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Eiskaltes Grab: Michael Korn & Liz Croll Band 5
Eiskaltes Grab: Michael Korn & Liz Croll Band 5
Eiskaltes Grab: Michael Korn & Liz Croll Band 5
eBook640 Seiten7 Stunden

Eiskaltes Grab: Michael Korn & Liz Croll Band 5

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Über dieses E-Book

Ein ungewöhnlicher Mord in San José erregt die Aufmerksamkeit von Interpol. Es gibt einen Tatort, es gibt Spuren, aber kein Opfer. Liz und ihr Team reisen nach Costa Rica, um die Ermittler vor Ort zu unterstützen. Während sie sich auf den Weg machen, geschieht ein weiterer Mord. Dieses Mal gibt es sogar eine Leiche, der allerdings der Kopf fehlt. Das Team und die Ermittler vor Ort machen sich auf die Suche nach dem Täter. Doch nachdem sie ihn stellen und verhören, bleiben die Opfer weiterhin verschwunden. Nicht einmal der Mörder kann sich erklären, wohin die Leichen verschwinden. Kemena Colón, ihr Partner und das Team um Liz Croll kommen, unter mithilfe der Klinikleiterin Marina Carazo, einem kalten Geheimnis auf die Spur.
SpracheDeutsch
HerausgeberSelfpublishing
Erscheinungsdatum19. Apr. 2022
ISBN9783985108619
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    Buchvorschau

    Eiskaltes Grab - Matthias Boden

    Prolog

    Costa Rica, San José

    Die Haupt­stadt Cos­ta Ri­cas lag an die­sem Mor­gen noch in der Dun­kel­heit. Bei der Po­li­zei war ein Not­ruf ein­ge­gan­gen. Ein Bür­ger der größ­ten Stadt des Lan­des wähl­te um kurz nach drei Uhr am Mor­gen den Not­ruf und mel­de­te zwei Schüs­se in ei­ner we­nig be­leb­ten Sei­ten­stra­ße der Stadt. Laut der Aus­sa­ge des of­fen­sicht­lich al­ko­ho­li­sier­ten Per­son soll­te je­mand er­schos­sen wor­den sein. Zwei Be­am­te der hie­si­gen Po­li­zei mach­te sich auf den Weg zu dem An­ru­fer. Sie nah­men sei­ne Aus­sa­ge auf und un­ter­such­ten in der Nä­he be­find­li­che Stra­ßen. Sie konn­ten an kei­ner Stel­le ei­ne Lei­che oder einen Tat­ort fin­den, der auf ein Ver­bre­chen hin­wies.

    Et­was spä­ter am Mor­gen er­reich­ten die bei­den Be­am­ten der Mord­kom­mis­si­on das Re­vier. Ihren letz­ten Fall konn­ten sie erst am Vor­tag ab­schlie­ßen. Ei­ne un­zu­frie­de­ne Ehe­frau hat­te ih­ren Gat­ten mit ei­ner töd­li­chen Sub­stanz in sei­nem Kaf­fee ver­gif­tet. Dar­über woll­ten Ke­me­na Colón und ihr Kol­le­ge Ri­car­do Ba­sur­to ge­ra­de ih­re Be­rich­te an­fan­gen als das Te­le­fon in ih­rem Bü­ro klin­gel­te. Ke­me­na nahm den Hö­rer in die Hand und führ­te das eher kur­ze Te­le­fonat mit ih­rem Vor­ge­setz­ten.

    In der Stadt wur­de in ei­ner schma­len und schwer zu­gäng­li­chen Stra­ße ein Mord ge­mel­det. Colón und ihr Kol­le­ge soll­ten sich so­fort auf den Weg ma­chen. Sie wur­den be­reits er­war­tet. Ri­car­do stöhn­te we­gen ei­nes wei­te­ren Falls, den man ih­nen aufs Au­ge drück­te. Er hät­te sich ge­wünscht, mal ei­ne Wo­che von die­sem Wahn­sinn ver­schont zu blei­ben. Die bei­den Be­am­ten mach­ten sich auf den Weg zu der an­ge­ge­be­nen Stel­le. Ke­me­na und Ri­car­do wa­ren er­fah­re­ne Er­mitt­ler des Mord­de­zer­nats. Sie war 38 Jah­re alt und ar­bei­te­te schon seit fast sie­ben Jah­ren in die­sem Be­reich. Ihr Kol­le­ge war erst vor vier Jah­ren da­zu ge­kom­men, war aber deut­lich äl­ter, mit sei­nen 46 Jah­ren.

    Ke­me­na sah für ei­ne Er­mitt­le­rin des Mord­de­zer­nats eher aus wie ein Mo­dell. Die sanft ge­bräun­te Haut und den eben­mä­ßi­gen Zü­gen im Ge­sicht lie­ßen sie eher wie aus ei­nem Mo­dema­ga­zin ent­sprun­gen wir­ken. Ih­re et­was kräf­ti­ge­re Fi­gur un­ter­strich die­sen Ein­druck noch. Sie war zwei­fa­che Mut­ter. Ih­re Kin­der brach­te sie am Mor­gen zu den Gro­ß­el­tern und hol­te sie Nach­mit­tags dort wie­der ab. Au­ßer sie muss­te viel län­ger ar­bei­ten. Die bei­den klei­nen wa­ren das mitt­ler­wei­le nicht an­ders ge­wohnt. Bei­de muss­ten die Schu­le be­su­chen und brauch­ten einen ge­re­gel­ten Ta­ge­sab­lauf.

    Ihr Kol­le­ge war so­gar drei­fa­cher Va­ter, des­sen Frau auf den Nach­wuchs auf­pass­te. Sie war Haus­frau und Mut­ter, wäh­rend er mit sei­ner Kol­le­gin auf Mör­der­jagd ge­hen muss­te. Ke­men­as Ehe­mann hat­te sich erst vor knapp ei­nem Jahr aus dem Staub ge­macht und war mit ei­ner Jün­ge­ren ab­ge­hau­en. Dement­spre­chend war sie auf Män­ner im All­ge­mei­nen nicht mehr so gut zu spre­chen. Die bei­den Er­mitt­ler mach­ten sich auf den Weg zu ih­rem Ein­satzort, der nur ei­ni­ge Mi­nu­ten mit dem Dienst­wa­gen er­for­der­te.

    Die Sei­ten­stra­ße im we­ni­ger be­leb­ten Vier­tel war be­reits mit ro­tem Flat­ter­band ab­ge­sperrt wor­den. Sie muss­ten sich erst aus­wei­sen, um zum ei­gent­li­chen Tat­ort von den Kol­le­gen der Schutz­po­li­zei durch­ge­las­sen zu wer­den. Bei­de hiel­ten gut sicht­bar ih­re Mar­ken nach oben und beug­ten sich un­ter das Flat­ter­band. Bis zum ei­gent­li­chen Tat­ort muss­ten sie noch ei­ne grö­ße­re Stre­cke zu­rück­le­gen. Auf dem Weg dort­hin scherz­te ihr Kol­le­ge, »Wo ist die Lei­che?«

    Der Platz, an dem sie lie­gen soll­te, zeig­te nur ei­ne große La­che an ein­ge­trock­ne­ten Blut. Wei­ter war dort nichts zu se­hen. Ihr lang­jäh­ri­ger Ge­richts­me­di­zi­ner saß in der Ho­cke vor dem großen Fleck und schrieb sich ei­ni­ge No­ti­zen auf einen Block. Als er zu den bei­den Er­mitt­lern blick­te, mein­te er, »Das ist ei­ne sehr gu­te Fra­ge.«

    »Du meinst, es gibt kei­ne Lei­che? Was ma­chen wir dann hier?«, frag­te Ri­car­do.

    »Nur ei­ne gan­ze Men­ge Blut. Egal wer die­se Men­ge ver­lo­ren hat, über­lebt hat er auf kei­nen Fall!«, sag­te er und no­tier­te wie­der et­was auf sei­nem Blatt Pa­pier.

