WILLKOMMEN IN GNOMISTAN - COMPUTER-KID IM MÄRCHENLAND: Ein komischer Fantasy-Roman
Von Ronald M. Hahn und Hans Joachim Alpers
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Über dieses E-Book
Der jugendliche Held Ralph wird unfreiwillig zum Versuchskaninchen, als ein genialer, aber etwas verrückter Erfinder seine Erfindung ausprobiert, mit der er Menschen in virtuelle Realitäten versetzen will. Selbst der Macher ahnt aber nicht die wahren Dimensionen seiner Erfindung: Statt in virtuelle Realitäten wird die Testperson in einen Kosmos versetzt, der sich aus vom menschlichen Bewusstsein entwickelten Träumen und Fiktionen gebildet hat. Speziell aus Literatur und Film hervorgegangene und von Lesern antizipierte Elemente spielen dabei eine wichtige Rolle.
Der Roman schildert in satirisch-humoristischer Form Ralphs abenteuerliche Odyssee, die ihn zunächst in die merkwürdige Welt Gnomistan führt, wo ihn die Aufgabe erwartet, eine Prinzessin zu retten, die von den bösen Dämoniern entführt wurde. Das Dumme ist nur, dass man die gefürchtete Weltengrenze passieren muss, um nach Dämonistan zu gelangen. Ralph stürzt dabei ins Nichts und landet auf einer Wasserwelt, wo seltsam vertraute Seehelden aus Literatur und Film ihr Unwesen treiben. Und Ralph hat keine Ahnung, wie er die Prinzessin retten und in seine Realität zurückkehren soll, zumal immer offensichtlicher wird, dass der in verschiedenen Identitäten (in Form von Avataren) gelegentlich aufkreuzende Erfinder die Technik, die er benutzt, keineswegs beherrscht.
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Rezensionen für WILLKOMMEN IN GNOMISTAN - COMPUTER-KID IM MÄRCHENLAND
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Buchvorschau
WILLKOMMEN IN GNOMISTAN - COMPUTER-KID IM MÄRCHENLAND - Ronald M. Hahn
Das Buch
Der jugendliche Held Ralph wird unfreiwillig zum Versuchskaninchen, als ein genialer, aber etwas verrückter Erfinder seine Erfindung ausprobiert, mit der er Menschen in virtuelle Realitäten versetzen will. Selbst der Macher ahnt aber nicht die wahren Dimensionen seiner Erfindung: Statt in virtuelle Realitäten wird die Testperson in einen Kosmos versetzt, der sich aus vom menschlichen Bewusstsein entwickelten Träumen und Fiktionen gebildet hat. Speziell aus Literatur und Film hervorgegangene und von Lesern antizipierte Elemente spielen dabei eine wichtige Rolle.
Der Roman schildert in satirisch-humoristischer Form Ralphs abenteuerliche Odyssee, die ihn zunächst in die merkwürdige Welt Gnomistan führt, wo ihn die Aufgabe erwartet, eine Prinzessin zu retten, die von den bösen Dämoniern entführt wurde. Das Dumme ist nur, dass man die gefürchtete Weltengrenze passieren muss, um nach Dämonistan zu gelangen. Ralph stürzt dabei ins Nichts und landet auf einer Wasserwelt, wo seltsam vertraute Seehelden aus Literatur und Film ihr Unwesen treiben. Und Ralph hat keine Ahnung, wie er die Prinzessin retten und in seine Realität zurückkehren soll, zumal immer offensichtlicher wird, dass der in verschiedenen Identitäten (in Form von Avataren) gelegentlich aufkreuzende Erfinder die Technik, die er benutzt, keineswegs beherrscht.
Die Autoren
Hans Joachim Alpers, * 14. Juli 1943 in Wesermünde; † 16. Februar 2011.
Schriftsteller, Übersetzer und Verleger.
Hans Joachim Alpers studierte nach einer Lehre als Schiffsschlosser in Bremen Ingenieruswesen und später noch an der Universität Hamburg Maschinenbau, Politik und Erziehungswissenschaft.
