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LÜGEN: Der Thriller-Klassiker!
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eBook265 Seiten3 Stunden

LÜGEN: Der Thriller-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Der Gärtner entdeckte die Toten: den Schriftsteller Julian Harper, seine Frau und seine Sekretärin - ermordet in ihrer Villa in Kalifornien.

Und Betty, Harpers Stieftochter, ist schwer verletzt...

Nur Jessica, Harpers Tochter aus erster Ehe, hatte Glück. Sie war zur Tatzeit nicht im Haus.

Jessica - die Erbin von Harpers Vermögen...

 

Der Thriller Lügen von Richard Neely erschien erstmals im Jahr 1978; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1979 (unter dem Titel Lauter Lügen). Dieser klassische, düstere Krimi erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum27. Juli 2021
ISBN9783748789932
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    Buchvorschau

    LÜGEN - Richard Neely

    Das Buch

    Der Gärtner entdeckte die Toten: den Schriftsteller Julian Harper, seine Frau und seine Sekretärin - ermordet in ihrer Villa in Kalifornien.

    Und Betty, Harpers Stieftochter, ist schwer verletzt...

    Nur Jessica, Harpers Tochter aus erster Ehe, hatte Glück. Sie war zur Tatzeit nicht im Haus.

    Jessica - die Erbin von Harpers Vermögen...

    Der Thriller Lügen von Richard Neely erschien erstmals im Jahr 1978; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1979 (unter dem Titel Lauter Lügen). Dieser klassische, düstere Krimi erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX CRIME.

    LÜGEN

    ERSTER TEIL

      Erstes Kapitel

    Entdeckt hatte sie Sebastian, der Gärtner. Als er der Polizei von Santa Barbara die Szene beschrieb, verzerrte sich sein normalerweise gleichmütiges Gesicht zu Grimassen; er rollte die Augen, und die Zunge zuckte wiederholt zu den Mundwinkeln, leckte den dicken Speichel ab. Aber so erregt er auch war, sein angeborener Ordnungssinn zügelte ihn doch genügend, dass er die Geschichte von Anfang an und in der genauen Reihenfolge berichtete.

    Sein Sohn Tornas hatte ihn in ihrem Chevrolet-Kastenwagen zum Tor an der Auffahrt der Harpers gefahren und ihn dort pünktlich um acht Uhr morgens abgesetzt. Als er sich dem Haus auf der abgeflachten Hügelkuppe näherte, hatte Sebastian, wie er sich erinnerte, das Gefühl, als ob es unbewohnt und verlassen sei: »Keine Geräusche. Nichts. Nur die Vögel. Wissen Sie, die Harpers stehen sonst früh auf. Vor allem Mr. Harper. Normalerweise hab’ ich Licht in seinem Arbeitszimmer gesehen. Aber ich sah kein Licht. Ich denke, vielleicht schlafen sie noch. Wie am Morgen nach einer Party, Sie wissen schon.«

    Später, im Fernsehen und in den Zeitungen, sah man Fotos von dem Haus. Ein zweistöckiges Gebäude im spanischen Kolonialstil aus behauenen Steinblöcken, mit dicken Balken eingefasst; das Dach mit roten Ziegeln gedeckt; Steinsäulen, die den drei Meter breiten Dachvorsprung über einem gefliesten Portiko trugen. Obwohl nur ein paar Hundert Meter von einer Gruppe Sommerhäuser entfernt, wirkte das herrschaftliche Haus der Harpers mit seinem Blick auf die zypressenbewaldeten Hügel und den unendlichen Pazifik so isoliert wie ein einsamer Adlerhorst.

