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Liebesglück und Winterzauber: Romantische Komödie
Liebesglück und Winterzauber: Romantische Komödie
Liebesglück und Winterzauber: Romantische Komödie
eBook324 Seiten4 Stunden

Liebesglück und Winterzauber: Romantische Komödie

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Über dieses E-Book

Bezaubernde Irland-Romanze, die zum Träumen einlädt und das Leserherz nicht nur an kalten Wintertagen erwärmt!

Harper braucht keinen Mann an ihrer Seite – denn sie hat Shane, mit dem sie schon seit der Schulzeit befreundet ist. Besonders begehrt ist sie sowieso nicht, da die meisten Männer zu ihr aufschauen müssen. Als Frau ist sie mit ihren eins achtundachtzig viel zu groß. Damit ihre Mom nicht länger fürchten muss, Harper würde ewig Single bleiben, bittet sie Shane, über die Weihnachtsfeiertage ihren Verlobten zu mimen. Das allein wäre für ihn ein Kinderspiel. Aber eine Reise in seine Heimatstadt bedeutet, dass er sich seiner Vergangenheit stellen muss. War Harper immer die Größte in der Klasse, so war Shane der Schwerste. Der pummelige Junge von damals lässt heute Frauenherzen höherschlagen. Aber die Richtige findet er trotzdem nicht!

Ob die gemeinsame Reise im Herzen beider Gefühle entfachen kann, die dort schon lange schlummern?

 

Bei dem vorliegenden Roman handelt es sich um Teil vier der Erfolgsreihe »Liebesglück in Irland«. Die einzelnen Bände sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

 

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum10. Okt. 2022
ISBN9783755423034
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    Buchvorschau

    Liebesglück und Winterzauber - Amelie Winter

    1

    Harper rieb sich die verklebten Augen, während das Handy auf ihrem Nachttisch unaufhörlich bimmelte. Träge griff sie danach. Ihre Mom war dran. Es war neun Uhr morgens, was bedeutete, Harper hatte verschlafen. Zudem war ihr übel. Gestern Abend hatte sie es auf der Weihnachtsfeier mit dem Brandy eindeutig übertrieben, aber sie hatte Spaß gehabt. Shane war auch gekommen, vermutlich nur, um sie abzufüllen.

    ›Noch ein Drink, Happy?‹, sagte er dann immer. Wenn Harper betrunken war, kicherte sie unaufhörlich. Früher hatte er sie ›Harpy‹ genannt, irgendwann war ›Happy‹ daraus geworden. Der Spitzname passte nicht zu ihr, aber Shane sah das anders.

    Wie war sie überhaupt nach Hause gekommen?

    »Mom?«, nuschelte sie müde ins Telefon. Ihre Mutter rief sie mindestens einmal wöchentlich an, aber meist am Samstag, und dann telefonierten sie lange miteinander. Heute hingegen war Freitag – und morgen war Heiligabend.

    »Wann fährst du los?«, fiel ihre Mutter mit der Tür ins Haus. Harper richtete sich im Bett auf und kämmte mit den Fingern durch ihr glattes rotblondes Haar, das sie bis zur Schulter trug. Sie gähnte ungeniert und blinzelte ein paarmal. Leider war sie noch nicht richtig wach.

    »Du willst doch nicht absagen!«, donnerte ihre Mutter.

    »Nein«, versicherte ihr Harper sofort. »Ich habe dir doch versprochen, dass ich dieses Jahr an Weihnachten nach Hause komme!« Sie massierte mit den Händen ihre Wangen. Gestern hatte sie wirklich zu viel gekichert. Hatte sie sich blamiert? Nein, bestimmt nicht, denn Shane war doch da gewesen. Er passte immer auf sie auf, oder nicht? Dummerweise machte es ihm großen Spaß, sie in Verlegenheit zu bringen. Was hatte sie gestern nur angestellt? Wenn sie sich zum Affen gemacht hatte, dann war Shane sicherlich zur Stelle gewesen, um ein Video davon aufzunehmen und die Peinlichkeit für die Nachwelt festzuhalten. Das sah ihm ähnlich!

