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DER MÖRDER UND SEIN SCHATTEN: Ein Psycho-Thriller
DER MÖRDER UND SEIN SCHATTEN: Ein Psycho-Thriller
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eBook291 Seiten4 Stunden

DER MÖRDER UND SEIN SCHATTEN: Ein Psycho-Thriller

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Über dieses E-Book

Lambert Post, der kleine, unscheinbare Anzeigenwerber aus New York, findet einen Freund: den großen, den unvergleichlichen Charles Walter. Charles steht zu ihm, ergreift Partei für ihn und rächt ihn vor allem an den Frauen, die ihn zurückgewiesen haben...

 

Der Mörder und sein Schatten - ein brutales und düsteres Psycho-Thriller-Meisterwerk aus der Feder von Richard Neely!

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum18. Feb. 2019
ISBN9783743896703
DER MÖRDER UND SEIN SCHATTEN: Ein Psycho-Thriller

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    Buchvorschau

    DER MÖRDER UND SEIN SCHATTEN - Richard Neely

    Das Buch

    Lambert Post, der kleine, unscheinbare Anzeigenwerber aus New York findet einen Freund: den großen, den unvergleichlichen Charles Walter. Charles steht zu ihm, ergreift Partei für ihn und rächt ihn vor allem an den Frauen, die ihn zurückgewiesen haben...

    Der Mörder und sein Schatten - ein brutales und düsteres Psycho-Thriller-Meisterwerk aus der Feder von Richard Neely!

    DER MÖRDER UND SEIN SCHATTEN

      LAMBERT POST

    1.

    Als ich den Namen Charles Walter im Sommer 1938 zum ersten Male hörte, wusste ich gleich, dass er kein gewöhnlicher Mensch war. Schon der Name klang irgendwie bedeutend. Charles, Herzog von Walter. Oder Sir Charles Walter, der große Gutsherr. Oder - was in dieser verrückten Gegend New Yorks vielleicht noch besser war - Charles Walter, König der Playboys. Der Name strahlte Autorität und weltmännische Gewandtheit aus, aber er hatte auch einen irgendwie gefährlichen Unterton.

    Wie anders klang da mein eigener elender Name. Lambert Post. Herr im Himmel, wieviel Ärger hatte ich doch mit diesem Namen immer gehabt! Lam Post, Lamppost, Laternenpfahl riefen mich die Kinder. »He, Laternenpfahl, hab ich nicht gehört, dass sich die Besoffenen an dir festhalten?«

    »Hallo, Laternenpfahl, haben dich in letzter Zeit wieder Hunde angepisst?« Sehr lustig.

    Charles Walter trug viel dazu bei, das alles zu ändern. Ihm verdanke ich es, dass ich etwas fühlte, das ich mein ganzes Leben lang nie gekannt hatte: Selbstachtung, Zuversicht, Männlichkeit, Freude. Ihm verdanke ich auch Angst und Entsetzen, doch das kam erst später.

    Ich erinnere mich noch genau an seinen ersten Tag bei der Anzeigenabteilung unserer Zeitung. Mit einem ironischen Lächeln um die Mundwinkel und einem stolzen Ausdruck in den tiefliegenden Augen verkündete er den in der Nähe Sitzenden: »Ich bin Charles Walter. Möblierte Zimmer.« Dann ließ er sich wie ein König auf seinem Thron auf dem komischen kleinen Stühlchen mit der geschwungenen Rückenlehne nieder, das man auf Rollen unter den Schreibtisch schieben konnte. Eigentlich war es ein einziger langer Schreibtisch für drei Personen, unterteilt durch holzgerahmte Glasscheiben. Auf beiden Seiten des großen Raums standen je zehn Reihen solcher Tische, so dass insgesamt sechzig Arbeitsplätze für Anzeigenwerber vorhanden waren. Manchmal quatschten alle gleichzeitig in ihre Telefone, besonders dann, wenn die Aufsichtsdame, Jean Hooper, an ihrem erhöhten Tisch am Kopfende des Raumes saß und sich in die Gespräche einschaltete. Sie konnte jedes Telefonat abhören, ohne dass es der Betreffende merkte. Deshalb sparten sich die meisten Annoncenwerber ihre aussichtsreichsten Kunden für die Zeit auf, in der sie die Anrufe kontrollierte. Dann gaben sie sich ganz besondere Mühe, weil es ja immerhin sein konnte, dass Jean Hooper mithörte. Das Stimmengewirr übertönte beinahe noch das Dröhnen der Druckpressen im Erdgeschoss.