    Sebastian entschloss sich, die Bepflanzung am Rand des Swimming-Pools zu bearbeiten, weil sie unterhalb des Hauses und weit genug davon entfernt war, dass man das Geräusch der Heckenschere oben nicht hören konnte. Er ging leise die Steintreppen hinunter und kappte hier und da überstehende Zweige der Riesenfarne. Als er den Swimming-Pool erreicht hatte, blieb er stehen und warf einen Blick hinüber auf das Badehaus, ein quadratisches Bauwerk mit einem spitzen Dach aus einem Material, das an Rattan erinnerte. Das Badehaus enthielt einen elegant möblierten Barraum und ein halbes Dutzend Umkleidekabinen. Die breite Schiebetür stand offen, und das fand Sebastian höchst ungewöhnlich. Er dachte: Vielleicht wollte Mrs. Harper das Haus ein wenig lüften, zuckte mit den Schultern und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit; die Bougainvilleen auf der einen Seite des Pools mussten zurückgestutzt werden. Er ging darauf zu, die Heckenschere in der Hand. Dabei fiel sein Blick auf das L-förmige Schwimmbecken. In diesem Augenblick stockte sein Atem.

    Zuerst dachte er, dass das dichte Büschel Haare unter dem Sprungbrett zu einem sonderbaren Tier gehörte. Doch dann bemerkte er, dass das umgebende Wasser dunkelrot war, an den Rändern zu hellem Rosa verblasste. Er trat an den Rand des Beckens, schnappte nach Luft. Die Heckenschere fiel klappernd zu Boden. Unter dem Haarbüschel war ein zusammengekrümmter, nackter Körper, dessen Gewicht dicht unter der Oberfläche schaukelte, dessen Arme schwer nach unten hingen, und dessen Beine auf den Ablauf am Grund des Beckens zeigten.

    Sebastian war mit einem Satz neben der Gestalt; er bückte sich, streckte die Arme aus, langte nach dem Haar, zerrte den Körper an den Beckenrand. Als er ihn heraushob und bis zum Terrazzo-Sonnendeck schleifte, war er sich nur bewusst, dass es sich um einen weiblichen Körper handelte. Er brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass das Gesicht, das ihn unheimlich angrinste, Ruth Wylie, der Sekretärin von Mr. Harper, gehörte.

    Entsetzt und verwirrt, wie er war, folgte Sebastian seinem Instinkt: Er drückte seinen Mund auf die Lippen von Ruth Wylie und presste Atemluft in ihre Lungen. Er wiederholte die Prozedur an die zehn oder zwölfmal, und jedes Mal vernahm er einen klatschenden und gurgelnden Laut, der gegen seinen Brustkorb vibrierte. Als er sich einen Augenblick zurücklehnte, entdeckte er den Grund dafür: die hineingepresste Luft entwich wieder durch einen weiten, fahlen Schlitz an Ruth Wylies Hals. Das Wort Mord kam ihm in den Sinn. Er sprang auf und rannte zum Badehaus. In der Bar gab es ein Telefon, das mit den Apparaten im Haupthaus in Verbindung stand, und von dem aus man auch nach draußen telefonieren konnte. Er würde Mr. Harper anrufen, und der sollte die Polizei verständigen.

    Er erreichte die Bar im Laufschritt. Packte den Hörer des Telefons. War bereit zu wählen. Und erstarrte in der Bewegung. Hinter ihm im Halbdunkel, halb sitzend auf dem mattenbelegten Boden, die Beine gespreizt, den Rücken gegen die Ledercouch gepresst, war... Sebastian knallte den Hörer auf die Gabel. Heilige Mutter Gottes, das war Mrs. Harper!

    Sie hatte nur das Oberteil eines blauen Bikinis an. Das Unterteil lag auf dem zusammengeknüllten, weißen Bademantel neben ihr. Ihr Kopf war zur Seite gedreht, das Kinn ruhte auf der rechten Schulter. Blut war ihr über die Brüste und den Bauch gelaufen, konzentrierte sich rings um tiefe Löcher, die wie Stichwunden aussahen, und in einer kleinen Pfütze, die sich unter ihren Oberschenkeln gebildet hatte. Ihr Mund war offen. Ihre Augen starrten ihn an. Und diesmal wusste Sebastian auf den ersten Blick, dass hier nichts mehr zu retten war.