    »Das hast du mir letztes Jahr auch versprochen«, schimpfte ihre Mom. Harper guckte grimmig. Sie hatte keine Lust auf ein Familientreffen. In den letzten zwei Jahren hatte sie immer eine Ausrede parat gehabt: dass ihr die Arbeit über den Kopf wuchs; oder dass sie mit jemandem zusammen war und deswegen Weihnachten bei seiner Familie verbrachte. Natürlich hatte ihre Mom den ominösen Mann unbedingt kennenlernen wollen, und Harper hatte sich in einem Netz aus Lügen verfangen, aus dem sie sich nur schwer hatte befreien können. Aber dieses Jahr konnte sie sich nicht vor dem Familientreffen drücken. Nicht schon wieder!

    »Bringst du jemanden mit?«, wollte ihre Mom wissen. Harper hatte sich bereits gewundert, dass ihre Mutter diese obligatorische Frage nicht früher gestellt hatte. »Oder kommst du wieder allein?«, ergänzte sie vorwurfsvoll. Harper liebte Weihnachten – aber sie konnte ihre Familie nicht leiden. Ihre Mutter war nämlich großartig darin, ihr das Gefühl zu geben, sie hätte im Leben versagt, weil sie mit fünfunddreißig Jahren noch Single war. Harper hatte zwei Schwestern und einen Bruder. Alle drei waren glücklich liiert. Ihre Nichten und Neffen würde sie bald nicht mehr an einer Hand abzählen können, da die Freundin ihres Bruders jetzt auch schwanger war – mit Zwillingen! Die O’Sullivans waren Familienmenschen. Nur Harper nicht.

    »Ich … bringe jemanden mit«, log sie emotionslos, um es sich zu ersparen, dass ihre Mom sie zum gefühlten tausendsten Mal in diesem mitleidigen und gleichzeitig strengen Ton darauf hinwies, dass ihre biologische Uhr tickte. Auf ein solches Gespräch konnte sich Harper erst einlassen, nachdem sie eine Tasse Kaffee getrunken hatte.

    Resigniert hockte sie in ihrem rosaroten Pyjama auf dem Bett, rieb die nackten Zehen aneinander und fühlte sich wie ein Kind, das etwas ausgefressen hatte.

    »Du bringst jemanden mit?« Ihre Mom klang euphorisch. »Hast du dich mit Brian versöhnt? Warum erfahre ich erst jetzt davon?«

    »Weil du immer so eine große Sache daraus machst, wenn ich mit jemandem zusammen bin!« – Und wieder passierte es! Harper war gerade dabei, eine Lüge nach der anderen zu erzählen. Sie hatte nämlich keinen Freund, da sie sich nichts aus Beziehungen machte. Sie war glücklich, unabhängig – und bestimmt nicht auf der Suche nach jemandem, der ihr Leben verkomplizierte.

    Gemeinsam mit Shane hatte sie vor acht Jahren ein E-Commerce-Business aufgebaut, das ihren Namen trug. Harper’s hatte als winziger Online-Geschenkeladen gestartet, wo ausschließlich Selbstgebasteltes verkauft wurde: Schmuck, Handtaschen, Kleidung und Dekorationsstücke. ›Mit Liebe gemacht‹, war ihr Slogan. Der winzige Online-Handel hatte sich über die Jahre zu einer größeren Plattform gewandelt. Mittlerweile verkauften sie dort eine breite Palette an Produkten. Zu dieser Jahreszeit gab es vor allem Weihnachtsdekorationen und Geschenkideen zu erwerben.

    Harper war zufrieden mit ihrem Leben. Sie liebte ihren Job, hatte tolle Mitarbeiter, eine hübsche Wohnung – und sie hatte Shane.

    »Ich bin so gespannt, ihn kennenzulernen!«, rief ihre Mom.

    »Was …? Wen?« Harper stutzte.

    »Brian! Du hast doch eben gesagt, dass …!«

    »Ich bin nicht mit …« Harper hielt inne und seufzte tief. »Ich bin nicht wieder mit Brian zusammen.« Dieser Brian existierte gar nicht. Den hatte sie sich aus ihrem Lügenhut gezaubert!

    »Wen bringst du dann mit?«, wollte ihre Mom wissen.

    Harper kaute nervös an ihren Fingernägeln.

