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MORD IN ULM: Der Krimi-Klassiker!
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eBook216 Seiten2 Stunden

MORD IN ULM: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Morgens feierte sie mit Sekt ihren Geburtstag, mittags ist sie tot, vergiftet: Lisa Jablonska, lebenslustige Sekretärin in der Praxis des Spezialisten für Ohren-Krankheiten, Dr. Buchloh.

Der Täter kann nur unter den Kollegen oder den taubstummen Patienten zu finden sein, dennoch tappt Kriminalkommissar Krafft im Dunkeln.

Da geschieht - praktisch vor seinen Augen - ein zweiter Mord...

 

Luisa Ferber, gebürtige Frankfurterin, lebte längere Zeit in Berlin, bevor sie in Ulm ansässig wurde - in jener Stadt, die der Schauplatz dieses spannenden Kriminalromans ist und die sie voll Humor und mit sanfter Ironie porträtiert.

Mord in Ulm erschien erstmals im Jahr 1982 und wurde mit dem Edgar-Wallace-Preis ausgezeichnet.

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der deutschen Kriminal-Literatur.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum14. Feb. 2023
ISBN9783755432487
MORD IN ULM: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    MORD IN ULM - Luisa Ferber

    Das Buch

    Morgens feierte sie mit Sekt ihren Geburtstag, mittags ist sie tot, vergiftet: Lisa Jablonska, lebenslustige Sekretärin in der Praxis des Spezialisten für Ohren-Krankheiten, Dr. Buchloh.

    Der Täter kann nur unter den Kollegen oder den taubstummen Patienten zu finden sein, dennoch tappt Kriminalkommissar Krafft im Dunkeln.

    Da geschieht - praktisch vor seinen Augen - ein zweiter Mord...

    Luisa Ferber, gebürtige Frankfurterin, lebte längere Zeit in Berlin, bevor sie in Ulm ansässig wurde - in jener Stadt, die der Schauplatz dieses spannenden Kriminalromans ist und die sie voll Humor und mit sanfter Ironie porträtiert.

    Mord in Ulm erschien erstmals im Jahr 1982 und wurde mit dem Edgar-Wallace-Preis ausgezeichnet.

    Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der deutschen Kriminal-Literatur.

    MORD IN ULM

    Erstes Kapitel

    Ulm ist eine bemerkenswerte Stadt. Sie hat den höchsten Kirchturm der Welt. Sie ist ein internationaler Eisenbahnknotenpunkt. In der Bahnhofstraße sieht und hört man alle Gesichter und Sprachen Europas und des Orients. Aber das ist wohl heute in keiner Bahnhofstraße mehr etwas Besonderes.

    Im frühen Mittelalter hieß es Ulmer Geld regiert die Welt. Aber die Entdeckung Amerikas und der Dreißigjährige Krieg zerbrachen Ulms Wirtschaftsmacht, und die hungrigen Heere Napoleons, der das weite Hinterland zu Bayern schlug, machten wiederaufblühenden Handel und Handwerk vorsichtig. Niemand weiß, wo heute das Ulmer Geld steckt, aber es ist wieder da. Kein Schwabe sagt, wie reich er ist. Wenn man bedenkt, was für Preise heute Kidnapper verlangen, so ist das sogar sehr vernünftig. Dennoch hat Ulm mehr Juweliere als Düsseldorf, und beim großen Fest des Fischerstechens vergnügen sich in der Au mehr richtiger und Bauernadel als arme Leute.

    Im Schwäbischen beginnt Armut beim Besitz von weniger als drei Häusern. Wenn einer Rentnerin die Handtasche gestohlen wird, hat sie nie weniger als tausend Mark drin gehabt.

    In diesem Land ist es selbstverständlich, dass auch der Reiche arbeitet. Da man deshalb auch bei einer Frau nicht immer voraussetzen kann, dass sie nur arbeitet, weil sie es nötig hat, hält kein Mensch von vornherein eine berufstätige Frau für ein armes Luder. Der Umgangston an Marktständen, in Geschäftshäusern und Fabriken ist entsprechend erfreulich, und Schwaben ist das einzige Bundesland mit höflichen Beamten.

