstet mit der Ausrede, dass mein Auto nicht mehr ansprang und überbrückt werden musste, klopfte ich an die Küchentür, doch niemand antwortete. Durch die Scheibe entdeckte ich keine Anzeichen eines Kampfs, aber Tatianas Bruder war tot, und der Besuch hatte es gerade verdächtig eilig gehabt, zu verschwinden.

    Ein paar Minuten später kehrte ich zur Küchentür zurück. Noch im Gehen streifte ich mir die dünnen Handschuhe über, die ich schnell aus dem Auto geholt hatte. Meine Haare schob ich sorgfältig unter die Strickmütze, bevor ich die Fingerspitzen auf den Türrahmen legte. Keine Magie.

    Ich runzelte die Stirn. Schutzzauber waren in Privathäusern nicht so üblich wie in öffentlichen Gebäuden, aber Tatiana war eine Bannweberin mit hohem Level. Außerdem hatte zumindest ihr Bruder, der vor seinem Tod bei ihr untergekommen war, mit ein paar echt gefährlichen Leuten zu tun gehabt. Wenigstens ein Schutzzauber, der feindselige Absichten erkannte und potenzielle Angreifer festsetzte, sollte vorhanden sein. Durch ihn wurden sie an Ort und Stelle gehalten und ihre Magie neutralisiert, wenn sie denn welche besaßen.

    Da sich Schutzzauber nicht automatisch beim Tod ihres Webers abschalteten, verpackte ein aktiver Bann die Besucher hübsch als Geschenk für die Cops.

    Vorsichtig drehte ich den Knauf und fand die Tür unverschlossen vor. Keine Sirene ging los, als ich sie öffnete, und da es drinnen nirgendwo ein Keypad gab, erschien mir ein stiller Alarm unwahrscheinlich. Das alles würde auch Sinn ergeben, wenn sich Tatiana auf einen Schutzzauber verlassen hätte, aber dem war offensichtlich nicht so. Mir waren schon einige vertrauensselige Menschen begegnet, doch normalerweise waren das nicht welche mit potenziell gefährlicher Magie, die so stark war, dass sie die Leute in den Wahnsinn trieb. Vielleicht war Tatiana davon ausgegangen, dass in dieser ländlichen Umgebung niemand außer harmlosen Nachbarn vor ihrer Tür stehen würde.

    Irgendwie bezweifelte ich das. Wenn die Person im Auto ein unschuldiger Besucher gewesen war, warum war sie dann so davongerast?

    »Hallo?«, rief ich laut. Als ich keine Antwort bekam, schlüpfte ich aus meinen Motorradstiefeln und ließ sie draußen auf dem Fußabtreter stehen, damit ich keine Spuren hinterließ. Auf Zehenspitzen schlich ich mich ins Haus und schaute mich um, ob ich irgendetwas Auffälliges entdeckte.

    Langsam arbeitete ich mich in den Flur vor, blieb dann aber mit einem erschrockenen Keuchen stehen. Tatiana Petrov lag mit dem Gesicht nach unten und mit verrenkten Gliedmaßen in einer Lache aus gerinnendem Blut, das vermutlich aus dem Loch in ihrem Hinterkopf stammte. Wahrscheinlich war sie sofort tot gewesen, ein kleiner Trost.

    Hatte sie gewusst, was geschehen würde, oder war sie überrascht worden? Die brutale Szene vor mir lieferte darauf keine Antworten, doch mein Verstand kehrte immer wieder zur Frage nach dem Schusswinkel zurück und zu dem Bild einer Frau, die lächelnd einen Gast begrüßte und dann für eine Sekunde erstarrte, als sie merkte, was ihr bevorstand.