    Das Aus­maß der La­che war rie­sig. Grob ge­schätzt muss­ten das an die vier Li­ter sein, die auf dem dunklen Pflas­ter ver­teilt wa­ren. Ke­me­na sah so et­was zum ers­ten Mal in ih­rer Kar­rie­re. Al­les, was für ih­ren Mord­fall fehl­te, war die zu un­ter­su­chen­de Lei­che. Des­halb frag­te sie, »Wo ist sie hin? Sie kann sich doch nicht ein­fach in Luft auf­lö­sen. Ge­lau­fen scheint sie ja nicht zu sein, nach der Men­ge Blut zu ur­tei­len.«

    »Da bin ich über­fragt«, sag­te er. »Aber es gibt Hin­wei­se dar­auf, dass man die Lei­che weg­ge­bracht hat.« Da­bei zeig­te er auf ei­ni­ge Ab­drücke ne­ben dem großen Fleck.

    Ri­car­do beug­te sich nach un­ten und be­sah sich die gut sicht­ba­ren Ab­drücke. Das Ers­te, was ihm auf­fiel, war, dass sie über kei­ner­lei Pro­fil ver­füg­ten. Sie wa­ren ein­fach nur in der Form von Schu­hen. Das nächs­te, was er er­kann­te, dass es sich da­bei um zwei Per­so­nen han­deln muss­te. Die Ab­drücke wa­ren un­ter­schied­lich groß. Zu­dem gab es ei­ne gan­ze Men­ge da­von. Ein jun­ger Kol­le­ge der Schutz­po­li­zei kam da­zu und sag­te, »Es gab einen An­ruf heu­te am frü­hen Mor­gen. Je­mand hat zwei Schüs­se ge­mel­det. Die Kol­le­gen ha­ben in der Nacht nichts ge­fun­den, ob­wohl der Zeu­ge steif und fest be­haup­te­te, sie ge­hört zu ha­ben. Er war sehr al­ko­ho­li­siert, wes­halb die Spur nicht wei­ter ver­folgt wur­de. Je­den­falls gab ein Zeu­ge in der nä­he­ren Um­ge­bung an, dass ge­gen halb vier heu­te Mor­gen ein wei­ßer Lie­fer­wa­gen ge­flüch­tet ist. Bei­na­he wä­re er da­von noch über­rollt wor­den.«

    »Ha­ben wir ein Kenn­zei­chen?«, frag­te die Er­mitt­le­rin und be­sah sich den Fleck et­was ge­nau­er.

    »Nein, lei­der nicht. Aber wir hö­ren uns ge­nau­er um und che­cken die Über­wa­chungs­ka­me­ras.«

    »Hat­te die Lei­che einen Aus­weis bei sich?«, frag­te Ke­me­na.

    Der Ge­richts­me­di­zi­ner schüt­tel­te den Kopf, »Kei­nen den wir fin­den konn­ten. Auch kei­ne Hand­ta­sche oder per­sön­li­che Sa­chen.«

    Ri­car­do sah sich in der nä­he­ren Um­ge­bung et­was ge­nau­er um. Nicht weit ent­fernt von dem Fleck er­kann­te er im tro­ckenen Staub Rei­fen­spu­ren. Er wies sei­ne Kol­le­gin dar­auf hin und ließ sie vor­sichts­hal­ber si­chern. Die Spu­ren­si­che­rung soll­te sich in der Nä­he noch et­was ge­nau­er um­se­hen. Ke­me­na kam wie­der auf die Ab­drücke zu­rück und frag­te den Ge­richts­me­di­zi­ner, warum sie kein Pro­fil auf­wie­sen. Je­der Schuh hin­ter­ließ ei­gent­lich ein un­ver­kenn­ba­res Mus­ter, aber die­se hier wa­ren ein­fach nur aus­ge­füll­te Fle­cken. Von der Soh­le war nichts zu er­ken­nen.

    Der Ge­richts­me­di­zi­ner ant­wor­te­te ihr nach­denk­lich, »Sie müs­sen Über­schu­he ge­tra­gen ha­ben. Sol­che Plas­tik­sä­cke um die Schu­he.«

    Ri­car­do fass­te zu­sam­men, »Ei­ne ver­schwun­de­ne Lei­che. Tä­ter, die ih­re Spu­ren ver­wi­schen und Über­schu­he tra­gen. Ein wei­ßer Lie­fer­wa­gen, der vom Tat­ort weg­rast. Bin ich der ein­zi­ge, der da­bei an ein Kil­ler­kom­man­do denkt?«

    »Es gibt noch einen an­de­ren Ab­druck hier. Sieht aus wie von ei­nem Be­häl­ter oder ei­ner Kis­te. Was wis­sen wir dar­über?«, frag­te sei­ne Kol­le­gin den Ge­richts­me­di­zi­ner.

    »Bis­her noch nichts. Das wird die Spu­ren­si­che­rung klä­ren müs­sen.«

    Ri­car­do wand­te sich an sei­ne Kol­le­gin, »Kurz nach drei mel­det je­mand zwei Schüs­se. Um halb vier et­wa flieht ein wei­ßer Lie­fer­wa­gen vom Tat­ort. Die Ab­drücke sa­gen uns, dass es zwei Leu­te wa­ren, die of­fen­sicht­lich mit ei­nem Be­häl­ter den Leich­nam weg­ge­schafft ha­ben. Es gibt Rei­fen­spu­ren, aber kein Kenn­zei­chen. Das ist al­les sehr mys­te­ri­ös.«

    »Du sagst es, Ri­car­do«, mur­mel­te Ke­me­na Colón. »Hof­fen wir, dass uns das Glück ein biss­chen hilft. Falls wir we­nigs­tens durch die Ka­me­ras ein Bild des Trans­por­ters be­kom­men, ist schon viel ge­won­nen. Vi­el­leicht fin­det sich da ei­ne Auf­schrift und man kann das Kenn­zei­chen er­ken­nen.« Dann wand­te sie sich wie­der an den Kol­le­gen der Ge­richts­me­di­zin, »Be­kom­men wir von dem Blut einen DNA-Ab­gleich? Den kön­nen wir durch das Sys­tem schi­cken, viel­leicht fin­den wir so her­aus, wer ei­gent­lich un­ser Op­fer ist.«

    »Gu­te Idee«, pflich­te­te ihr Ri­car­do bei. »Sieht doch schwer nach Ban­den­kri­mi­na­li­tät aus. Mög­li­cher­wei­se wur­de er schon mal er­fasst.«

    »Wol­len wir es hof­fen. Lass uns aufs Re­vier fah­ren und nach­se­hen, ob wir so et­was ir­gend­wo in den Ak­ten ha­ben. Ich ha­be schon Fäl­le er­lebt, in de­nen wir das Op­fer nie ge­fun­den ha­ben. Aber oh­ne Lei­che zu er­mit­teln ist neu. Das gab es bis­her noch nie«, sag­te Ke­me­na und wand­te sich ab, um zu ge­hen.

    Ri­car­do folg­te ihr in ei­nem biss­chen Ab­stand. Er dach­te über das ge­sag­te nach. So lan­ge war er noch nicht im Mord­de­zer­nat, aber ein Mord oh­ne Lei­che war auf je­den Fall un­ge­wöhn­lich. Falls man ein Op­fer in ei­nem Haus, ei­nem Au­to oder mit Ben­zin ver­brann­te, war es schwer, das Op­fer zu iden­ti­fi­zie­ren. Aber wenn so­gar die gan­ze Lei­che fehlt, dürf­te es noch schwie­ri­ger wer­den her­aus­zu­fin­den wer um­ge­bracht wur­de. Selbst ei­ne Be­er­di­gung war un­ter die­sen Um­stän­den nicht mög­lich.