    Natürlich gibt's in Ulm Mord und Totschlag wie überall. Aber erwischen lassen sich dabei nur die Ausländer und Zugereisten. Richtigen Schwaben war derartiges noch nie nachzuweisen.

    Nur bei so vielen tugendhaften Eigenschaften ist es möglich, dass ein berühmter Hals-Nasen-Ohrenarzt wie mein Dr. Buchloh seine Praxis in einer Altstadtgasse haben kann, wo es weit und breit keinen Parkplatz gibt, und trotzdem der schwerhörige Reichtum Schwabens den Weg in unsere keineswegs billigen Sprechstunden findet.

    Dr. Buchloh ist Spezialist für Ohrenkrankheiten. Als ich vor fünf Jahren meine Ausbildung in Heidelberg als Logopädin beendet hatte und mich bei der Universitätsklinik in Ulm um eine Anstellung bewarb, bot er mir die Tätigkeit einer Assistentin in seiner Privatpraxis an.

    »Frau Lembach«, sagte er mit der wundervoll modulierenden Stimme aller Schauspieler und Ohrenärzte, »ich bin ein sehr guter Arzt, und ich lasse mich gut bezahlen. Mit der Hälfte dieser guten Bezahlung behandle und sorge ich für hörgeschädigte Kinder. Dazu brauche ich eine gute und sympathische Logopädin.«

    Das Monatsgehalt, das er mir anbot, war entschieden höher als das für eine Logopädin vorgesehene an der Universitätsklinik. Außerdem ist Dr. Buchloh ein schöner Mann und Junggeselle. Ich zog die Arbeit in seiner Privatpraxis dem Universitätsdienst vor.

    Hinsichtlich meiner schlechten Absichten war dies ein Reinfall. Doch Sie dürfen mir glauben, dass ich trotz meiner schwäbischen Vorliebe für weltliche Güter und meiner Schwäche für schöne Männer für Dr. Buchlohs Praxis und seine jugendlichen Patienten mein Geld wert bin.

    Ulm liegt an der Donau, wuchert aber mit seinen Straßen und Häusern wie Rom über sieben Hügel. Fremde finden es komisch, dass die feinsten Leute auf dem Galgenberg und die feinen auf dem Kuhberg wohnen und die Universität auf dem Eselsberg steht. Die amerikanischen Bomben haben uns ein paar mittelalterliche Relikte übriggelassen, die von der Stadtverwaltung liebevoll gepflegt werden. Aber wir haben auch ein ganz modernes Theater, das wie ein blanker Kristall zwischen dem neuen Fernmeldeamt und der Landeszentralbank glänzt. Bei Aufführungen wie Gräfin Mariza ist es sogar ausverkauft.

    Das Ulmer Theater hat natürlich auch ein Ballett, das fast so gut ist wie das in Stuttgart, und es hat für die neue Saison einen jungen Tänzer in sein Ensemble aufgenommen, der seit seinem dreizehnten Lebensjahr taub ist. Und damit beginnt diese Geschichte.

    Das heißt, eigentlich begann es damit, dass ich eines Morgens aufwachte und es satt hatte, morgens allein aufzuwachen und abends allein zu Bett zu gehen. Seit meiner Scheidung hatte ich sieben Jahre vertrödelt mit Affären, netten Freundschaften und seelischer Trägheit, statt mich darum zu kümmern, einen Mann zu finden, der mich weder abends allein einschlafen noch morgens einsam aufwachen ließ. Ich wollte wieder heiraten, ich musste wieder heiraten, und ich würde wieder heiraten! Noch in diesem Jahr würde ich den Mann meines Lebens finden!

    Ich bin neununddreißig Jahre alt, einhundertsiebzig Zentimeter groß und wiege einhundertzehn Pfund. Meine Freundin Gudrun, die Krankengymnastin, findet meinen Lebensstil nicht gerade anstößig, aber auch nicht tugendhaft. In der Praxis verhalte ich mich natürlich untadelig bis zum Exzess. Dr. Buchloh hat allerdings auch noch nie versucht, dieses Wohlverhalten zu erschüttern.