    Charles Walter saß in der letzten Reihe dicht vor den braungestrichenen Heizungsrohren, gleich am Fenster, das man durch Kippen öffnen und mit einer Kette sichern konnte. Die Kette sah so aus, als stammte sie von einem altmodischen WC. Neben ihm, auf dem mittleren Platz, saß Henrietta Boardman, die für Stellenangebote zuständig war. Die kleine Henrietta hatte schwarzes Haar und Brillengläser, die so dick waren wie Colaflaschen. Aber die Brille vergaß man, wenn man ihren vollen roten Mund sah, der allerlei Spaß verhieß, ihre Brüste, über die sich der rosa Pullover spannte, oder das Wackeln ihres runden, festen Hinterns, wenn sie einen Anzeigentext abliefern ging. Den äußeren Platz zum Gang hin nahm Dottie Friedlander ein. Sie sammelte Immobilieninserate. Sie war ein richtiger Trampel, gebaut wie ein Kühlschrank, mit struppigem zimtblonden Haar und einem leichten Bartanflug. Ständig zupfte sie vor einem Vergrößerungsspiegel mit einer Pinzette an den Barthaaren herum.

    Es war kurz vor neun an einem warmen Montagmorgen. Henrietta, Dottie und Charles Walter begannen wie die meisten anderen in dem großen, länglichen Saal ihr Arbeitsmaterial zu sichten - die Suchanzeigen in Konkurrenzzeitungen. Schon früh am Morgen hatten ein paar Mädchen diese Inserate ausgeschnitten und auf gelbe Papierbogen geklebt. Wo es nötig war, wurden die Telefonnummern danebengeschrieben. Charles Walter wusste, was er zu tun hatte, obgleich es sein erster Tag als Telefonwerber war. Davor hatte er im Außendienst gearbeitet und alle Adressen zwischen der 14. und 34. Straße im New Yorker Westen abklappern müssen, die telefonisch nicht erreichbar waren. Es war ein schwieriger Bezirk mit trostlosen rotbraunen Mietskasernen. Hier konnte es einem Vertreter oft passieren, dass er einen nassen Lappen ins Gesicht bekam. Charles Walters Misserfolg war besonders auffallend. Das lag nicht etwa daran, dass er nicht verkaufen konnte; nach mehreren Zusammenstößen mit solchen Hausdrachen weigerte er sich einfach, noch einen Fuß in dieses Gebiet zu setzen. Warum, zum Teufel, sollte er es auch tun - für mickrige zehn Dollar pro Woche plus fünf Dollar Spesen, die er niemals überzog? Da war es schon vernünftiger, den Zaster einzustecken, so lange es ging, und die Vormittagsvorstellungen im Paramount oder Capitol zu besuchen, wo er für einen Vierteldollar Frank Sinatra oder Tommy Dorsey persönlich sehen konnte; oder zu Minsky zu gehen, wo Ann Corio ihre Kurven bewundern ließ. Das hatte er zwei Monate lang gemacht in dem Bewusstsein, dass die Zeitung ihn drei Monate halten würde, bevor sie ihm den blauen Brief schickte. Seine einzigen geschäftlichen Bemühungen hatten darin bestanden, dass er am frühen Morgen und am späten Nachmittag im Büro erschien und irgendwann im Laufe des Tages den vorgeschriebenen Telefonbericht an seinen Vorgesetzten durchgab.