    Ich schnappte nach Luft und griff mir an den Brustkorb, während ich mich vornüberbeugte. Plötzlich war ich unendlich dankbar für den Abstecher zu Starbucks und die Zeit, die ich so gewonnen hatte. Mein Beruf brachte so einiges mit sich, aber die sehr reale Vorstellung, dass ich beinahe Zeugin eines Mordes geworden wäre, verursachte mir ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Gehörte die davonfahrende Person zu Chariot, oder stand sie irgendwie mit ihnen in Verbindung? War das ein Vorgeschmack auf mein eigenes Schicksal?

    Am ganzen Körper zitternd stopfte ich meine chaotischen Emotionen in eine Box, die ich tief in mir vergrub. Ich musste die Situation mit kühlem Kopf beurteilen. Am klügsten wäre es wohl, einen anonymen Anruf bei der Nefesh-Polizei zu machen und das Verbrechen zu melden. Wenn allerdings tatsächlich Chariot dahintersteckte, bot sich mir hier eine absolut einmalige Gelegenheit. Als Jezebel musste ich jeden Vorteil gegenüber meinen Gegnern ausnutzen, den ich bekam.

    Also rief ich Miles Berenbaum an, den Sicherheitschef von House Pacifica.

    »Was?«, meldete er sich knurrend. Der alte Brummbär musste dringend seine Anrufetikette verbessern, zumal wir noch eine verdammt lange Zeit miteinander arbeiten mussten.

    »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Ich weiß zu neunundneunzig Prozent, wie der deutsche Attentäter an den Schutzzaubern vorbeigekommen ist, um Yitzak zu töten.« Ich kaute am Daumennagel. Wie oft würden Menschen meine Antworten noch mit dem Leben bezahlen müssen?

    Die Vorschriften verboten, dass ich die Leiche anfasste, aber aus irgendeinem Grund wollte ich mir unbedingt Tatianas Gesicht ansehen. Warum? Das war nicht meine erste Tote. Und doch war es etwas anderes. Wie Yitzaks leerer Blick erinnerte mich auch Tatiana an das, was auf mich wartete, wenn ich nicht auf der Hut blieb.

    »Und was ist die schlechte?«, fragte Miles.

    »Ihr braucht eine neue Bannweberin, wenn ihr in Zukunft Schutzzauber installieren lassen wollt.«

    Der folgende Wortschwall enthielt ziemlich viele »fuck«, was ich durchaus nachvollziehen konnte.

    »Wo bist du?«, wollte er wissen.

    Ich nannte ihm die Adresse.

    »Und wo ist die Leiche?«

    »Im Hausflur.«

    Miles gab einen widerwilligen Laut von sich. »Du bist eingebrochen?«

    »Nein.« Die Wahrheit war so befreiend. Und genauso befreiend war es, wenn man Dinge unter den Tisch fallen lassen konnte.

    »Hmhm. Warum musst du mir eigentlich immer den Tag versauen?«

    Ich durchsuchte die Küche methodisch nach Beweisen, die Tatiana oder ihren Bruder mit Chariot in Verbindung brachten. »Sieh es einfach als Erweiterung deines Horizonts.«

    »Verschwinde da und melde es.«

    »Gib mir eine Stunde.«

    »Das ist ein Tatort«, fuhr Miles mich grollend an. »Du wirst ihn kontaminieren.«

    »Du weißt schon, mit wem du hier redest, oder? Handschuhe an, Haare bedecken, Schuhe ausziehen, die Leiche nicht anfassen. Keine Griffe oder Türknäufe berühren, damit keine Fingerabdrücke verwischt werden.« In der Küche fand ich nichts außer den zu erwartenden Kochutensilien. Selbst in dem altmodischen Adressbuch in der Kramschublade stand nichts. Ich schloss die Schublade wieder. »In der Nefesh-Polizei gibt es vielleicht Chariot-Spione, und wenn die herkommen und irgendwas Wichtiges vor uns in die Finger kriegen, landet das mit Sicherheit nicht in der Asservatenkammer.«

    »Wenn es Chariot war, werden sie das Haus wohl schon durchsucht haben.«

    »Keine Ahnung, die schienen es ziemlich eilig zu haben.« Mir rann ein Schauder über den Rücken.

