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Der Schein des Daseins: Lukas Traum (vergeben)
Der Schein des Daseins: Lukas Traum (vergeben)
Der Schein des Daseins: Lukas Traum (vergeben)
eBook278 Seiten3 Stunden

Der Schein des Daseins: Lukas Traum (vergeben)

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Über dieses E-Book

Manchmal sind unsere erlebten Verletzungen derart einschneidend, dass wir gar nicht anders können, als uns zurückzuziehen. Denn der Schmerz, der mit ihnen einhergeht, würde in dem Moment, da wir ihn fühlen, zerstörerisch wirken. Es ist so gesehen eine Eigenschaft, die uns schützen will und in diesem Moment auch kann.
Doch müssen wir uns im Lauf des Lebens dieser Verletzungen wieder bewusst werden. Denn mit jeder Trennung, die wir innerlich vorgenommen haben, werden wir zukünftig leben müssen.

Vergeben:
Wie soll ich vergeben können, wenn ich mir selbst nicht vergeben kann?

Lukas` Traum
Lukas, Ehemann und Vater einer vierjährigen Tochter, erfolgreich in seinem Beruf, wird durch scheinbar negative Ereignisse in seinem Leben aus der Bahn geworfen. Selbst unfähig, die Dimension seines Versagens begreifen zu können, ergibt er sich in sein Schicksal und sieht sich fortan nicht mehr in der Lage, sein Leben zu bewältigen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. Sept. 2014
ISBN9783847624387
Der Schein des Daseins: Lukas Traum (vergeben)
Autor

Manja Kol

Schon immer war das Schreiben ein Mittel den vorgefallenen Situationen im Leben zu begegnen. Auch wenn der bisherige Lebenslauf es nicht vermuten lässt, habe ich bereits in frühester Jugend damit begonnen. Immer mit dem tiefen Glauben verbunden, dass es mehr gibt als das was wir Sehen, Hören und Fühlen.

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    Buchvorschau

    Der Schein des Daseins - Manja Kol

    Vorwort

    Manja Kol

    Der Schein des Daseins

    Teil 1

    Lukas’ Traum

    vergeben

    Vorwort

    Manchmal sind unsere erlebten Verletzungen derart einschneidend, dass wir gar nicht anders können, als uns zurückzuziehen. Denn der Schmerz, der mit ihnen einhergeht, würde in dem Moment, da wir ihn fühlen, zerstörerisch wirken. Es ist so gesehen eine Eigenschaft, die uns schützen will und in diesem Moment auch kann.

    Doch müssen wir uns im Lauf des Lebens dieser Verletzungen wieder bewusst werden. Denn mit jeder Trennung, die wir innerlich vorgenommen haben, werden wir zukünftig leben müssen.

    Vergeben:

    Wie soll ich vergeben können, wenn ich mir selbst nicht vergeben kann?

    Lukas` Traum

    Lukas, Ehemann und Vater einer vierjährigen Tochter, erfolgreich in seinem Beruf, wird durch scheinbar negative Ereignisse in seinem Leben aus der Bahn geworfen. Selbst unfähig, die Dimension seines Versagens begreifen zu können, ergibt er sich in sein Schicksal und sieht sich fortan nicht mehr in der Lage, sein Leben zu bewältigen.

    Angekommen in den Tiefen aus Schmerz und Unverständnis hilft nur noch eines:

    der Ausstieg in eine emotionslose Wirklichkeit.

    Da geschieht etwas Unglaubliches!

    Das Schicksal lässt ihn eine Erfahrung erleben, die sein bisheriges Verständnis vom Leben auf den Kopf stellt.

    Ohnmacht

    Lukas’ Traum

    (vergeben)

    26. Oktober

    Langsam öffneten sich seine Augen. Es war ihm bewusst, was er zu sehen bekam. Oft hatte er schon in diese Landschaft hineingeblickt. Und doch verspürte er immer wieder aufs Neue Glücksgefühle, wenn er in sie hinein sehen durfte.

    Es war eine Landschaft, deren höchste Gipfel vom Schnee umhüllt auf ihn herabstrahlten. Weiß schimmernd verlor sich ihre Schneepracht ganz allmählich, je weiter man den Hängen Richtung Tal folgte. Die Ebene vor ihm öffnete sich in ein nicht enden wollendes Meer aus Blumen und Gräsern. Ihre Kraft und Lebensenergie konnte man nur erahnen.