    * * *

    Am frü­hen Nach­mit­tag sa­ßen die bei­den Er­mitt­ler an ih­rem Schreib­tisch. Die Be­rich­te der Un­ter­su­chun­gen am Tat­ort wa­ren an­ge­kom­men. Die Rei­fen­spur, die man dort fand, ge­hör­te zu ei­nem sehr ver­brei­te­ten Mo­dell, das auf vie­len Au­tos ver­wen­det wur­de. Es war un­mög­lich, dar­aus einen spe­zi­el­len Van zu fin­den. In ganz Cos­ta Ri­ca konn­ten das ei­ni­ge Tau­send sein, die mit die­sen Rei­fen un­ter­wegs wa­ren. Ei­nen Hin­weis lie­fer­te das un­ter­such­te Blut vom Tat­ort. Die Ge­richts­me­di­zin konn­te mit Be­stimmt­heit sa­gen, dass es sich bei dem Op­fer um ei­ne Frau han­del­te. Das grenz­te das Op­fer zu­min­dest auf die­ses Ge­schlecht ein. Nur wer war sie?

    Die ge­fun­de­nen Schu­h­ab­drücke am Tat­ort wur­den mit der Grö­ße 46 und 40 an­ge­ge­ben. Es war al­so an­zu­neh­men, dass die bei­den, die den Leich­nam weg­ge­schafft hat­ten, Män­ner wa­ren. Es gab kaum Frau­en mit so großen Fü­ßen. Das La­bor konn­te ei­ne DNA-Pro­be neh­men und sie den Er­mitt­lern zu­kom­men las­sen. Der Com­pu­ter al­ler­dings fand in der er­fass­ten Da­ten­bank kei­nen Tref­fer. Da in der Haupt­stadt Cos­ta Ri­cas die Ver­kehrs­ka­me­ras nicht be­son­ders ver­brei­tet wa­ren und sehr weit von der Gas­se ent­fernt wa­ren, ka­men gleich hun­der­te Trans­por­ter in­fra­ge. Dar­über konn­te man den Van auch un­mög­lich fin­den. Ke­me­na Colón be­kam zwar ei­ne Lis­te mit den frag­li­chen Kenn­zei­chen, aber das war ei­ne ziem­lich lan­ge Lis­te.

    Es wür­de Wo­chen dau­ern, je­des ein­zel­ne Fahr­zeug zu über­prü­fen. Dar­un­ter wa­ren Bä­cker, die ih­re Wa­re aus­lie­fer­ten oder Wä­sche­rei­en, die da­mit durch die Haupt­stadt fuh­ren. Der Ab­druck des Be­hält­nis­ses brach­te kei­ne In­for­ma­tio­nen ein. Es muss­te sich da­bei um ei­ne be­son­de­re Kis­te han­deln, die aber nicht in den Da­ten des Re­viers ver­zeich­net war. Was man fand, wa­ren zwei Pa­tro­nen­hül­sen in un­mit­tel­ba­rer Nä­he der Blut­la­che. Aber auch das Ka­li­ber 9 mm brach­te die bei­den Be­am­ten nicht wei­ter. Al­le Spu­ren, die in der Gas­se ge­fun­den wur­den, führ­ten ge­ra­de­wegs in ei­ne Sack­gas­se.

    Ri­car­do über­prüf­te die Fäl­le der letz­ten 15 Jah­re auf sei­nem Com­pu­ter. Es gab kein Ver­bre­chen in Cos­ta Ri­ca, bei dem man von ei­nem Mord aus­ge­hen muss­te, oh­ne ei­ne Lei­che zu fin­den. Soll­ten sie es hier mit dem per­fek­ten Ver­bre­chen zu tun ha­ben? Das war un­wahr­schein­lich, aber nicht un­mög­lich. Die zwei­fa­che Mut­ter saß an ih­rem Schreib­tisch und starr­te auf den Mo­ni­tor ih­res Com­pu­ters. Seit Dienst­be­ginn hat­te sie schon fast zwei Schach­teln Zi­ga­ret­ten ver­nich­tet und trank ei­ne Tas­se Kaf­fee nach der an­de­ren. Es gab nicht den kleins­ten An­satz, dem sie nach­ge­hen konn­ten, um we­nigs­tens ein Op­fer zu fin­den.

    Al­les, was sie wuss­ten, war, dass es ei­ne Frau war. Aber wel­che der 170.000, die in die­ser Stadt leb­ten? Falls das Op­fer nur zu Be­such in der Stadt war und viel­leicht aus ei­nem an­de­ren Land stamm­te, war sie un­mög­lich zu fin­den. Auf­grund der sons­ti­gen Spu­ren am Tat­ort gab die Ge­richts­me­di­zin die Grö­ße der to­ten Frau an. Sie soll­te zwi­schen 1,55 m und 1,70 m lie­gen. Auch das konn­ten tau­sen­de sein. Ke­me­na durch­fors­te­te die Lis­te der ver­schwun­de­nen Frau­en. Dort fand sie so vie­le Tref­fer, dass es aus­sichts­los war auf die rich­ti­ge zu tref­fen. Die Er­mitt­ler wuss­ten fast nichts. Es gab nicht den ge­rings­ten An­satz auf einen Er­folg.

    Die Stim­mung in dem Bü­ro war ziem­lich be­drückt. Sie hat­ten den Auf­trag einen Mord auf­zu­klä­ren, be­ka­men aber so we­ni­ge Hin­wei­se, dass es un­mög­lich war. Ri­car­do saß über den Be­rich­ten und stütz­te sei­nen Kopf mit den Hän­den ab. Er schüt­tel­te leicht den Kopf und mur­mel­te, »Wir ge­ben dir so viel, und du uns fast nichts! So kön­nen wir dir nicht hel­fen.«

    Ke­me­na brach­te nur ein trau­ri­ges La­chen zu­stan­de. »Spä­tes­tens wenn dir die Ak­te et­was er­zählt, ruf ich in der Psych­ia­trie an.«

    »Ir­gend­je­mand muss uns et­was sa­gen kön­nen. Egal ob es jetzt die Ak­te ist oder der Green­kee­per vom nächs­ten Golf­platz«, sag­te er ent­täuscht.

    »Ri­car­do, wir ha­ben ei­ni­ge Zeu­gen­aus­sa­gen von den um­lie­gen­den Be­woh­nern, aber wir su­chen ei­ne ein­zi­ge Na­del in ei­nem Hau­fen Stroh, der die Grö­ße von Süd­ame­ri­ka auf­weist. Das schlimms­te al­ler­dings ist, dass wir nicht wis­sen, aus wel­chem Ma­te­ri­al die Na­del be­steht.«

    »Gibt es ir­gend­ei­ne Da­ten­bank auf der Welt, die das für uns her­aus­fin­den könn­te?«

    Mit ei­nem miss­mu­ti­gen Lä­cheln sag­te sie, »Höchs­tens die Da­ten­bank der NSA. Die hö­ren al­les und je­den ab. Die wis­sen si­cher schon lan­ge, wel­ches Op­fer wir su­chen.«

    Ri­car­do lä­chel­te, »Dann lass uns dort an­ru­fen. Vi­el­leicht be­kom­men wir so we­nigs­tens einen Hin­weis auf un­ser Op­fer.«

    »Al­les, was wir tun kön­nen, wä­re bei In­ter­pol nach­fra­gen, ob es so et­was schon ein­mal ge­ge­ben hat. Oh­ne un­ser Op­fer zu iden­ti­fi­zie­ren, kön­nen wir nicht er­mit­teln und oh­ne Lei­che blei­ben uns nur Ver­mu­tun­gen. Ich ge­be das an un­se­ren Chef wei­ter und er­klä­re es ihm und du küm­merst dich um die Be­rich­te«, re­si­gnier­te Ke­me­na.

    Ihr Kol­le­ge nick­te nur stumm und küm­mer­te sich um die Be­rich­te ih­res vor­an­ge­gan­ge­nen Falls. Ke­me­na stell­te ei­ne kur­ze An­fra­ge bei In­ter­pol in Ly­on, ob es sol­che Mor­de schon ir­gend­wo auf der Welt vor­her schon gab. Im­mer­hin war die Or­ga­ni­sa­ti­on, die ih­ren Haupt­sitz in Frank­reich hat­te, für der­lei In­for­ma­tio­nen zu­stän­dig. Sie war ge­nau für so einen Fall über­haupt erst ent­stan­den. In­ter­pol war da­für zu­stän­dig, sämt­li­chen Po­li­zei­be­hör­den In­for­ma­tio­nen zur Ver­fü­gung zu stel­len.