    »Ist eine Überraschung«, meinte sie. »Ich bin erst aufgestanden, Mom. Ich brauche jetzt einen Kaffee! Wir sehen uns morgen!«

    Sie legte einfach auf, bevor ihre Mutter sie mit weiteren Fragen löchern konnte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihre Mom dermaßen zu belügen? Und warum konnte sie es nicht lassen? Wenn sie mit ihrer Mutter sprach, sprudelten die Lügen unkontrolliert aus ihrem Mund. Sonst war Harper immer ehrlich! Shane hatte sie deswegen sogar mal gerügt. ›Du darfst nicht ständig sagen, was du dir denkst. Manchmal ist es besser, die Wahrheit zu verschweigen.‹ Dann hätte er diesem Gespräch mal lauschen sollen! Harper war die Lügenkönigin!

    Kopfschüttelnd stand sie vom Bett auf und schleppte sich in die Küche. Half Kaffee gegen den Kater? Zumindest half er gegen die Kopfschmerzen. Während sie ihre tägliche Koffeinration vorbereitete, überlegte sie fieberhaft, wie sie ihrer Mom plausibel erklären konnte, warum sie am Ende allein zu Hause erscheinen würde.

    Harper war in Clones aufgewachsen, einem kleinen Dorf an der Grenze zu Nordirland im County Monaghan. Der bekannte irische Poet Patrick Kavanagh hatte den Boden dort in einem seiner berühmten Gedichte als ›steingrau‹ beschrieben. Er hätte ›gefroren‹ hinzufügen sollen. Nirgends sonst in Irland dauerte es so lange, bis das Gras nach dem Winter zu wachsen begann. Sogar in Nordirland war das Klima milder, da das Gebiet näher an der Küste lag. Die Wetterstation in Clones meldete im Jahr durchschnittlich an achtzehn Tagen Schnee oder Schneeregen. Somit war Clones einer der kältesten und schneereichsten Orte auf der grünen Insel. Harper hatte es lieber warm. Leider fiel auch in Cork an mehreren Tagen im Jahr Schnee, und die Winter waren fast genauso kalt.

    Gähnend rieb sie sich den Nacken. Lügen war anstrengend. Sollte sie ihrer Mom erzählen, es hätte einen Notfall in der Familie ihres Fantasiefreundes gegeben? Aber dann würde ihre Mutter wissen wollen, um welchen Notfall es sich handelte. Ein medizinischer? Harper würde sie während der Feiertage immer auf dem Laufenden halten und so tun müssen, als würde sie mit ihrem Freund telefonieren. Nein, sie brauchte eine andere Lüge. Eine Lüge, die aufrechtzuerhalten weniger anstrengend war.

    Sie griff nach dem Handy und öffnete den Messenger.

    ›Wieder nüchtern?‹, hatte ihre Freundin Bridget geschrieben.

    Wie schlimm sich Harper gestern wohl aufgeführt hatte? Sie würde Shane fragen müssen. Der trank nämlich nie Alkohol. Shane war ein Gesundheitsfreak. Er achtete penibel darauf, was er seinem Körper zuführte und in welchen Mengen. Aber das war nicht immer so gewesen.

    Der Kaffee war fertig, und sie nippte an der Tasse. Erneut griff sie nach dem Handy und drückte auf die Eins. Sie hatte Shane auf der Kurzwahl. Er hasste Clones. Sie waren beide dort aufgewachsen und auf dieselbe Schule gegangen. Shane war immerzu gehänselt worden. Die anderen Kinder hatten ihn ›Fettklops‹ genannt – nicht ohne Grund! Seine Mom hatte die Schuluniform nach Maß für ihn schneidern lassen müssen. Er war das dickste Kind in der Klasse gewesen, aber mittlerweile wog er weniger als Harper. Er hatte hart an sich gearbeitet. ›Fettklops‹ war nicht mehr fett.

    Sie hatten sich sehr schnell angefreundet, weil sie etwas gemeinsam gehabt hatten: Beide waren sie Außenseiter gewesen. Während Shane der dickste Junge gewesen war, hatte Harper stets alle um einen Kopf überragt. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Mit ihren eins achtundachtzig war sie für eine Frau überdurchschnittlich groß. Hatte sie sich früher manchmal gewünscht, kleiner und schmächtiger zu sein, so war sie mittlerweile stolz auf ihre hohe Statur. Harper hatte Gefallen daran gefunden, auf andere hinabzuschauen. Sie ging nur selten mit niedrigen Schuhen aus dem Haus. An die vielen Blicke, die sie regelmäßig auf sich zog, hatte sie sich schon längst gewöhnt. Wenn sie ihre Lieblingsstiefeletten trug, maß sie stolze eins fünfundneunzig!