    Unendlich erschien ihm die Weite dieser bunt blühenden Wiese. Keinerlei Zivilisation konnte er in ihr erkennen. Der Einklang des Lebens mit der Natur war hier noch in Ordnung.

    Das Licht der Abenddämmerung umhüllte diesen fast magisch anmutenden Anblick zusätzlich. In einen sanft rötlichen Ton getaucht, wirkte das, was er vor sich sah, wie eine Märchenlandschaft.

    Sein Blick schweifte weg von der Weite in seine unmittelbare Umgebung. Er konnte den Duft der Sommerwiese wahrnehmen. Tief atmete er ein und schloss dabei die Augen.

    Er wollte sich ihrem Duft ganz und gar hingeben.

    Als er die Augen wieder öffnete, huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

    Es funktionierte!

    Vor sich sah er eine mächtige Eiche. Sie musste sehr alt sein. Ihr Astwerk breitete sich in alle Richtungen gleichmäßig aus. Fast glaubte er den Baum greifen zu können.

    Einsam und verlassen wirkte der.

    Genauso wie er sich auch fühlte.

    Doch strahlte der Baum eine unbeschreibliche Kraft aus. Beschützend und beruhigend zugleich zog sie ihn in ihren Bann.

    Wie eine Oase der Wüste Lebenskraft spendete, wirkte der Baum auf seine Umgebung. Von ihm ausgehend, einem nie versiegenden Brunnen gleich, lebte die Natur.

    Hier unter diesen Baum wollte er verweilen. Hier glaubte er die Ruhe und Ausgeglichenheit zu finden, um den Ereignissen der letzten Zeit trotzen zu können.

    Er zuckte zusammen.

    Ein Geräusch, das nicht in diese Landschaft gehörte, riss ihn aus seinen Gedanken. Für den Zeitraum eines Wimpernschlages wusste er nicht, wo er sich befand.

    Er saß am Tisch und blickte nach wie vor gebannt auf diese Landschaft.

    Eine gezeichnete Landschaft auf einem Bild, das vor seinen Augen an der Wand hing. Es hatte gewaltige Ausmaße. Eingerahmt von einem massiven Holzrahmen, der neuwertig aussah, aber der Barockzeit nachempfunden war, hing es mittig im Raum.

    Es war ihm nur ein kurzer Moment vergönnt gewesen, der Realität zu entfliehen. Nun hatte sie ihn wieder mit all den Tatsachen, denen er doch entfliehen wollte.

    Fenster, die sich längsseits des Saales aneinanderreihten, ließen einen Blick auf den Park zu, in dem er oft den Vögeln zuhörte. Mehrmals hatte er dort schon seine Runden gedreht, um ihrem Gesang zu lauschen. Im Augenblick allerdings war dies nicht möglich. Weder durfte er nach draußen, noch war es ihm vergönnt, eines der Fenster zu öffnen.

    Ein Herbststurm bahnte sich an.

    So hatte er keine andere Wahl, als hier seine Zeit totzuschlagen.

    Der Saal, ein Aufenthaltsraum. Oder besser gesagt eine Sammelstelle für die Zeit nach dem Mittagessen. Das Ganze diente einzig und alleine dem Zweck die Menschen aus deren Zimmer zu bekommen, um sie reinigen zu können. Zumindest sah er, Lukas Kießler, das so. Denn anders konnte er sich nicht erklären, dass er jedes Mal dermaßen überfüllt war. Und dies wiederum stellte eine nur schwer zu ertragende Tatsache für ihn dar.

    Nahezu jeder Stuhl war besetzt.

    Seit er zurückdenken konnte, fühlte er sich unwohl in größeren Menschenmengen.

    Es beklemmte ihn. Engte ihn ein.

    Wobei er nicht wusste, was schlimmer war: Die vielen Personen mit all dem Lärm, den sie mit sich brachten, oder aber der Raum an sich. Er empfand ihn trotz seiner Größe als besonders einengend und bedrohlich.

    Der Anblick einer längsseits aneinander gereihten Fensterfront trug das Seine dazu bei.

    Deren massive Gitterstäbe davor wirkten wie ein Korsett, das zu eng angelegt wurde. Er bekam nur mühsam Luft und tat sich schwer beim Atmen. Lediglich das Bild an der Wand, das er jedes Mal wie hypnotisiert betrachtete, wenn er hier saß, lenkte ihn von seiner Beklommenheit ab. Dessen unendliche Weite vermochte es, ihn aus seiner geistigen Umklammerung zu befreien.