Von 1969 bis 1972 zeichnete er für die Auswahl und Redaktion der in der populärwissenschaftlichen Zeitschrift X- Magazin erscheinenden Science-Fiction-Erzählungen verantwortlich, von 1970 bis 1994 fungierte er als Verleger des Quarber Merkur. Ab 1978 war er Lektor und Herausgeber von Science-Fiction-Anthologien in diversen Verlagen (darunter Droemer Knaur und Moewig). Daneben war er tätig als Chefredakteur und Herausgeber der Science Fiction-Times, Redakteur bei Comet (1977/1978, zusammen mit Ronald M. Hahn und Werner Fuchs), Redakteur für Buchbesprechungen des Spielemagazins Wunderwelten, Redakteur und Mitherausgeber des SF-Magazins Parsek (1990, zusammen mit Gerd Maximovic), Herausgeber und Übersetzer (aus dem Englischen) verschiedener Anthologien und als Literaturagent.
Unter Pseudonymen wie z.B. Jürgen Andreas, Thorn Forrester, Daniel Herbst, Gregory Kern, Mischa Morrison, P. T. Vieton und Jörn de Vries schrieb er zahlreiche Romane, Erzählungen, Hörspiele, Sachbücher und Kurzgeschichten. So verfasste er u.a. zusammen mit Ronald M. Hahn (unter Verwendung des gemeinsamen Pseudonyms Daniel Herbst) mehr als ein Dutzend Kriminalromane für Jugendliche.
1984 war Alpers Mitbegründer des Rollenspiels Das Schwarze Auge.
Für seine Arbeit als Schriftsteller und Verleger erhielt er mehrmals den Kurd-Laßwitz-Preis.
2005 wurde er zusammen mit Werner Fuchs, Ronald M. Hahn, Jörg Martin Munsonius und Hermann Urbanek für die Herausgabe des Lexikon der Fantasy-Literatur vom Ersten Deutschen Fantasy Club mit dem Deutschen Fantasy-Preis geehrt, welcher von der Stadt Passau alle vier Jahre dotiert und im Rahmen des „Kongresses der Phantasie" vergeben wird.
Hans Joachim Alpers lebte in Hamburg und Nordfriesland. Sein nordfriesisches Bauernhaus in Küstennähe beherbergte seine große Sammlung an deutscher Vorkriegs-Science-Fiction.
Er verstarb 2011.
Posthum wurde Alpers 2012 mit dem Kurd-Laßwitz-Sonderpreis für langjährige herausragende Leistungen im Bereich der deutschsprachigen SF für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Ronald M. Hahn, Jahrgang 1948.
Schriftsteller, Übersetzer, Literaturagent, Journalist, Herausgeber, Lektor, Redakteur von Zeitschriften.
Bekannt ist Ronald M. Hahn für die Herausgabe der SF-Magazine Science Fiction-Times (1972) und Nova (2002, mit Michael K. Iwoleit) sowie als Autor von Romanen/Kurzgeschichten/Erzählungen in den Bereichen Science Fiction, Krimi und Abenteuer.
Herausragend sind das (mit Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs und Wolfgang Jeschke verfasste) Lexikon der Science Fiction-Literatur (1980/1987), die Standard-Werke Lexikon des Science Fiction-Films (1984/1998, mit Volker Jansen), Lexikon des Horror-Films (1985, mit Volker Jansen) und das Lexikon des Fantasy-Films (1986, mit Volker Jansen und Norbert Stresau).
Für das Lexikon der Fantasy-Literatur (2005, mit Hans-Joachim Alpers und Werner Fuchs) wurde er im Jahr 2005 mit dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet. Insgesamt sechsmal erhielt Hahn darüber hinaus den Kurd-Laßwitz-Preis – dem renommiertesten deutschen SF-Preis - , u.a. für die beste Kurzgeschichte (Auf dem großen Strom, 1981) und als bester Übersetzer (für John Clute: Science Fiction – Eine illustrierte Enzyklopädie, 1997).
Weitere Werke sind u.a. die Kurzgeschichten-Sammlungen Ein Dutzend H-Bomben (1983), Inmitten der großen Leere (1984) und Auf dem großen Strom (1986) sowie – als Übersetzer – der Dune-Zyklus von Frank Herbert.
Ronald M. Hahn lebt und arbeitet in Wuppertal.
Ronald M. Hahn & Hans Joachim Alpers
WILLKOMMEN IN GNOMISTAN –
Computer-Kid im Märchenland
Die Fahrt ins Ungewisse
Als Captain Kork am diesem schönen Morgen die Kommandobrücke des bei allen Milchstraßen-Banditen gefürchteten Raumschiffs Entensteiß betrat, saß Mister Spotz, der spitzohrige Erste Offizier, schon hinter seiner komplizierten Computeranlage und setzte sie zur Katalogisierung seiner Joghurtbechersammlung ein.
