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SCHWARZER VOGEL ÜBER DER BRANDUNG: Der Thriller-Klassiker!
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eBook291 Seiten3 Stunden

SCHWARZER VOGEL ÜBER DER BRANDUNG: Der Thriller-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Diane Ridgway ist reich, attraktiv - und einsam. Doch dann tritt ein Ex-Colonel in ihr Leben. Erst nachdem sie ihn geheiratet hat, gesteht sie ihm, dass sie über ein Millionen-Vermögen verfügt.

Und dann hört Diane zufällig ein Telefongespräch ihres Mannes mit, das ihr Idyll auf einen Schlag zerstört. Ihre sichere, gefestigte Welt verwandelt sich in einen Alptraum aus Verdacht und Angst...

 

Der Thriller Schwarzer Vogel über der Brandung von Richard Neely erschien erstmals im Jahr 1975; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1978. Dieser klassische, düstere Rätsel-Krimi erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum24. Juni 2021
ISBN9783748786511
SCHWARZER VOGEL ÜBER DER BRANDUNG: Der Thriller-Klassiker!

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    Buchvorschau

    SCHWARZER VOGEL ÜBER DER BRANDUNG - Richard Neely

    Das Buch

    Diane Ridgway ist reich, attraktiv - und einsam. Doch dann tritt ein Ex-Colonel in ihr Leben. Erst nachdem sie ihn geheiratet hat, gesteht sie ihm, dass sie über ein Millionen-Vermögen verfügt.

    Und dann hört Diane zufällig ein Telefongespräch ihres Mannes mit, das ihr Idyll auf einen Schlag zerstört. Ihre sichere, gefestigte Welt verwandelt sich in einen Alptraum aus Verdacht und Angst...

    Der Thriller Schwarzer Vogel über der Brandung von Richard Neely erschien erstmals im Jahr 1975; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1978. Dieser klassische, düstere Rätsel-Krimi erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX CRIME

    SCHWARZER VOGEL

    ÜBER DER BRANDUNG

    DIANE

    1.

    Das erste Wort, das ich Christopher Warren sagen hörte, sprach er geradezu ehrfurchtsvoll im Inneren eines offengelassenen Bahnhofs aus roten Klinkersteinen, den man in eine Kunstgalerie verwandelt hatte.

    »Phänomenal«, sagte er.

    Das Wort tönte in meinem Inneren nach wie ein Stück Poesie.

    »Es ist wirklich ganz hübsch«, sagte ich; es klang ein wenig missgünstig.

    Er drehte sich überrascht um. Wahrscheinlich hatte er gar nicht bemerkt, dass ich direkt hinter ihm stand.

    »Hübsch?«, sagte er leicht schockiert.

    Ich schenkte ihm das, was ich für ein geheimnisvolles Lächeln hielt. »Konventionell«, sagte ich.

    Zwischen seinen buschigen Augenbrauen erschien ein Ausrufezeichen. »Das Thema - ja, vielleicht. Aber nicht die Ausführung. Weiß Gott nicht.«

    Er drehte sich weg, als leugne er meine Existenz, und kehrte wieder zurück zur Betrachtung des Gemäldes. Ein Seestück in Öl auf einer Leinwand mit den Maßen 1,20 m mal 1,50 m. Im Vordergrund brach sich eine aufgetürmte Woge in Schaum und Gischt an einem riesigen Felsblock. Im Hintergrund erkannte man einen Ausschnitt der Mendocino-Küste von Nordkalifornien - nebelverhangener Ozean, schroffe Klippen, ein düsteres Vorgebirge unter einem perlmuttschimmernden Himmel. Der Felsblock war der Held des Bildes: seine gezackte, wilde Schönheit wurde durch tiefes Schwarz, Grau und Braun verstärkt, das der Maler dick mit dem Spachtel aufgetragen hatte. Die Szene vermittelte eine Düsterkeit, die genau der Stimmung des Künstlers entsprach.

    Ich konnte das behaupten. Denn ich selbst hatte das Bild gemalt, am Strand unterhalb meines Hauses, an einem trüben Nachmittag. Es war erst am Vormittag hier aufgehängt worden, um die Lücke auszufüllen, die durch den Verkauf eines anderen Gemäldes entstanden war.