    Er schloss die Augen, um sich erneut besser in die Landschaft hineinversetzen zu können.

    Gedanklich hineinschwebend wurde jede noch so unscheinbare Kontur und jedes kleinste Detail aufmerksam abgetastet. Er kannte dieses Bild in- und auswendig. Unzählige Mal, war er darin schon versunken.

    Die Flucht in seine Welt war das einzige, was ihm geblieben war. Eine Welt, in der er für sich sein konnte. Wo ihn niemand versuchte zu verstehen. Hier gab es keine Probleme oder störenden Einflüsse von außen. Hier wurde er nicht verletzt oder gedemütigt. Und hier musste er sich keinen Ängsten stellen, die er nicht beeinflussen konnte. Hier in seiner Welt herrschte er, hatte er alle Zügel in der Hand. Hier hatte er die Kontrolle über Alles und Jeden.

    Nur hier fühlte er sich wohl und vor allem sicher!

    Wäre da nicht diese Stimme!

    Eine Stimme, die wieder und wieder aufkeimte. Die ihn forderte. Sie ließ ihn in seiner selbst gewählten Einsamkeit nicht zur Ruhe kommen.

    Es machte ihn rasend, wenn er sie vernahm.

    War es denn zu viel verlangt, innere Ruhe spüren zu dürfen? Diese Stimme, von der er nicht wusste, woher sie kam, forderte ständig ihr Recht ein. Ihr Recht auf etwas, das er aus seinem Leben verbannt hatte. Das Recht auf Gefühle wie Zuneigung und Nähe. Doch wie sollte er das geben können? Nach all dem, was ihm widerfahren war? Er hatte den Glauben an solche Gefühle zu Grabe getragen.

    Nur mit Mühe schaffte er es, die Stimme zum Schweigen zu bringen. Es kostete Kraft und war nervenaufreibend.

    Auch jetzt, in diesem Augenblick, versuchte sie zu ihm durchzudringen. Doch hatte er gelernt die Zeichen zu lesen. Er spürte förmlich ihr aufkeimendes Begehren.

    Er musste zwar damit leben, sie in sich zu tragen, doch war es möglich, sich dagegen zu wehren.

    Viel zu oft hatte er Dinge getan, weil es Andere von ihm verlangten. Viel zu oft hatte er sich gefügt. Auf Ratschläge gehört. Immer waren seine Gedanken so ausgerichtet gewesen, seinen Mitmenschen gefallen zu wollen und gerade diese Umstände hatten ihn ein ums andere Mal überfordert. Er hatte alles richtig machen wollen. Wobei sich das „richtig" auf sein Umfeld bezogen hatte.

    Was ihn selbst anging, wusste er es nicht.

    Was war richtig für ihn?

    Stille?

    Sie tat ihm gut. In ihr konnte er verweilen. Sie war der Grundstein, um vergessen zu können.

    Sein Geist war mutlos und sein Körper kraftlos. Er war ausgelaugt und eben gerade aus diesem Grund wollte er Ruhe, von außen wie nach innen.

    Ein klirrendes Geräusch riss ihn erneut aus seinen Gedanken. Hervorgerufen durch das Zu-Boden-Fallen eines Löffels, wie er erschrocken bemerkte. Henry, eine weitere Person in diesem verhassten Raum, hatte den Löffel fallen lassen.

    Obwohl er nicht gesehen hatte, dass es Henry passierte, wusste er es doch genau. Denn die alltägliche Beschäftigung dieses Mannes bestand nun mal darin, Besteckgegenstände senkrecht auf den Tisch zu stellen.

    Heute war es ein Löffel. Wie er, nach einem kurzen prüfenden Blick, in dessen Richtung bemerkt hatte.

    „Der schwachsinnige Kerl schon wieder!", dachte er.

    Verärgert versuchte er dessen Blick einzufangen. Er sollte wissen wie sehr ihm dessen sinnlose Beschäftigung auf die Nerven ging.

    Henry bemerkte seine Verärgerung allerdings nicht. Dessen Aufmerksamkeit galt ganz seinem Spielzeug. Zwei weitere Personen gesellten sich an Henrys Tisch. Sie wollten wissen, was da vor sich ging.