»Guten Morgen, Captain«, sagte Mister Spotz artig, als er Captain Kork erblickte. Er wackelte mit den Ohren. »Wünsche, wohl geruht zu haben.«
»Vielen Dank, Mister Spotz«, erwiderte Captain Kork. Er ließ sich frohgemut in seinem Kommandosessel nieder und dachte: Mann, ist das ein bizarrer Traum!
Trotzdem warf er einen zufriedenen Blick auf den großen Bildschirm, denn er zeigte die grenzenlosen Weiten des Weltalls, jede Menge vor sich hin funkelnde Sterne und eine Gegend, in der garantiert noch niemand zuvor gewesen war.
Die Bordcomputer brummten geschäftig vor sich hin. Wahrscheinlich waren sie mit der Berechnung der Bundesliga-Ergebnisse des kommenden Wochenendes beschäftigt. Die Mannschaft ging ihrem üblichen Tagwerk nach: Sie kratzte sich am Kopf und gaffte die komplizierten elektronischen Instrumente an, von denen Captain Kork nicht genau wusste, wozu sie eigentlich dienten. Die meisten dienten wohl dazu, kosmische Bösewichte aufzuspüren, doch die ließen sich heute nicht blicken. Der Schiffsarzt Dr. McBoy schäkerte mit Lieutenant O’Hara. Er war ein gut gelaunter alter Knabe und mithin das genaue Gegenteil des hochintelligenten Mister Spotz, von dem jeder wusste, dass ihm menschlichen Gefühle völlig fremd waren, denn er war ein Außerirdischer. Das heißt, wenn es Grießbrei mit Rosinen zu Mittag gab, konnte er schon mal grantig werden.
Captain Kork schaute seinen Ersten Offizier neugierig an. Seit Jahren schon nagte eine Frage an ihm, und heute sollte der Tag sein, an dem er sie endlich aussprechen wollte.
»Mister Spotz«, sagte er, »nun sind wir schon seit über fünfzig Folgen zusammen. Man könnte fast sagen, wir sind im Laufe dieser Zeit so etwas wie Freunde geworden...«
Mister Spotz wandte sich von seiner Joghurtbechersammlung ab und schaute auf. »Es sind genau 54 Folgen, Captain«, erwiderte er, »wenn man die gegenwärtige mitzählt.« Mister Spotz war nämlich immer sehr genau, was Captain Kork freilich manchmal höllisch auf die Nerven ging.
»Nun«, fuhr Captain Kork fort, »Sie haben unzweifelhaft ein besseres Gedächtnis als ich, Mister Spotz. Wollen wir uns also deswegen nicht streiten.« Er räusperte sich. »Wenn Sie nichts dagegen haben... Ich möchte Ihnen gern eine private Frage stellen.«
»Ich bin ganz Ohr«, sagte Mister Spotz und deutete auf seine Fledermausohren. Die Mannschaft duckte sich und beugte sich über die komplizierten elektronischen Instrumente. Zudem biss sie die Zähne zusammen, denn es war unfein, über die Ohren anderer Lebewesen zu lachen, und mochten sie auch noch so lang sein.
»Obwohl wir nun schon seit vierundfünfzig Folgen zusammen sind«, sagte Captain Kork nachdenklich, »habe ich nie erfahren, wie Sie eigentlich mit Vornamen heißen.«
»Das ist nur logisch, Captain«, erwiderte Mister Spotz sachlich, denn er dachte immer nur streng logisch. »Ich habe meinen Vornamen nämlich noch nie erwähnt.«
Captain Kork verdrehte die Augen im Kopfe.
»Wollen Sie ihn mir nun endlich sagen?«
»Meinen Vornamen?«, Mister Spotz schaute in die Runde, doch die Mannschaft zeigte keine Reaktion. »Wir Außerirdischen haben Namen, die für Menschenohren... hm... eigenartig klingen.« Er holte tief Luft. »Wenn ich Ihnen meinen Vornamen sage, Captain... Ich fürchte, Sie werden mir nicht glauben.«
»Lassen Sie es doch mal auf einen Versuch ankommen«, sagte Captain Kork neugierig. »Wie heißen Sie?«
»Schantalle«, sagte Mister Spotz.