    Als sie mit der kur­z­en An­fra­ge an Ly­on fer­tig war, be­gab sie sich mit den, bis da­hin äu­ßerst dün­nen Ak­ten un­ter dem Arm, zum Bü­ro ih­res Chefs. Oh­ne ein Op­fer oder auch nur den ge­rings­ten Hin­weis von den Spu­ren am Tat­ort konn­ten sie kei­ne Er­mitt­lung star­ten. Nach ei­nem zä­hen Rin­gen muss­te auch er ein­se­hen, dass so ei­ne Er­mitt­lung nichts wer­den konn­te. Ke­me­na Colón er­wähn­te die von ihr ge­stell­te An­fra­ge an In­ter­pol und wür­de ihn so­fort in­for­mie­ren, was da­bei her­aus­kam. Da­mit war er auch zu­frie­den und pack­te den Schnell­hef­ter in den Ak­ten­schrank ne­ben sei­nem Schreib­tisch. Ke­me­na kehr­te wie­der in ihr Bü­ro zu­rück und setz­te sich an die noch feh­len­den Be­rich­te, die lie­gen­ge­blie­ben wa­ren, nach­dem der Fall am Mor­gen auf ih­rem Tisch ge­lan­det war.

    * * *

    1. Kapitel

    Bahamas, Nassau

    Am Him­mel über der Ka­ri­bi­kin­sel stieg ganz lang­sam der große Feu­er­ball über den Ho­ri­zont und tauch­te die klei­nen Schlei­er­wol­ken in ein ma­je­stä­tisch leuch­ten­des Licht. Es war noch früh am Sams­tag­mor­gen als Emi­lia be­reits wach war. Sie hat­te es sich auf der großen Lie­ge auf der Ter­ras­se ge­müt­lich ge­macht. Ihr leich­tes Nacht­hemd mit der auf­ge­druck­ten Dis­ney­fi­gur flat­ter­te im leich­ten Wind, der von Wes­ten kam. Nur noch zwei Wo­chen trenn­ten sie und ih­re Halb­schwes­ter noch von den lan­gen Som­mer­fe­ri­en. Die letz­ten Fe­ri­en, be­vor sie in die Schu­le durf­ten. Sie hat­te kaum ge­schla­fen in die­ser Nacht.

    Ihr Luft­ge­wehr hing noch in ih­rem Waf­fen­schrank. Wie je­den Abend hat­te sie ihn ab­ge­schlos­sen und den Schlüs­sel an Do­lo­res ge­ge­ben. Die drei Er­wach­se­nen la­gen, wie ih­re Halb­schwes­ter noch im Bett und schlie­fen. Die große Uhr an der Wand zeig­te ge­ra­de kurz nach vier Uhr am Mor­gen. Sie war lan­ge wach in ih­rem Bett ge­le­gen und hat­te ver­sucht wie­der ein­zu­schla­fen. Es funk­tio­nier­te nicht mehr. Die letz­ten Ta­ge wa­ren mehr als ge­nug Schlaf mög­lich, jetzt konn­te sie ein­fach nicht mehr. Heu­te am frü­hen Mor­gen lag sie hier und be­ob­ach­te­te das große Schau­spiel der Na­tur. Wie je­den Tag, an dem die Son­ne ih­ren Kreis über den Him­mel zog. Bis­her konn­te sie das noch nie be­ob­ach­ten.

    Ihr gan­zes Le­ben stand sie im­mer erst auf, wenn der Feu­er­ball schon tief am Him­mel stand. Sie hat­te noch nie be­ob­ach­tet, wie die Son­ne ih­ren Lauf be­gann und sich lang­sam er­hob. Al­les um sie her­um war noch fried­lich. Die gan­zen Vö­gel er­wach­ten erst nach und nach und be­gan­nen ihr fröh­li­ches Sin­gen. Ei­gent­lich woll­te sie schon auf der Ter­ras­se lie­gen und ih­re Pa­pier­schei­ben, mit den auf­ge­druck­ten Rin­gen, durch­lö­chern. So­lan­ge ih­re El­tern aber noch im Bett la­gen, kam sie nicht an den Schlüs­sel für ih­re Waf­fen. Dann be­merk­te sie lei­se Schrit­te oben an der Trep­pe. Sie drück­te sich nach oben und lins­te über die Kan­te der Lie­ge.

    Oben an der Trep­pe kam ihr Va­ter aus dem Schlaf­zim­mer. Noch be­vor er die ers­te Stu­fe er­reich­te, sprang sie von der Lie­ge und rann­te zum Fuß der Trep­pe, um auf ih­ren Va­ter zu war­ten. Er fing an zu la­chen als er sei­ne Toch­ter mit den nack­ten Bein­chen und ih­rem Nacht­hemd sah. Als er un­ten war, hob er sei­ne Toch­ter an und drück­te sie an sich. Sie gab ihm einen di­cken Kuss und frag­te als Ers­tes nach ih­rem Schlüs­sel zum Waf­fen­schrank. Micha be­gann zu la­chen und flüs­ter­te, »Den muss ich erst ho­len, Mäu­schen, aber so früh am Mor­gen soll­ten wir noch lei­se sein. Die an­de­ren schla­fen noch.«

    »Du hast es aber ver­spro­chen, Pa­pa«, be­schwer­te sie sich.

    »Was soll ich ver­spro­chen ha­ben?«, frag­te er ver­wirrt. Er konn­te sich nicht er­in­nern, sei­ner Toch­ter et­was ver­spro­chen zu ha­ben.

    »Dass wir heu­te ei­ne Über­ra­schung be­kom­men«, sag­te sie.

    Micha lä­chel­te sie an, »Ja, ich ha­be euch ei­ne Über­ra­schung ver­spro­chen, aber ich ha­be nicht ge­sagt, was. Au­ßer­dem ist sie noch nicht hier, ich muss sie erst noch ho­len. Das kann ich aber noch nicht so früh am Tag. Nach dem Früh­stück gehts los.«

    Er trug sei­ne Toch­ter mit in die Kü­che und stell­te einen klei­nen Topf auf den Herd. Dann hob er sie wei­ter nach oben und sag­te, »Dein Schlüs­sel liegt da oben auf dem Schrank, mein Schatz.«

    Emi­lia lä­chel­te und streck­te ih­re klei­ne Hand nach oben. Sie fühl­te die obe­re Kan­te des Hän­ge­schranks. Dann fand sie den klei­nen Schlüs­sel und hielt ihn wie ein Ge­winn nach oben. Micha setz­te sie ab. So­fort rann­te sie nach oben in ihr Kin­der­zim­mer. We­ni­ge Se­kun­den spä­ter kam sie mit ih­rem Luft­ge­wehr wie­der nach un­ten. Wie üb­lich leg­te sie die Waf­fe auf das So­fa und war­te­te auf das Ma­ga­zin, was sie von ih­rem Va­ter be­kam. Das leg­te sie ne­ben ih­re Waf­fe und rann­te dann wie­der in die Kü­che.

    Micha hat­te Milch in den Topf ge­ge­ben und ih­re Tas­se be­reit­ge­stellt. Er be­rei­te­te ih­ren Ka­kao zu und setz­te sich mit ihr an den Tisch. Emi­lia ver­such­te ihn aus­zu­fra­gen, was es für ei­ne Über­ra­schung gab, wie sie es in den letz­ten Ta­gen schon öf­ter ver­such­te. Seit er es an­ge­kün­digt hat­te, ver­such­ten die bei­den Mäd­chen ir­gend­wel­che In­for­ma­tio­nen aus ihm her­aus­zu­ho­len. Bis­her gab er kei­nen Hin­weis da­zu her­aus. Das än­der­te sich jetzt und er sag­te kryp­tisch, »Ihr wer­det es lie­ben, weil es so flau­schig ist!«

    Sei­ne Toch­ter dach­te dar­über nach, was das sein könn­te. Aber so sehr sie auch über­leg­te, kam sie nicht hin­ter das Ge­heim­nis. Die nächs­te, die nach un­ten kam, war die nur in Un­ter­wä­sche ge­klei­de­te Do­lo­res. So­fort stand Micha auf und mach­te ihr einen Kaf­fee. Dol­ly setz­te sich ne­ben Emi­lia, die als Ers­tes an ih­rer Ma­mi hing und auch ihr einen feuch­ten Kuss auf­drück­te. Mi­cha­el stell­te ei­ne Tas­se mit Kaf­fee vor sie und gab auch ihr einen di­cken Kuss. Emi­lia war cle­ver und ver­such­te Dol­ly aus­zu­fra­gen wel­che Über­ra­schung sie und Va­le­ria be­kämen.

