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Marvel | Xaviers Institut: Triptychon
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eBook374 Seiten5 Stunden

Marvel | Xaviers Institut: Triptychon

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Über dieses E-Book

X-Men-Supersoldat Fantomex muss sich mit seinen Klonversionen auseinandersetzen!   Der ehemalige Supersoldat und Meisterdieb Fantomex stößt auf einen seiner Klone, Cluster, der in Museen einbricht, um unbezahlbare Artefakte zu stehlen. Überlistet und fasziniert beschließt Fantomex, Cluster in ihrem eigenen Spiel zu schlagen. Aber irgendetwas ist anders an diesen Artefakten: Sie enthalten alle Nanotechnologie, die der sehr ähnlich ist, die Fantomex selbst erschaffen hat. Und sie sind nicht die Einzigen, die nach den Artefakten suchen … ihr anderer Klon, Waffe XIII, ist ebenfalls auf der Jagd. Das Katz-und-Maus-Spiel stellt ihre Einbruchsfähigkeiten auf die Probe und bringt sie an die Grenzen ihres gegenseitigen Vertrauens. Als sich dann herausstellt, dass sie die Spielfiguren in einem noch viel tödlicheren Spiel sind, bricht die Hölle los – und diese Klone spielen immer auf Sieg.
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum3. Okt. 2022
ISBN9783966589550
Marvel | Xaviers Institut: Triptychon

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    Buchvorschau

    Marvel | Xaviers Institut - Jaleigh Johnson

    KAPITEL 1

    Es begann mit seinem Tod, daher konnte man es wohl kaum als vielversprechenden Anfang bezeichnen.

    Wenn das allerdings das Jenseits oder sonst eine Art von Leben nach dem Tod war, beeindruckte es bestenfalls durch seine Langweiligkeit. Er schwebte in einer warmen Leere ohne Farben, ohne Geräusche. Es gab absolut nichts, mit dem man sich beschäftigen konnte, außer zu denken. Er versuchte, sich an Dinge aus seinem Leben zu erinnern, was irgendwie seltsam anstrengend war. Wenn alle Mühsal hinter ihm lag, warum wurde ein toter Mann dann noch müde? Das konnte man wohl kaum als gerecht bezeichnen.

    Das führte ihn allmählich zu der Erkenntnis, dass er möglicherweise gar nicht tot war, er wurde nur gerade … wiederhergestellt.

    Er hatte mal über die Fähigkeit verfügt, sich selbst zu heilen. Zumindest glaubte er das, doch vielleicht erinnerte er sich an ein anderes Leben oder an die Kräfte eines anderen. Diese Erinnerungen waren wie winzige, vor seinem Gesicht tanzende Lichtflecken. Manche davon blieben knapp außer Reichweite, dann verblassten sie. Verloren.

    Irgendwann hatte er auch seinen Namen verloren, und das war sogar noch besorgniserregender als der Verlust des Lebens. Um ehrlich zu sein, er wusste, er hatte während seiner eigenartigen Existenz mehrere Namen gehabt, er würde sich früher oder später also zwangsläufig an einen davon erinnern. Auch wenn er in dieser formlosen Leere schwebte. Es war praktisch garantiert, dass er sich irgendwo hier draußen selbst finden würde.

    Die meisten seiner Namen hatten andere ihm gegeben. Aber lief das nicht immer so? Leute, die einem sagen wollten, wer man war? Sie fühlten sich ihrer selbst sicherer, wenn sie allen anderen einen Namen und eine Rolle aufdrücken konnten. Wenn man alle in eine Schublade steckte, konnte man sich einreden, sie zu verstehen, was sie letztendlich auch weniger bedrohlich wirken ließ. Das Problem dabei war, die Leute lagen so unerträglich oft völlig daneben, was sie aber natürlich nicht im Geringsten davon abhielt, so selbstsicher und arrogant zu sein.

    Selbstsicher und arrogant. Möglicherweise beschrieben diese Worte auch ihn. Allerdings waren das keine Namen.

    Die Leere um ihn herum veränderte sich und nahm eine rote, geradezu bedrohliche Farbe an, die absolut nicht zu seiner friedlichen Stimmung passte. Klopfte da jemand an der Tür? Egal. Er würde einfach nicht aufmachen.

    Eine Präsenz legte sich wie eine schwere Decke um ihn. Oh ja, da war ganz eindeutig jemand in der Nähe. Jetzt war er sich absolut sicher. Wie lange war derjenige schon da? Zeit war in der Leere bedeutungslos. Es könnte eine Minute oder ein Jahrzehnt gewesen sein, alles war möglich.