    Diesem Telefonbericht hatte er den Job im Büro zu verdanken. Der Abteilungsleiter erklärte immer wieder, seine Stimme sei leise und eindringlich - »echt sexy wie die von Ronald Colman, aber ohne den Akzent« und genau das richtige für die Telefonwerbung. Er hatte sich erst gegen das Angebot gesperrt, weil er keine Lust verspürte, in einem tristen Büroraum zu hocken und unter den wachsamen Blicken von Jean Hooper zu arbeiten, der jeder nachsagte, sie sei eine ausgemachte Xanthippe. Dann erfuhr er, dass dieser Job zwanzig Dollar pro Woche eintrug. Zwanzig Dollar! Großer Gott! Er konnte es kaum erwarten, bis er sich den Kopfhörer aufsetzen und die schwarze Sprechmuschel umhängen durfte. Später erinnerte sich Charles Walter daran, wie ihm an diesem Montagmorgen vor seinem ersten Telefonanruf zumute war. Er wusste, dass Dottie Friedlander und Henrietta Boardman ihn aus den Augenwinkeln beobachteten. Als er den Kopf hob, bemerkte er, dass sich Jean Hooper mit einem großen Kamm durch das lockere, graugesprenkelte Haar fuhr und ihn neugierig musterte. »Vor den drei Frauen kam ich mir richtig nackt vor«, erzählte er später und lachte in seiner herzlichen, ansteckenden Art. »Die haben alle drei gedacht, dass ich es nicht schaffe.« Aber als er sich die Hörer überstülpte und die Sprechmuschel ansah, fühlte er sich geborgen. Er, Charles Walter, war nichts weiter als eine körperlose Stimme, die sanft, überzeugend, sehr persönlich klingen konnte und offenbar einem gutaussehenden, selbstsicheren Mann gehörte. Als er jedoch mit dem Bleistift die aufgeklebten Inserate entlangfuhr, wählte er sicherheitshalber eine Adresse aus, die ihm zumindest halbwegs bekannt vorkam.

    Er entschied sich für eine Pension in der 23. Straße. Er kannte das Haus nicht, aber die Adresse lag irgendwo westlich vom Chelsea-Hotel. Eine ärmliche Gegend. Vielleicht ging es der Besitzerin dreckiger als den meisten anderen.

    Er spielte eine Weile mit den Knöpfen an der Seite seines Schreibtisches herum und drückte dann auf den Knopf für eine Amtsleitung. Daneben befand sich ein kleiner schwarzer Hebel, den er nach rechts schob. Eine Telefonistin meldete sich. Er nannte ihr die Nummer. Während er auf den abgehackten Summton lauschte, kritzelte er auf einem linierten Schreibblock herum. Er wollte gerade auflegen und keine Antwort notieren, da hörte er eine Stimme.

    »Hallo!«

    Es war eine schrille Stimme, die dieses eine Wort fast wie einen Fluch ausspuckte.

    »Guten Tag, hier spricht Charles Walter.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Sie sollen ein Zimmer zu vermieten haben?«

    Die weibliche Stimme begann sofort hoffnungsvoll zu schnurren. »Oh, ja, Mr....«

    »Walter, Charles Walter. Sind Sie die Geschäftsführerin?« Das klang viel besser als das Wort Vermieterin.

    »Ja, ja doch. Außerdem die Besitzerin. Mein Name ist Mrs. Sloat. Es ist wirklich ein ganz entzückendes Zimmer. Im ersten Stock, nach vorn hinaus. Es ist...«

    »Einen Augenblick bitte, Mrs. Sloat, ich glaube, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«

    »Entschuldigen?«

    »Ja. Da fällt mir gerade ein - das Telefon hat so lang geläutet, vielleicht habe ich zu einer unpassenden Zeit angerufen? Ich könnte es später noch einmal versuchen.«

    »Aber nein, Mr. Walter, ich war zwar oben im dritten Stock beim Aufräumen, und das Telefon ist hier im Erdgeschoss...«

    »Das ist wirklich außerordentlich freundlich von Ihnen, Mrs. Sloat«, sagte Charles Walter sehr aufrichtig.