    Der Mann trat ganz nahe an das Bild heran und betrachtete das Preisschild. Er war groß, ging aufrecht und hatte breite Schultern; sein Haar war dunkel und dicht, die kurzen Koteletten silbergrau meliert. Das Gesicht, das er mir zugewandt hatte, war schmal und sonnengebräunt, und mir fiel darin besonders die lange Nase mit der breiten Nasenwurzel auf. Er hatte hochpolierte schwarze Schuhe an, eine dunkle Hose und eine braune Wildlederjacke über einem gelben Sporthemd mit offenem Kragen. Die moderne Ausgabe des Landedelmannes nach den Maßstäben des vornehmen Herrenausstatters Brooks Brothers, dachte ich, und wurde mir plötzlich meiner zerknitterten Blue Jeans, meines grauen Pullovers und meiner Pferdeschwanzfrisur bewusst.

    Ich beobachtete ihn, wie er zu dem Tisch hinüberschlenderte, wo Liz Proctor heute freiwillig an der Kasse saß. Ihr gnomenhaftes Gesicht spaltete sich in einem entzückten Lächeln, als er auf das Bild deutete, ein Scheckbuch aus der Tasche zog und mit eiliger Präzision einen Scheck ausstellte. Ganz ohne zu feilschen, wie das bei den Wochenend-Touristen der Fall war, so dass ich mich fragte, ob er hier in der Gegend wohnte.

    Mein Verdienst jedenfalls überschritt damit alle Rekorde - drei Verkäufe in drei Tagen, und jedes Bild zum kalkulierten Preis. Das war mehr, als ich sonst in zwei Monaten verkaufte. Ich hätte diesen Mann umarmen können.

    Nachdem die Transaktion beendet war, kehrte er zu dem Bild zurück und betrachtete es, Hände an den Hüften, als sei es ein echter Wyeth. Liz folgte ihm und steckte das Schildchen Verkauft an den Rahmen. Dann drehte sie sich um und sah mich an. Ihre Augenbrauen gingen vor Entzücken nach oben.

    »Nun«, sagte sie zu dem Mann, »es freut mich, dass Sie den Künstler kennen.«

    »Ich kenne ihn nicht«, entgegnete er. Er hatte eine tiefe, fast ein wenig gebieterische Stimme.

    Liz gab sich überrascht, merkte dann, dass meine Anwesenheit reiner Zufall war, und schaute ihn schelmisch an. »Es ist kein Künstler«, sagte sie, »sondern eine Künstlerin.«

    Ich machte ihr ein Zeichen, dass sie schweigen solle. Sie tat so, als hätte sie es nicht bemerkt. Die Szene schien ihr großen Spaß zu machen.

    »Hier steht D. Ridgway«, sagte er. »Ich nahm an...«

    »Sie steht da drüben«, erklärte Liz und nickte in meine Richtung, zwinkerte dazu mit ihren kleinen Äuglein.

    Er drehte sich rasch herum, und auf seinen Lippen formte sich ein erwartungsvolles Lächeln. Es zerbröckelte, als er mich erkannte, und machte einem einfältigen Ausdruck Platz. Ehe er ein Wort sagen konnte, baute sich Liz mit ihrer kleinen, drahtigen Gestalt zwischen uns auf. Sie breitete-die Arme ein wenig geziert aus und deutete mit erhobenen Händen auf mich und auf ihn.

    »Diane Ridgway«, sagte sie mit übertriebener Förmlichkeit, »darf ich dir einen Bewunderer deiner Kunst vorstellen...«

    Er grinste. »Christopher Warren«, sagte er dann. »Und ich bin wirklich ein Bewunderer.«

    Ich murmelte ein paar Höflichkeitsfloskeln, dankbar darüber, dass es Mittwochnachmittag war, mit nur wenigen Besuchern in der Galerie, und die außerhalb der Hörweite.

    Er kam einen Schritt näher und drohte mir mit dem Zeigefinger. »Hübsch!«, sagte er und versuchte, meinen Ton zu imitieren. »Ich fand, dass Sie meinen Geschmack damit beleidigt haben.«

    »Es gefällt Ihnen also wirklich?« Ich kam nie darüber hinweg, dass es Leute gab, wenn auch nur wenige, die bereit waren, für etwas Geld zu bezahlen, was mir zuvor so viel Freude gemacht hatte.