    Sein Entsetzen steigerte sich zur Panik. Vielleicht war der Mörder noch in einer der Umkleidekabinen und lauerte. Sebastian trat zurück, drehte sich herum und schoss auf das Haupthaus zu. Während er sich ihm näherte, begann er zu schreien, erhob die Stimme zu einem gellenden Kreischen, als er mit den Fäusten an die Vordertür trommelte. Niemand kam. Er lauschte auf die schreckliche Stille, versuchte dann, die Tür aufzubrechen. Das solide Eichenholz gab nicht nach. Er raste um das Haus herum zur Hintertür, packte einen der lackierten, eisernen Boulevardstühle von der Terrasse und schmetterte ihn gegen die Glasscheibe der Tür.

    Dann rannte er durch den Vorplatz zur Diele, über einen kurzen Korridor und stand auch schon in Mr. Harpers Arbeitszimmer. Mr. Harper war da. Aber er war nicht in der Lage, Sebastians plötzliches Hereinplatzen zu bemerken. Er lag mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf dem blutgetränkten Teppich hinter dem wuchtigen, mit Schnitzwerk versehenen Schreibtisch, und seinen leblosen Körper umfasste noch der umgekippte Drehsessel.

    Sebastian rief die Polizei an. Dann vorsichtig, um nichts zu berühren, kehrte er zu der Hintertür zurück, die er eingeschlagen hatte, ging hinaus und stand schließlich zitternd auf der Terrasse. Unten am Pool, den er durch die Bäume erkennen konnte, lag der Leichnam von Ruth Wylie, und dahinter sah er unscharf die steifen Beine von Mrs. Harper, die im Badehaus lag. Er übergab sich in ein Petunienbeet.

    Dann schleppte er sich zur Auffahrt und hockte sich auf den Rand der Einfassung, um die Ankunft der Polizei abzuwarten. Und ihm wurde schon wieder übel, als ihn plötzlich ein Gedanke hochriss. Er hatte eine weitere Hausbewohnerin vergessen: Mrs. Harpers zwanzigjährige Tochter aus erster Ehe, Betty Archer.

    Sebastian starrte auf das Fenster von Bettys Schlafzimmer im oberen Stockwerk. Versuchte, einen Schritt auf das Haus zuzugehen, aber seine Beine versagten. Er verfluchte sich, versuchte, sich unter Kontrolle zu bekommen, aber sein Körper weigerte sich standhaft, irgendeine Bewegung auszuführen. Er stand da, erstarrt vor Entsetzen, und die Tränen der Frustration liefen ihm über sein gebräuntes, narbiges Gesicht, als zwei Polizeiwagen mit heulenden Sirenen die Auffahrt heraufkamen.

    Betty Archer, einen Trenchcoat über ihrem kurzen Nachthemd, fand man kurz danach in der geschlossenen Garage, zwischen dem Cadillac und dem Porsche zusammengebrochen am Boden liegend. Sie hatte zwei Stiche abbekommen, einen in die Schulter, den anderen in den Hals, wobei die Stichwaffe die Hauptschlagader nur angeritzt hatte. Sie hielt die Schlüssel für den Porsche in ihrer geballten, verkrampften Faust, was darauf hindeutete, dass sie versucht hatte, zu fliehen und Hilfe zu holen. Aber sie war nicht tot. Noch nicht. Bewusstlos fuhr man sie ins Krankenhaus.

    Julian und Paula Harper sowie Ruth Wylie dagegen wurden ins Leichenhaus gebracht.

    Auf dem ganzen Grundstück fand man kein Zeichen für die Identität des Mörders.

    Der einzige Hinweis darauf, dass jemand in den Besitz der Harpers eingedrungen war, wurde von einem jungen Ehepaar geliefert, das in einem alten Haus eine Viertelmeile von den Harpers entfernt wohnte. Es war um zwei Uhr morgens durch das Dröhnen eines Wagens mit schadhaftem Auspuff geweckt worden, der mit hoher Geschwindigkeit den Hügel vom Haus der Harpers hinuntergerast war.