    »Danke, Mr. Walter.« Mrs. Sloats Stimme schmolz dahin und klang fast wie die eines jungen Mädchens. »Ich glaube, Sie könnten mir als Mieter ganz gut gefallen.«

    Keine Frage: Charles Walters aufregende Stimme war bei Mrs. Sloat vom Ohr bis tief in ihre Lenden gedrungen.

    »Mrs. Sloat, ich habe heute Morgen in der Times Ihre Anzeige gesehen. Jetzt, wo ich mit Ihnen spreche, habe ich immer mehr das Gefühl, dass Sie eine Frau von ungewöhnlich gutem Geschmack sind.«

    Sie erwiderte bescheiden: »Nun, das hoffe ich sagen zu dürfen.«

    »Dann glaube ich, dass auch Ihr Zimmer, das Sie zu vermieten haben, diesen Geschmack widerspiegelt. Aber es steht nichts davon in Ihrem Inserat. Da wird nur angegeben, dass es sich um ein großes, luftiges Vorderzimmer mit Küchenbenützung handelt, verkehrsgünstig gelegen und preiswert. Sagen Sie: Ist nicht an der Möblierung etwas ganz besonders nett?«

    »Oh, ja, das kann man wohl sagen. Ich habe Gardinen und Vorhänge selbst genäht und erst gestern aufgehängt. Die Matratze ist funkelnagelneu. Auch der Teppich sieht noch gut aus, er ist gar nicht abgetreten.« Ihre Stimme klang stolz, aber eine leise Unsicherheit war doch herauszuhören.

    Charles Walter sagte mit leisem Tadel: »Da haben Sie es, Mrs. Sloat. Sie brauchen nur einen einzigen Satz hinzuzufügen, um dieses Inserat viel wirkungsvoller zu gestalten. Ich schreibe diesen Satz gerade nieder: Neu möbliert und dekoriert. Würden Sie nicht auch sagen, dass das sehr ansprechend klingt, Mrs. Sloat?«

    »Ja, ich glaube schon.« Jetzt hörte man den Argwohn deutlich heraus. »Mr. Walter, sind Sie daran interessiert, das Zimmer zu mieten?«

    Das war der entscheidende Augenblick. Charles Walter sagte forsch und bestimmt: »Ja, genau, daran bin ich interessiert. Ich bin nämlich von der Zeitung, Mrs. Sloat, New York Journal, die größte Abendzeitung der Stadt. Mein Spezialgebiet sind möblierte Zimmer...«

    »Ach so!« Das klang mehr enttäuscht als abweisend.

    »Sagen Sie, Mrs. Sloat, liest Ihr Mann eigentlich das Journal?«

    »Ich bin Witwe.« Und dann sehr reserviert: »Und außerdem habe ich viel zu tun, Mr. Walter.«

    »Das ist aber seltsam.«

    »Seltsam? Was ist daran seltsam, wenn man viel zu tun hat?«

    »Nein, dass Sie Witwe sind.« Er senkte die Stimme. »Ich kann Sie so gut verstehen, wissen Sie, ich habe meine Frau auch erst kürzlich verloren.«

    Vorn im Saal ertönte ein unterdrückter Aufschrei. Charles Walter hob den Blick von seinem Gekritzel und sah, wie Jean Hooper sich hinter ihrem Kontrollpult vor Lachen krümmte. Offenbar hörte sie das Gespräch mit. Bei einem Anfänger war das auch zu erwarten.

    Am anderen Ende der Leitung blieb es still. Schließlich sagte Mrs. Sloat leise: »Das tut mir sehr leid, Mr. Walter.« Nach dem Klang ihrer Stimme mochte sie Mitte Dreißig sein, Charles Walter war zweiundzwanzig.

    Seine Stimme bekam einen philosophischen Unterton. »So etwas geht vorbei.« Er wurde fröhlicher. »Sagen Sie, Mrs. Sloat, spielen Sie irgendein Musikinstrument?«

    Wieder dieser Juchzer am vorderen Ende des Saals.