    »Du hast den Mörder gesehen?« Miles klang, als würde er mich am liebsten durchs Telefon erwürgen. »Bist du bemerkt worden?«

    »Nein.« Da war ich mir sicher, aber für meinen Geschmack war es ein bisschen zu knapp gewesen. »Ich konnte die Person auch nicht identifizieren. Die Nummernschilder waren dreckig, und wer immer auch am Steuer saß, hatte eine Baseballkappe auf, die ich nur ganz kurz von hinten gesehen habe.«

    »Levi wird ausflippen.«

    »Dann liefere ihm halt einen Bericht, bei dem er das nicht tut«, entgegnete ich giftig. Als wäre das meine Schuld. Chariot war auf der Suche nach Unsterblichkeit, sie hielten sich an keinerlei Spielregeln, und sie hielten sich nie zurück. Deswegen durfte ich das auch nicht tun.

    »Wenn es keine Verbindung zwischen Chariot und Tatianas Bruder geben würde, der vorgestern umgebracht worden ist, wäre ich überhaupt nicht hergekommen.« Ich durchsuchte den Gefrierschrank, der meine letzte Hoffnung auf etwas Nützliches war, aber auch hier Fehlanzeige. In der Küche war tatsächlich nichts. »Meine Jezebel-Pflichten haben hier Priorität. Ich habe das Erbe angetreten und kann nicht einfach abhauen, wenn es haarig wird. Ich schaue mir noch den Rest des Hauses an.« Damit legte ich auf und ignorierte für die nächsten zehn Minuten das anhaltende Vibrieren in meiner hinteren Hosentasche.

    Tatiana war eine interessante Frau. Sie besaß keinen Fernseher, dafür aber einen CD-Turm voller klassischer Musik. Neben ihrer magischen Begabung fürs Weben betrieb sie offenbar hobbymäßig auch die physische Variante, von der ein großer Webstuhl mit einem unfertigen Wandbehang zeugte, der prominent im Wohnzimmer stand. Überall in ihrem Haus war Kunst zu finden, aber es gab keinerlei Hinweise auf eine religiöse Überzeugung. Was also hatte sie zu Chariot gebracht? War auch ihr Unsterblichkeit versprochen worden, oder lief es einfach auf Geld hinaus? Und warum zum Teufel gab es keinen einzigen verdammten Schutzzauber?

    Ihr Laptop lag auf dem Couchtisch und war nicht passwortgeschützt, brachte aber auch keine neuen Erkenntnisse außer den Buchhaltungsunterlagen zu ihren Bannweber-Aufträgen und E-Mails von Kunden.

    Ein Handy mit dem Daumen einer toten Frau zu entsperren, war nicht gerade meine Sternstunde, aber ich hielt mein Versprechen an Miles und schaffte es, ohne die Leiche zu bewegen. Rasch transferierte ich ihre Kontaktliste auf mein Smartphone, um sie später durchsehen zu können. Immerhin etwas. Die Textnachrichten bestanden größtenteils aus Verabredungen mit ihren Freunden. Anschließend legte ich das Handy wieder dorthin, wo ich es gefunden hatte.

    Miles musste über so ziemlich jede rote Ampel gefahren sein, weil er nach gerade mal vierzig Minuten eintraf. Zusammen mit meinem Freund, Kampfsporttrainer und neuen Nachbarn Arkady Choi stieg er aus einem Pick-up. Ich kam ihnen an der Hintertür entgegen.

    Arkady arbeitete nicht nur bei verdeckten Operationen für House Pacifica, er war auch Mitglied der Nefesh Mixed Martial Arts League und ein Adrenalin-Junkie. Die rasante Fahrt hierher hätte eigentlich voll sein Ding sein müssen, doch sein Gesichtsausdruck war finster.

    »Was ist los?«, fragte ich.