    Wer auch immer es war, er versuchte, seine Energie auf seine eigene auszurichten. Er spürte einen zweiten Herzschlag, der beständig neben seinem pumpte. Um ehrlich zu sein, das war ein wenig unheimlich. Die Frage war, wollte er ihm helfen oder ihn angreifen? Seiner Erfahrung nach war es fast immer Letzteres. Tja, wie wäre es, wenn er seine Kraft einfach zu ihm zurückschickte?

    »Ich verliere ihn!«

    »Triage, was ist los?«

    »Er hat die Verbindung zerstört, mich einfach rausgedrängt. Das hat er noch nie gemacht. Ich weiß nicht, ob ich …«

    Wie unhöflich, jemanden mitten während einer persönlichen Offenbarung zu stören. Also, wo war er?

    Ah ja, Tod und Namen.

    Jean-Phillipe Charles.

    Das war doch ein Anfang. Diesen Namen hatte er mal benutzt. Ein anderer war Charlie-Cluster 7. Hatte er diese Vorliebe für Bindestriche schon immer gehabt? Er schauderte bei der Vorstellung, welche überheblichen Schrecken jenseits der Bindestrich-Phase lauern mochten.

    Weapon XIII.

    Ah, römische Zahlen. Selbstverständlich. Tja, die verliehen allem und jedem ein gewisses Maß an Würde, nahm er zumindest an. Und insbesondere diese Bezeichnung war nicht nur für ihn von beträchtlicher Bedeutung, sondern auch für viele andere. Sie rief noch mehr Erinnerungen wach, sie betrafen die Gruppe – oder wenn man es so umschreiben wollte, die Gottheit –, die für seine Erschaffung verantwortlich war. Das Weapon-Plus-Programm hatte ihn als den perfekten Mutantenjäger kreiert. Er stellte etwas Neues dar, einen Hybrid aus Mutant und Sentinel, der fast nicht zu töten war.

    Mit der Betonung auf »fast«.

    Das Programm hatte auch andere erschaffen, doch in dieser Geschichte ging es um ihn, daher klammerte er sich an den letzten Namen, der ihm in den Sinn kam.

    »Fantomex.«

    Ja, ganz genau.

    »Fantomex!«

    Der Ruf klang irgendwie beharrlich. Vielleicht wollte ja das Universum selbst was von ihm. Falls ja, wäre es vermutlich besser, wenigstens zu versuchen, darauf zu reagieren. Fantomex. Anwesend. Lebendig. Stehaufmännchen, stets zu Diensten. Was hast du mir sonst noch zu bieten, Universum?

    Er hasste es beinahe, diese bequeme Leere der Selbstreflexion zu verlassen, allerdings zitterten die Wände bereits und waren dabei zu zerfallen. Er wurde zurück ins Licht getragen. Sah so aus, als wäre der Tod fertig mit ihm.

    Zumindest vorläufig.

    »Was ist passiert?«

    »Da bin ich mir nicht ganz sicher, sieht aber so aus, als käme er allmählich aus seiner Heiltrance.«

    »Redest du von einem Koma? Einem katatonischen Zustand? Gibt es überhaupt ein Wort dafür?«

    »Wir dachten, du wüsstest gern Bescheid.«

    Dass alle durcheinanderredeten, machte es schwierig, die Sprechenden auseinanderzuhalten, doch irgendwann begriff Fantomex, es waren drei Leute, allerdings kannte er nur zwei der Stimmen. Mühsam öffnete er die Augen, um festzustellen, wo er war. Allerdings sah er nichts, was ihn dazu animierte, sie auch offen zu halten. Die medizinische Einrichtung war ein relativ kleiner Raum, dessen karge Betonwände man in einem geradezu abstoßenden Grau angepinselt hatte. Ständig piepte irgendwas und die Luft stank nach Schimmel und Krankenhaus – zwei Gerüche, die nicht zusammen vorkommen sollten.

    Die Personen, die sich über ihn unterhielten, waren zu Beginn nicht mehr als sich bewegende Farbkleckse. Doch mit der Zeit schaffte er es, sie besser zu erkennen. Sie standen an der Tür zusammen.