    Seufzend lauschte sie dem Wählton und wartete geduldig, bis Shane abhob. Endlich meldete er sich.

    »Hi Happy«, kam schnaufend aus dem Telefon. Trainierte er wieder? Ständig war er auf seinem Laufband, oder sonst rannte er wie ein Irrer durch die Stadt. Er würde sich noch den Tod holen! Um diese Jahreszeit war es doch eiskalt. Aber warum war Harper überrascht? Er schien es darauf anzulegen, sein Leben zu verkürzen. Seit Jahren versuchte er, sie zu einem Christmas Swim zu überreden. Aber das hätte ihr gerade noch gefehlt: am Weihnachtstag ins kalte Wasser zu springen! So verrückt war sie nicht.

    »Wieder nüchtern?«, kam aus dem Telefon. Sie musste sich gestern Abend schrecklich aufgeführt haben.

    »Wie schlimm war es?«, meinte sie zähneknirschend.

    »War schon schlimmer!« Er lachte schallend. Harper veranstaltete jedes Jahr eine Weihnachtsparty, um mit ihren Mitarbeitern ausgelassen zu feiern.

    »Hast du mich nach Hause gebracht?«

    Wieder lachte er. Mit gerunzelter Stirn schaute sie an sich hinab. Das Pyjamaoberteil hatte sie verkehrt herum an. Mitten in der Nacht war sie aufgewacht und hatte sich umgezogen. Daran erinnerte sie sich noch.

    »Du weißt doch, dass du dich auf mich verlassen kannst«, meinte er amüsiert. Sie hatte es verabsäumt, nach dem Aufstehen in den Spiegel zu gucken. Er hatte doch nicht mit einem Marker etwas auf ihr Gesicht gemalt? Eine derart kindische Aktion war ihm zuzutrauen. Dann würde Harper wieder ewig lange mit Seife ihr Antlitz sauber rubbeln müssen. ›Ihr beide seid zwei der klügsten Menschen, die mir je begegnet sind‹, hatte Bridget mal zu ihr gesagt. ›Aber wenn ihr zusammen seid, verhaltet ihr euch wie kleine Kinder!‹ Das war wohl eine Anspielung darauf, dass Harper und Shane immerzu herumalberten und sich gegenseitig triezten, wenn sie sich im selben Raum aufhielten.

    »Warum rufst du an?«, fragte er und klang ernst.

    »Meine Mom hat sich gerade eben bei mir gemeldet und mir erfolgreich den Tag versaut.«

    »Der Tag fängt doch erst an!«

    »Ich soll unbedingt Weihnachten nach Hause kommen«, brummte sie.

    »Hattest du keine Ausrede parat?«

    »Nein! Ich kann mich nicht wieder davor drücken!«

    »Und? Was geht mich das an?« Noch immer atmete er zu schnell. Wahrscheinlich hatte er die Geschwindigkeit am Laufband nur gedrosselt, und nun wischte er sich den Schweiß mit dem Handtuch von der Stirn, während er das Handy ans Ohr presste. Er unterbrach sein Training nie, erst recht nicht, wenn Harper ihn anrief.

    »Trainierst du wieder wie ein Wahnsinniger? Willst du für deine neue Freundin gut aussehen?«, fragte sie frech.

    »Du denkst, ich habe eine neue Freundin?«, gab er verschmitzt zurück.

    »Du hast doch immer eine neue Freundin!«

    »Ich bin eben ein Mann mit Bedürfnissen. Kann ja nicht jeder enthaltsam leben wie du! Willst du noch jungfräulich sterben?«

    »Ich bin keine Jungfrau mehr«, murrte sie.

    »Ach, wie hieß der Typ noch mal?«

    »Ted.«

    »Der Kerl war so langweilig wie sein Name.«

    »Halt die Klappe«, jammerte Harper.

    »Und hässlich war er auch! An diese Augenbrauen habe ich mich nie gewöhnen können!«

    Harper stutzte. Erst nach langem Grübeln fiel ihr ein, dass Teds Augenbrauen viel zu buschig gewesen waren. Irgendwie hatte sie das Gefühl, Shane könnte sich an ihren Ex-Freund besser erinnern als sie selbst. Dabei hatte sie mit dem Kerl vor vielen Jahren Schluss gemacht und war nur wenige Wochen mit ihm zusammen gewesen. Shane war auch gar nicht für sein großartiges Gedächtnis bekannt.