»Sehr witzig, Mister Spotz«, sagte Captain Kork. »Wirklich, sehr witzig!«
»Ich empfange gerade einen Funkspruch, Captain«, sagte Lieutenant O’Hara und drehte sich um. Sie war so schwarz wie das Weltall, durch das sie gerade flogen, und außerdem ein hübsches Mädchen. Kein Wunder also, dass Captain Korks Blick mit Wohlgefallen auf ihr ruhte. »König Kroko vom Sumpfplaneten möchte mit Ihnen sprechen.«
»O Schreck!«, sagte Captain Kork, denn nun fiel ihm etwas ein, was er seit dem Abflug vom Sumpfplaneten am liebsten vergessen hätte. »Sagen Sie Seiner Majestät... ähm... Sagen Sie, ich wäre bei meiner Tante Martha, die hat nämlich heute Geburtstag!«
Lieutenant O’Hara runzelte empört die Stirn. »Aber Captain«, sagte sie vorwurfsvoll. »Das sähe doch feige aus!«
»Das finde ich auch«, sagte Mister Spotz. »Außerdem wäre es gelogen, denn Sie haben überhaupt keine Tante, die Martha heißt.«
»Na schön«, sagte Captain Kork mit einem Seufzer. »Verbinden Sie mich mit Seiner Majestät.« Bei ihrem Besuch auf dem Sumpfplaneten hatte König Kroko ihn zu einem Festbankett eingeladen. Besonders gut war ihm das leckere Essen in Erinnerung geblieben: Geröstete Baumwurzeln auf Toast, gewürzt mit Meerrettichsoße.
Der große Bildschirm blitzte auf. Die kalte Schwärze des Weltraums verschwand. An ihre Stelle trat die grimmige Miene eines Lebewesens, das so aussah, als sei seine Mutter ein blaugrünes Krokodil gewesen. Es trug eine schicke rote Uniform mit vielen goldenen Orden auf der Brust, und im rechten Winkel seines Mauls, das im Übrigen viele hundert spitze Zähne aufwies, klemmte eine dicke Zigarre. Auf seinem schuppigen, mit Beulen verzierten Haupt thronte eine kleine goldene Krone.
»Argl! Urgl!«, knarzte König Kroko und winkte Captain Kork ungehalten zu. Er wirkte ziemlich aufgeregt.
»Auch ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Majestät«, erwiderte Captain Kork höflich, denn als Kommandant eines Raumschiffes musste man tolerant sein. Kommandanten wie er wussten nämlich, dass das Äußere einer Lebensform noch lange nichts über seinen Charakter aussagt - auch dann nicht, wenn sie eine Stechmücke ist. »Ich freue mich außerordentlich, Sie schon so kurz nach unserem Abflug wiederzusehen.«
»Falls ich mir eine Bemerkung erlauben darf, Captain«, warf Mister Spotz ein. »Die Worte Seiner Majestät sind eigentlich kein Gruß, sondern eine Beschimpfung.«
»Eine Beschimpfung?«, sagte Captain Kirk verdutzt. Er schaute sich sprachlos um. »Warum, um alles in der Welt, sollte Seine Majestät mich beschimpfen?« Erstaunlicherweise wurde ihm der Kragen seiner Uniformjacke nun eng, und er fragte sich, ob es vielleicht doch keine gute Idee gewesen war, König Krokos Tochter, die charmante Prinzessin Yukki, auf dem Kosmos-Ball um ein Tänzchen zu bitten.
»Weil Sie meiner Tochter, obwohl Sie nur 32 Zähne haben, mit Ihren wilden Tänzen auf dem Kosmos-Ball den Kopf verdreht haben!«, schrie König Kroko. Seine fünf Zentimeter langen blitzblanken Krallen schwenkten das Foto eines hübschen Krokodilmädchens mit drei wunderschönen blauen Augen.
Captain Kork erbleichte. »Iiich?«
»Ja, Sie!«, fauchte König Kroko. »Sie haben Yukki etwas beigebracht, das auf der Erde Rock ‘n’ Roll heißt, und jetzt hat sie nichts anderes mehr im Sinn! Sie will eine Band gründen! Natürlich will kein anständiger Prinz sie jetzt mehr haben! Also werden Sie sie heiraten!«
»Iiich? Heiraten?« Captain Kork blieb der Mund offen stehen. Außerdem fiel ihn siedend heiß ein, dass er dazu gar nicht in der Lage war. »Dazu muss man doch volljährig sein!«
»Volljährig?«, sagte König Kroko und schaute sich nach allen Seiten fragend um. »Was bedeutet dieses Wort?«
»Falls ich Sie aufklären darf, Majestät«, mischte sich der allwissende Mister Spotz ein. »Menschen dürfen erst in den Bund der Ehe treten, wenn sie ein gewisses Alter und die... ähm... dazu nötige Reife haben. - Leider ist Captain Kork erst fünfzehn Jahre alt.«
»Fünfzehn?« Captain Kork bedachte Mister Spotz mit einem empörten Blick. »Sechzehn!«
»Fünfzehn! Sechzehn!«, schrie König Kroko. »Was spielt das für eine Rolle? Meine Tochter ist hundertvier! Da ist sie reif genug für zwei!«
»Das finde ich freilich auch«, sagte Mister Spotz.