    Die Tür. Ein Weg aus diesem Raum raus. Keine Fenster. Rein aus Gewohnheit merkte er sich, wo alles war, auch wenn zu bezweifeln war, dass er heute noch irgendwo hingehen würde. Oder morgen. Sein Körper fühlte sich schwer an, irgendwie seltsam. Seine Haut kribbelte, als würden tausend Nadeln darin stecken. Und er fühlte sich innerlich leer, als hätte man ihn mit einer Schaufel ausgeschabt. Wie viel Zeit hatte er in dieser Leere verbracht?

    Er zwang sich, sich auf die Leute bei ihm im Raum zu konzentrieren. Natürlich hätten sie ein paar Antworten, allerdings unterhielten sie sich im Moment, als wäre er gar nicht da. Wie unhöflich.

    »Er muss augenblicklich über seinen veränderten Zustand informiert werden«, verlangte die einzige Frau. Als Fantomex ihr Gesicht sah, beruhigten sich der Aufruhr und das seltsame Gefühl in seinem Inneren ein wenig.

    Er kannte sie. Er würde sie immer erkennen, egal welche Form sie auch annahm, und ihr Gesicht war der angenehmste Anblick seit … na ja, seit seinem Tod.

    Sie war groß, trug eine bequeme, karierte Hose und einen Rollkragenpullover aus Kaschmir. Ihre Haut war blass, genauer gesagt weiß, und ihre pupillenlosen Augen schimmerten bernsteinfarben. Ihr kurzes rotes Haar trug sie als Bob, der ihr teilnahmsloses Gesicht einrahmte. Doch trotz des Mangels an erkennbaren Emotionen wusste er, sie war aufgebracht.

    Immerhin war sie ein Teil von ihm.

    E.V.A.

    Genau wie er war sie etwas vollkommen Neuartiges.

    Man hatte sie als sein sekundäres, zentrales Nervensystem erschaffen, allerdings war das eine geradezu grob fahrlässige Verallgemeinerung. Während ihrer gemeinsamen Zeit war E.V.A. zu so viel mehr geworden. Sie hatte sich von einer künstlichen Intelligenz zu einem komplexen technoorganischen Wesen mit eigenem Bewusstsein weiterentwickelt, das nicht nur unabhängig von ihm war, sie konnte auch verschiedene Formen annehmen. Beispielsweise die humanoide, in der sie sich gerade mit den beiden Männern unterhielt.

    Widerstrebend konzentrierte er sich auf die beiden. Den jüngeren kannte er nicht, trotzdem mochte er seinen Stil. Der warme Braunton seiner Haut und der Haufen Locken in Verbindung mit dem Maßanzug und dazu passender Krawatte – er und E.V.A. waren das einzig Sehenswerte im Raum – fanden ihre Krönung in einer kupferfarbenen Schutzbrille, die klar und deutlich erklärte: Ja, ich gehöre zu den X-Men, aber ich weigere mich, mich in ein grässliches Spandexkostüm stecken zu lassen. Ich habe nämlich Geschmack.

    Moment, woher wusste er, dass er bei den X-Men war? Ach ja, der andere Mann – Cyclops. Der stets stoische Scott Summers mit seinem markanten Kinn. Seit ihn Fantomex das letzte Mal gesehen hatte, hatte er sich dank der beachtlichen Menge Grau in seinem Haar und den beeindruckenden Narben deutlich verändert. Seine Kleidung aus Jeans und T-Shirt war nicht gerade beeindruckend, allerdings war das auch absolut unerheblich. Seine Brille aus Rubinquarz würde immer sein hervorstechendstes Merkmal sein. Anders als die Schutzbrille des jungen Mannes trug er sie ständig, jedoch nicht um zu sagen: Bewundert meinen einzigartigen Stil. Es ging vielmehr darum, zu vermeiden, jemandem versehentlich das Gesicht wegzureißen.

    Er war also wieder bei den X-Men. Ganz was Neues. Nur, wo war er jetzt gerade? Sah nicht nach einem ihrer üblichen Verstecke aus. Freundlich ausgedrückt war es um einiges rustikaler und … Irgendwas an diesem Ort rührte an seinen Erinnerungen. Es kam ihm … bekannt vor.

    »Er ist wach. Er hört uns zu.«

    E.V.A.s Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Sie und die anderen kamen hastig an sein Bett, allerdings sprach ihn Cyclops als Erster an. »Weißt du, wo du bist? Kannst du mir deinen Namen sagen?«

    Tja, zumindest war damit diese ganze Selbstreflexion nicht umsonst gewesen. Er leckte sich die trockenen Lippen und verkündete heiser: »Man nennt mich Wolverine.«

    In Cyclops’ Kinn zuckte ein Muskel. E.V.A. seufzte leise, gleichermaßen erleichtert und verzweifelt. »Ich denke, er wird es überleben«, erklärte sie.