    Da es nur wenig Abwechslung in dem Raum gab, wurden selbst solche Anlässe benutzt, um sich ein wenig die Zeit zu vertreiben.

    Wie auch immer, es kam Unruhe auf. Und mit jedem Geräusch mehr, das Lukas vernahm, schnürte sich sein gedankliches Korsett weiter zu.

    Die Luft wurde knapp.

    „Raus! Ich muss hier endlich raus!", schrie es in ihm.

    „Wo bin ich hier nur hingeraten?!"

    Sven, ein Pfleger der Anstalt, näherte sich der Eingangstür. Er wollte herausfinden, welchen Grund die abrupt aufgekommene Unruhe hatte. Als er die Tür aufzog, sah er, wie sich zwei Personen einem Tisch näherten.

    Mit einem Blick erkannte er, dass hier anscheinend nichts Besonderes vorgefallen war. Dies bestätigte auch die beschwichtigende Handbewegung seines Kollegen, der im Raum heute die Aufsicht hatte.

    Es dauerte nicht lange, bis er Lukas in der Menge ausmachte. Wie immer saß er alleine am Tisch.

    Verstört wirkte er.

    Sven seufzte kaum hörbar auf.

    Jedes Mal wenn er Lukas so verloren dasitzen sah überkam ihn ein Gefühl der Trauer und des Mitgefühls. Oft schon fragte er sich, was diesen Mann wohl so weit getrieben hatte?

    Er war hin- und hergerissen. Er wusste, dass es nicht gut war, persönliche Beziehungen zu Patienten aufzubauen. Und doch konnte er zu diesem Mann nur schwer den nötigen Abstand halten.

    Es war wichtig, dass sie, das Pflegepersonal, bis zu einem gewissen Maß in die Vorgeschichten der Patienten eingewiesen wurden. Nur so konnten auch von ihrer Seite nötige Prioritäten gesetzt werden. Aus diesem Grund kannte er zum Teil die jüngsten Ereignisse aus Lukas’ Leben. Doch war dies nur ein Bestandteil des Mosaiks ihrer Verbindung.

    Mehr noch waren es die letzten Tage, die ihn nachdenken ließen. Die Gespräche, die geführt wurden. Sie hatten ihn beeindruckt. Die Gedankengänge dieses Mannes waren nicht krank. Verwirrt, ja, aber nicht krank.

    Obwohl er wusste, dass Gefühle wie Mitleid oder gar Freundschaft für Patienten hier nicht angebracht waren, musste er sich doch eingestehen, dass genau solche sich einschlichen. Lukas hatte ihn zum Nachdenken gebracht. Auf unerklärliche Weise vermochte dieser Mann durch seine Mauern zu dringen – Mauern, die sich in dreißigjähriger Tätigkeit aufbauten und die er in sein Privatleben mitgenommen hatte. Durch Lukas betrachtete er sein Leben mittlerweile mit anderen Augen. Er stellte sich Fragen, die er früher ignorierte, weil es zu anstrengend erschien, sich damit zu beschäftigen. Dieser geistig verwirrte Mann schaffte es tatsächlich zu ihm durchzudringen und genau das machte ihn so wertvoll.

    Nun sah er ihn am Tisch sitzen, alleine, wie immer mit einem Blatt Papier vor sich. Auf dem wie immer nichts geschrieben oder gezeichnet war.

    Sven fragte sich, was es mit diesem Blatt nur auf sich haben könnte. Irgendeinen Zusammenhang mit seinem Zustand glaubte er darin zu erkennen. Was ging in diesem Kopf nur vor sich und warum ergab sich Lukas in dieses Schicksal?

    Für Sven ergab das alles keinen Sinn. Lukas war zweiundvierzig Jahre alt, erfolgreich und intelligent. Er stand sozusagen im Leben, aber gerade aus seiner langjährigen Erfahrung heraus war ihm insgeheim bewusst, dass es kein Allheilmittel gab, um sich vor dem Absturz in die „Grauzone", wie er es nannte, zu schützen.

    Lukas’ Blick fiel auf die Tür, als der Pfleger im Raum eine beschwichtigende Handbewegung in diese Richtung machte.

    Tür, Flucht!

    Wie ein Aufschrei durchströmte der Gedanke Lukas’ Innerstes.

    Da sah er Sven.