    An diesem Morgen fuhr ich, wie jeden Tag, mit dem Omnibus über den Kienlesberg zur Stadt hinunter, und das Münster schwebte luftig und himmelhoch über den Dächern und Brücken. Selbst den Amis war es nicht gelungen, diese Schönheit mit ihren Bomben zu zerstören. Dafür bin ich dem lieben Gott dankbar, wenn ich für seine Beschlüsse auch nicht immer das nötige Verständnis aufbringen kann, besonders hinsichtlich eines Menschenwesens, das Ursula Lembach heißt.

    Ich stieg am Rathaus aus und ging über den Münsterplatz. Vor dem Hauptportal des Münsters blieb ich wieder einmal kopfschüttelnd stehen und besah mir, was sogenannte Kunstversiegler da anrichten. Den echten Schmerzensmann haben sie schon längst durch einen nachgemachten ersetzt, aber wenigstens haben sie diesen Ersatz so rau und ungeschleckt gelassen, wie der alte war. Aber Anna Selbdritt, die Maria, der Täufer, die Bischöfe und erst recht die törichten Jungfrauen mit ihren Lampen kommen direkt aus einem PVC-Labor der Badischen Anilin- und Sodafabrik. Es wäre besser, man ließe die ehrwürdigen Steine in Schönheit zerfallen, als sie zugespritzt wie Plastikspielzeug glatt, blank und gelbsüchtig der Nachwelt zu erhalten.

    Wenn irgendwo ein Bauer einen nassen Graben zuschüttet, fangen sogleich die Umweltschützer an zu schreien, da ginge der Nachwelt ein rares Läusekraut verloren. Aber könnten sie sich nicht auch einmal rühren, wenn unser frommes Münsterportal verschandelt wird?

    Wenn ich nicht meinen Namen nennen müsste, würde ich direkt einen Brief an den Donauspiegel schreiben. Aber wahrscheinlich halten die das Läusekraut auch für progressiver als unsere törichten Jungfrauen.

    Sie merken schon, ich bin eine einfältige Person. Ich gehöre zu den Leuten, die immer sagen »Ich verstehe ja nichts davon, aber mir gefällt's!« Und schon rümpfen die Sachverständigen die Nase. Im Kreuzgang des Blaubeurer Klosters bewunderte ich neulich die Blümchen, die die frommen Mönche an die Decke des uralten Gewölbes gemalt haben, und schon erklärte die Koryphäe, die uns führte, die Blümchen stammten erst aus dem 18. Jahrhundert und seien absoluter Kitsch. Soviel über mich.

    Dr. Buchlohs Haus steht in der Tuchwebergasse gleich hinter dem Münster. Es ist ein schmaler, spitzgiebeliger Fachwerkbau mit einer Lebensmittelfiliale im Parterre. Im ersten Stockwerk wird praktiziert - Dr. Buchloh operiert in der Uniklinik, im zweiten schlafen und im dritten spielen die kleinen Patienten seiner Privatstation. Unter dem Dach mit dem direkten Blick auf die gotischen Spitzenmuster des Münsters liegen Dr. Buchlohs Junggesellenräume, die zu betreten jedes weibliche Mitglied unserer Firma sein letztes Hemd hergäbe.

    Herr über die Kinder-Etagen ist Grumbach, ein schnauzbärtiger, hünenhafter Pfleger, den Dr. Buchloh in der Uniklinik beim Umgang mit Kindern beobachtet und umgehend für seine eigene Kinderstation requiriert hatte. Er haust in einer Kammer im zweiten Stock neben den Schlafräumen, wo er kocht, wacht, schläft und ständig neue Bücherborde an die Wände schraubt.

    Grumbach liest jedes medizinische Lehrbuch, dessen er habhaft werden kann. Hätte er die Möglichkeit zu einem Studium gehabt, er wäre sicher ein guter Arzt geworden. So ist er ein unangenehmer Besserwisser, der, wie man erleben wird, jederzeit für alles mit einer Diagnose zur Hand ist, mit einer Vorliebe für all die schauerlichen und auf jeden Fall tödlichen Greuel, die diese Wissenschaft zu bieten hat.

    Aber für die Kinder ist er nur und reine Liebe. Nur für sie hat er sanfte Hände, herzlichen und erfindungsreichen Trost und die komischsten Grimassen seines Seehundgesichts.