    »Es gefällt mir über alle Maßen.«

    »Er hat es schließlich gekauft«, sagte Liz. Sie zwickte das eine Auge zu wie immer, wenn sie klug dreinschauen wollte. »Ich habe seinen Scheck über dreihundertfünfzig Dollar in der Tasche.«

    Ich musste lachen. »Aber Sie hätten es auch für weniger bekommen können, Mr. Warren.«

    »Ich hätte sogar noch mehr dafür bezahlt.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und sagte bedauernd: »Eigentlich hätte ich es am liebsten gleich mit nach Hause genommen, aber ich fürchte, es ist schon zu spät.«

    »Zu spät?«, sagte Liz. »Aber wir brauchen es doch nur von der Wand abzunehmen.«

    »Ich habe meinen Wagen nicht dabei. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich heute ein Bild erwerben würde. War unterwegs, auf einem Spaziergang, und kam zufällig hier vorbei.« Er lächelte mich an. »Und ich bin sehr glücklich über diesen Zufall.«

    Die Antwort sprudelte aus mir heraus, ohne dass ich lange darüber nachdachte: »Es wäre mir ein Vergnügen, Sie mit meinem Wagen nach Hause bringen zu dürfen. Sie und das da.«

    »Vielen Dank, aber Sie sollen sich keine Mühe machen.«

    »Ich mache damit ja nur den Verkauf perfekt. Wenn Sie das Bild erst zu Hause haben, können Sie nicht mehr vom Kauf zurücktreten.«

    Er hatte eine sympathische Art zu lachen.

    Wir verstauten das Bild hinten in meinem Ford-Kombi, als ich ihn fragte, wo er wohnte. Er deutete auf das Binnenland jenseits einer blühenden Wiese, auf einen bewaldeten Hügel mit Pinien und Redwood-Bäumen.

    »Ich wohne da drüben im Wald. Die Besitzer des Hauses heißen Connors. Ich habe es nur gemietet.«

    Ich sagte, dass ich die Connors flüchtig kenne. Sie wohnten in San Francisco, wo George Connors arbeitete, und benützten das Haus im Wald als Wochenend- und Feriensitz, vermieteten es nicht selten. Wir stiegen in meinen Wagen.

    »Dann sind Sie nur besuchsweise hier«, sagte ich. Er war viel zu jung, um schon pensioniert zu sein. Mitte Vierzig, schätzte ich.

    »Ja. Ich habe das Haus für einen Monat gemietet.« Er wandte sich um und schaute sehnsüchtig hinaus auf das Meer. »Ich wollte, ich könnte den Rest meines Lebens hier verbringen.«

    Ich fühlte, dass wir zumindest in diesem Punkt etwas Gemeinsames hatten.

    Das Gefühl verstärkte sich, als wir an einer Ranch mit grasenden Schafen vorbeikamen und in eine schmale Straße einbogen, die von Eukalyptusbäumen und Lattenzäunen begrenzt wurde. Er pries die jahrhundertealten viktorianischen Häuser in der Gegend, die Felsenhöhlen, das zarte, geheimnisvolle Leben in den bei Ebbe entstehenden Brackwasserteichen und - als wir uns dem Haus der Connors näherten - die erschreckende Majestät der Redwood-Bäume. Ich sagte wenig, bestätigte nur seine Schwärmereien und war glücklich, einem so beredten Mann zuhören zu können, der genau meine eigenen, tief empfundenen Gefühle über dieses Land ausdrückte, in dem ich meinen Frieden und meine Freiheit gefunden hatte.

    Ich bog mit dem Wagen in den gefurchten Weg zum Haus ein und hielt hinter einem Jeep - ebenfalls gemietet, wie er sagte. Das Haus war nicht sehr groß, aus ungehobeltem Redwood, mit einem Giebeldach. Wir stiegen aus, ich öffnete die Heckklappe, und er nahm vorsichtig das Gemälde heraus. Er hielt es auf Armeslänge vor sich hin, blickte lächelnd erst auf die Leinwand, dann auf mich.

    »Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte er. »Warum kommen Sie nicht auf einen Sprung mit hinein?«

    Ich dachte an seine Frau, an die Erklärung. »Ich sollte schon zu Hause sein.«

    »Und ich hatte gehofft, Ihr Mann sei nicht allzu ungeduldig.«

    Er schlug auf den Busch, wusste, dass ich es wusste, und wusste auch, dass es mich freute. Ich ließ eine kleine Pause entstehen. Dann: »Ich habe keinen Mann.«

    Er atmete langsam aus. »Sie machen es so spannend, dass man die Luft ziemlich lange anhalten muss. Na schön, fragen Sie mich schon, ob meine Frau nichts dagegen hat.«

    »Hat sie?«

    Er grinste. »Ich habe keine Frau.«

    Ich machte mir Vorwürfe, dass mich seine Antwort so sichtlich erleichterte. Und ich starrte zweifelnd auf die blaugestrichene Tür. »Ja, dann...«

    »Kommen Sie schon. Da drinnen sind ein paar Freunde, die Sie kennenlernen sollten. Aber ich glaube, Sie kennen sie bereits.«

    »Freunde - die ich schon kenne?«

    »Ja. Sagen Sie ihnen wenigstens guten Tag.«

    Er ging rasch auf die Tür zu, als zweifle er nicht daran, dass ich ihm folgte. Und ich folgte ihm.