    »Nach allem, was er durchgemacht hat, sollte er tot sein …«

    »Christopher«, fiel Cyclops dem jungen Mann ins Wort, »eins nach dem anderen. Überfordern wir ihn nicht gleich.«

    »Wenn ihr euch zu viel Zeit lasst, wird mir nur langweilig«, sagte Fantomex geradezu liebenswürdig. »Entschuldigt den Scherz. Fangen wir doch einfach noch mal von vorne an, also mit dem Namen: Fantomex.« Er setzte sich auf. Das Gefühl von Schwere und das schmerzhafte Kribbeln ließen gnädigerweise nach und er war froh, festzustellen, dass er nur an geringer Desorientierung und Muskelatrophie litt. Fühlte sich so an, als hätte er eine ganze Weile mit Heilen verbracht, allerdings konnte man zu Recht sagen, sein Körper erholte sich schnell, selbst vom Tod.

    Lediglich das Gefühl des Ausgehöhltseins hielt an.

    Er beschloss, es zu ignorieren. Bestimmt würde es mit der Zeit nachlassen.

    »Weißt du, wo du bist?« Cyclops sah sich mit vor der Brust verschränkten Armen in dem spartanisch eingerichteten Raum um.

    »Also dem Dekor nach zu urteilen, bin ich versucht, es als postmodernen Atomschutzbunker zu bezeichnen, aber nehmen wir doch stattdessen die nächste, ansprechendere Alternative: Es ist eine eurer Schulen. Bin mir nicht sicher, welche. Ihr ändert ja ständig die Namen, da kommt man ganz durcheinander.«

    »Es ist die Neue Charles-Xavier-Schule.« Cyclops wirkte stolz, doch wegen der Brille war das schwer mit Gewissheit zu sagen.

    »Tja, könnte einen frischen Anstrich brauchen«, stellte Fantomex fest, »und es ist erbärmlich kalt.«

    »Unseren Ansprüchen genügt es«, verteidigte sich Cyclops. »Was uns an Komfort fehlt, machen wir in Sachen Sicherheit und Geheimhaltung wieder wett.«

    Sicherheit und Geheimhaltung. Und kalt. So kalt. Fantomex spürte, wie sich seine Nackenhärchen aufrichteten. Er betrachtete den Raum mit neuen Augen, als ihn eine unangenehme Erkenntnis überkam. Er wusste, warum ihm dieser Ort vertraut vorkam. Er war schon einmal hier gewesen. Die Einrichtung, die sie so leichthin als Schule bezeichneten, war einst ein Testgelände des Weapon-Plus-Programms gewesen. Kaum verwunderlich, dass er einen Ort mit so vielen … denkwürdigen Erfahrungen … wiedererkennen würde. War den Schülern klar, wie viele traumatisierte Geister durch diese Flure spukten? Um ihretwillen hoffte er nicht.

    Er ignorierte Cyclops einen Moment lang, stattdessen wandte er sich an E.V.A., wobei ein unerwarteter Gefühlsausbruch seinen Ton sanfter färbte. »Du bist eine Augenweide, alte Freundin.«

    Sie neigte den Kopf. »Ich freue mich, zu sehen, dass du noch funktionstüchtig bist.« Man hörte ihr die Zuneigung an, die das Ergebnis ihrer seit Langem bestehenden Verbindung war. Manches konnte nicht mal der Tod zerstören.

    »Meine Erinnerungen sind geschüttelt, gerührt und in kleine Stückchen zertrümmert«, gestand er mit einem reumütigen Lächeln. »Was ist mit mir passiert? Wie lange habe ich für meine Erholung gebraucht?«

    »Drei Monate«, sagte sie sachlich, während sie näher herantrat und sich auf einen unbequem aussehenden Stuhl neben dem Bett setzte. Sie wirkte so ernst. Fantomex spürte einen ungewohnten Anflug von Unbehagen. »Und davor war ich gezwungen, drastische Maßnahmen zu ergreifen, um deine Wiederauferstehung zu gewährleisten.«

    »Drastisch, hm? Du sagst das so, als wäre fast alles vorbei gewesen.« Er versuchte, unbekümmert zu klingen, doch noch während er sprach, beurteilte er seinen Zustand neu, um festzustellen, welche Teile seines Körpers am schwersten beschädigt gewesen waren … sein Herz offensichtlich. Allerdings gab es noch mehr, was nicht ganz in Ordnung war, was er dank seiner Freude, überhaupt am Leben zu sein, jedoch nicht gleich bemerkt hatte. Seine Gedanken waren irgendwie seltsam. Träge, unbeholfen und wenn er versuchte, auf seine Kräfte zuzugreifen, reagierten sie auch nur verzögert.