    Zweites Kapitel

    Lee Brewer lag lässig ausgestreckt in dem hellbraunen Vinylsessel, die nackten Füße auf dem durchgelegenen Bett, und las den Bericht. Er beherrschte die ganze Titelseite der Zeitung. Dicke, schwarze Schlagzeilen:

    BEKANNTER SCHRIFTSTELLER,

    DESSEN FRAU UND SEKRETÄRIN ERMORDET AUFGEFUNDEN. TOCHTER IN LEBENSGEFAHR.

    RASENDER MÖRDER AUF FREIEM FUSS.

    Und die Fotos der vier:

    OPFER DES NÄCHTLICHEN MASSAKERS.

    Interviews mit Nachbarn und Bekannten:

    EINE ZURÜCKGEZOGEN LEBENDE,

    STILLE FAMILIE, SAGEN DIE FREUNDE.

    Betty Archer lag noch im Koma - verursacht durch das Trauma und den Blutverlust, wie die Ärzte erklären. Ihr Zustand galt als besorgniserregend.

    Die vermutliche Mordwaffe, ein dreißig Zentimeter langes Schlachtmesser, war in der gefüllten Geschirrspülmaschine in der Küche des Hauses gefunden worden, die auf die Garage hinausging. Das Messer war offensichtlich hastig abgewaschen worden; Fingerabdrücke waren keine mehr vorhanden, wohl aber Spuren von Blut. Das Messer gehörte übrigens zu einem Satz von Küchenbesteck, das an einem Regal im Barraum des Badehauses hing.

    Der Polizeichef hatte bei seiner Pressekonferenz erklärt: »Allem Anschein nach war Betty Archer die letzte, die der Mörder erwischte. Er hielt sie entweder für tot, oder er bekam es mit der Angst zu tun, vielleicht auch beides. Er lief von der Garage in die Küche, ließ rasch etwas Wasser über das-Messer laufen und steckte es dann in die Geschirrspülmaschine. Der Fund der Mordwaffe hilft uns allerdings kaum weiter. Wir erkennen daraus nur, dass die Mordserie in der Gegend des Swimming-Pools begonnen haben muss.«

    Gab es eine Theorie, was das Motiv der Tat betraf?

    »Keine Theorie - höchstens eine schwache Vermutung. Der Mörder ist vielleicht eingedrungen, um das Haus auszurauben, und traf in der Gegend des Swimming-Pools auf die beiden Frauen. Vielleicht hatte er auch nur in seinem Wagen gesessen, möglicherweise unter dem Einfluss von Drogen, und war durch das Klatschen des Wassers geweckt worden. Also hielt er die Gelegenheit für einen Einbruch für günstig. Vielleicht auch für einen Überfall auf die beiden Frauen. Immerhin gibt es keinen Hinweis darauf, dass aus dem Haus irgendetwas entwendet wurde.«

    Ein Überfall? Waren die Frauen denn vergewaltigt worden?

    »Das ist schwer zu sagen. Aber so, wie es aussieht, hat Mrs. Harper versucht, ihn abzuwehren, und er hat sie daraufhin erstochen.«

    Aber in diesem Fall musste Ruth Wylie, die Sekretärin, bereits tot gewesen sein, oder? Sonst wäre sie vermutlich während des Kampfes des Eindringlings mit Mrs. Harper davongelaufen und hätte Hilfe besorgt.

    »Offensichtlich hat sie genau das getan. Aber der Täter erwischte sie auf der gegenüberliegenden Seite des Schwimmbeckens. Er musste sie töten, um zu verhindern, dass man ihn identifizieren konnte.«

    Ob er sicher sei, dass Ruth Wylie nicht vergewaltigt worden sei, ehe sie umgebracht wurde. Der Coroner meint, dass nach so langer Zeit im Wasser alle Hinweise auf eine mögliche Vergewaltigung zerstört seien.

    War sie tot, ehe man sie in den Pool geworfen hatte?

    »Rein technisch gesehen ist sie ertrunken. Aber sie hatte nicht mehr genügend Blut im Körper, dass man eine Probe hätte nehmen können.«

    Glaubte er nicht, dass es sonderbar war, wenn die beiden Frauen zu so später Stunde noch ein Bad im Swimming-Pool nahmen?

