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Auf Du und Du mit dem König der Diebe
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eBook241 Seiten2 Stunden

Auf Du und Du mit dem König der Diebe

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Über dieses E-Book

In einer prekären Lebenssituation heuert Willi Dommer notgedrungen bei einem bundesweit bekannten Paketzusteller an. Sehr früh wird ihm die fragwürdige Lage als "Scheinselbständiger" zum Problem: Auslieferung mit eigenem PKW, Tanken und Reparatur auf eigene Rechnung, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Sozialversicherung, Knebelverträge, die schnell in die Armut führen können.
Als kommunikativer, wissbegieriger Mensch führt der ansonsten gebeutelte Bote immer wieder Gespräche mit Kunden und Anwohnern und erfährt viel Interessantes über heimatkundliche Begebenheiten, Kunst und Kultur, die örtliche Sagenwelt, aber auch skurrile Geschichten aus seinem Auslieferungsgebiet im Südschwarzwald. Tipps und Anregungen für Feriengäste inklusive. Das hält ihn zunächst bei der Stange.
Zweieinhalb Jahre hält Willi Dommer durch. Im Depot wird es zunehmend unerträglich: überstrenge Sicherheitskontrollen, Beanstandungen wegen Lappalien, Unterstellungen wegen angeblicher Unterschlagung, Androhung von Entlassungen, freche Bemerkungen der Depotbetreiber ("Ihr amen Schlucker"). Etliche Boten werden vor Gericht gezogen und bekommen durchweg Recht. Dazu vierstellige Nachforderungen des Finanzamts trotz geringer Einkünfte.
Der Autor wagt den Absprung, lernt für den Taxischein und kündigt. 600 Euro werden ihm vom letzten "Lohn" einbehalten. Wegen angeblichen Sendungsverlusts ... Den Gang zum Gericht spart er sich, denn vor ihm liegt ja nicht das Nichts, sondern eine neue und hoffentlich angenehmere Phase seines Arbeitslebens.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum24. Jan. 2018
ISBN9783746041919
Auf Du und Du mit dem König der Diebe
Autor

Willi Dommer

Willi Dommer wurde 1952 im westfälischen Münster geboren und studierte dort Soziologie, Germanistik und Pädagogik. Nach der Promotion in 1981 absolvierte er ein zweijähriges Volontariat bei einer Tageszeitung im nördlichen Ruhrgebiet. Von 1985 bis 2002 war er als Redakteur bei der Zeitschrift 'esotera' in Freiburg beschäftigt. 1990 erschien im Freiburger Verlag Hermann Bauer sein erstes Buch 'Wo die alten Götter weiterleben' über die Relikte steinzeitlicher und keltischer Spiritualität in Europa. Nach der Auflösung des Verlags arbeitete er als Paketbote und bis zur Rente als schreibender und malender Taxifahrer in Emmendingen. Seit 2015 Rentner und Buchautor in Simonswald.

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    Buchvorschau

    Auf Du und Du mit dem König der Diebe - Willi Dommer

    Die Handlung ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder

    verstorbenen Personen sind rein zufälig und unbeabsichtigt.

    Inhalt

    Eine resolute Seniorin

    Kaufen Se sich ’n Subaru Allrad!

    Kaufleute, Reisende und Diebe

    Vom Förderband ins Simonswälder Tal

    Worum isch uns des total egal?

    Auf der Uhrenstraße

    Ins Dorf der Erfinder

    Vom Unterlehmannsgrund zum Heidenkopf

    Jesus am Fließband

    »Geräucherte Entenbrust an Berglinsen«

    Fränzi mit dem roten Halstuch

    Nepomuk, der Brückenheilige

    Der Wächter

    Rendevouz mit »Dr. Nille«

    Altkatholische

    SI-Check mit Rinderle

    In flagranti mit Poseidon

    Rappenfelsen und Brennersloch

    Krisenstimmung

    Abgetaucht in den Teich

    Unterschlagung und wildes Feuer

    Der Stationenweg

    Anhang

    Literatur

    Eine resolute Seniorin

    Mist! Schon wieder keine Klingel. Typisch für hiesige Bauernhöfe. Ich klopfe an die Türscheibe und warte. Lange tut sich nichts im Emmler-Hof. Als ich die Türklinke herunterdrücken will, höre ich schlurfende Schritte auf dem Hausflur. Sepp, Bauer im Ruhestand, reißt die Tür auf, mustert mich von oben bis unten. »Wa will’sch?« fragt er schroff, sieht die Tüte vom Witt-Versand und die dunkelblaue Uniform mit dem geflügelten Merkur-Logistik-Logo und stellt unwirsch fest: »Hob nix bestellt.«

    »Is doch für Deine Schwester«, kläre ich ihn auf. Sepp deutet wortlos mit dem Daumen auf die Tür hinter sich und verschwindet nach links in die Stube, wo der Fernseher hektisch vor sich hin flimmert. Offenbar die montagmorgendliche Wiederholung von »Verstehen Sie Spaß?« oder »Musikantenstadl«.