    Ich stand drinnen neben der Tür, während er das Bild vorsichtig gegen die Wand lehnte. Das untere Geschoss des Hauses bestand aus einem einzigen großen Raum mit einer Theke, die den Wohntrakt von der Küche abgrenzte. Die Möbel waren einfach - bunt bezogene Sessel und eine Couch, Teppichinseln auf einem braunen Kunststoffboden, ein schwarzer, schmiedeeiserner Kamin in einer Ecke, rote Vorhänge. Eine Treppe, die an eine Hühnerleiter erinnerte, führte hinauf in die Schlafräume.

    Keine Freunde. Das Zimmer lag im Halbdunkel. Mir wurde ein bisschen unbehaglich zumute. Er kam auf mich zu, ohne das Licht anzuschalten.

    »Ihre Freunde scheinen ausgeflogen zu sein«, sagte ich. Meine Hand wanderte hinter meinen Rücken und umschloss den Türknopf.

    »Oh, nein«, sagte er. Seine Stimme klang lässig. Er fasste mich am Ellbogen und zerrte mich weiter hinein in den Raum. Ich mokierte mich innerlich über meine Befürchtungen, konnte sie aber nicht vergessen.

    »Stellen Sie sich hierher«, sagte er, als wir die Mitte des Raumes erreicht hatten. Es war ein Befehl. Seine Augen funkelten seltsam.

    Vielleicht ist er verrückt, dachte ich. Vielleicht wurde er längst von der Polizei gesucht, weil er überall im Land ungedeckte Schecks ausstellte.

    Ich stand starr da, als er meinen Ellbogen losließ. Dann ging er zurück zur Haustür. Ein Schalter klickte, und das Zimmer war hellerleuchtet. Ich begann mich umzudrehen, entschlossen, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.

    »Schauen Sie mal geradeaus«, sagte er.

    Zögernd gehorchte ich, blickte auf das Gemälde, das er eben an die Wand gelehnt hatte. Zwei andere Bilder von ähnlichem Format standen daneben. Plötzlich begann ich laut zu lachen, die Hände an die Wangen gepresst, Tränen in den Augen.

    »Unsere lieben Freunde«, sagte er leise.

    Die beiden anderen Bilder stammten ebenfalls von mir - das eine stellte eine Gruppe von Lappentauchern dar, die am Strand entlangspazierten, das andere eine Wiese im Wind, mit blühendem Stechginster und Lupinen. Ich verdankte meinen plötzlichen Erfolg diesem einen Mann.

    »Ich bin ein Sammler von Ridgways geworden«, sagte er.

    »Oh, das freut mich aufrichtig. Es freut mich sehr.« Die Worte klangen albern. Aber ich konnte ihm nicht ausdrücken, wie entzückt und bewegt ich war. Es war das ungewöhnlichste Kompliment, das man mir jemals gemacht hatte, und obendrein ein aufrichtiges, denn die Beweise dafür lehnten an der Wand.

    »Das muss begossen werden«, sagte er.

    Wir tranken Sherry am Kamin, und er erzählte mir über sich. Er war ein ehemaliger Colonel bei der Luftwaffe, zuletzt in Frankreich und Deutschland stationiert. Und er war erst kürzlich in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt.

    »Und jetzt?«, fragte ich.

    »Ich weiß es noch nicht. Ich habe dreißig Jahre außerhalb der Staaten zugebracht. Zeit, dass ich mich mal wieder umsehe, wie man hier als Zivilist lebt. Wenn ich dieses Paradies verlasse, werde ich in San Francisco wohnen und mir irgendeine Beschäftigung suchen.« Er stand auf und stocherte im Feuer herum. »Ich habe keine Angehörigen.«

    »Waren Sie nie verheiratet?«

    Er hatte mir den Rücken zugewandt. »Meine Frau starb vor mehr als einem Jahr.« Seine Stimme klang verletzt. »Und Sie?«, fragte er schnell, als wollte er sich vor meinem Mitleid schützen.