»Aber meine Mutter«, sagte Captain Kork hastig, dem die Diskussion allmählich ziemlich absurd vorkam. »Sie wird es nie erlauben! Und erst mein Vater! Außerdem...« Er schaute sich suchend um, doch das, was er zu erblicken hoffte, war nirgendwo zu sehen.
Es war allerdings sehr gut zu hören, denn es klang verteufelt so wie ein rasselnder Wecker.
»Außerdem... Mir fällt mir gerade ein, dass ich eigentlich Ralph heiße. Captain Kork ist nur... ist nur...« Er bekam das Wort »Traumgestalt« nicht über die Lippen, deswegen erhob sich schnell aus dem Kommandosessel und eilte zum Turbolift. »Entschuldigen Sie mich, Majestät. Leider muss ich jetzt aufstehen. Ich habe einen wichtigen beruflichen Termin...«
Das Schrillen des Weckers riss Ralph Ritter in letzter Sekunde aus dem Land der Träume in die kalte Wirklichkeit zurück.
Der Morgen war grau und trüb und stimmte fast traurig, was kein Wunder war, denn in der Erdzone, die seine Heimat war, herrschte wieder mal ein öder Winter. Ralph hob den Kopf, wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und schaute sich um.
Diese verrückten Computerspiele! Er hatte gestern Abend bis um zwei vor dem Bildschirm gesessen und zusammen mit dem wagemutigen Captain Kork ein haarsträubendes Abenteuer im Weltraum erlebt. dass er anschließend von der Sache geträumt hatte, konnte nur eins bedeuten: Er hatte es übertrieben. Ein Krokodil als Ehefrau hatte ihm gerade noch gefehlt! Er schüttelte sich, als er sich vorstellte, mit Prinzessin Yukki zu schmusen. Auch wenn sie hübsche Augen hatte - zum Heiraten war er einwandfrei zu jung.
Hinter der Gardine waren vereinzelte Lichter zu erkennen. Das Viertel, in dem er gerade wohnte, lag noch in tiefem Schlaf. Sein Blick fiel auf den Wecker. Es war Punkt sechs.
Banzai! Er richtete sich auf, schlug den klingelnden Wecker mit einem gezielten Hieb auf den Kopf K.O., knipste die Bettlampe über sich an und blinzelte ins Licht. Wenn er etwas zu sagen gehabt hätte, hätte er noch eine Stunde geschlafen. Aber leider hatte er nichts zu sagen. Als Praktikant konnte man leider nicht über alles entscheiden. Und Pünktlichkeit wurde in dem kleinen Computerbetrieb verlangt, in dem er seit zwei Wochen tätig war.
»Sei froh, dass du überhaupt ‘ne Praktikantenstelle bei uns gekriegt hast«, wurde der junge Herr Klaus nicht müde zu sagen. »Die Jungs in deinem Alter rennen mir die Hütte ein. Und manch einer hat bessere Zeugnisse als du.«
Ralph grinste müde. Der junge Herr Klaus hatte gut reden. Er wohnte nämlich keine zwei Minuten von seiner Firma entfernt. Ralph hingegen musste eine Anfahrt von einer halben Stunde bewältigen, und dazu kamen noch zweimal fünf Minuten Fußweg vom Lehrlingsheim zum Schwebebahnhof und von der Endstation zum Betrieb.
Er gähnte, reckte sich und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Widerwillig schlug er die Decke zurück, eilte in die winzige Kochnische, füllte einen Aluminiumtopf mit frischem Wasser und schaltete den Tauchsieder ein. Ein Erbteil von Opa. Bald darauf stieg Dampf auf. Ralph goss das kochende Wasser über den Teebeutel in der Tasse, öffnete die Kunststoffdose mit dem am Abend zuvor fabrizierten Frühstück und kaute ohne große Begeisterung. Dabei las er in der Zeitung vom Vortag die Witze und die Kinowerbung.