    Andere reagierten überhaupt nicht.

    Cyclops und der andere Mann – Scott hatte ihn Christopher genannt – tauschten einen Blick aus und Fantomex gefiel ganz und gar nicht, was er auf dem Gesicht des jungen Mannes sah.

    Mitleid.

    »Was ist mit mir passiert?«, wiederholte er nun nachdrücklicher.

    Cyclops wollte antworten, doch E.V.A. hob eine Hand. »Das ist meine Aufgabe.«

    Während sie ihn betrachtete, biss sie sich auf die Lippe, eine sehr menschliche Geste. Diese Zurschaustellung von Unsicherheit hätte ihn nicht weiter verunsichern sollen, trotzdem tat sie es. »Du warst tot«, sagte sie schonungslos. »Ich weiß nicht, an wie viel du dich von davor erinnerst, aber die Bruderschaft hatte euch eingekesselt – dich und Psylocke. Du hast dich geopfert, um sie zu retten.«

    Ah ja, daran erinnerte er sich. Ihre Worte waren wie der Schlüssel, der ein Schloss öffnete. Plötzlich war er wieder dort, genau an dem Moment, als ihn die Bruderschaft der bösen Mutanten gefangen nahm und ihm derjenige, der sich Skinless Man nannte, das Herz aus der Brust schnitt. Amüsant, wenn man bedachte, dass er während seines Lebens Dutzenden von Feinden genau damit gedroht hatte: »Ich reiße dir dein schlagendes Herz aus der Brust.« Allerdings hatte er es immer mehr als Metapher betrachtet anstatt als etwas, das jemandem tatsächlich passieren könnte. Sehr Shakespeare.

    Am allerwenigsten hätte er jedoch erwartet, dass es ausgerechnet ihm passieren würde.

    Zumindest war es für einen guten Zweck gewesen. »Es geht Psylocke also gut?«

    »Ja.«

    Gut. Er erinnerte sich, sie war ihm wichtig gewesen, auch wenn diese Gefühle nicht mehr so deutlich wie früher waren. Es hatte noch andere gegeben, Mitglieder des inzwischen aufgelösten X-Force-Teams: Wolverine, Deadpool. Die Namen fielen ihm wieder ein, allerdings waren sie ihm ähnlich fern wie Psylockes. Vielleicht weil sie zu einem Leben gehörten, das nun hinter ihm lag. Er schob das alles beiseite, um sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Er musste auch den Rest erfahren.

    »Wir konnten deine Überreste bergen und zur White-Sky-Einrichtung zurückbringen«, fuhr E.V.A. fort, »wo man einen passenden Klonkörper herangezüchtet und mit deinen drei Gehirnen vereint hat, die zu diesem Zeitpunkt zumindest noch eingeschränkt funktionierten.«

    Das war der Moment, an dem Christopher überrascht zusammenzuckte. »Moment mal, sagtest du gerade drei Gehirne?«

    »Das ist kompliziert«, erwiderte Cyclops. Er nickte E.V.A. zu. »Nur weiter.«

    »Mir hätte klar sein sollen, dass die Einrichtung nicht über die erforderlichen Mittel für die Versorgung eines Sentinel-Mutanten-Cyborgs verfügt«, gestand E.V.A. »Auch dafür akzeptiere ich die volle Verantwortung.«

    »Für. Was?« Zähneknirschend setzte sich Fantomex auf dem harten Bett aufrechter hin.

    »Der Einrichtung unterlief ein Fehler«, erklärte E.V.A. leise. »Die KI hat aus dem Vorhandensein von drei Gehirnen geschlossen, dass auch drei geklonte Körper benötigt würden. Es reiften also drei Klone heran und jeder bekam eines der Gehirne.«

    Danach wurde es so leise im Zimmer, dass Fantomex Stimmen vom anderen Ende des Flurs hörte, lachende und plaudernde Schüler, die von einem Klassenzimmer ins nächste gingen. Das hier war immerhin nach wie vor eine Schule. Hier lernten die Schüler so Sachen wie Zusammenarbeit und wie sie mit ihren Kräften im Gefahrenraum gegen Hologramme kämpfen konnten. Vielleicht sogar die Grundrechenarten: eins plus eins plus eins gleich drei.