    Ein Pfleger, dessen Name er sich seltsamerweise merken konnte. Etwas in ihm sagte, dass Sven anders war als der Rest des Personals in seiner Station. Er konnte es nicht einordnen, doch hatte er fast das Gefühl, Freundschaft für diesen Mann zu empfinden.

    Als er ihn so ansah, kam ihm der Vergleich mit einem Baum. Doch jetzt war ihm selbst dieser Baum von einem Mann egal. Er hatte nur noch einen Gedanken: so schnell es ging durch diese Tür zu kommen! Die ihm offen stehend  wie das rettende Ufer für einen Ertrinkenden vorkam.

    Währenddessen nahm der Lärmpegel im Raum immer mehr zu. Zwei, drei, vier Personen standen auf. Einer von ihnen stieß mit dem Bein an seinen Tisch. Das dadurch entstandene Geräusch ließ ihn augenblicklich wie elektrisiert zusammenzucken.

    Nun reichte es! Wo vorher noch innere Ruhe herrschte, machte sich Panik und Chaos breit.

    „Ich muss hier raus!", schrie er dieses Mal lauthals auf.

    Im nächsten Augenblick sprang er von seinem Stuhl hoch.

    Dies geschah so heftig, dass der nach hinten wegkippte.

    Noch ein störendes Geräusch mehr! Verärgert drehte er sich nach dem Stuhl um und stieß ihn mit einem Tritt beiseite.

    Der rutschte darauf hin unter den Nachbartisch und schlug gegen das Bein eines älteren Patienten, den Lukas nicht näher kannte.

    Doch das bemerkte Lukas schon gar nicht mehr.

    Längst hatte er sich abgewandt. Andere Dinge waren viel wichtiger.

    Sofort hatte er die volle Aufmerksamkeit der Personen um ihn herum.

    Entschlossen packte er den Tisch, an dem er gesessen hatte, und wollte ihn beiseiteschaffen.

    Auf dem Weg zur Tür störte er nur.

    Doch bevor er sich weiter an ihm vergreifen konnte, war Sven schon zur Stelle.

    Mit einem geübten Griff presste er Lukas’ Oberkörper auf den Tisch, der eben noch störend im Weg stand.

    Nur einen kurzen Moment dauerte es, dann war auch schon der zweite Pfleger vor Ort und legte ebenfalls Hand an.

    Wild schreiend wollte Lukas sich aus der Umklammerung befreien, doch so sehr er sich bemühte, es gelang ihm nicht. Undefinierbare Laute und Speichel drangen aus seinem Mund.

    Eine Panikattacke löste die nächste ab.

    Energisch zogen ihn die beiden Pfleger aus dem Saal, ohne das er auch nur den Hauch einer Chance hatte sich dagegen zu wehren. Sie wollten vermeiden, dass noch mehr Unruhe entstand.

    Obwohl die beiden eigentlich genau das taten was er ja auch wollte - nämlich ihn aus diesem Saal zu befördern – wehrte er sich dagegen aus Leibeskräften.

    Längst war die Situation nicht mehr rational zu erklären.

    Zwei weitere Kollegen gesellten sich dazu.

    Mit einer kurzen Anweisung schickte Sven die beiden in den Saal hinein, um dort die Lage zu beruhigen.

    Ein Arzt traf ein, bewaffnet mit einer Spritze in der Hand.

    Lukas bemerkte in seiner Rage nicht einmal, wie die Nadel durch seine Haut eindrang. Je heftiger er sich wehrte, umso stärker schien die Gegenwehr zu werden.

    Einen kurzen Augenblick später erkannte er, wie sinnlos es war, sich dagegen aufzulehnen. Auch zeigte die Spritze ihre Wirkung. Seine Glieder wurden schwerer und schwerer.

    Er kannte das. Nicht zum ersten Mal erlebte er dieses Gefühl der aufsteigenden Leere. In Kürze würde er keinen klaren Gedanken mehr fassen können und sein Körper würde vollends den Dienst versagen.

    „Es tut mir leid. Bitte glaub mir das! Es tut mir leid!"

    „Warum, Lukas? Warum nur?"

    Lukas sah in Svens besorgte Augen. Er erkannte in ihnen, dass die Anteilnahme echt war. Dieser Mann machte sich wirklich Sorgen um ihn.

    „Verzeih mir!", hauchte er Sven noch entgegen, bevor er in sich zusammensackte.