    »Wie bitte?«

    »Nun - Klavier, Violine, Harfe?«

    »Ich hab früher mal ein bisschen Klavier gespielt.«

    »Großartig, ich spiele nämlich Klarinette, das Saxophon des armen Mannes. Wir müssen irgendwann mal zusammen musizieren.«

    »Aber Mr. Walter, Sie sind mir einer!« Fast konnte er durch das Telefon ihr geschmeicheltes Lächeln wahrnehmen.

    »Aber kümmern wir uns erst einmal um die Vermietung des Zimmers. Ich werde das Inserat umschreiben, dann kann es ab morgen in der Zeitung stehen. Über sechshunderttausend Menschen werden es in die Hand bekommen. Soll ich es b. a. W. notieren?«

    »B. a. W.?«

    »Entschuldigen Sie bitte, das war Fachjargon, Mrs. Sloat. Es bedeutet: Bis auf Widerruf. Mit anderen Worten, wir lassen die Anzeige laufen, bis das Zimmer vermietet ist. Dann rufen Sie mich an und bestellen das Inserat ab. Wir berechnen nur die erschienenen Anzeigen. Es dürfte sich lediglich um wenige Tage handeln.«

    »Ich weiß nicht recht.«

    »Ich werde wieder anrufen und mich erkundigen, wie es Ihnen geht.«

    »Oh, ja...«

    »Jetzt brauche ich noch Ihren Vornamen. Ich muss ihn auf dem Auftrag notieren.« Er lachte vielsagend. »Außerdem hätte ich ihn auch so gern gewusst.«

    Nach ganz kurzem Zögern kam die Antwort: »Eunice.«

    »Vielen Dank. Überlassen Sie alles andere mir.« Das klang, als sei er willens und fähig, ihr jede Last von den schwachen Schultern zu nehmen.

    Als er das Gespräch beendet hatte und den Anzeigenauftrag ausfüllte, spürte er die bewundernden Blicke von Henrietta Boardman und Dottie Friedlander. Mit einem energischen Ruck riss er das Formular vom Block, behielt die Kopie, stöpselte sein Telefon aus, schob sich den Kopfhörer in den Nacken und erhob sich. Groß und beherrschend stand er da. Er trug keine Jacke und lockerte die bunte Krawatte, die grell von der weißen Hemdbrust abstach. Dann lächelte er auf Henrietta herab, die sich mit der Zunge über die roten Lippen fuhr, damit sie leuchteten.

    »Richtig gemacht?«, fragte er.

    Sie lachte. »Ich bin nur froh, dass es nicht meine Mutter war; die würde jetzt losrennen und schwarze Unterwäsche kaufen.«

    Dottie Friedlander hielt ihre Pinzette bereit, blinzelte in den Vergrößerungsspiegel und sagte nur: »Mr. Walter, Sie haben's erfasst.« Dann zupfte sie sich ein schwarzes Härchen vom Kinn und betrachtete es zufrieden.

    Charles Walter marschierte den Gang entlang und warf das Anzeigenformular in den Holzkasten, der auf einem Tisch in

    der Nähe von Jean Hoopers Kontrollpult stand. Es war überhaupt der erste Auftrag an diesem Morgen.

    »Mr. Walter«, sagte Jean Hooper hinter ihm.

    Er drehte sich um und hob überrascht die dunklen Augenbrauen, als hätte er sie gar nicht bemerkt. Jean Hooper zeigte ihm lachend ihre gleichmäßigen, weißen Zähne. Es ging das Gerücht, diese weißen Zähne hätten schon gewisse männliche Körperteile bearbeitet, die nicht zu ihrem Mann, einem Versicherungskaufmann, gehörten. Auch dass Jean Hooper hier ihren Mädchennamen gebrauchte, deutete darauf hin, dass sie gegenüber außerehelichen Abwechslungen nicht völlig immun war.