    »Fantomex.« Cyclops sprach ihn an, er jedoch hörte nicht zu.

    Leer. Wie ausgehöhlt. Deshalb schien alles so langsam, deshalb griff er nach Dingen, die nicht da waren. Das hatte nichts mit seiner Heilung oder seinen fehlenden Erinnerungen zu tun. Ein wichtiger Teil von ihm war einfach … weg.

    Man hatte ihm mehr als nur das Herz aus dem Körper geschnitten. Man hatte ihn praktisch in Stücke gerissen.

    Christopher sagte etwas.

    »Wie ist das möglich? Drei Gehirne in einem Körper? Hört mal, ich bin ein Heiler und zugegeben, ich dachte, ich hätte ziemlich abgefahrenes Zeug drauf, aber wie funktioniert so was überhaupt?«

    »Fantomex wurde vom Weapon-Plus-Programm durch eine Kombination aus Mutanten-DNA und Sentinel-Nanotechnologie erschaffen«, antwortete E.V.A. »Er wuchs in der Welt auf, einer Forschungseinrichtung, die als experimentelle Mikrorealität entworfen wurde. Dort konnte man Teile der Erde imitieren, während die Zeit form- und kontrollierbar war. Er war dafür vorgesehen, der perfekte Mutanten tötende Cyborg zu werden, absolut unaufhaltsam.«

    »Moment, ihr habt einen Mutanten tötenden Cyborg in eine Zuflucht für Mutanten gebracht?« Christophers Stimme überschlug sich fast vor Aufregung.

    Also wenn man es so ausdrückte, konnte es wirklich ein wenig schwer zu verkraften sein. Fantomex fragte sich, ob Christopher überhaupt bemerkte, dass sein Mund offen stand.

    »Keine Panik. Ich gehöre nicht zum Weapon-Plus-Programm und hab nichts mit ihren Zielen am Hut. Aber ich weiß die einzigartigen Gaben zu schätzen, die ich ihnen verdanke.«

    »So kann man es wohl auch ausdrücken.« Christopher fummelte an seiner hochgeschobenen Schutzbrille herum. »Für mich klingt das nach dem abgefahrensten Wissenschaftsprojekt aller Zeiten.«

    Er war jetzt also sozusagen Frankensteins Monster? In Fantomex brodelte die Wut, allerdings gelang es ihm mit etwas Mühe, Ruhe zu bewahren. »Frankreich«, sagte er knapp, womit er sämtliche Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkte. »Das ›Wissenschaftsprojekt‹, in dem ich aufgewachsen bin, war eine Frankreich nachempfundene künstliche Realität. Nicht ganz perfekt, aber eine recht nette Umgebung, wenn man mal von diesem ganzen ›Darauf programmiert, ein kaltblütiger Mörder zu sein‹-Kram absieht.«

    Christopher runzelte die Stirn. »Hm. Weißt du, ich hatte den Eindruck, einen leichten Akzent rauszuhören.«

    »Nur einen leichten?« Fantomex rieb sich über das Gesicht, um sich davon abzuhalten, etwas zu schlagen. Oder jemanden. »Was soll’s? Ein Drittel eines Gehirns, ein Drittel eines Akzents. Wie gewonnen, so zerronnen, schätze ich.«

    »Das ist nicht zutreffend«, widersprach E.V.A., als würde sie seine aufkeimende Wut bemerken. »Du bist ein voll funktionsfähiges, unabhängiges Wesen. Auch wenn wir noch nicht wissen, wie sich diese Veränderung auf deine Persönlichkeit oder deine Fähigkeiten auswirken wird …«

    »Sagen wir zumindest vorläufig, mir fehlen zwei Tassen für ein komplettes Service.« Er starrte Christopher kalt an. »Junger Mann, es wird Zeit für dich, zu verschwinden. Nichts Persönliches. Übrigens, hübscher Anzug.«

    »Triage erforscht seine Heilkräfte noch«, warf Cyclops mit ein. »Er hat während der letzten Monate eine wichtige Rolle dabei gespielt, deinen Heilungsprozess zu lenken.«