Zehn Minuten später duschte er, betastete die Stoppeln, die seit vier Wochen an seinem Kinn wuchsen und zog sich an. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass die morgendliche Prozedur mit gewohnter Exaktheit abgelaufen war. Er nahm den Schlüsselbund und die abgewetzte Aktentasche - noch ein Erbteil von Opa - und ging zur Tür. Im Korridor zog er die Tür hinter sich zu und prüfte noch einmal nach, ob sie auch ins Schloss gefallen war. Dann eilte durch den langen Gang, lief die Treppe hinunter und trat auf die Straße hinaus.
Es war mordsmäßig kalt und schneite vom Himmel hoch. Dicke weiße Flocken fielen durch das Dunkel und legten sich auf Dächer, Blumenkästen und Asphalt. Das verschwommene, ihm ansonsten jedoch inzwischen vertraute Bild der Häuserfassaden der fremden Stadt glitt an ihm vorüber. Im Sommer musste es hier schöner sein, denn die Stadt war eigentlich sehr grün. Nach kurzer Zeit erreichte er den Alten Markt. Eine Litfaßsäule tauchte vor ihm auf. Aus der Ferne drang das Kreischen der Schwebebahn an seine Ohren, die an ihrem Eisengerüst um eine der zahlreichen Talkurven bog.
Ralph ignorierte die grellen Farbtöne der Plakate und warf einen Blick in einen wildromantischen, ungepflegten Garten, der genau am Flussufer lag. In dem Bretterzaun, der ihn umgab, fehlten mehrere Latten. Wem er wohl gehörte? Er beneidete den Besitzer um das Fleckchen unberührter Natur.
Vor ihm tauchte das futuristisch anmutende Gestänge des Schwebebahnhofs auf. Hier war die Welt heller. Zahlreiche Menschen waren unterwegs. Angehörige aller Nationen. Er ging die Treppe hinauf und sah die gleichen stummen Gesichter wie an jedem Morgen. Und wenig später auch in der Schwebebahn. Verschlafene, müde, unwirsche Mienen, die immer grau auf ihn wirkten. Natürlich kriegte er keinen Sitzplatz. Es scherte offenbar niemanden, dass auch junge Burschen ihre von zu vielen Computerspielen müden Knochen gern unter einer Sitzbank ausgestreckt hätten.
Kurz darauf standen mehrere Leute auf, die an der nächsten Station aussteigen wollten. Ralph eroberte den freigewordenen Fensterplatz direkt hinter dem Fahrer und musterte mit mäßigem Interesse einen dicken Regentropfen, der unendlich langsam an der Fensterscheibe hinab lief. An der nächsten Haltestelle stiegen mehrere Fahrgäste ein, und ihm gegenüber nahm ein blondes Mädchen Platz, das ungefähr in seinem Alter war. Ralph musterte es interessiert. Es war viel schöner als Prinzessin Yukki, auch wenn es nur zwei blaue Augen hatte. Das Mädchen trug eine randlose Brille und nahm ein Buch aus seiner Handtasche, in das es sich gleich nach der Abfahrt vertiefte. Das Buch hieß »Warum sind alle Mädchen schön - und nur ich bin hässlich?«
Typisch Frau.
Neben dem Mädchen nahm ein nervöser junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren Platz. Auch er trug eine Brille, allerdings mit einem schwarzen Horngestell, und dazu einen schwarzen Anzug und ein schwarzes Hemd mit weißer Krawatte. Sein Haar war millimeterkurz geschnitten, er wirkte fast wie ein Glatzkopf. Doch seine wachen braunen Augen blickten sehr intelligent. Ein typischer Yuppie, wie der junge Herr Klaus. Wahrscheinlich hatte er schon im Alter von achtzehn seine erste Million verdient. Auf dem Schoß des jungen Mannes lag ein superflacher, sündhaft teurer Laptop-Computer, den er aufklappte und sofort einschaltete. Sekunden später machte das Gerät »Piep«, »Schnurr«, »Kracks« und »Knister«.
Ein Spielsüchtiger! Ralph rümpfte die Nase, denn als konservativ erzogener junger Mann waren ihm Leute, die in öffentlichen Verkehrsmitteln Krach machten, schon immer ein Gräuel gewesen. Sein Blick erdolchte den Yuppie, und das blonde Mädchen grinste Ralph über den Rand des Buches hinweg an, als könne es seine Gedanken lesen. Der Yuppie hatte jedoch nur Augen für den Computer-Bildschirm und scherte sich nicht um ihn.