    »Verdammt gut gemacht«, sagte sie mit ihrer strengen Stimme. »Genau im richtigen Augenblick aufgehört. Noch ein wenig länger, und Sie hätten sie am Telefon vergewaltigt und das Inserat vergessen.«

    Ein Gefühl der Macht überkam ihn, vielleicht, weil sie ihn Mr. Walter genannt hatte. Möglicherweise schuf auch das Wort »vergewaltigt« eine bestimmte vertraute Atmosphäre. Er trumpfte auf: »Mit einer einmaligen Insertion hätte ich mich nie zufriedengegeben.«

    Jean Hoopers Lächeln wurde breiter. »Ich weiß, b. a. W. - ich hab's gehört. Sie sind der geborene Telefonwerber. Der Außendienst war nichts für Sie.«

    Als er sich später an dieses Gespräch erinnerte, gestand sich Charles Walter ein, dass er ihr am liebsten diese blitzendweißen Zähne eingeschlagen hätte. Aber jetzt zwang er sich zu einem schiefen Lächeln.

    »Miss Hooper...«

    »Nennen Sie mich Jean

    »Jean, wenn Sie mal trübsinnig sind, schalten Sie einfach Charles Walter ein.«

    Ihre Miene wurde ernster. »Was haben Sie eigentlich zum Frühstück geraucht? Das war erst ein Anruf, und es war ein leichter Fall.«

    »Weil ich ihn zu einem leichten Fall gemacht hab'.«

    Jean Hoopers rosa Bäckchen sanken ein wenig herab, als sie ihr schmales Kinn vorschob. »Kommen Sie ja nicht auf dumme Gedanken - persönlich nachfassen und so.«

    »Jean, Sie kränken mich.« Lächelnd wandte er sich ab, spielte mit seiner Telefonschnur und kehrte mit federnden Schritten auf seinen Platz zurück.

    Manche mögen es vielleicht gar nicht so großartig finden, was Charles Walter getan hatte: erst eine arme Vermieterin überfahren, dann seine Chefin von oben herab behandeln. Aber wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären, als Lambert Post, dann hätten Sie in ihm eine Art Supermann gesehen. Weiß Gott, ich hätte das nie fertiggebracht. Schon beim Gedanken daran bekam ich Bauchgrimmen, und meine Kehle wurde trocken, als hätte ich einen Socken verschluckt. Ich war mehr ein stiller, in sich gekehrter Typ - intellektuell, wie manche Leute sagten -, und Frauen jagten mir eine panische Angst ein. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass es nur eine Möglichkeit gab, an Aufträge zu kommen: eine Million Anrufe machen, das eingelernte Sprüchlein heruntersagen und sich dann auf das Gesetz der großen Zahl verlassen. Aber das war nichts für Charles Walter. Für ihn galten die Regeln nicht. An seinem ersten Vormittag hatte er bis zehn Uhr fünf Inserate verkauft, und zwar jedes einzelne kraft seiner Persönlichkeit. Acht Telefongespräche genügten ihm, dann hörte er auf. Nach den Vorschriften hatte jeder Telefonwerber pro Tag achtzig bis hundert Nummern anzurufen. Die trägt man auf einer langen Liste ein und liefert sie am Abend ab. Auch die Telefongesellschaft registriert die Anrufe und teilt sie der Zeitung zusammen mit der Monatsabrechnung mit. Dagegen hatte Charles Walter vorgesorgt. Sobald Jean Hooper ihren Kontrollstand verlassen hatte, wählte er ganz einfach immer wieder dieselbe Nummer - ME 7-1212, die Zeitansage - und trug für jeden Anruf eine falsche Nummer ein. Er hatte schnell herausbekommen, dass nicht die einzelnen Nummern kontrolliert wurden, sondern nur die Gesamtzahl der Anrufe. Verstehen Sie nun, warum ich ihn von Anfang an so sehr bewunderte? Er war ein ausgefuchster Bursche.

    Beim Mittagessen lernte ich Charles Walter näher kennen. Erst erzählte er mir lachend von seinem Gespräch mit Eunice Sloat, dann wies er mich auf etwas hin, woran ich noch nie gedacht hatte. Nach seiner Meinung war das Leben ganz große Scheiße.