    »Ich weiß es nicht, Emi­lia«, be­kann­te Do­lo­res. »Nur Pa­pa weiß, was ihr be­kommt. Er hat es we­der euch, noch uns ver­ra­ten. Das ein­zi­ge, was ich weiß ist, dass wir uns dar­über freu­en wer­den.«

    Micha setz­te so­gar noch einen drauf, »Ihr wer­det es lie­ben! Aber heu­te Mit­tag brau­chen wir al­le Hän­de da­für.«

    Nun wa­ren Mut­ter und Toch­ter glei­cher­ma­ßen ver­wirrt. Die bei­den ver­such­ten, aus den we­ni­gen Hin­wei­sen schlau zu wer­den. Michas La­chen wur­de im­mer brei­ter, je mehr Ide­en die bei­den mit­ein­an­der ent­wi­ckel­ten. Nach­dem auch Va­le­ria und Leo­nie aus dem Bett ka­men, die eben­falls kei­ne Ah­nung hat­ten, was sich Micha aus­ge­dacht hat­te, sa­ßen sie al­le vier am Tisch und rät­sel­ten. Ir­gend­wann stand er auf und nahm sich den Au­to­schlüs­sel. Er ver­ab­schie­de­te sich von sei­nen La­dys und mach­te sich auf den Weg, die Über­ra­schung zu ho­len. Müt­ter und Töch­ter rät­sel­ten noch im­mer dar­über. Leo­nie fing so­gar an, das gan­ze Haus zu durch­su­chen. Nach dem Hin­weis, dass sie al­le Hän­de brauch­ten, war sie si­cher, dass es ir­gend­wo ei­ne Ver­än­de­rung ge­ge­ben ha­ben muss­te. Al­ler­dings fand sie nichts, was dar­auf hin­wies.

    Micha brauch­te fast zwei Stun­den, bis er wie­der mit lee­ren Hän­den in der Tür stand. Die Haus­tür ließ er of­fen und fing an sei­ne Da­men auf­zu­klä­ren, »Ihr müsst mir jetzt ver­spre­chen ganz ru­hig zu sein und euch hier auf den Tep­pich zu set­zen. Al­le vier ne­ben­ein­an­der. Bit­te nicht schrei­en oder strei­ten. Je­der be­kommt sein Ge­schenk in die Hand und darf erst dann die Au­gen­bin­de ab­neh­men, die ich euch jetzt auf­set­ze.«

    Sei­ne La­dys wa­ren jetzt rest­los ver­wirrt, ka­men aber sei­ner Auf­for­de­rung nach und setz­ten sich ne­ben­ein­an­der auf den Tep­pich. Micha zog Au­gen­bin­den aus der Ta­sche. Je­de be­kam ei­ne und setz­te sie auch auf. Sie hör­ten ganz ge­nau hin. Die nächs­ten paar Mi­nu­ten hör­ten sie nur ein Klap­pern und wie Mi­cha­el ir­gend­was von drau­ßen her­ein­brach­te. Dann schloss er die Haus­tür und auch die Tür zur Ter­ras­se. Leo­nie war, die ers­te, die ihr Ge­schenk in die Hand be­kam. Es war warm, furcht­bar weich und be­weg­te sich auf ih­rer Hand. Sie wuss­te so­fort, was Mi­cha­el für die gan­ze Fa­mi­lie be­sorg­te. Das Ge­schrei wä­re rie­sen­groß. Va­le­ria und Emi­lia war­te­ten un­ge­dul­dig dar­auf, was sie be­ka­men. Dann hat­ten al­le ihr Ge­schenk und durf­ten die Au­gen­bin­den ab­zie­hen.

    Je­de von ih­nen hat­te ei­ne ganz jun­ge Kat­ze in den Hän­den, die sich von der Kör­per­wär­me an­ge­zo­gen an sie drück­ten. Va­le­ria konn­te nicht glau­ben, was sie da an ih­rer Brust auf den Hän­den ba­lan­cier­te. Aber Mi­cha­el hat­te ihr im Rah­men ih­res letz­ten Falls einen Wunsch ge­währt. Nun hat­te er sein Ver­spre­chen ein­ge­löst. Sie hat­te sich näm­lich ein Haus­tier ge­wünscht. Leo­nie lieb­te Kat­zen und woll­te schon im­mer wel­che ha­ben. Bis­her wa­ren sie aber im­mer wie­der zu lan­ge au­ßer Haus und hat­ten nie­man­den, der sich um sie küm­mern konn­te. Auch Do­lo­res moch­te Kat­zen und die bei­den Mäd­chen wa­ren im­mer hoch­er­freut, wenn sie ei­ne da­von strei­cheln konn­ten. Jetzt hat­ten sie al­le ei­ne auf dem Arm.

    Am Ein­gang stan­den meh­re­re große Pa­ke­te, die Mi­cha­el mit­brach­te. Sie ent­hiel­ten al­les Mög­li­che für die neu­en klei­nen Be­woh­ner des Hau­ses. Das größ­te, was dort auf den Auf­bau war­te­te, wa­ren sechs Kratz­bäu­me. Da­ne­ben gab es Fut­ter und Was­ser­näp­fe für die Mie­zen und auch ei­ne Men­ge an Spiel­zeug, um sie zu be­schäf­ti­gen. Für Emi­lia war das schie­ßen für die­sen Tag kom­plett er­le­digt. Noch be­vor sie auch einen Schuss ab­gab, lan­de­te ihr Ge­wehr wie­der im Schrank. Die gan­ze Fa­mi­lie schraub­te an den Kratz­bäu­men für die neu­en Be­woh­ner her­um, die sich ihr neu­es Heim ganz ge­nau an­sa­hen. Al­le vier Kat­zen lie­fen an den Wän­den je­den ein­zel­nen Raum des Hau­ses ab.

    Va­le­ria sprang wie ein Gum­mi­ball durch das große Wohn­zim­mer. Sie hat­te den Wunsch, ein Haus­tier zu ha­ben. Ihr Va­ter muss­te ihr ver­spre­chen, ein Haus­tier zu be­sor­gen. Ei­gent­lich dach­te die Klei­ne an einen Hams­ter oder klei­ne­re Tie­re, aber er hat­te statt­des­sen gleich für je­de Frau sei­ner Fa­mi­lie ei­ne Kat­ze be­sorgt. Er ach­te­te auch noch für je­des Fa­mi­li­en­mit­glied auf die Far­be des Fells. Leo­nie be­kam ei­ne Kat­ze mit ei­nem fast wei­ßen Fell, nur die Bein­chen wa­ren mit ein biss­chen dunk­le­rem Fell ge­spren­kelt. Do­lo­res be­kam ei­ne ge­ti­ger­te Kat­ze, de­ren hel­les Fell tau­sen­de klei­ne dunkle Punk­te auf­wies. Die Tie­re der bei­den Kin­der brach­te ih­re Au­gen zum Leuch­ten.