    Emma hantiert – als ich zaghaft eintrete – in der Küche mit diversen Töpfen auf dem Herd, schnappt sich aber sogleich die hingehaltene Tüte von Witt/Weiden und reißt sie ungeduldig auf. »Jetzt bin ich aber mal g’schponne«, grollt sie, »ob’s diesmal s’Richtig‹ isch«, und blickt mich geradezu strafend an. Schon wuselt sie wieder um den Herd herum. »Sepp!« ruft sie herrisch, »jetzt kumm endlich esse!« Sie trägt zwei oder drei Töpfe zum Tisch und platziert sie auf den bereitgelegten Untersetzern aus Bast. »Sepp!«

    Ich lege den zur Unterschrift vorbereiteten Scanner mitsamt Stift auf die Resopalplatte und weiß: So schnell komme ich hier nicht heraus. Sepp hat sich unterdessen brav vor seinen leeren Teller gehockt, während Emma hastig ein hellblaues Baumwollnachthemd aus der Tüte zieht. Sie hält es an ihre Vorderseite, schaut daran herunter und ruft erbost: »Des isch ja wieder nit durchknöpft! Jetzt sagen’er dene mol, dass ich e Durchknöpftes bruch. Ich kumm doch nägschde Woch‹ ins Kronkehus. Da kann ich doch so ebbis nit bruche.«

    Ich ziehe verlegen die Schultern nach oben. Was soll ich dazu sagen? Wie soll ich erklären, dass ich nicht bei Witt angestellt bin und demzufolge auch keine Verbindung zu deren Bestellabteilung habe? Schließlich transportiere ich doch nur bestellte Versandhausware zum Kunden. Indes wartet Emma auch gar nicht auf irgendeine Erklärung meinerseits.

    Während sie weiterhin mit den unfähigen Leuten von Witt hadert, hat ihr Bruder sich wieder wortlos in die gute Stube verzogen. Sein Teller ist in der ganzen Aufregung seiner Schwester leer geblieben, und die Bestellproblematik geht ihm nun mal am Allerwertesten vorbei. Wieberkram …

    Ich habe mich mittlerweile durchgerungen, das Päckle unter »Annahme verweigert« zu verbuchen. Dann verdiene ich zwar keinen müden Cent daran, verliere aber weniger Zeit und spare mir langwierige Erklärungen über das korrekte Ausfüllen des Retourenscheins. Zukleben muss Emma die Tüte mit dem verschmähten Inhalt aber schon. Und das ist nicht minder zeitaufwändig: Schere suchen, nach dem Klebeband kramen, den Anfang desselben suchen, umständlich losknibbeln und währenddessen den Bruder erneut lauthals an den Esstisch beordern. »Sepp! Wo bliebsch au? ’s Esse wird doch kalt!«

    Während die resolute Seniorin den Kampf mit Tesafilm und unsachgemäß aufgerissener Tüte wieder aufnimmt, hockt sich Bruder Sepp abermals vor seinen leeren Teller und harrt der Dinge, die da partout nicht kommen wollen.

    Mich drängt es danach, dieser eher befremdlichen Variante familiären Zusammenlebens zu entfleuchen. Ja, ich verspreche sogar, bei den Tranfunzeln von Witt/Weiden gehörig auf den Putz zu klopfen. Endlich ist die Tüte notdürftig verklebt, ich schnappe sie und verabschiede mich – auch von Sepp, der längst wieder mit knurrendem Magen in der Stube vor dem Bildschirm sitzt.

    ›Irgendwie ganz schön skurril‹, denke ich, ›aber vielleicht doch eine ganz eigene Art von Familienidyll‹.

    Eine längere Phase der Arbeitslosigkeit, der misslungene Versuch, mich als freiberuflicher Journalist durchzuschlagen, und das Wiedererlangen der Fahrerlaubnis nach neunmonatigem alkoholbedingten Entzug derselben haben mich dazu bewogen, als Bote bei der »Merkur Logistik Gruppe« anzuheuern. Als freier Journalist konnte ich meinen Lebensunterhalt leider nicht bestreiten, und Hartz IV lag mir fern.