Dann wurde Ralph von einem anderen Fahrgast abgelenkt. Er stand neben ihm, trat von einem Fuß auf den anderen und bemühte sich hektisch, eine zwischen seinen Zähnen klemmende Pfeife auszumachen, was natürlich nicht ging, ohne sich die Finger zu verbrennen. Wahrscheinlich war er fremd in der Stadt und hatte nicht gewusst, dass man in der Schwebebahn nicht rauchen durfte. Scharfer Tabaksqualm zog in Ralphs Nase.
Und weiter ging die Fahrt durch das verschneite, in der Finsternis liegende Tal. Zwei Kontrolleure in Zivil, die die Bahn nach Schwarzfahrern durchkämmten, hatten Glück und nahmen einen jungen tätowierten Mann in die Mangel, an dessen Brauen, Ohren, Nase und Lippen etwa ein halbes Kilo Metall befestigt war.
Ralph schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Wassertropfen zu. Er fand ihn mit einiger Mühe wieder und beobachtete seinen Lauf. Es war ein schöner Wassertropfen mit eigenartig schillernden Farben.
Welche Schönheit oft in winzigen Dingen liegt, dachte er. Der Tropfen setzte seinen Weg langsam fort und malte eine bizarre Bahn auf das Fenster. Hinter ihm huschten Schneeflocken, Lichtreflexe und Schatten in stetigem Wechsel vorbei.
Der Tropfen erschien Ralph plötzlich sehr wichtig. Mit ihm hatte es bestimmt irgendetwas Besonderes auf sich. Wenn man den Blick länger auf ihn richtete, sprang ein heller Funke von ihm über. Zugleich hatte er das komische Gefühl, dass in seiner Umgebung irgendetwas nicht stimmte. Etwas war anders als sonst. Irgendetwas passierte außerhalb seiner Reichweite.
Ralphs Blick fiel auf den hochgeklappten Bildschirm des Yuppie-Laptops, und er hatte den Eindruck, als rage aus seinem oberen Rand eine dünne Antenne hervor. Sie war genau auf seinen Kopf gerichtet. Ein Laptop mit Antenne? Wozu konnte sie wohl gut sein? Er musterte den Yuppie und stellte fest, dass er irgendwie leicht dämlich vor sich hin grinste, während er in höchster Konzentration auf der Mini-Tastatur herumtippte.
Ja, irgendwas ist anders als sonst, dachte Ralph. Er konnte es zwar nicht exakt benennen, aber er wusste es genau. Er starrte wie hypnotisiert auf den Tropfen. Die Geräusche waren verstummt.
Die Geräusche waren verstummt.
DIE GERÄUSCHE WAREN VERSTUMMT.
Ralph wollte den Kopf heben, aber er konnte den Blick nicht von dem Regentropfen lösen. Er war wie gelähmt. Er handelte wie unter einem geheimnisvollen Zwang. Er konnte seine Umgebung nicht mehr ausmachen. Er sah nur noch den Tropfen auf der feuchten Scheibe. Die Schneeflocken vor dem Fenster schienen in der Luft zu verharren. Der Tabaksqualm des Pfeifenrauchers war nicht mehr zu riechen. Die Luft war warm, mild und reglos. Es war totenstill. Auch das Licht war anders. Es war dunkel in der Schwebebahn. Schwarz. Nur die Scheibe mit dem Tropfen erstrahlte in überirdischem Glanz.
Aber... Die Scheibe hatte sich verändert. Sie war nun ein Tor. Ein gleißendes Lichtfeld. Seltsam asymmetrisch, mit einer riesigen, buntschillernden Träne, die an ihrem Rand schwerelos im Raum schwebte. Der Tropfen. Nur er war wichtig. Ralph bemerkte verwundert, dass er sich vom Boden löste. Nun stand er mitten im Raum. Das Tor war nicht mehr vor ihm. Es lag unter seinen Füßen. Er schwebte darauf zu. Es wurde immer größer, und bald sah er nur noch Licht. Die Ränder des Tores wurden undeutlich, verwischten sich, zerfaserten, zerflossen.
»Hör mal, ist dir schlecht?«, fragte das blonde Mädchen, das ihm gegenüber saß. Ralph sah es nicht. Er hörte es nur.
Er griff nach dem dicken Tropfen. Flüchtig spürte er ein Gefühl des Bedauerns. Dann zerplatzte er wie eine Seifenblase.
Und das Licht erlosch.