    Va­le­ri­as Ka­ter war fast schwarz, mit ei­ni­gen wei­ßen Strei­fen, vor al­lem die Pfo­ten sa­hen aus wie wenn er wei­ße So­cken trug. Emi­li­as Ka­ter hat­te ei­ne be­son­de­re Mi­schung aus Weiß und röt­li­chem Fell. Al­le vier wa­ren ge­ra­de we­ni­ge Wo­chen alt. Sie stamm­ten al­le aus dem glei­chen Wurf und wa­ren Bru­der und Schwes­ter. Ei­gent­lich woll­te Mi­cha­el die Tie­re aus ei­nem Tier­heim ho­len. Als er es be­such­te fand er zwar ei­ni­ge Kat­zen, aber sie wa­ren schon deut­lich äl­ter und nicht ge­ra­de an­häng­lich wie er es sich vor al­lem für die Kin­der wünsch­te. Sei­nen Da­men war das ziem­lich egal. Emi­lia und ih­re Schwes­ter folg­ten ih­ren Kat­zen in ei­ni­gem Ab­stand auf ih­rem Weg durch das Haus.

    Mi­cha­el rief sie in die Kü­che. Er hat­te für die klei­nen spe­zi­el­le Kat­zen­milch vor­be­rei­tet, die er mit et­was Was­ser ver­dünn­te. Au­ßer­dem stell­te er Tro­cken­fut­ter für sie be­reit und zur Fei­er des Ta­ges be­ka­men sie Thun­fisch aus der Do­se im ei­ge­nen Saft. Die vier Lei­se­pföt­chen klet­ter­ten fast an sei­nem Ho­sen­bein nach oben als sie ro­chen, dass es Fisch gab. Bei­de Kin­der soll­ten ih­ren Haus­tie­ren ihr Es­sen selbst auf den Bo­den stel­len. Die Kat­zen wa­ren nicht die ein­zi­gen auf dem Bo­den, denn die bei­den Mäd­chen setz­ten sich hin­ter ih­re Schütz­lin­ge und stri­chen ih­nen durch das samt­wei­che Fell. Do­lo­res und Leo­nie hiel­ten ih­ren Mann im Arm und er­freu­ten sich am An­blick der Kin­der. Sie wa­ren be­geis­tert.

    Ins­ge­samt hat­te die Fa­mi­lie im gan­zen Haus sechs Kratz­bäu­me auf­ge­stellt. In den Kin­der­zim­mern stand je­weils ei­ne klei­ne­re Aus­ga­be. Im Schlaf­zim­mer der El­tern gab es einen grö­ße­ren für die bei­den Kat­zen der Müt­ter und zwei wei­te­re stan­den im Wohn­zim­mer. Die wa­ren deut­lich grö­ßer und reich­ten bis zur De­cke hin­auf. Der letz­te fand sei­nen Platz im Ar­beits­zim­mer. Das Spiel­zeug für die Neu­zu­gän­ge lan­de­te auf dem Bo­den des Wohn­zim­mers und war im­mer ver­füg­bar. Mit den bei­den Mäd­chen war nichts mehr an­zu­fan­gen. Den gan­zen Tag lie­fen sie den Vier­bei­nern hin­ter­her und konn­ten nicht auf­hö­ren, sie zu strei­cheln.

    Leo­nie und Do­lo­res muss­ten die Mäd­chen ein biss­chen brem­sen. Den Kat­zen war es gar nicht recht an­dau­ernd ver­folgt zu wer­den und sie wehr­ten sich da­ge­gen mit den ver­füg­ba­ren Waf­fen. Die schar­fen Kral­len an den Bei­nen konn­ten schwe­re Krat­zer ver­ur­sa­chen. Vor al­lem war es schwer, den Hie­ben der Kätz­chen aus­zu­wei­chen. Sie wa­ren ver­flucht schnell und schlu­gen auch so­fort zu, wenn ih­nen et­was nicht ge­fiel.

    Die bei­den Kin­der wa­ren sich dar­über be­wusst, aber die klei­nen neu­en Be­woh­ner des Hau­ses wa­ren so flau­schig, dass sie ih­nen kei­ne Ru­he gönn­ten. Mi­cha­el ging ne­ben sei­nen bei­den Mäd­chen auf die Knie und nahm sie in den Arm. Dann sag­te er, »Ihr müsst ih­nen ein biss­chen Frei­raum las­sen. Stellt euch mal vor, ich wür­de euch bei­den Zau­ber­mäu­se ein­fach so in ein neu­es Haus stel­len. Ihr wür­det euch auch zu­erst al­les ge­nau an­se­hen. Die vier wol­len das auch. Sie ken­nen sich hier nicht aus und brau­chen ein biss­chen Zeit, sich ein­zu­ge­wöh­nen.«

    Leo­nie kam da­zu und frag­te, »Habt ihr euch schon Na­men für eu­re bei­den Schmu­se­ti­ger aus­ge­sucht?«

    Die bei­den Mäd­chen schau­ten sich er­schro­cken an. Sie brauch­ten ja noch einen Na­men für die neu­en Be­woh­ner. Al­le vier Da­men des Hau­ses setz­ten sich an den großen Tisch und über­leg­ten sich Na­men für die Kat­zen. Es gab so vie­le un­ter­schied­li­che zur Aus­wahl. Emi­lia und Va­le­ria hat­ten tau­sen­de Ide­en, konn­ten sich aber nicht ent­schei­den. Mi­cha­el ver­sorg­te sei­ne ge­lieb­ten La­dys mit fri­schem Frucht­saft und setz­te sich da­zu.

    Wäh­rend­des­sen konn­ten die vier Kätz­chen ih­re neue Hei­mat er­kun­den. Das Haus, ih­re neue Hei­mat, war rie­sen­groß und sie brauch­ten viel Zeit sich al­les an­zu­schau­en. Un­ter­ein­an­der kann­ten sich die vier schon. Sie wa­ren schließ­lich Ge­schwis­ter und ver­brach­ten schon ih­re ge­sam­te Le­bens­zeit mit­ein­an­der. So­lan­ge die fünf Men­schen am Tisch Na­men dis­ku­tier­ten, mach­ten sie sich un­ge­stört auf Ent­de­ckungs­rei­se.

    Das Ers­te, was sie aus ih­rer Per­spek­ti­ve fan­den, wa­ren die fast un­be­grenz­ten Mög­lich­kei­ten sich zu ver­ste­cken. Sie konn­ten un­ter das große So­fa krab­beln, die gan­zen Schrän­ke bo­ten eben­falls wun­der­ba­re Ver­steck­mög­lich­kei­ten, da­mit die bei­den Mäd­chen nicht an sie her­an­ka­men. Zwei von ih­nen be­en­de­ten ihr Er­kun­den des un­te­ren Stock­werks und setz­ten die Be­sich­ti­gung oben fort. Auch un­ter den Bet­ten gab es ge­nü­gend Platz, sich zu ver­ber­gen. Al­ler­dings ge­fiel ih­nen das obe­re der Bet­ten auch ganz gut. Hoch­sprin­gen funk­tio­nier­te nicht, aber sie konn­ten an den De­cken nach oben klet­tern. Hier war es weich und ku­sche­lig, was ge­ra­de­zu prä­des­ti­niert war sich ein­zu­rol­len und ein biss­chen zu schla­fen.

    Do­lo­res Kat­ze soll­te Ti­ger hei­ßen. Das pass­te am bes­ten zu ih­rem ge­ti­ger­ten Fell. Leo­nie woll­te ih­re Kat­ze Prin­cess nen­nen. Va­le­ria und Emi­lia konn­ten sich nicht ent­schei­den, wel­chen Na­men sie ih­ren neu­en Freun­den ge­ben soll­ten. Ob­wohl es ein Ka­ter war, dach­te Va­le­ria an Ca­li­me­ra, war sich aber nicht si­cher, ob der aus­ge­such­te Na­me zu ei­nem Ka­ter pass­te. Do­lo­res be­ru­hig­te sie da­mit, dass ih­re Kat­ze auch Ti­ger hei­ßen soll­te, ob­wohl es ein Mäd­chen war. Für Emi­lia war der Fall klar. Ihr Ka­ter mit dem röt­li­chen Fell muss­te ein­fach Gar­field hei­ßen. Leo­nie fing an zu la­chen und sag­te zu Mi­cha­el, »Lieb­ling, wenn du das nächs­te Mal La­sa­gne machst, brau­chen wir für Emi­li­as Ka­ter ei­ne ei­ge­ne Schüs­sel!«

    »Ver­mut­lich wer­de ich dann je­den Tag La­sa­gne ma­chen müs­sen. Gar­field im Fern­se­hen frisst ja auch nichts an­de­res«, grins­te er sei­ne Frau an.