    »Merkur«, habe ich gedacht, »das passt ja irgendwie: Der Götterbote des antiken Rom, Beschützer der Kaufleute, Reisenden und Diebe.« Der sonnennächste Planet steht für Kommunikation, für die Verbreitung von Informationen, für Verbindung zwischen den Menschen. In der Astrologie ist Merkur der Herrscher des Zeichens »Zwillinge«; und just in diesem Zeichen bin ich geboren. So erscheint ihm das »Merkurische«, wie es in dem Buch »Das senkrechte Weltbild« erläutert wird, überaus sympathisch: »Die schnelle, verbindende Aktivität an der Oberfläche«, schreiben Nikolaus Klein und Rüdiger Dahlke, »ist seine Domäne, und hier ist er unübertroffen. Der Verkehr ist sein Herrschaftsbereich, sowohl auf den Straßen und Wegen, als auch zwischen den Menschen. Das oberflächliche Miteinanderverkehren der Menschen mit all den Verstellungen und Gebärden, gesellschaftlichen Rücksichten, Vorsichten und Nachsichten, all das, was da nicht tief und vielleicht nicht ganz ehrlich, aber auch nicht böswillig falsch ist, in all dem ist Merkur zu Hause.« Sogar mit der darin enthaltenen Kritik an meiner mangelnden Tiefe, meiner Oberflächlichkeit kann ich bestens leben. Und so habe ich mich auf ein Stellenangebot in dem kostenlosen Anzeigenblatt »Thuja« als Merkur-Paketbote beworben.

    Befreit tanke ich die frische Luft des Sommerbergs, der sonnenreicheren Hangseite des Haslachtals. Meine Tour führt mich nun weiter talaufwärts durch die »hintere Hasle«, vorbei an der Firma Franz Kaltenbach – »Werkzeug- und Formenbau« –, am Schwanenhof, durch den engen »Pfefferstich«, am Loch- und Brennerhaldenhof vorüber fast bis zum »G’fäll« hinauf. Führe ich von hier aus weiter und hätte einen Schlüssel für die unvermeidliche Schranke dabei, so käme ich zum 1155 Meter hohen Rohrhardsberg mit der Schwedenschanze. Im Jahre 1634 sollen dort die Simonswälder der von Triberg heranrückenden schwedischen Soldateska eine schmachvolle Niederlage bereitet haben. »Im April 1703 war die Rohrhardsberger Schanze wieder besetzt, da die Franzosen in den Breisgau eingefallen waren«, berichtet Bertram Jenisch in seiner »Geschichte von Simonswald». Bereits im August des darauffolgenden Jahres beschreibt ein gewisser Feldmarschall von Tüningen die Anlage als »beinahe zerstört und vom Feind verbrannt«.

    Viele Simonswälder zieht es immer wieder geradezu magisch auf den Rohrhardsberg – wenn auch nicht zu den historischen Schanzanlagen, sondern zum »Schänzle«, dem urigen Berggasthof. Solche Extremsportler überwinden die achteinhalb Kilometer und den Höhenunterschied von 700 Metern in knapp zwei Stunden zu Fuß, was durchaus für die gehörige Attraktivität des Etablissements spricht. Der Wirt bediene in Tracht, erklärt der »Kenke-Sigi«, einer der treuesten Stammgäste, und das ganze Mobiliar sei aus Holz geschnitzt. »Richtig urig halt«, resümiert er. Und so treten die wandernden Zecher den Heimweg nicht selten erst weit nach Einbruch der Dunkelheit an. Dabei soll es hier oben durchaus nicht immer mit rechten Dingen zugegangen sein. Alte Geschichten berichten von der »G’fällroten«, einer Hexe, die in den hiesigen Wäldern herumgegeistert sein soll. Ihre Jagdhunde, so habe ich in den von Willi Thoma gesammelten »Elztäler Sagen« gelesen, seien zwar nicht gegen Kugeln gefeit gewesen wie ihre Herrin; getötet werden konnten sie aber dennoch nicht. Als Jäger eines Tages die Hunde der G’fällroten erwischten, hängten sie die Tiere an einer Tanne auf – in der Annahme, deren Herrin werde schon kommen und sie holen. Drei Tage lauerten sie dort auf die Hexe. Erst als die Hunde eingegangen waren und zu stinken anfingen, gingen sie fort. Und schon kam die G’fällrote, schnitt ihre Hunde vom Baum ab, und diese waren prompt wieder lebendig. Gleich darauf will man die drei wieder miteinander wildern gesehen haben …