    »Schnell, ohne Rücksicht auf Verluste und mit Bleifuß gefahren. Wäre es denn wirklich zu viel verlangt gewesen, wenn er unterwegs irgendwo kurz angehalten hätte, damit ich mir einen Kaffee holen kann?« In Arkadys dunklen Augen blitzte etwas auf. »Oder dass er sich mit mir unterhält?«

    »Es war eine Fahrt, um von A nach B zu kommen.« Miles, dieser Berg von einem Mann mit Muskeln über Muskeln, streifte sich die schwarzen Schuhe von den Füßen und ließ sie neben meinen auf der Matte stehen. »Das wusstest du, bevor du ins Auto gestiegen bist.«

    »Zum Ziel zu kommen, kann doch aber auch Spaß machen«, erwiderte Arkady.

    »So schlimm, ja?«, warf ich ein. Ich konnte es kaum erwarten, Priya brühwarm zu erzählen, dass die beiden definitiv miteinander geschlafen hatten.

    Sie wandten sich überrascht zu mir um, als hätten sie vergessen, dass ich neben ihnen stand.

    Arkady schlug sich theatralisch einen Arm vor die Stirn. »Mein Leben ist an mir vorbeigezogen.«

    »Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie gut war das, was du da gesehen hast?«, wollte ich wissen.

    »Ich bitte dich, Pickle.« Er schlüpfte ebenfalls aus seinen Schuhen. »Es war eine Elf.«

    »Hast du was Interessantes gefunden?«, erkundigte sich Miles.

    »Noch nicht. Es fehlen noch das Bad, zwei Schlafzimmer und ein Raum, der wahrscheinlich ihr Büro ist, aber der ist abgeschlossen.«

    Wir schauten uns grinsend an – als ob das ein Problem darstellen würde. Miles holte Latexhandschuhe und Papierhäubchen wie für Küchenmitarbeiter aus seiner Tasche und stattete sich und Arkady damit aus. Bei Miles war das ziemlich übertrieben, da er seine blonden Haare raspelkurz trug, aber seine Liebe zum Detail passte zu ihm als Sicherheitschef.

    Arkady erschauderte dramatisch, als er sich das Häubchen über seine schwarzen, kinnlangen Haare streifte.

    »Du wirst es überleben«, meinte ich.

    »Das ist eine Modesünde.« Dann hellte sich sein Gesichtsausdruck jedoch auf. »Aber wenigstens lenkt es nicht von meinem fantastischen Aussehen ab.« Damit hatte er nicht unrecht. Der Kerl hatte unglaubliche Wangenknochen, einen Schmollmund und wirkte auch sonst wie ein heißes Supermodel.

    Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Das ist die richtige Einstellung. Denk positiv.«

    Wir betraten die Küche, und ich führte die beiden zu unserem Opfer. Mit einer ausladenden Geste wies ich auf die Leiche. »Darf ich vorstellen, Tatiana Petrov.«

    »Woher willst du wissen, dass sie es ist?« Arkady umrundete den Körper. »Man sieht ihr Gesicht nicht. Wenn sie überhaupt noch ein Gesicht hat.«

    Ich deutete auf die breite weiße Strähne in ihrem dunklen Haar. »Sie ist bei House Pacifica registriert, und in der Datenbank gibt es ein Foto von ihr. Ihr Bruder hatte ein violettes Muttermal unter dem Auge. Diese weiße Strähne ist ihr Muttermal.«

    »Ich hatte schon mit ihr zu tun«, sagte Miles leise. »Sie hat Levi durch sein Blut mit den Schutzzaubern von House Pacifica verbunden, als er die Leitung übernommen hat. Ich hätte sie nie verdächtigt.« Seine Kiefermuskeln spannten sich an.

    Arkady hob die Hand, als wollte er ihm über den Rücken streichen, steckte sie dann jedoch in seine Hosentasche.