    »Und wie oft hast du’s mit ihm getan? Zweimal?« Er ließ nicht locker. Shane war doch sonst nicht so ein Quälgeist!

    »Zu oft«, gab sie hochmütig zurück. Die richtige Antwort war: fünfmal. Harper hatte nur fünfmal in ihrem Leben Sex gehabt. Aber das sollte Shane nicht wissen. Niemand sollte das wissen. Harper fand Sex gruselig. Sie war nicht der romantische Typ. Leider neigte sie nicht dazu, in Verzückung zu geraten, wenn sie ein Kerl betatschte. Beziehungen fand sie nervig, und nervige Dinge versauten ihr den Tag. Deswegen war sie schlecht gelaunt. Weil es sie nervte, an Weihnachten nach Clones fahren zu müssen!

    »Vergiss einfach, dass ich angerufen habe«, sagte sie seufzend und legte auf. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, sich bei Shane zu melden? Er konnte ihr doch auch nicht helfen! Gleich darauf bimmelte ihr Handy, und selbstverständlich war ihr bester Freund dran. Stoisch starrte sie auf das Display. Es klingelte unaufhörlich weiter. Schließlich hob Harper ab, ohne ein Wort zu sagen.

    »Was ist los, Happy?«, meinte er sanft. »Warum erzählst du mir, dass du an Weihnachten zu Hause sein musst?«

    »Ich will nicht allein nach Clones fahren!«, platzte es aus ihr heraus. Am anderen Ende der Leitung wurde es still.

    »Shane …?«, fragte sie verwundert. War die Verbindung abgebrochen?

    »Du glaubst, ich komme mit?! Spinnst du?«, donnerte er plötzlich.

    »Tu’s für mich!« Sie bemühte sich um einen weinerlichen Ton.

    »Nein!« Seine Stimme hörte sich schrill an.

    »Ich dachte, wir sind Freunde …«, nuschelte Harper. »Beste Freunde.« Diese Masche zog sonst immer. »Allerbeste Freunde!«, fügte sie hinzu.

    »Was soll ich da überhaupt?!« Shane war hörbar aufgeregt. Er hatte Clones schon vor etlichen Jahren den Rücken gekehrt. Seine Eltern hatten sich vor langer Zeit getrennt, da war er noch nicht mal zur Highschool gegangen. Seine Mutter hatte einen anderen Mann geheiratet, und sein Vater war vor fünf Jahren nach Belfast gezogen. Shane hatte ihn dort bisher nur einmal besucht.

    »Ich … habe meiner Mom erzählt, dass ich einen Freund habe«, murmelte Harper. Wieder kaute sie an ihren Fingernägeln. Das sollte sie nicht zur Gewohnheit werden lassen!

    »Das ist doch nichts Neues! Hast du ihr vor zwei Jahren auch schon erzählt!«

    »Aber diesmal kann ich mich nicht davor drücken, mit meiner Familie Weihnachten zu feiern! Und meine Mom will meinen Freund kennenlernen!« Sie hatte ihre Stimme erhoben.

    »Du verarschst mich«, hauchte er entsetzt. Shane war gewieft. Natürlich verstand er sofort, worum sie ihn mit diesem Anruf bat.

    »Ich stehe ewig in deiner Schuld!« Wenn es klappte, würde sie eine Weile Ruhe haben! Sie würde ihrer Mom erzählen können, wie verliebt sie war und wie toll die Beziehung lief. Harper spann sich bereits das nächste Lügengebäude in ihrem Kopf zusammen. Sie musste kreativ sein. Bleierne Stille schlug ihr vom anderen Ende der Leitung entgegen.