    »Nun, es war eine ziemlich warme Nacht. Und soweit ich das verstanden habe, hielt sich die Familie nicht an die üblichen Zeiten. Wahrscheinlich deshalb, weil Mr. Harper Schriftsteller war - ein ziemlich berühmter Autor, wie Sie ja wissen - und weil er häufig bis ein oder zwei Uhr morgens zu arbeiten pflegte, manchmal sogar noch länger. Ich nehme an, dass sich alle anderen Hausbewohner, namentlich die Sekretärin, seinem Zeitplan angepasst haben.«

    Fand er es nicht bemerkenswert, dass Miss Wylie keinen Badeanzug anhatte?

    »Was ist daran so bemerkenswert, wenn man nackt badet in seinem eigenen, privaten, abgeschlossenen Swimming-Pool?«

    Nichts. Aber wäre es nicht möglich, dass Miss Wylie hinuntergegangen ist zum Badehaus, und zwar nicht, um zu schwimmen, sondern weil sie irgendein verdächtiges Geräusch gehört hatte?

    »Sicher, das haben wir uns auch bereits durch den Kopf gehen lassen. Aber dann hätte sie sicher nicht ihren Bademantel und das Nachthemd in einem der Umkleideräume des Badehauses aufgehängt. Wir haben beide Kleidungsstücke dort gefunden, sauber und ordentlich an einem Kleiderhaken. Daraus kann man wohl mit ziemlicher Sicherheit schließen, dass Miss Wylie und Mrs. Harper gemeinsam hinunter zum Pool gegangen sind.«

    Vielleicht hat der Mörder die Kleidungsstücke aufgehängt?

    »Mein Gott! Wollen Sie damit sagen, dass ein Mann erst zwei Frauen brutal ersticht und nachher die Kleidungsstücke der einen aufhängt, nur um zu beweisen, dass die beiden Frauen zusammen zum Schwimmen gegangen sind? Können Sie mir vielleicht sagen, warum er das getan haben soll?«

    Wäre es nicht denkbar, dass es sich um eine Affäre zwischen den Hausbewohnern gehandelt hat?

    »Sie meinen, einer der Angestellten? Es gibt nur zwei: einen Koch und eine Haushälterin, die Frau des Kochs. Die beiden haben das Haus um neun Uhr abends verlassen, hatten von Sonntagabend bis Dienstagnachmittag frei und sind zu einer Familienfeier eines Verwandten gegangen, wo sie auch übernachteten. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Zeugen. Als sie das Haus der Harpers verließen, gab es dort keine Gäste, und es wurden auch keine erwartet.«

    Ob er sich bereits Gedanken gemacht habe über die Person des Täters?

    »Ich nehme an, dass es sich um einen ziemlich jungen Menschen handeln muss. Vielleicht ein Rauschgiftsüchtiger. Ein Psycho wäre die logische Erklärung - einer von jenen Verrückten, die ohne Hemmungen töten. Es wäre möglich, dass er einen ziemlich vernachlässigten Wagen besitzt, vielleicht einen Sportwagen. Und in dem Punkt könnte die Presse unsere Arbeit unterstützen. Der Coroner hat die Tatzeit auf ein bis drei Uhr morgens beschränkt. Wie Sie bereits wissen, hat man gegen zwei Uhr einen Wagen gehört, der die Auffahrt vom Haus der Harpers hinuntergerast ist. Es hörte sich so an, als sei der Auspuff des Wagens beschädigt oder nicht vorhanden, und der Wagen hat einen erheblichen Radau verursacht. Okay. Ich fordere jeden, der jemanden mit einem Wagen ohne Auspuff kennt, auf, sich bei der Polizei zu melden und uns einen Hinweis zu geben. Der Anrufer braucht sich nicht zu identifizieren, braucht sich also auch nicht vor Repressalien des Täters zu fürchten.«

    Letzte Frage. Hat sich die Polizei schon mit Julian Harpers Tochter unterhalten?