    »Da wir gerade davon reden«, Fantomex deutete auf den Mann mit der Rubinquarzbrille, »wie bin ich hier hoch in die verschneite Wildnis gekommen und wo treiben sich meine anderen Teile rum? Sind sie in einem Zimmer den Flur runter? Kümmert sich Logan um einen oder sogar beide?«

    »Keiner von ihnen hat uns zum Institut begleitet«, erläuterte E.V.A. »Sie haben uns gleich nach Abschluss des Klonvorgangs verlassen. Ich hatte nicht einmal Zeit, mir ein Bild über ihren Zustand zu machen. Nach meiner ersten Untersuchung sah alles gut aus, du hast den Eindruck gemacht, dass du eine Reise verkraften würdest. Aber kurz nach dem Verlassen der Einrichtung ist etwas passiert. Du bist in etwas verfallen, das man nur als katatonischen Zustand beschreiben kann, und hast auf keinerlei Wiederbelebungsversuche reagiert. Möglicherweise war das Teil deiner natürlichen Heilungsfähigkeiten und des Erholungsvorgangs, allerdings hast du auf keinen meiner Kommunikationsversuche reagiert und deine Vitalwerte wurden gefährlich instabil. Ich sprach mit Logan, der mir recht gab, dass die Situation ernst war, und er verwies mich an Kitty Pryde. Nach einem Gespräch mit den anderen Lehrkräften gab sie mir den Standort des Instituts und erlaubte mir, dich herzubringen. Nach unserer Ankunft hatte ich gehofft, Emma Frost könnte vielleicht deinen Verstand erreichen, um Genaueres über das Ausmaß deiner Verletzungen zu sagen.«

    »Aber wie sich herausstellte, konnte uns Christopher am meisten über deinen Zustand sagen«, führte Cyclops weiter aus. »Warum willst du, dass er geht?«

    »Privatsphäre. Man kann von einem Mann nicht erwarten, dass er mit Fremden über seine verlorenen Gehirne spricht.«

    Er kannte diesen Heiler nicht und je weniger Personen zurzeit vom Ausmaß seiner Verletzlichkeit wussten, umso besser. Er würde niemandem Gelegenheit geben, seine Schwäche auszunutzen.

    Er nickte in Richtung Tür. »Geh.« Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch.

    Cyclops seufzte. »Danke für deine Hilfe, Christopher. Es ist sehr gut möglich, dass du sein Leben gerettet hast.« Dabei sah er Fantomex direkt an, was dieser ignorierte. »Wir rufen dich, falls wir dich brauchen.«

    »Geht klar. Viel Glück, schätze ich.« Als er das Zimmer verließ, betrachtete ihn Christopher nach wie vor mit dieser wütend machenden Mischung aus Verwirrung und Mitleid.

    »Da meine Erinnerungen, was das angeht, ein wenig zu wünschen übrig lassen, erzähl mir von meinen neuen … Kameraden«, bat Fantomex, nachdem der Junge weg war. Nein, das fühlte sich nicht richtig an. Wie sollte er diese Auswüchse seiner selbst nennen? Kopien? Feinde? Rivalen?

    Hochstapler. Das schien angemessen. Sie konnten wohl kaum mehr als ein müder Abklatsch sein. Es musste einfach so sein.

    E.V.A. sah Cyclops an und ihr Zögern verriet Fantomex, darüber hatte sie noch nicht mit ihm gesprochen »Ich verfüge über keine Informationen darüber, was sie seit dem Verlassen der White-Sky-Einrichtung getan haben, aber ich kann dir Namen und kurze Beschreibungen ihrer derzeitigen Identitäten geben. Der Erste entspricht am ehesten deiner körperlichen Erscheinung, identifiziert sich als männlich und trägt ein Kostüm wie deines, nur dass er die Farben umgekehrt hat – hauptsächlich Schwarz mit weißen Akzenten. Er benutzt die Bezeichnung Weapon XIII.«

    »Ah, ein Kind der Dunkelheit«, spöttelte Fantomex. »Na schön, ich habe also einen Goth-Bruder. Was ist mit dem anderen?«

    »Der andere Klon identifiziert sich als weiblich und benutzt die Bezeichnung Cluster«, fuhr E.V.A. fort. »Ihr Kostüm ähnelt deinem, weiß mit schwarzen Akzenten.«

    Fantomex wartete, allerdings blieb es bei diesen dürftigen Einzelheiten. »Mehr nicht?« Er hatte sich mehr erhofft. Er interessierte sich nicht besonders für ihre Persönlichkeit, er wollte sich ein Bild von ihren Kräften machen. Er musste wissen, über welche Fähigkeiten sie verfügten, die ihm nun fehlten.