    Dann aber fiel Emi­lia et­was an­de­res ein, was ihr Sor­gen be­rei­te­te. »Pa­pa, blei­ben die Kat­zen nur im Haus?«

    Er nick­te und er­klär­te dann, »Vo­rerst blei­ben sie im Haus. Erst in ein paar Wo­chen dür­fen sie auch in den Gar­ten.«

    »Dann kön­nen Ma­ma und ich gar nicht mehr schie­ßen. Nicht, dass wir un­se­re Kat­zen tref­fen«, sag­te sie mit fast nas­sen Au­gen. Die Kat­zen wa­ren ja schön, aber ihr liebs­tes Hob­by woll­te sie des­we­gen nicht auf­ge­ben.

    Micha hat­te sich da­für aber schon ei­ne Lö­sung ein­fal­len las­sen. In den nächs­ten Ta­gen wür­de ei­ne Trup­pe Bau­ar­bei­ter an­rücken und den bei­den einen rich­ti­gen Schieß­stand bau­en, auf den ih­re Kätz­chen nicht ge­lan­gen konn­ten. Er hat­te sich so­gar da­für ent­schie­den, ei­ne un­ter­ir­di­sche An­la­ge zu bau­en, da­mit Emi­lia zu­sam­men mit ihm trai­nie­ren konn­te. Das soll­te ei­ne wei­te­re Über­ra­schung wer­den. Den ge­plan­ten Teil für oben er­klär­te er sei­ner Toch­ter, da­mit sie be­ru­higt war.

    Den gan­zen rest­li­chen Tag ver­brach­ten die bei­den Mäd­chen da­mit, ih­ren Kat­zen zu fol­gen. Die El­tern hat­ten ih­nen auch er­klärt, dass die vier flau­schi­gen Be­woh­ner auch zu ih­nen ins Bett durf­ten. Al­ler­dings durf­ten sie die Kat­zen nicht da­zu zwin­gen. Das muss­ten sie schon selbst wol­len und sich dann zu den Kin­dern le­gen. In den ers­ten Ta­gen wür­de es oh­ne­hin nicht da­zu kom­men. Noch wa­ren die vier zu ängst­lich und Emi­lia und Va­le­ria wa­ren viel zu hek­tisch, was auf die Stu­ben­ti­ger ab­schre­ckend wirk­te.

    Dol­ly und Leo­nie be­dank­ten sich für das lie­be Ge­schenk bei ih­rem Mann. Sie hat­ten sich schon im­mer Kat­zen ge­wünscht und da jetzt im­mer je­mand im Haus war konn­ten sie auch ver­sorgt wer­den. Die Kin­der müss­ten sich halt um sie küm­mern, wenn die Agen­ten im Ein­satz wa­ren. Zu­sätz­lich hat­ten sie ja noch Un­ter­stüt­zung durch die bei­den Stu­den­tin­nen, die für die bei­den Kin­der sorg­ten. Nur Ber­nand Rous­sel, ihr Ver­bin­dungs­mann, wür­de Pro­ble­me be­kom­men, wenn er zu Be­such kam. Er nann­te ei­ne Kat­zen­haar­all­er­gie sein Ei­gen und wür­de dau­ernd Nie­sen.

    * * *

    2. Kapitel

    Frankreich, Lyon

    Die Ser­ver­schrän­ke in den Kel­ler­räu­men lie­fen auf vol­len Tou­ren. Ei­ni­ge Com­pu­ter­spe­zia­lis­ten durch­such­ten die Da­ten, die dort ge­spei­chert wa­ren. Es gab ei­ne An­fra­ge aus Cos­ta Ri­ca über einen Mord oh­ne Lei­che. Aber auch die Da­ten des Ser­vers ga­ben kei­nen Auf­schluss. In der gan­zen Ge­schich­te gab es so einen Fall noch nie. Mor­de pas­sier­ten rund um die Welt täg­lich, aber da­zu gab es je­des Mal ei­ne Lei­che. In San José fand man nur Spu­ren, die man nicht zu­ord­nen konn­te.

    Rhon­da Mil­ler, die Di­rek­to­rin der Or­ga­ni­sa­ti­on, be­trat ge­ra­de das Haupt­ge­bäu­de im Her­zen von Ly­on. In der Hand hielt sie ei­ne Tü­te des klei­nen Cafés schräg ge­gen­über. Wie je­den Mor­gen be­sorg­te sie sich dort ein klei­nes Früh­stück be­vor sie ih­ren Ar­beits­tag be­gann. In ih­rem Bü­ro sta­pel­ten sich die Auf­trä­ge, was ih­re Lau­ne et­was schmä­ler­te. Ihr Se­kre­tär nahm ihr zwar vie­les ab, aber sie war die Che­fin des ge­sam­ten Or­che­s­ters. Vie­les da­von konn­te sie nur selbst er­le­di­gen.

    Als sie das Vor­zim­mer ih­res Bü­ros im 23. Stock­werk be­trat, er­war­te­te sie be­reits ihr Se­kre­tär. In ih­rem Bü­ro war­te­te Ber­nand Rous­sel auf sie. Er war erst aus Ita­li­en zu­rück­ge­kehrt und über­brach­te der Di­rek­to­rin gu­te Nach­rich­ten. Das Te­am um Amy Vaughn kam bei ih­rem Auf­trag gut vor­an und er hat­te für sie einen Zwi­schen­be­richt vor­bei­ge­bracht. Das woll­te er noch er­le­di­gen, be­vor er wie­der nach Nassau flog und sich um das Te­am von Liz Croll küm­mer­te.

    Rous­sel hat­te nach sei­nem Ru­he­stand als Di­rek­tor die Be­treu­ung der bei­den Te­ams über­nom­men. Seit­dem pen­del­te er re­gel­mä­ßig zwi­schen Bo­lo­gna in Nor­di­ta­li­en und Nassau auf den Ba­ha­mas hin und her. Er selbst wohn­te in Nassau. Das Kli­ma dort tat ihm gut. Nach sei­ner Al­ko­hol­sucht, die er mit­hil­fe von Leo­nie und ih­rem Mann Mi­cha­el über­win­den konn­te, ging es ihm wie­der rich­tig gut. Seit fast fünf Jah­ren war er nun tro­cken. Der Flach­mann in sei­ner Brust­ta­sche ent­hielt nur noch kla­res Was­ser. Frü­her war er ge­füllt mit Bran­dy oder an­de­rem hoch­pro­zen­ti­gem.

    Rous­sel war bei­na­he 70 Jah­re alt und hat­te das vor­ge­schrie­be­ne Ren­ten­al­ter schon lan­ge über­schrit­ten. Der al­te Hau­de­gen wei­ger­te sich aber be­harr­lich in Ren­te zu ge­hen. Er woll­te sei­ne Auf­ga­be nicht an einen an­de­ren ab­zu­ge­ben. Er wuss­te sonst nichts mit sich an­zu­fan­gen. Auch sein al­ter Weg­ge­fähr­te im Kel­ler, der für die Waf­fen zu­stän­dig war, François Pier­lot dach­te nicht an Ren­te. Er war zwar nur ein Jahr jün­ger als Ber­nand Rous­sel, aber ih­re Auf­ga­ben woll­ten sie nicht den Frisch­lin­gen über­las­sen. Rhon­da war das ei­gent­lich ganz recht. So­lan­ge die bei­den al­ten noch da wa­ren, hat­te sie bei Pro­ble­men noch zwei er­fah­re­ne An­sprech­part­ner.