    Er ist bei uns im ersten Stockwerk und erst recht im Kellergeschoss, wo die Küchenräume sind, für das Personal bloß eine großmäulige Kanaille, aber in den beiden Kinder-Etagen die Güte, die Sonne, der liebe Gott selber. So was gibt’s!

    Ein einziger erwachsener Knecht dieses Hauses braucht sich nie über Grumbach zu ärgern. Das ist meine Freundin Gudrun, die Krankengymnastin.

    Weißblond, grauäugig, von majestätischem Wuchs, eine Germanin mit gebräunter Haut, die selbst im Winter nie richtig hell wird, geht sie energisch und mit kundigen Händen jedem Muskelspann an den jungen Körpern unserer Patienten nach. Sie massiert, biegt, dehnt, streckt und lässt die Kleinen turnen, bis ihnen schwarz vor Augen wird. Sie ist niemals zärtlich, zeigt nie Mitleid und duldet keine Wehleidigkeit. Sie ist nicht einmal freundlich zu Grumbach.

    Taube leiden stärker unter Verkrampfungen als Hörende, erst recht natürlich Kinder, die ihr Gebrechen noch nicht begreifen. Gudrun ist ein Segen für die Kinder, die ihr trotzdem nicht gerade zugetan sind. Doch wenn ein misstrauischer und ängstlich steifer Neuankömmling nach einigen Tagen gelockert und wild im Spielzimmer herumtobt und Grumbach am Bart reißt, so kommt dieses Wunder zum größten Teil auf Gudruns Konto. Grumbach frisst ihr aus der Eland.

    Dr. Buchloh hat auch noch einen Partner, der auf unserer Etage praktiziert, Dr. Hakki Tschömlekdschian aus Izmir. Er ist für die Triefnasen, die Ohrenschmalzpfropfen und die geröteten Gaumen da, die hartnäckig in der Praxis eines Hals-Nasen-Ohrenarztes aufzutauchen pflegen. Wenn sie nicht gerade einem fürstlichen Kopf angehören, ist Dr. Buchloh über die Behandlung solcher Molesten natürlich erhaben.

    Dr. Tschömlekdschian - bei uns allgemein Dr. Tschöm genannt - gehört zu den ernsthaften Leuten, die sich bei Professor Andraschke eine elektronische Komposition von Karlheinz Stockhausen anhören über das Thema Der Schatten, den ich werfe, ist der Schatten, den ich werfe und dann auch noch verstehen, was sie da hören. Seine Kundschaft wird von Lisa, der Sekretärin, im Empfangszimmer mit sicherem Blick von den Dr. Buchloh vorbehaltenen edleren Fällen aussortiert.

    Dr. Tschöm, dessen Name unsere schwerhörige Bruderschaft stets merkwürdig zu erheitern pflegt, hat in Deutschland studiert. Er hat den geschmeidigen Gang einer Katze und das Gemüt eines Reibeisens. Er spricht besser Deutsch als wir, und er versteht sein Metier. Obwohl er seiner türkischen Heimat vor zwanzig Jahren schon Lebewohl gesagt hat, ist er ein glühender Patriot und Muselmann geblieben. Er verachtet herzhaft jedes weibliche Wesen, das nicht tief verschleiert geht. Sobald er erscheint, zieht Lisa ihre Röcke eine Handbreit übers Knie hoch und bedauert lautstark, dass die Zeit der Minis vorüber ist. Dr. Tschöm streckt dann die Janitscharennase in die Luft und nimmt von Lisa und ihren Manövern keine Notiz.

    Außerdem gibt es noch die Assistentin von Dr. Tschöm, Helena Wilde, ein weißbekitteltes, mageres und schweigsames Wesen, dessen Gesicht von dunklen Haarsträhnen stets völlig verhangen ist. Lisa schwört, Dr. Tschöm habe sie nur wegen dieses haarigen Vorhangs vor der Nase angestellt. Gelegentlich, wenn sie gerade keinen Streit miteinander haben, schließen Lisa und Grumbach Wetten ab, wie viele Wörter mit wem Dr. Tschöms Assistentin in einer Woche wechseln werde.

