Can I kick it?: Versuch über das Kneippen
Von René Becher
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Über dieses E-Book
René Becher
René Becher, geboren 1977 in Bayreuth. Studium Germanistik und Buchwissenschaften in Mainz und Düsseldorf. Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
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Buchvorschau
Can I kick it? - René Becher
Meinen lieben Eltern gewidmet!
Das Wasser ist nicht bös
Sebastian Kneipp (1821 bis 1897)
Auf dem Grund des Kneippbeckens in Scheidegg winkte mir der unbewaffnete Bounty Hunter Bossk. Er war kerzengerade hinabgetaucht und stand nun ebenso aufrecht, wenn auch durch das gebrochene Licht komisch verkürzt, auf dem gekachelten Boden. Die Spielfigur aus dem Star-Wars-Universum bewegte sich nur sanft im hydrostatischen Druck. Ich hatte dem Bossk vor dem Eintauchen beide Arme nach oben gedreht, es sah aus, als würde er um Hilfe schreien oder gleich wieder auftauchen wollen. Trotz Sonne war das Wasser kalt. Als Kind habe ich nie mehr als eine Runde geschafft, bevor meine Unterschenkel zu stechen begannen. Eigentlich stand ich damals, es dürfte um das Jahr 1984 gewesen sein, mit meiner kompletten Sporthose im Nass. Kneippwasserbecken haben in der Regel eine Tiefe von 60 Zentimetern, ich als Kind aber starrte wie in den Marianengraben. In meiner Erinnerung hat dieses Kneippbad keinen Handlauf aus Edelstahl, auch könnte ich jetzt nicht beschreiben, wie die Eintritts- und Austrittsstelle beschaffen war und welchen Stein die Allgäuer Kneippbadarchitekten verarbeitet haben. Ein Armbecken sowie ein Barfußpfad fehlten gänzlich oder sind für immer aus meinem Gedächtnis gelöscht. Lediglich der Kopfgeldjäger tanzt und winkt noch immer.
„Beim Barfußgehen werden die Füße der frischen Luft ausgesetzt und von ihr umspült", so zu erfahren in Dr. Albert Schalles Die Kneippkur, „die Füße, welche in ihrem Kerker fast stets blaß und blutleer aussehen, röten sich, der Kopf wird so entlastet, die lästigen Kongestionen verschwinden. Das Gehen im Wasser übertreffe diese Wirkung sogar noch. Das alles hatte ich damals Mitte der 80er natürlich noch nicht gewusst. Ich schätze dieses dicke Handbuch von 1932, das der Arzt aus Bad Wörishofen seiner lieben Mutter gewidmet hat. Es enthält neben der Biographie und Lehre Sebastian Kneipps 32 Photographien, darunter die Abbildungen „Ganzwaschung selbst ausgeführt
und „Ganzwaschung vom Bademeister ausgeführt. Die Bilder der seriös, aber doch auch humorvoll in Szene gesetzten Strecke tragen Titel wie „Heublumensack um das Knie
, „Spanischer Mantel, „Augenbad
oder „Grasgehen im Morgentau. Der „Blitzguß
erinnert an eine Szene aus einem Knastfilm. Moderne Kneippbücher hingegen erscheinen mir blutleerer. Ein Vorteil ist, dass sie nicht in altdeutscher Schrift abgefasst sind, wie das beim Schalle der Fall ist. Vielleicht aber schießen diese zeitgenössischen Familienratgeber über das Ziel hinaus, wenn sie die Kneippforschung übermotiviert um Themen wie „Sauna, „Massagen
, „Zimmergymnastik oder auch „Innere Balance
, also „Lebenshilfe" erweitern. Da, wo der Schalle zu pathetisch und wurzelseppisch formuliert, da sprechen die Motivationstrainerinnen, Homöopathen oder Bestsellerautorinnen (die mit Bestsellerautoren liiert sind) allzu spirituell. Menschen mit strahlend weißen Zähnen schnuppern an Gänseblümchen, schlecken an Sandsteinen und tanzen über Sonnenblumenfelder. Ihr Movens heißt Wellness. Warum die Hintergründe des Kneippens überhaupt neu erzählen, wenn alles schon erzählt ist?
2014 ging ich mit meiner zweijährigen Nichte Finja auf dem Bayreuther Grünen Hügel spazieren. Zugegeben, ich verstand kein einziges Wort, das sie in ihrem Kinderwagen äußerte (und sie äußerte sich ausführlich), dennoch sagte ich immerzu Ja oder fragte sie, ob das, was sie da erzählt, der Wahrheit entspricht, worauf sie mit Ja antwortete und fortfuhr, mich zuzutexten. Es war zu schön. Wir passierten den Park neben dem Richard-Wagner-Festspielhaus. Ich wollte ihr die Kneippanlage an der Bürgerreuth zeigen. Freilich konnte ich sie dort nicht mit ins Wasser nehmen und taufen, also blieb sie von der Kinderwagenhaube verschattet liegen und sah mir dabei zu, wie ich mir die Schuhe und die Socken auszog. „Wa machdu", fragte sie. Ich sagte nur Ja, stieg ins Becken und stapfte genüsslich durch das Wasser. Finja stützte sich am Wannenrand des Kinderwagens ab und erhob ihren kleinen Körper, um besser beobachten zu können. Dabei lachte sie. So einfach. Ein paar Stunden später hat sie diese Begebenheit übersprudelnd vor Begeisterung ihren Eltern erzählt. Aber ich bin mir sicher, dass sie seither nie wieder ein Kneippbad besucht hat.
Die Kneippanlage an der Bürgerreuth in Bayreuth ist vielleicht die schönste Deutschlands. Auf alle Fälle ist das Areal, das um die Jahrhundertwende errichtet wurde, traditionell gut besucht, besonders dann, wenn die Festspiele stattfinden. Als Kind und Statist habe ich hier im Sommer Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre einen Großteil meiner Ferien verbracht und womöglich Stars wie Quincy Jones oder Evelyn Hamann