    Im Bunde mit dem Leibhaftigen soll die G’fällhofbäuerin gewesen sein. Sie habe mal die Knechte zum Essen gerufen, heißt es, und dann ihrer schwarzen Katze befohlen, Knöpfle zu machen. Die seien sogar heiß und gar gewesen. Eines Tages habe ein Knecht geweihtes Schwarzbrot darüber gestreut, und die Knöpfle seien nur noch lauter Katzendreck gewesen.

    Der Stockburger-Bernd aus dem unteren Kilpen oder Kilpachtal, dem einstigen Aufstieg vom Breisgau in Richtung Furtwangen und Villingen-Schwenningen, ist als Kind hier oben aufgewachsen. Er erinnert sich noch an den G’fäll-Ludwig. Zwei seiner Geschwister waren Anfang des vorigen Jahrhunderts schwer erkrankt. Mag sein, es war die Schwindsucht. Heute würde man von Tuberkulose sprechen. Als es mit der Schwester zu Ende ging, war der G’fällhof zugeschneit, und die Eltern konnten nicht ins Tal hinab. Als das Kind dann gestorben war, gab es auch keine Möglichkeit, den Leichnam zum Kirchhof hinunter zu bringen. Also vergrub man das tote Mädchen derweil im Schnee, um den Verwesungsprozess zu verlangsamen. Schließlich konnte die Beerdigung dann doch stattfinden. Doch als die Eltern vom »Lieche-Esse« (Leichenschmaus) heimkamen, war der kleinere Bruder, der sich ebenfalls infiziert hatte, seiner Schwester bereits in den Tod gefolgt …

    Einmal im Jahr zieht es etliche Haslicher nicht nur auf’s Schänzle, sondern darüber hinaus sogar bis nach Triberg – und zwar zu Fuß. Es sind auch nicht Gasthäuser und deren Getränkekarten, die sie zu derartigen Strapazen bewegen, sondern ein Gelübde: Vor etwa 200 Jahren, im Jahre 1806, überschwemmte und verwüstete ein katastrophales Hochwasser die untere Hasle bis hin zum Gasthof »Krone-Post«. Da schworen die Bewohner des Simonswälder Seitentals: Einmal im Jahr, am Samstag nach Christi Himmelfahrt, laufen wir zu Fuß zum Rohrhardsberg hinauf und von dort weiter nach Triberg, wo wir dann beten und bitten, dass solch ein Unglück nie wieder über uns hereinbricht. Von der Schwedenschanze an wird der Rosenkranz gebetet – von der Hasle bis zum Rohrhardsberg ist der Aufstieg nämlich selbst zum Beten zu steil. Da haben die Wallfahrenden genug mit dem Schnaufen zu tun.

    Für gewöhnlich machen sich je nach Gesundheitszustand 20 bis 30 Leute zu Fuß auf den beschwerlichen Weg. Alles in allem kommen meistens 80 bis 100 Personen zusammen. Ältere Haslicher fahren nämlich mit dem Bus nach Triberg. So hat jeder die Möglichkeit, das Gelübde zu erfüllen. Irgendwann hat man mal gemeint, sich die Wallfahrt schenken zu können und daheim im »warmen Nescht« zu bleiben. Da habe sich die Hochwasser-Katastrophe wiederholt – schlimmer noch als beim ersten Mal. Seitdem pilgern die Haslicher wieder alljährlich nach Triberg. 2006 liefen sie zum 200. Mal. Wegen des Jubiläums machten sich über 100 Menschen auf den Weg – traditionsgemäß um fünf Uhr in der Früh, gewappnet mit Laternen. Den ganzen Tag regnete es. Die Wanderer kamen schon völlig durchnässt auf dem Rohrhardsberg an. Gegen halb neun begann dann die Messe am Zielort. Zum Abschluss der Pilgerfahrt begleitet der Triberger Pfarrer die Heimkehrer stets zwei Kilometer in Richtung Schonach – Kreuz und Fahnen vorneweg, getragen von Ministranten.

    Kaufen Se sich ’n Subaru Allrad!