    Sie breitete die Hände aus. »Wie gesagt, meine Informationen sind begrenzt. Ich kann nur spekulieren, warum sich deine Gegenstücke von uns getrennt haben. Vermutlich war der Grund eine Mischung aus Schock und Desorientierung über ihren veränderten Zustand. Ich hatte gehofft, es gäbe hier die Möglichkeit, mehr über sie und ihre derzeitigen Aktivitäten in Erfahrung zu bringen. Es könnte von Bedeutung sein, zu wissen, wo sie sind und was sie bislang getan haben.«

    »Sehe ich genauso«, stimmte Cyclops zu. »Wir kennen weder ihre aktuelle Verfassung noch ihre Absichten. Und es gibt zu wenige Mutanten auf der Welt, um sie unbeaufsichtigt zu lassen, besonders nach dem, was euch dreien passiert ist.«

    »Ah, das steckt also dahinter.« Fantomex lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Händen zurück. »Schön zu sehen, dass deine Selbstlosigkeit Grenzen hat. Also, wird man mich hierbehalten und überwachen, um sicherzustellen, dass ich mich in meiner neuen Daseinsform benehme? Um sicherzugehen, dass ich nicht labil bin?«

    Seine Mundwinkel hoben sich zu einem lustlosen Lächeln, dennoch beobachtete er Cyclops genau und verfluchte wieder einmal dessen beeindruckendes Pokerface.

    Was wollte Cyclops wirklich von ihm? Wenn es für beide Seiten nutzbringend war, war er in der Vergangenheit vorübergehende Bündnisse mit den X-Men und den untergeordneten Teams eingegangen. Aktuell war er allerdings kaum in einem Zustand, irgendwas von Wert anzubieten. Dennoch hatten sie sich während der letzten Monate alle Mühe gegeben, ihn am Leben zu halten. Brauchten sie ihn wirklich nur, weil es nicht mehr besonders viele Mutanten gab?

    Vielleicht war eine leere Hülle besser als gar nichts.

    Cyclops schüttelte den Kopf. »Ich werde meine Zeit nicht mit dem Versuch verschwenden, dich davon zu überzeugen, dass wir dir helfen wollen. Im Moment kann ich dir nur versichern, dass du kein Gefangener bist. Du kannst gehen, wann immer du willst, trotzdem würde ich vorschlagen, du bleibst so lange, bis es dir wirklich wieder gut geht.«

    »Du befürchtest also nicht, dass ich den Standort deiner Schule an interessierte Dritte verrate, nur um daraus Kapital zu schlagen?« Fantomex sagte das so leichtfertig, obwohl er genau wusste, wie gefährlich allein diese Andeutung war. Er wollte allerdings sehen, ob er Scotts steinerner Fassade Risse beibringen und ihn dazu verleiten konnte, ein wenig mehr zu verraten.

    Doch Cyclops blieb hart. »Nicht mehr, als du befürchten solltest, dass wir denselben Dritten was über deinen Zustand sagen. Wir haben beide unsere Schwachpunkte, aber genauso Stärken, die uns nutzen können. Ich muss wohl kaum erwähnen, solltest du versuchen, unsere Schüler auszunutzen oder ihnen zu schaden, werden wir ein ganz anderes Gespräch führen.« Sein Tonfall war unmissverständlich. »Wie du schon sagtest, meine Selbstlosigkeit hat Grenzen.«

    Fantomex nickte. Stoß und Parade. »Ich versichere dir, solange wir deine Gäste sind, werden E.V.A. und ich uns von unserer besten Seite zeigen.« Dann ergänzte er noch: »Und wir verschwinden so bald wie möglich.«

    E.V.A. regte sich auf ihrem Stuhl. Sie wirkte, als wollte sie etwas sagen, stattdessen schwieg sie weiter.

    »Dann ruh dich aus.« Cyclops ging zur Tür. »Du hast eine Menge durchgemacht.«

    Das war die Untertreibung des Jahrtausends.

    KAPITEL 2

    Es begann mit einer Trennung, daher konnte man es wohl kaum als vielversprechenden Anfang bezeichnen.

    Na schön, einen Moment, das war nicht der Moment für Theatralik. Avery

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