    Frau Wilde schenkt diesem Treiben keine Beachtung. Sie kocht für Dr. Tschöm täglich ungezählte Tassen Kaffee auf der Kaffeemaschine im Küchenzimmer. Sie röntgt verstopfte Nasen, entwickelt die Aufnahmen, schreibt Dr. Tschöms Befunde und überwacht seine Instrumente und seine Krankenkartei. Sie macht unaufgefordert nie den Mund auf, wenigstens nicht außerhalb der Behandlungsräume ihres Meisters. Sie muss für einen türkischen Muselmann eine ideale Gefährtin sein.

    Meine Arbeit beginnt vormittags um neun mit dem Einzelunterricht, hauptsächlich für die Kinder, die von ihren Eltern gebracht und wieder abgeholt werden. Nachmittags gibt es den Gruppenunterricht für die Kinder der Station, und jeden Donnerstagabend findet noch ein Gruppenunterricht für Erwachsene statt.

    Ich betrachte meine Arbeit nicht als Mission, sondern als Beruf. Ich halte das Wort von der Berufung für sentimentalen Quatsch. Entweder man leistet etwas für sein Geld, oder man verdient es nicht. Aber ich bin nicht mit meinem Beruf verheiratet. Natürlich nimmt jeder, der dieses Geschäft ernst nimmt, gelegentlich seine beruflichen Probleme mit nach Hause. Aber ich gebe mir Mühe, nach Feierabend abzuschalten und dann nur noch an mich und meine eigenen Angelegenheiten zu denken. Missionarischen Eifer sollte man unterbeschäftigten Damen überlassen, die sich langweilen und Selbstbestätigung brauchen, aber man sollte sie nicht dafür bezahlen.

    Die Lage unserer Praxisräume ist einfach und übersichtlich. Vom Treppenhaus her betritt man einen langen und breiten Flur, entlang den Wänden stehen lederbezogene Bänke für Besucher, und rechts und links vom Flur gehen die Türen zu den einzelnen Zimmern ab. Gleich links neben der Eingangstür residiert Lisa, Empfangsdame und Sekretärin zugleich, in einem offenen Raum, den eine Art Theke als Empfangstisch vom Flur trennt. Die beiden Schreibtische dahinter sind die Arbeitsplätze von Lisa und Frau Wilde. In den Schränken an den Seitenwänden bewahren sie ihre Akten auf, und vor dem Nordfenster zur Straße blühen Lisas Usambaraveilchen, die sie ständig umtopfen muss, weil sie sich wie die Karnickel vermehren.

    Vom Sekretariat aus führt eine Tür zum Küchenzimmer. Die Hälfte dieses Raums besteht tatsächlich aus einer Küchenzeile mit Herd, Spüle und Kühlschrank, kann aber mit einem einfachen Nesselvorhang gegen die Fensterhälfte hin abgeteilt werden. Hier stehen an der einen Wand die wachstuchbezogene Liege mit Bestrahlungslampe und Lichtbügelkasten für Kopflichtbäder und gegenüber der Tisch mit dem Inhalationsgerät.

    Dieser Teil des Zimmers wird sehen benutzt, da Dr. Tschöm Huster umgehend zum Facharzt für Bronchialkrankheiten schickt, den Schnupfern Kamillentee und Ephedrin-Tropfen verschreibt und für drei Tage Bettruhe verordnet. Ernsthafte Erkrankungen überweist Dr. Buchloh an die Uniklinik.

    Im Küchenteil kocht Frau Wilde ihre Spritzen aus und bewahrt sie in sterilen Tüchern in den Hängeschränken über der Küchenzeile auf. In diesem Zimmer spielt sich ein gut Teil des täglichen Lebens der beiden Frauen ab. Hier schminkt sich Lisa und wechselt ihre Strümpfe, hier topft sie ihre Veilchen um, näht Knöpfe an und raucht eine verbotene Zigarette, und hier steht die Maschine, auf der sie Kaffee kochen. In unserem Flur riecht es unentwegt nach frisch gebrühtem Kaffee. Frau Wilde kocht ihn für Dr. Tschöm literweise, und ohne

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