    »Mach dir keine Vorwürfe«, entgegnete ich. »Wir konnten alle nicht wissen, wie weit Chariots Einfluss reicht.«

    Genau genommen wussten wir das immer noch nicht. Ja, wir hatten inzwischen eine Ahnung davon, wie sie operierten, aber wir kannten weder einzelne Mitglieder der Organisation noch ihre exakte Reichweite. Bislang war Tatiana eine der führenden Magierinnen auf ihrem Gebiet gewesen und hatte außerdem einen tadellosen Ruf genossen. Damit konnte buchstäblich jeder zu ihnen gehören. Wie sollte ich mich und meine Freunde schützen, wenn ich nicht mal wusste, worauf ich achten musste?

    »Erzähl mir was über ihren Bruder«, forderte Miles mich auf.

    »Yevgeny Petrov.« Ich berichtete ihnen alles, was ich über ihn wusste, von meinem ersten Aufeinandertreffen mit dem Muttermal-Kerl bis hin zu meinem Besuch bei Sergeant Tremblay. Als ich fertig war, betrachtete ich noch einmal stirnrunzelnd die Leiche.

    »Was ist denn?«, fragte Miles.

    »Mir will nicht in den Kopf, warum es hier keine Schutzzauber gibt«, sagte ich. »Wer auch immer sie erschossen hat, ist hier einfach reinspaziert und hat sie offenbar erwischt, als sie entweder aus einem der Schlafzimmer oder dem Büro gekommen ist. Sie ist eine Bannweberin. Ihr Bruder hat für Chariot gearbeitet und sie vermutlich auch. Hat sie ihnen wirklich so bedingungslos vertraut?«

    »Nicht jeder ist so paranoid wie du«, warf Arkady ein.

    »Wenn man für derart üble Leute arbeitet, wäre das nur gesunder Menschenverstand«, entgegnete ich. »Bösewichte sind nicht gerade für ihre unerschütterliche Loyalität bekannt.«

    »Du arbeitest auch für Bösewichte«, gab Miles zu bedenken. »Aus ihrer Perspektive. Hey, eigentlich bist du sogar der Oberbösewicht. Trotzdem hast du dir ein Team zusammengestellt. Woher willst du wissen, dass dir keiner von denen ein Messer in den Rücken rammt?«

    »Als wenn ich ein Messer bräuchte.« Arkady rümpfte die Nase.

    »Könntest du ein Mal keinen Witz reißen? Nur ein einziges Mal?«

    Arkady verdrehte die Augen. »Oh, stimmt ja. Das elfte Gebot nach Berenbaum. Du sollst nicht auflockern die Stimmung, dersonst der Zweifel gesät werde, dass du nicht ernst genug nehmest deinen Dienst.«

    Am Anfang war ihr Geplänkel ja noch ganz amüsant gewesen, weil es mir einen interessanten Einblick in die Dynamik zwischen ihnen gewährte. Aber jetzt nicht mehr. »Zurück zu Chariot.«

    »Chariot ist genauso felsenfest davon überzeugt, dass sie das Richtige tun, wie du«, erklärte Miles. »Wenn du das auch nur für einen winzigen Augenblick vergisst, werden wir als Nächstes deine Leiche finden.«

    »Oh bitte. Mansplaine gerne die Gefahren meiner Berufung für mich. Ich bleibe trotzdem dabei: Tatiana hätte besser aufpassen müssen. Ihr Bruder Yevgeny wurde ermordet. Sie hätte besonders vorsichtig sein sollen.«

    »Dann finden wir doch mal heraus, warum sie es nicht war«, erwiderte Arkady.

    Nach einer halbherzigen Durchsuchung des Bads machten Miles und Arkady im Gästezimmer weiter, in dem Yevgeny geschlafen hatte, während ich Tatianas Schlafzimmer übernahm.

    »Nichts zu finden!«, rief ich den beiden zu. Im nächsten Moment ertönte ein ohrenbetäubender Knall.

    Ich rannte ins Gästezimmer, wo Arkady halb im Schrank stand und die Tür eines Safes mit kräftigen Schwingern seiner Steinfäuste bearbeitete. In weiser Voraussicht blieb ich hinter Miles, der einen praktischen Schild abgab, bis die Tür schließlich nachgab und Arkady Zugriff auf den Inhalt des Safes bekam.