Gleichzeitig spürte er unter seinen Füßen das Nichts.
Wie ein Stein fiel er durch das Tor ins Dunkel hinein und verlor das Bewusstsein.
Willkommen in Gnomistan
Ralphs Gesicht fühlte sich feucht an. Irgendetwas kitzelte seine Nase.
Als er die Augen öffnete und den Kopf hob, stellte er fest, dass er auf einer taufeuchten Wiese lag. Sein Gesicht hatte im Gras gelegen. Er richtete sich auf, setzte sich hin und schaute sich erstaunt um. Dann erst fragte er sich, wo die Schwebebahn und die anderen Fahrgäste geblieben waren.
Das Gras war von einem intensiven Grün. Hier und da erspähte er Blumen mit gelben und blassblauen Blüten. Sie erinnerten ihn an Orchideen, obwohl er kein Experte für Botanik war. Ihr prächtiger, asymmetrischer Aufbau übertraf die ihm bekannten Blumen an Schönheit bei weitem. Etwa hundert Meter von ihm entfernt versperrte ein seltsames Gewoge seine Sicht. Ein Wald? Der Höhe nach konnte es einer sein. Aber die Bäume sahen wie große Pilze aus. Ihre Äste zeigten eine warme dunkelbraune Farbe und wirkten wie ein abstraktes Gemälde.
Ich bin eingeschlafen, dachte Ralph. Natürlich. Das monotone Geratter der Schwebebahn, die vier Stunden Schlaf, die mir nach dem Abend vor dem Computer fehlen... Ich bin einfach wieder eingeratzt und träume...
Hinter ihm räusperte sich jemand. Der nervöse Mann mit der Tabakspfeife? Der hektische Yuppie mit dem Laptop? Das blonde Mädchen mit dem komischen Buch? Der Kontrolleur?
Ralph drehte sich langsam um. Hinter ihm stand weder der Pfeifenraucher, noch der Yuppie, noch das Mädchen, noch der Kontrolleur. Hinter ihm stand ein Zwerg. Ein Männlein mit faltigen Gesichtszügen. Es war etwa achtzig Zentimeter groß, trug einen dunkelgrauen Trenchcoat und einen verwegen in die Stirn gezogenen gleichfarbigen Filzhut. Es hatte die Hände in die Manteltaschen gesteckt, beobachtete ihn mit wachsamem Blick, und ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel.
»Na klar«, sagte Ralph. »Auch Zwerge gehen mit der Zeit. Rote Zipfelmützen sind ja mega-out.«
Er hielt vergebens nach einem weißen Rauschebart Ausschau. Der Zwerg war glattrasiert. Als er die Hände in den Taschen bewegte, klaffte sein Trenchcoat ein Stück weit auf und Ralph erblickte ein kleines Bäuchlein und ein weißes T-Shirt, auf dem das Gesicht einer Ente mit einer blauen Matrosenmütze abgebildet war.
»Onkel Donald!«, sagte Ralph verdutzt.
»Hallo, Arnold«, sagte der Zwerg und nahm seine Sonnenbrille ab. »Ich bin nicht Onkel Donald. Ich bin Bogie.« Er schaute sich um, als wolle er sich versichern, dass niemand mithörte. »Ich bin Privatspürnase von Beruf und stehe gegenwärtig in König Rambos Diensten.« Er zuckte irgendwie bedauernd die Achseln. »Solche popeligen Aufträge sind ja normalerweise nicht mein Bier, aber man muss ja Miete zahlen.«
»Bogie?«, sagte Ralph verdattert. »Wie Humphrey Bo...?«
»Hamfrey Bo?«, sagte Bogie. »Du sprichst in Rätseln, Arnold.«
»???«, fragte Ralph, da ihm nichts Besseres einfiel.
»Pass auf, Arnold«, fuhr Bogie lässig fort, »wenn ich deine sprachlose Miene so sehe, kann ich mir vorstellen, dass du ziemlich platt über die unerwartete Ortsveränderung bist. Aber ich versichere dir, dass der alte Rinaldo dir genau verklickern kann, wie er die Sache angeleiert hat.«
»Rinaldo?«, fragte Ralph.
»Ja, Rinaldo Rinaldini«, sagte Bogie.
»War das nicht ein Räuberhauptmann?"
»Nicht dass ich wüsste. Aber man weiß ja nie, was die Leute früher getrieben und was sie für Leichen im Keller haben... Ansonsten glaub’ ich aber eher, dass er sich für so ‘ne Art Magier hält.«