    Ich muss aber weder nach Triberg noch ins Schänzle auf dem Rohrhardsberg. Zum Biertrinken ist es ja auch noch zu früh. »Wasserkraft Volk« heißt das Ziel. Das sind etwa zehn Kilometer auf kurvenreicher Strecke durch den Wald bis auf eine Höhe von knapp 900 Metern. Zwar gibt es eine Filiale der Firma unten in Bleibach, die – vor allem im zuweilen schneereichen Winter – ungleich bequemer anzufahren wäre. Doch die Gattin des Chefs besteht darauf, dass Boten ihr Gefährt zum G’fäll hinauf quälen, zum einstigen »Gernhansenhof«.

    Hierhin ist der damalige Physikstudent Manfred Volk in den 70er Jahren gezogen. Nicht nur sein Vater, ein Maschinenbauer, hielt ihn für verrückt, als er in 820 Metern Höhe in einem Bauernhaus ohne Strom begann, ein Wasserkraftwerk zu bauen – aus der festen Überzeugung heraus, dass Wasser die wichtigste regenerative Energiequelle sei. Volk hatte zunächst alte Wasserräder im Elztal repariert, entwickelte dann seine erste Durchströmturbine und hat inzwischen mehrere hundert kleine und mittelgroße Wasserkraftwerke in über 30 Ländern Afrikas, Asiens und Osteuropas montiert. Nachdem die erste Werkstatt im ehemaligen Kuhstall zu klein geworden war, eröffnete der Firmengründer vier Stunden vor dem Jahreswechsel 2000 seine »Zukunftswerkstatt« im Bleibacher Ortsteil Stollen.

    Gleich am ersten Arbeitstag bei der Logistik-Gruppe, als mich der Kollege Arthur in die Regeln und Kniffe der Paketauslieferung einweihte, war es mir eingeschärft worden: »Gib die Päckle für Frau Volk bloß nicht beim Werk in Bleibach ab!« Das hatte ihm sein Lehrmeister auf der ersten gemeinsamen Schulungstour eingebleut. »Das gibt einen Heiden-Ärger. Die Arbeiter reißen die Tüten sofort auf, wenn sie auf dem Scanner unterschrieben haben.«

    Schon nach wenigen Arbeitstagen haben mich allerdings Zweifel beschlichen. Habe ich doch mal meine Nase ins fast schon alpin gelegene Werk auf dem G’fäll gesteckt, weil die Hausherrin daheim im aufgemotzten Berghof nicht aufzufinden war. Mein Eindruck: Das sind ja Fachkräfte, Techniker – keine hergelaufenen Hilfsarbeiter. Und die sollen etwa nicht kapieren, dass man private Lieferungen an die Gattin ihres Chefs nicht einfach rabiat aufreißt? Kaum glaubhaft …

    Ich wittere gänzlich andere Beweggründe der »Chefin«. Meiner Meinung nach betreibt sie eine Art Machtspielchen; findet es einfach toll, geringverdienende Menschen hier oben antanzen zu lassen: Post-, Paket- und Zeitungsboten – Handlanger jedweder Art. Dem Briefträger kann es egal sein. Er bekommt Stundenlohn, und seine Betriebskosten trägt die Deutsche Post AG. Doch als Merkur-Bote bin ich scheinselbständig und muss selbst für den Treibstoff aufkommen. Auch für die außergewöhnliche Abnutzung der Reifen und Bremsbeläge. Das interessiert die Herrin indes nicht die Bohne. Als ich kurz vor Einbruch meines ersten Winters in diesem Job frage, ob ich die bestellte Ware bei Eis und Schnee nicht vielleicht doch im Bleibacher Werk im Tal abgeben könne, erwidert die Domina barsch: »Untersteh’n Sie sich. Kaufen Se sich doch ’n Subaru Allrad! Haben wir auch.«

    Genaugenommen eine Frechheit.

    Aber ihr Mann ist keinen Deut anders drauf. Monate später quäle ich mich mit einer kleinen Versandtüte zum Gernhansenhof hinauf. Hin und zurück 22 Minuten. Oben sagt der Volk beim Anblick der Tüte: »Lohnt sich ja gar nicht.« Auf den Lippen liegt mir: »Ha-ha. Wer brockt mir das denn ein?« Aber was schluckt man nicht alles herunter?

    Hochgradig grollend und hadernd rolle ich wieder abwärts und registriere kaum den beeindruckenden Ausblick auf das tief unten liegende Haslachtal, zum Beispiel vom 800-Meter-Punkt aus. Dort ragt links von der schmalen Straße, direkt am Abgrund neben

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