    »Und du hattest Angst, dass ich den Tatort kontaminiere?« Ich verpasste Miles einen kräftigen Schubs.

    Er setzte sich in Bewegung, als das metallene Keypad des Safes zu Boden fiel. »Die Leute von der Mordkommission werden es entweder für einen Raub oder für einen vorgetäuschten Raub halten.«

    »Darum geht es doch gar nicht. Ich bin gut ausgebildet und professionell, und das hier … ist es nicht. Gib wenigstens zu, dass ich recht damit hatte, das Haus zu durchsuchen.«

    »Kommt drauf an, was wir finden.« Alter, dieser Kerl weigerte sich echt dermaßen, mir auch nur einen Millimeter entgegenzukommen.

    Arkadys magische Fäuste wurden wieder normal. Er griff in den Safe und holte eine Kamera heraus. »Yevgeny, du kleiner Perversling«, meinte er beim Durchsehen der Bilder.

    Miles und ich traten zu ihm, um ebenfalls aufs Display zu schauen, und ich holte überrascht Luft. Das waren Bilder von meiner Jezebel-Vorgängerin Gavriella Behar und ihrem ehemaligen Arbeitsplatz, der Star Lounge, samt Positionen der Sicherheitskameras und der Hintertür. Sie waren aus verschiedenen Blickwinkeln vom Parkplatz aus aufgenommen worden.

    »Gavriella wurde auf der Arbeit entführt.« Das hatte ich schon vermutet, aber es war trotzdem immer gut, Beweise zu haben. »Yevgeny hat sie verfolgt und den Club ausgekundschaftet, um den besten Zeitpunkt abzupassen, zu dem er sie sich schnappen konnte, ohne dabei gesehen zu werden.«

    Arkady reichte die Kamera an Miles weiter und beugte sich in den Safe. »Da drin sind noch ein paar andere Sachen.«

    Das Android-Smartphone, das er als Nächstes zutage förderte, war passwortgeschützt, also würde ich es Priya Khatri geben, ihres Zeichens meine beste Freundin, Teilzeitkraft und ein Hackergenie. Außerdem gab es noch eine flache Schließkassette. Der Deckel war aufgebrochen worden, und in den Scharnieren hatte sich Staub gesammelt.

    Ich fuhr mit einem Finger darüber und zerrieb den Staub ein wenig. »Holz. Ein Bodentresor?«

    In der Kassette lagen ein paar Fotos, aber ich brauchte einen Moment, um das Mädchen darauf zu erkennen. »Das ist auch Gavriella.« Alles, von der Kindheit bis zur Zeit als junge Erwachsene, war auf Aberdutzenden von Bildern festgehalten worden. »Dem aufgebrochenen Deckel, dem Inhalt und der Tatsache nach zu schließen, dass Gavriella gerne Sachen versteckt hat, könnte die Box aus ihrer Wohnung stammen.«

    »Hatte Gavriella einen Schutzzauber an ihrer Tür?«, wollte Miles wissen.

    »Ja, und der war noch aktiv, als Levi und ich dort waren«, antwortete ich. »Oh, fuck. Level-fünf-Bannweberin. Wenn jemand den außer Kraft setzen und wieder neu hätte aufbauen können, dann Tatiana. Sie müssen Gavriellas Apartment durchsucht haben, nachdem sie sie entführt haben. Was wollten sie wohl finden?«

    »Glaubst du, dass das ihr Telefon ist?«, fragte Arkady.

    »Möglich. Levi und ich konnten es bei ihr zu Hause nicht finden.« Rasch sah ich die restlichen Fotos durch, bis ich auf etwas Hartes ganz unten in der Kassette stieß. Ein Buch mit rotbraunem Einband. Oder genauer: eine Ausgabe von Eine Studie in Scharlachrot von Sir Arthur Conan Doyle – dem ersten Roman über meinen geliebten Sherlock Holmes.