    Vor 32 Jahren

    „Hallo Lukas, hast du Zeit für eine Runde Fußball?" Lars, Lukas’ Schulkamerad, war ganz außer Atem, als er mit Fahrrad und Fußball im Gepäckträger vor seinem offen stehenden Zimmerfenster stand.

    Lukas saß an seinem Schreibtisch. Er musste aufstehen und sich über den Tisch beugen, um seinen Freund sehen zu können.

    Erwartungsvoll, mit einem Lächeln im Gesicht, winkte er ihn mit einer ausladenden Bewegung herbei.

    „Komm, die anderen warten schon."

    Alle Jungen die Lukas kannte spielten zu dieser Zeit Fußball. Gerade ein paar Wochen war es her, dass Deutschland wegen Österreich von der Weltmeisterschaft nach Hause geschickt wurde. Doch Lukas und seine Freunde interessierte das nicht. Für sie waren die Spieler der Mannschaft trotzdem Helden und jeder wollte so sein wie sie.

    „Hallo Lars, ich komme gleich. Ich muss nur noch meine Hausaufgaben fertig machen."

    „Echt? Ich dachte, die hast du schon in der Schule gemacht."

    „Nur zum Teil. Aber fahr doch einfach schon mal vor. Ich komme gleich nach."

    „Okay, bis dann", sprach Lars und war im nächsten Augenblick schon um die Ecke gebogen.

    Lukas schämte sich. Wieder einmal hatte er einen Freund belogen. Nicht die Hausaufgaben hatte er vor sich liegen. Die hatte er tatsächlich schon in der Schule erledigt. Es waren Fleißaufgaben seines Vaters. Denn der pflegte immer zu sagen: „Ohne Fleiß kein Preis!"

    Insgeheim hasste Lukas diesen Satz. Dieses Mal war der Auslöser für den, seiner Meinung nach, aufgezwungenen Fleiß eine Drei in Mathematik und das war in seines Vaters Augen nicht gut genug.

    So machte er sich daran, die Aufgaben zur Zufriedenheit seines Vaters zu erledigen. Denn Lukas wollte, dass sein Vater stolz auf ihn war. Auch wenn er dieses Mal die Schulaufgabe vergeigt hatte. Papa sollte erkennen, dass er sich bemühte und alles tat um beim nächsten Mal besser zu sein.

    Erich Kießler, Lukas’ Vater, war ein erfolgreicher Außendienstmitarbeiter einer großen Pharmafirma. Zu seinen Aufgaben gehörte es die neuesten Produkte im Markt anzupreisen und zu etablieren. Er hatte einen unbändigen Ehrgeiz und konnte sehr überzeugend wirken, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.

    Eine Eigenschaft die ihn sein ganzes Leben schon begleitete und die ihn immer wieder aus scheinbar ausweglosen Situationen geholfen hatte.

    Nichts war ihm in den Schoß gefallen. Alles was er nun war und darstellte hatte er sich hart erarbeiten müssen.

    Eine Geschichte, die Lukas immer wieder zu hören bekam.

    „Rasten heißt rosten und „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.

    Solche und andere Redewendungen begleiteten Lukas ständig. Sich damit zu identifizieren fiel ihm in letzter Zeit allerdings immer schwerer.

    Er war ein heranwachsender zehnjähriger Junge, der langsam die Welt da draußen wahrnahm. Ohne jedes Mal dem Einfluss des übermächtig wirkenden Vater ausgesetzt zu sein.

    Er war ein Junge wie jeder andere, der viel lieber spielen als lernen wollte.

    Er war ein Junge der die Methoden seines Vaters nicht mehr einfach so hinnehmen wollte.

    Innerhalb seiner Klasse erfuhr er jeden Tag aufs Neue, wie ungerecht das Handeln seines Vaters war. Eine drei in Mathe nahm bei seinen Klassenkammeraden zu Hause bestimmt keiner zum Anlass Nachhilfe geben zu müssen.

    Doch noch hielt ihn die Angst zurück. Die Angst vor einer Reaktion die ihm nicht gefallen könnte, wenn er es einmal tatsächlich wagen würde das auszusprechen, was seit einigen Monaten in ihm brodelte.

    Hinzu kam noch dieses Zimmer! Sein Zimmer!

    Er hasste es!

    Zu oft und zu lange saß er hier und erledigte Aufgaben, die sich sein Vater ausgedacht hatte. Da

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