    »Meine Mom mochte dich immer …«

    »So ein Quatsch! Sie erinnert sich doch kaum an mich! Außerdem hat sie ständig die Nase gerümpft, wenn wir uns begegnet sind!«

    Harper presste die Lippen zusammen und schwieg. ›Du solltest nicht mit diesem dicken Jungen herumhängen‹, hatte ihre Mutter früher zu ihr gesagt. ›Das ist kein Umgang für dich!‹ Dass Shane zu viele Pfunde auf die Waage gebracht hatte, war nicht das Problem gewesen. Aber im Dorf hatte jeder gewusst, dass sein Vater trank, seine Abende regelmäßig in Pubs verbrachte und erst spätnachts nach Hause torkelte. Auch war niemandem entgangen, dass seine Mom, die immer adrett zurechtgemacht gewesen war, eine Affäre gehabt hatte. Harpers Eltern – vor allem ihre Mutter! – waren streng katholisch. Fremdgehen war eine Sünde! Und sündhafte Menschen waren kein Umgang für ihre Kinder.

    »Meine Mom wird dich bestimmt super finden«, erwiderte Harper kleinlaut. Der ›dicke Junge‹ war mittlerweile ein erfolgreicher Unternehmensberater. Ohne Shane würde es Harper’s nicht geben. Kein Wunder, dass sie ihn auf Kurzwahl hatte! Shane war immer auf Achse. Mal war er in Limerick, mal in Dublin, dann wieder ganz woanders. Er hatte sich einen Namen gemacht. Von seinem Job verstand er eine Menge, auch Harpers Online-Business hatte er zum Erfolg geführt. Shane wusste, wie man ein Produkt und eine Marke verkaufte. War er früher introvertiert gewesen, war er heute der Liebling aller. Ständig stand er im Mittelpunkt und scharte mit seinem Charme Menschen um sich. Manchmal wunderte sie sich darüber, wie sehr sich Shane verändert hatte. Sie beneidete ihn um sein Talent, wie ein leuchtender Stern jedes Dunkel zu erhellen.

    »Ich soll also so tun, als wäre ich in dich verliebt?«, jammerte er. Im Moment merkte sie von seinem Charme leider gar nichts.

    »Das klingt so, als wäre es wahnsinnig abwegig, dass du in mich verliebt bist!«, schimpfte Harper.

    »Ist es auch!«

    »Was meinst du denn damit?«, grummelte sie.

    »Wir beide? Das ist … verrückt.«

    »Wir müssen doch nur so tun als ob!«, rief sie aufgeregt.

    »Wie soll ich so tun, als wäre ich in dich verliebt?«

    »So schwierig kann das doch nicht sein«, zischte sie.

    »Und ob das schwierig ist!« Harpers linkes Auge zuckte. Das passierte häufig, wenn sie sich ärgerte. »Übrigens dachte ich, unter eins neunzig läuft bei dir nichts? Was wird deine Familie denken, wenn du mit einem Kerl aufkreuzt, der kleiner ist als du?«

    Shane war nicht klein. Zwar war er kleiner als Harper, aber das traf auf die meisten Männer zu. Aus einem unerklärlichen Grund hielt sich hartnäckig das Gerücht, Harper hätte nur an Männern Interesse, die größer waren als sie. Bisher hatte sie sich nicht darum bemüht, dies richtigzustellen. So hatte sie wenigstens ihre Ruhe! Sie war an Männern nicht interessiert – egal, ob die klein oder groß waren, dick oder dünn, blond oder dunkelhaarig.

    »Ist schon gut! Tut mir leid, dass ich dich gefragt habe!« Sie wollte wieder auflegen, als er sie davon abhielt.

    »Wann fährst du denn? Schon heute?«, fragte er in versöhnlichem Ton.

    »Ich fahre morgen.« Schluckte er den Köder nun doch? Auf Shane hatte sie sich immer verlassen können.

    »Dann wünsche ich dir schöne Weihnachten!«, trällerte er.

    »Danke. Wünsch ich dir auch!«, gab sie sarkastisch zurück.

    Er legte einfach auf, und Harper fühlte sich miserabel. Sie hätte ihn nicht um so etwas bitten sollen! Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Schließlich hatte sie von ihm verlangt, mit ihr gemeinsam eine Reise in die Hölle anzutreten. Es schüttelte sie. Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus. Sie wollte bestimmt nicht zwei Wochen mit ihrer Familie verbringen, aber diesmal würde sie sich notgedrungen dazu überwinden müssen.

    Seufzend legte sie das Handy weg. Shane hatte ihr noch nie einen Wunsch abgeschlagen. Aber dass er in Clones gemeinsam mit ihrer Familie Weihnachten feiern sollte, war offenbar zu viel des Guten.