    Er sagte: »Nehmen wir zum Beispiel Sie, Lambert Post. Wo sind Sie zur Schule gegangen?«

    »East Orange High School in New Jersey. Das College hab ich nicht geschafft.«

    »Dann haben Sie als ein Nichts angefangen. Aber stellen Sie sich einmal vor, Sie würden den Leuten sagen, dass Sie in Harvard studiert haben. Dann wären Sie sofort ein großer Mann. Und Sie könnten das ohne weiteres behaupten, denn Sie haben mir ja gesagt, dass Sie Proust lesen und nicht Comic Books. Wer könnte Sie schon einen Lügner nennen?«

    »Die Leute in East Orange.«

    »Na klar«, sagte er, »aber hier niemand. Das ist der ganze Trick. Sie sagen den Leuten hier, dass Sie in Harvard waren; in East Orange sagen Sie, Sie seien Redakteur beim New York Journal. So sind Sie in jedem Fall ein Held. Jetzt wissen Sie, wie man bei diesem Scheißspiel gewinnen kann.«

    Für mich war dieses Spiel nichts, wohl aber für Charles Walter. Das bewies er gleich in der Mittagspause: Er ging zu einem Trödler an der Bowery und erstand für sechs Dollar eine Uhrkette mit dem Schlüsselabzeichen der ruhmreichen Studentenverbindung pi-beta-kappa. Als er ins Büro zurückkam, zog er seine Weste an und ließ die Kette mit dem Abzeichen aus der Tasche baumeln. Es fiel weder Henrietta noch Dottie auf, dafür aber Jean Hooper, als er einen weiteren Auftrag ablieferte.

    »Sagen Sie bloß nicht, das ist ein Pi-Beta-Schlüssel!«

    Er lächelte gequält, als hätte er schon tausendmal auf einen solchen Ausruf geantwortet. »Na schön, dann werde ich's nicht sagen«, murmelte er, trat aber näher.

    Sie war zu beeindruckt, um ihn zu tadeln. »Großer Gott, das ist es tatsächlich! Wo haben Sie ihn her? Liegt so was jetzt in Keksschachteln?«

    »In Harvard isst man keine Kekse.«

    »Harvard sagt er!« Sie schüttelte ungläubig den Kopf mit dem Flederwischhaar. »Und ein kluger Mann wie Sie bemüht sich um Kleinanzeigen?«

    »Vergessen Sie nicht: Wir leben in einer Depression. In diesem Jahr nennt man es, glaube ich, Rezession. Börsenmakler verkaufen Zeitschriftenabonnements, Bankiers gehen mit Bürsten hausieren; ich verkaufe Zeitungsanzeigen. Und recht erfolgreich, würde ich sagen.« Er warf einen Blick auf den hölzernen Kasten. »Das ist heute mein siebtes Inserat.«

    »Ich habe Ihnen zugehört«, sagte sie und fügte sarkastisch hinzu: »Sie könnten den Namen der Zeitung wenigstens einmal erwähnen.«

    »Welcher Zeitung?«, fragte er unschuldig und begab sich grinsend an seinen Platz zurück.

    Nach Feierabend stand ich mit Charles Walter mitten in der Menschenmenge und wartete auf den klapprigen Bus, der zwischen unserem gewaltigen steingrauen Zeitungsgebäude und der Park Row hin- und herpendelte. Ich sah hinüber zur breiten, schmutzigen, kopfsteingepflasterten South Street mit den Piers des East River im Hintergrund und hinauf zu den dunklen Eisenbögen der Brooklyn Bridge, über denen sich purpurn und orangen der Abendhimmel wölbte. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich so etwas wie Freiheit, Hoffnung und die Zuversicht, dass man mit seinem Schicksal fertig werden oder es sogar meistern kann. Eine romantische Anwandlung vermutlich, aber gleichzeitig kalte Wirklichkeit. Es war ein triumphierendes Gefühl, hervorgerufen zwar durch Charles Walters Gegenwart, aber es gehörte dennoch mir. Plötzlich wünschte ich mir, weit weg von all den Menschen und mit Charles Walter allein zu sein.

    Wir warteten nicht auf den Bus, sondern gingen hinauf bis zum Chatham Square und fuhren mit der Stadtbahn zur 8. Straße. Dann schlenderten wir gemütlich

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