    »Pluspunkte für ihren guten Literaturgeschmack, aber warum hat sie dieses hübsche Ding mit eingeschlossen?« Ich klappte den Umschlag auf und zog die Brauen zusammen. »Was ist das?«

    Unter dem Schmutztitel auf der ersten Seite hatte jemand etwas in Druckbuchstaben notiert – perfekt, wenn man sich nicht durch seine Handschrift verraten wollte.

    In der ersten Zeile stand eine »3«.

    In der zweiten Zeile eine »1«.

    Und dann in der dritten wieder eine »1«, zusammen mit einem Fragezeichen.

    Darunter stand: »Donnerstag. Steam Clock. 20 Uhr.«

    »Mit der Steam Clock könnte die dampfbetriebene Uhr in Gastown gemeint sein.« Ich blätterte die Seiten durch, doch es gab keine Hinweise auf das Alter der Nachricht, und auch sonst fiel mir nichts weiter ins Auge. Zumindest nicht, bis ich bei der letzten Seite ankam.

    Die beiden Männer spähten mir über die Schulter und betrachteten die krakelige Zeichnung einer riesigen Sonnenblume.

    Miles gab einen angewiderten Laut von sich. »Kinder, die in Büchern herumkritzeln. Kleine Scheißer.«

    »Löwenzahn«, murmelte ich.

    »Falsch. Das ist eine Sonnenblume«, korrigierte er mich.

    Ich fuhr mit einem Finger über die Blume, als könnte sie mir Wärme spenden. »Die Farbe des Buntstifts hier bei den Blütenblättern. Löwenzahn-Gelb. Meine Lieblingsfarbe.«

    Sie war fröhlich, wie mein Zuhause. Talia hatte darüber gewitzelt, dass ich eine »monochrome Phase« hätte, die ihr viel besser gefiel als die Klugscheißerphase meiner gleichaltrigen sechsjährigen Freunde. Dad hatte mein künstlerisches Talent gelobt, und unser Kühlschrank war über und über mit meinen Bildern bedeckt gewesen.

    »Das verstehe ich nicht«, sagte Arkady.

    »Dieses Buch hat meinem Vater gehört.« Ein Summen erfüllte meine Ohren, und ich hatte das Gefühl, als würde sich die Welt um mich drehen, eine Welt, die nur aus Glassplittern bestand, die mich bei lebendigem Leib zerfetzten.

    »Bist du dir sicher?«, fragte Miles. »Viele Kinder malen Blumen.«

    Ich tippte auf das lachende Gesicht in der Mitte der Sonnenblume. Statt einer Nase war da ein kleines »A«. »Ganz sicher.«

    Langsam holte ich tief Luft. Ich war nicht mehr das Kind, das hilflos den Handlungen der Menschen in seinem Leben ausgesetzt war.

    »Pickle …« Arkady musterte mich besorgt. »Dir läuft Blut über die Haut.«

    Feuer kroch durch meine Adern und meine Wirbelsäule hinauf. Ich fachte es zornig noch weiter an, bis es hinter meinen Augen aufflammte und alles zu verschlingen drohte. Mir fiel der berühmte Satz von Sherlock Holmes wieder ein: »Wenn du das Unmögliche ausgeschlossen hast, dann ist das, was übrig bleibt, die Wahrheit, wie unwahrscheinlich sie auch ist.«

    Und das hier war meine: Mein Vater hatte mir die Magie geraubt. Dann hatte er mit einer codierten Nachricht Kontakt zu einer Jezebel aufgenommen, was ihn noch tiefer in das Rätsel verstrickte, als ich mir je hätte träumen lassen. Hatte er etwa die ganze Zeit über gewusst, was ich war? War dieses Buch Teil eines groß angelegten Betrugs? War ich Teil davon?

    »Hey, tief durchatmen.« Miles machte es langsam und gleichmäßig vor, bis ich im gleichen Rhythmus mitmachte. »Was hast

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