    »Ich sagte Ihnen bereits, sie liegt noch im Koma. Sobald sie...«

    Nein, nicht Betty Archer. Sie ist seine Stieftochter. Seine leibliche Tochter, Jessica Harper.

    »Oh. Nein, die haben wir noch nicht aufgetrieben. Es ist möglich, dass sie unterwegs ist und noch nichts von der Sache gehört hat.«

    Der Zeitungsbericht endete mit dem Hinweis darauf, dass Julian Harper einen Besitz im Wert von mehreren Millionen hinterlässt, ein Vermögen, das er größtenteils bereits von seinem Vater übernommen hatte. Und dass Jessica Harper seine einzige noch lebende Blutsverwandte war.

    Lee Brewer ließ die Zeitung auf den Schoß sinken und sah sich in dem Zimmer mit Kochnische - das Bad war draußen auf dem Korridor - um, das in der Anzeige als Apartment bezeichnet worden war. Der einzige Umstand, der eine solche Bezeichnung auch nur halbwegs rechtfertigte, war der eigene Eingang - eine Tür, die man in die Wand gebrochen hatte, die hinausging zur Seitenstraße mit der zerbröckelnden Betondecke. Er betrachtete die V-förmige Kochnische mit dem Zweiplatten-Kocher, der rostigen Spüle, den brummenden Kühlschrank, dann wandte er den Blick wieder auf den länglichen Wohnraum mit seinen Flohmarkt-Möbeln. In der Anzeige hätten sie mieses Loch schreiben sollen...

    In Gedanken überquerte er den Kontinent, wohnte eine Minute lang in dem Herrenhaus im Tudor-Stil, wo er eine behütete Kindheit und eine rebellische Jugendzeit verbracht hatte. Sein Bad war damals größer gewesen als dieser elende Raum, mit blaugetönten Spiegeln, die die marmornen Waschtische, die Badewanne und die vergoldeten Armaturen reflektierten. Er sah sich dort auf einem Hocker sitzen - war vier oder fünf Jahre alt - während ihn seine Mutter stolz kämmte; sie hatte darauf bestanden, dass er das Haar lang trug, weil sie die natürlichen Locken erhalten wollte. Dann, in die Obhut eines Kindermädchens gegeben, sah er sich den ankommenden Gästen gegenüber, die in der Erinnerung alle ölig und heuchlerisch und rosagesichtig waren und unmenschlich rochen, und hinter deren aufgesetztem Lächeln er eine ständige Feindseligkeit fühlte. »Was für schönes Haar«, hatte die fremde Frau gesagt. »Und die schönen Augen. Du bist wirklich ein hübsches Mädchen.« Er war in sein Zimmer gerannt, hatte gebrüllt: »Ich bin kein Mädchen!« hatte dort eine Schere gefunden und sich damit die Locken abgeschnitten. Seine Mutter war rasend gewesen vor Zorn, hatte aber von da an niemals mehr versucht, sein wirkliches Geschlecht zu verhüllen und somit aufs Spiel zu setzen.

    Dieses Zimmer, dachte er, dieses miese Loch war Teil des Preises, den er für die Freiheit bezahlen musste. Aber sie war es wert, weil Freiheit - oder besser Zügellosigkeit - das einzige war, was verhinderte, dass das Leben abglitt in eine stetige Wiederholung ritualisierter Funktionen. Und jetzt - er warf wieder einen Blick auf die Schlagzeile in der Zeitung -, jetzt war eben diese seine Freiheit bedroht.

    Fingernägel pochten leise gegen die Tür zum Korridor. Er dachte eine Minute nach, ehe er antwortete. Dann faltete er die Zeitung zusammen, steckte sie in die Schublade des Schreibtischs und sagte: »Die Tür ist nicht abgeschlossen, Donna.«

    Sie trug einen gelben Bademantel und darunter nichts als Haut. Ihr welliges, rotes Haar war nach hinten gebunden und enthüllte die Jadeohrringe, die an ihren durchstochenen Ohrläppchen baumelten. Der Blick, den sie ihm zuwarf, war der einer Schauspielerin, die häufig Nutten-Rollen

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