    »Ich bin seit zehn Jahren Witwe.«

    Er schaute mich überrascht an, als er sich wieder setzte. Sein Blick berührte mein blondes Haar - ich wünschte, ich hätte es losgebunden -, meine Augen - mit ein bisschen Eyeliner hätten sie blauer gewirkt -, und er schien meinen Wasser- und Seifenteint zu begutachten.

    »Bemerkenswert«, sagte er schließlich. »Sie müssen als Kind geheiratet haben.«

    »Ich bin achtunddreißig«, erklärte ich. Es schien wichtig zu sein, gleich zu Beginn alle Illusionen zu zerstören.

    »Nein!«

    »Ich habe eine Tochter mit zwanzig Jahren.«

    Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Und ich dachte, ich sei ein junggebliebener Achtundvierziger.«

    Er war es, und ich sagte es ihm. Zugleich sagte ich mir, dass es Zeit war zu verschwinden.

    Ich stand auf, ehe er mir ein zweites Glas Sherry anbieten konnte. Er erhob sich ebenfalls und betrachtete mich bedauernd, aber ohne zu protestieren. »Oh, ja, sicher wartet Ihre Tochter auf Sie.«

    »Sie wohnt nicht bei mir«, sagte ich. Genau gesagt, wusste ich gar nicht, wo sie zurzeit wohnte.

    »Verheiratet?«

    »Noch nicht.« Vielleicht war sie inzwischen auch verheiratet - ich wusste es nicht. Ich beendete das Thema, indem ich ihm für den angenehmen Nachmittag dankte.

    Er begleitete mich zum Wagen und zollte abschließend noch einmal meinen Bildern Tribut: Er sei so froh, dass er nun etwas von dieser herrlichen Küste überall mit hinnehmen könne. Es war eine charmante kleine Rede, wenn auch nicht das, was ich eigentlich hätte hören wollen. Ich wollte, dass er mich fragte, wo ich wohne. Aber er fragte nicht.

    Als ich wegfuhr, warf ich einen Blick in den Rückspiegel und sah, wie er grüßend die Hand hob. Ich winkte zurück und fuhr in meinem treuen Ford der sinkenden Sonne entgegen, während vor meinen Augen die Schrift Ende erschien.

    Mein Haus stand, als ich mich ihm über die einspurige Straße näherte, scharf Umrissen gegen den rötlichen Schein der eben untergegangenen Sonne. Es war ein ziemlich großes, zweistöckiges Gebäude aus verwitterten Holzschindeln und mit gegiebelten Fenstern. Die Gartengestaltung hatte ich der Natur überlassen, und sie umgab das Haus mit Geißklee, wildem Senf und Pastinak. Am Stadtrand, in einer Villenstraße, hätte es einfach verwahrlost ausgesehen, aber hier, auf einer Felsenklippe, mit dem blauen Pazifik zu Füßen, wirkte es wie ein verwunschenes Schloss.

    Ich parkte den Wagen und betrat das Haus durch einen Seiteneingang, der direkt in die große, weiträumige Küche führte. Ich schaltete rasch das Licht ein, stand einen Augenblick im fluoreszierenden Zwielicht, ging dann hinüber in die Diele, wobei ich eine Spur von Licht durch das Haus zog, überall die Lampen einschaltete und zuletzt das Wohnzimmer betrat. Nie war mir das Gebälk der Decke so hoch vorgekommen, nie waren die Sessel und die Couch so leer gewesen, nie die Bilder an den getäfelten Wänden so unpersönlich. Ich goss mir an der kleinen Hausbar ein Glas Sherry ein und nahm es mit hinaus auf die Terrasse.

    Die lange, rosa-purpurne Wolke am Horizont war ein Klischee. Die Treppen, die hinunterführten zum Strand, eingehauen in den Felsen und mit einem Geländer aus Stahlrohr gesichert, sahen aus, als gehörten sie zu einer mittelalterlichen Zwingburg. Der Strand selbst war von der Flut verschluckt. Die Wellen klatschten wütend gegen den Fuß der Klippe. Nichts war schön, alles bedrückte mich auf einmal.

    Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück und zündete ein Feuer an im düsteren Kamin - ein symbolischer Akt, dachte ich traurig, der Versuch, die Wärme wiederzugewinnen, die ich verloren zu haben glaubte. Sein Bild stand plötzlich vor mir. Seine aufrechte Gestalt. Das Flackern des Humors in seinen Augen. Seine charmante Art zu sprechen. Die starke, muskulöse Hand, die den Sherry einschenkte.

    Ich war in einem miserablen Zustand. Und alles wegen eines Mannes, den ich genau eine Stunde kannte. Aber ein Mann, der meine Bilder bewunderte und sogar kaufte, wodurch er mir zeigte, dass er weit mehr an mir schätzte als nur mein glattes blondes Haar, meine großen blauen Augen und meine guterhaltene Figur- obwohl ich natürlich hoffte, dass ihm auch dies nicht entgangen war. Für Christopher Warren war ich eine Persönlichkeit, ein Mensch mit Identität, eine Frau, die nicht allein von ihrer Erotik abhängig war, um in anderen Menschen Gefühle zu erzeugen.

    Ohne dass er sich dessen bewusst war, hatte er eine Sehnsucht geweckt, die schon seit meiner Kindheit in mir schlummerte.

    Die Vorstellungen meiner Eltern von Künstlern beruhten auf den üblichen Halbwahrheiten und Legenden: alle männlichen Maler sind bärtige Freidenker und Anarchisten, alle Malerinnen leichtlebige, rebellische Wesen, die sich den primitivsten Anforderungen der Körperhygiene widersetzen.

    Ich weiß, das klingt prähistorisch, aber es war die landläufige Meinung der Volksseele zu der Zeit, als ich geboren wurde. Man stelle sich ein Dorf vor - obwohl es sich stolz Stadt nannte so klein, dass man schon mit dem Wagen durchgefahren ist, ehe man fragen kann: Wo sind wir jetzt? Und dieses Kaff setze man mitten in das breite San Joaquin Valley von Kalifornien, wo die Hitze des langen Sommers über den schwarzen Straßen schimmert, wo Mexikaner und Portugiesen auf Artischocken-, Zwiebel- und Zuckerrübenfeldern arbeiten, wo Blätter und Blüten und Fußböden und Gesichter ständig von Staub überzogen sind, wo die jungen Leute am Samstagabend nach der Musikbox tanzen und Maisschnaps aus Flaschen trinken und wo die Älteren nach Merced fahren, um sich einen Disney-Film anzuschauen, und danach noch eine Limonade im Drugstore trinken. Das war Justine im Jahre 1936, dem Jahr, als ich geboren wurde. Und das war Justine, als ich es verließ.

    Mein Vater besaß eine Kombination aus Drugstore, Eiskonditorei und Schnellimbiss. Von meinem zehnten Lebensjahr an arbeitete ich dort nach der Schule und während der Sommerferien, und ich war eben das Drugstore-Mädchen, wie andere die Klempnerkinder, die Bäckerjungs oder die Friseurgören waren. Mein Bruder Jim, sechs Jahre älter als ich, arbeitete dort, bis er eingezogen wurde. Ein Jahr danach fiel er in Korea, und von da an war ich das einzige Kind. Der Verlust meines Bruders hatte mich tief getroffen. Er war der einzige, der mich ermutigt hatte, mit Farbe herumzuklecksen, wie es meine Eltern bezeichneten, und er legte mir nahe, von Justine wegzugehen, sobald ich dazu in der Lage war.

    Nicht, dass mein Vater ein gefühlloser Mensch gewesen wäre. Aber er war wie sein Vater in Justine aufgewachsen und hielt die Stadt für ein Modell des besseren Amerika. Für ihn war Cal Coolidge unser größter Präsident bis auf Eisenhower, den er als eine geradezu überirdische Gestalt verehrte, welche Gott uns geschickt hatte, damit sie uns vor den kommunistischen Atheisten bewahrte. Er war auch ein unerschütterlicher Anhänger von Senator McCarthy, hielt San Francisco für Sodom und New York für Gomorrha und die Städte dazwischen für Filialen der einen oder der anderen und glaubte, dass Chubby Checkers die Jugend der Nation mit seinem Twist für alle Zeiten verdorben hatte. Aber so beschränkt sein Horizont auch gewesen sein mag, er sagte nie ein hartes Wort zu mir - allerdings war ich damals auch ein gehorsames Kind und behielt meine Gedanken für mich.

    Meine Mutter war eine sanfte Frau, die stets nach frischem Brot, sauren Gurken und Spülwasser roch. Ich glaube, sie hat nie ein anderes Buch

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