    Auf Rhon­das Tisch lag auch ein kur­z­er Be­richt aus San José. Sie hat­te An­wei­sung ge­ge­ben, über völ­lig neue Ver­bre­chen in­for­miert zu wer­den. Die Di­rek­to­rin woll­te in­for­miert blei­ben, was auf der Welt um sie her­um pas­sier­te. Neu­ar­ti­ge Waf­fen be­sprach sie mit François Pier­lot, der ihr al­les er­klä­ren konn­te, was sich in die­sem Be­reich ma­chen ließ. Von Rous­sel konn­te sie in ei­ni­gen Si­tua­tio­nen ler­nen, wie sie da­mit um­ge­hen soll­te. Was sie di­rekt ver­stand, war, dass ih­re Te­ams in Bo­lo­gna und Nassau oh­ne po­li­ti­sche Ein­mi­schung agier­ten. So­lan­ge sie nicht ih­ren Ab­schluss­be­richt in Hän­den hielt, küm­mer­te sie sich nicht um ir­gend­wel­che Schrei­ben von Po­li­ti­kern oder An­wäl­ten.

    Das Pro­blem mit den Wei­sun­gen kann­ten sie schon aus Deutsch­land. Dort war die an­geb­lich un­ab­hän­gi­ge Jus­tiz nur auf dem Pa­pier vor­han­den. Der Staats­an­walt durf­te aber kei­ne Er­mitt­lun­gen auf­neh­men, wenn es sei­nem Jus­tiz­mi­nis­ter nicht ge­fiel. Er war wei­sungs­ge­bun­den, was auch be­deu­te­te, sie durf­ten of­fi­zi­ell kei­ne eu­ro­päi­schen Haft­be­feh­le aus­stel­len. Das hat­te der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof schon 2019 ent­schie­den. Die­se Haft­be­feh­le muss­ten da­her die Rich­ter aus­stel­len. Des­halb konn­ten deut­sche Po­li­ti­ker auch trei­ben, was sie woll­ten, oh­ne ei­ne Straf­ver­fol­gung fürch­ten zu müs­sen. Der Jus­tiz­mi­nis­ter konn­te ein­fach ent­schei­den, in die­sen Fäl­len nicht zu er­mit­teln und die Staats­an­wäl­te muss­ten sich dar­an hal­ten.

    Ihren Te­ams war das völ­lig egal. Liz Croll hat­te bei ih­rem ers­ten Fall schon die Bun­des­kanz­le­rin der Bun­des­re­pu­blik we­gen Mor­des di­rekt im Bun­des­tag wäh­rend ei­ner Sit­zung ver­haf­tet. Da brauch­te man kei­nen Staats­an­walt. Amy, die Che­fin ih­res Te­ams in Ita­li­en, hat­te das be­reits ver­in­ner­licht. Ihr war zwar noch kein Schlag ge­gen einen ho­hen Po­li­ti­ker ge­lun­gen, aber auch in die­sen Fäl­len er­mit­tel­te sie sorg­fäl­tig.

    Das neue Ver­bre­chen, was ihr aus Cos­ta Ri­ca ge­mel­det wur­de, mach­te sie stut­zig. Ein Mord oh­ne Lei­che, bei dem man nicht mal den kleins­ten Rest auf­fin­den konn­te, war mehr als un­ge­wöhn­lich. Sie be­sprach den Fall mit Ber­nand Rous­sel, der so et­was in sei­ner Kar­rie­re auch noch nie er­leb­te. Dass man ei­ne Lei­che vom Tat­ort ir­gend­wo an­ders ab­leg­te, kam bei­na­he täg­lich vor, aber ganz oh­ne Spur? Nur ein großer Blut­fleck wur­de auf dem Pflas­ter ent­deckt und die Ge­richts­me­di­zin stell­te fest, dass so ein großer Blut­ver­lust de­fi­ni­tiv töd­lich war. Auch ih­re Da­ten lie­fer­ten kei­nen ähn­li­chen Fall, in dem so et­was schon ein­mal vor­kam.

    Ber­nand Rous­sel kam auf die Idee, den gan­zen Fall Mi­cha­el vor­zu­le­gen. Er konn­te an­hand ei­ni­ger Spu­ren mit sei­ner Lo­gik meis­te einen An­satz fin­den, den die Po­li­zei in Cos­ta Ri­ca ver­fol­gen konn­te. Rhon­da hielt das für ei­ne gu­te Idee und gab ihm ei­ne Aus­ga­be des Fal­les mit auf sei­nen Heim­flug. Nach­dem Rous­sel sich auf den Weg zu sei­nem Flug­zeug mach­te, ver­such­te Rhon­da einen Sinn da­hin­ter zu fin­den. Al­lei­ne die ge­fun­de­nen Fuß­spu­ren soll­ten ei­gent­li­che einen Hin­weis lie­fern, aber oh­ne Soh­le war es aus­sichts­los. Al­le Spu­ren ver­lie­fen sich im Sand.

    Als Er­mitt­le­rin wuss­te Rhon­da, dass es so et­was wie das per­fek­te Ver­bre­chen nicht gab. Es fand sich im­mer ein noch so klei­ner Fa­den, der die Po­li­zei­be­am­ten auf die Spur des Tä­ters brach­te. Das größ­te Pro­blem war ein­fach nur den rich­ti­gen An­satz zu fin­den. Die Di­rek­to­rin ent­schied auch Mi­ke, dem Ha­cker von Liz die bis­her vor­han­de­nen Er­geb­nis­se zu schi­cken. Er soll­te sich das eben­falls ein­mal an­se­hen. Vi­el­leicht fand er ir­gend­was ver­wend­ba­res.

    * * *

    Costa Rica, San José

    Ke­me­na lag die hal­be Nacht wach in ih­rem Bett. Der Fall ließ sie kei­ne Ru­he fin­den. Vor ih­rem in­ne­ren Au­ge sor­tier­te sie die Hin­wei­se im­mer wie­der neu. Es war doch nicht mög­lich, dass al­les ei­ne Ge­schich­te er­zähl­te und kei­nen Rück­schluss auf die Tä­ter er­laub­te. Sie muss­te et­was über­se­hen ha­ben. Die gan­ze Nacht über­leg­te sie, wel­chem klei­nen Hin­weis sie noch nach­ge­hen konn­te. Mehr als den Fall zu den Ak­ten ge­ben konn­te sie nicht.

    Ei­gent­lich brach­te sie ih­re Ar­beit nie mit nach Hau­se. Hier zähl­ten nur ih­re Kin­der, aber nicht die Fäl­le aus dem Re­vier. Die Gren­zen wa­ren flie­ßend, aber nor­ma­ler­wei­se leg­te sie die Über­le­gun­gen ab, wenn sie nach Hau­se fuhr. Heu­te hat­te das aus ir­gend­ei­nem Grund nicht funk­tio­niert. Nach Fei­er­abend ver­such­te sie sich mit ih­ren Kin­dern ab­zu­len­ken. Ih­re Ge­dan­ken drif­te­ten trotz­dem im­mer wie­der zu dem un­ge­wöhn­li­chen Fall.

    An­hand der Grö­ße der am Tat­ort ge­fun­de­nen Blut­la­che ka­men die Me­di­zi­ner auf einen Blut­ver­lust von fünf Li­tern. Das Op­fer war al­so na­he­zu noch dort aus­ge­blu­tet. Un­ge­wöhn­lich war das, ob­wohl man das Op­fer of­fen­sicht­lich weg­trug, kei­ne ein­zel­nen Trop­fen zu­rück­b­lie­ben. Ke­me­na konn­te sich nicht vor­stel­len, wie das ge­gan­gen sein soll­te. Wenn das Op­fer blu­tet und fünf Li­ter ver­goss und man es dann vom Ort des Ver­bre­chens weg­schaff­te, muss­te es zwin­gend Trop­fen ge­ben, die senk­recht nach un­ten fie­len. An ih­rem Tat­ort wa­ren sol­che Trop­fen aber nicht ge­fun­den wor­den.

    Früh am Mor­gen, als die Son­ne lang­sam wie­der ih­rem Platz am Him­mel er­ober­te, quäl­te sie sich aus dem Bett. Schla­fen konn­te sie fast gar nicht. Colón war

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