    2

    Shane stieg vom Laufband und schob das Handy zurück in die Hosentasche seiner Shorts. Er konnte nicht glauben, was Harper von ihm verlangte! Hatte sie komplett den Verstand verloren? Er wollte nicht mit ihren spießigen Eltern und ihren ausgeflippten Geschwistern Weihnachten feiern!

    Seufzend trocknete er sich mit dem Handtuch ab. Seine Stirn, sein Nacken und sein Rücken waren völlig verschwitzt. Er musste in Form bleiben. Je älter er wurde, desto schwieriger war es, nicht zuzunehmen. Aber er hatte es sich geschworen, nie wieder über hundert Kilo auf die Waage zu bringen. Jahrelang hatte er das Gefühl gehabt, in seinem eigenen Körper eingesperrt zu sein. Viel hatte sich seitdem nicht geändert. Shane hielt sich penibel an seine Diät und trainierte regelmäßig. Wenn er über die Stränge schlug, musste er hart daran arbeiten, die überschüssigen Kalorien wieder loszuwerden. Mit seinem Körper focht er nach wie vor einen Kampf aus – nur jetzt sah er besser aus!

    Erschöpft trabte er in die Küche und bereitete schnell einen Proteinshake zu. Dann ging er duschen. Er drehte das kalte Wasser auf, in der Hoffnung, der Ärger, der in ihm brodelte, würde abkühlen. Fünf Minuten später verließ er nackt – und immer noch schlecht gelaunt – das Bad. Das Ganze wühlte ihn mehr auf, als er es jemals für möglich gehalten hätte! Er hatte es in den letzten Jahren wunderbar geschafft, seine Kindheit zu verdrängen. Dass Harper nun von ihm erwartete, er würde sich diesem Grauen stellen – nach so langer Zeit!

    Mit dem Handtuch rubbelte er über das dunkelblonde Haar, das fast genauso kurz war wie sein Stoppelbart. Bei dieser Länge musste er es nicht föhnen. Da sein Haar so kurz war, kamen die blauen Augen, hohen Wangenknochen und das markante Kinn besser zur Geltung. Shane gefielen seine Gesichtszüge. Die hatte er übrigens erst spät entdeckt. Früher hatte sein Gesicht wie ein Pfannkuchen ausgesehen. Er hatte sich über die Jahre sehr verändert. Seine vollen Wangen waren eingefallen, Augen und Nase wirkten deswegen größer. Er hatte ein ausdrucksstarkes Gesicht – das fanden zumindest die Frauen!

    Im Schlafzimmer stellte er sich vor den Spiegel und betrachtete seinen nackten Körper. Hatte er um den Bauch herum etwas zugelegt? Sein Wunschgewicht hatte er erst vor fünf Jahren erreicht. Shane zupfte an der Haut auf Bauchhöhe. Sein Körperfett hatte sich stark reduziert, aber die Haut hatte sich nicht gänzlich zurückgebildet. Sie war zu elastisch, genau deswegen machte er auch Krafttraining.

    Wem wollte er eigentlich etwas beweisen?

    Shane sah heiß aus. Keine seiner Ex-Freundinnen war je auf die Idee gekommen, dass dies nicht immer so gewesen war. ›Übertreibst du nicht etwas?‹, hatte Harper kürzlich gesagt, als er ein enges Trainingsshirt getragen hatte, worin seine wohldefinierten Brustmuskeln und sein Bizeps überdeutlich zu sehen gewesen waren. Ein solcher Körper beeindruckte sie nicht. Für Harper war nur eins wichtig: Größe. Und damit meinte sie nicht die Größe des Teils, das sich zwischen seinen Beinen befand, sondern die Körpergröße. Er hatte wirklich versucht, Harper einzuholen. Eine Zeitlang hatte er sogar geglaubt, es würde ihm gelingen. Leider hatte er sich bereits vor vielen Jahren seine Niederlage eingestehen müssen. Wenn sich Shane besonders reckte und streckte, schaffte er es mit Mühe auf eins dreiundachtzig – oder zweiundachtzig, wenn er ehrlich war. Das war ganz ordentlich, aber nicht ausreichend. Vor allem da Harper es liebte, mit ihren hohen Schuhen herumzustöckeln und wie eine Riesin auf alles und jeden herabzuschauen. Kein Wunder, dass

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