Der Seelenkern
Von Michael Thomsen
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Über dieses E-Book
Dem Erzähler gelingt die Durchdringung von Zeit und Raum und er erkennt in einem nächtlichennTraum seinen Seelenkern und begleitet diesen auf dessen Reise - jenseits seines eigenen Daseins. Getarnt hinter einem Schleier folgt er Safira, der die Flucht aus Georgien nach Deutschland gelingt und die dort nach vielen lehrsamen Begegnungen eine wundersame Beziehung zu Martin eingeht. Zurückgekehrt von dieser Traumreise bleibt dem Leser das Nachdenken nicht erspart.
Michael Thomsen
Michael Thomsen writes about sports, video games, technology, and political culture for The New Yorker, The New York Times, The Atlantic, Vanity Fair, Forbes, Wired, The New Republic, and other outlets. He lives in New York City.
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Buchvorschau
Der Seelenkern - Michael Thomsen
Inhalt
Vorwort
Das Nachleben
Schlupfloch
Unfassbar!
Seelenkern
Ende des Traums
Anderswo
Der Vorarbeiter
Mittelmeer
Silvio
Immer wieder abhauen
Safiras Traum
Martins Vater
Fabiennes Geheimnis
Martins Weg
Martins Erbe
Drohnenumweg
Nikolaus heute
Der Flüchtlingsmarsch
Die nächste Flucht
Das Fahrrad
Deutschland
Woher die Distanz?
Pandemien
Ein Blick zurück
Marta und Maria
Weiter am Hof vorbei
Inga und Johann
Gerechtigkeit
Abrundung
Status Quo
Vorbereitung auf den nächsten Flug
Vorwort
Bereits in meinem Gedichtband „Zwanzig Zwanzig hatte ich die märchenhafte Erzählung von Safira herausgebracht. Leider fand das Büchlein mit vielen Gedichten und Texten rund um das Pandemiegeschehen 2020 wohl nicht sehr viele Leser. Allerdings erhielt ich von ein paar treuen Lesern doch die Rückmeldung, dass ihnen die Erzählung sehr gefallen habe. Darum habe ich mich entschlossen, diese utopisch-märchenhafte Erzählung in einem eigenen Band herauszugeben, in der Hoffnung weitere Leser vom Schicksal eines „Seelenkerns
sich inspirieren zu lassen.
Die Erzählung steht ganz unter dem Eindruck der 2020 entfesselten Pandemie. Auch wenn viele in der Erzählung beschriebenen Prophezeiungen sich nicht in der Form bewahrheitet haben, so bin ich nach wie vor voll der Hoffnung dessen, was die Erzählung den Lesern eigentlich mitteilen will, und wünsche Ihnen eine gute Unterhaltung.
Michael Thomsen, im Dezember 2022
Das Nachleben
Ich möchte von dieser einen – der Anderen - Welt erzählen. Sie ist wirklich eine Er-Fahrung wert.
Aber leider er-fährt sie scheinbar niemand.
Doch es gab ein Schlupfloch.
Dort schlüpfte ich hindurch und kam einerseits ernüchtert, andererseits voller Hoffnung zurück.
Diese – unsrige - Welt ist uns bereits, wenn nicht vertraut, so doch bekannt. Wir sind in ihr eingerichtet. Aber dorthin zu gelangen, wo bestenfalls und ansatzweise vielleicht der Philosoph John Rawls mittels eines Gedankenexperimentes gelangte, ist schon etwas ausgesprochen Wunderbares.
Stellen Sie sich vor, Sie seien in einen Rat berufen worden, der die Regeln und Gesetze der zukünftigen, möglichst gerechten Gesellschaft bestimmen soll. Ist so etwas überhaupt und grundsätzlich vorstellbar in unseren Zeiten?
Nun, stellen Sie sich es dennoch vor! Insbesondere die Ökonomie und Ökologie soll dabei eine zentrale Rolle spielen. Dieses Gremium wird lange beraten und es wird von den Einflüssen von außen möglichst weitgehend abgeschirmt sein. Und nun zum Knackpunkt:
Den Mitgliedern des Rates wird eine einmalige Wiedergeburt gewährt, und zwar in DER Gesellschaft, die die vom Rat beschlossenen Gesetze umgesetzt hat und bereits einige Jahre damit lebt. Die Mitglieder werden – wie Sie sich noch denken werden können – alles daransetzen, ein gerechtes und nachhaltiges Regel- und Gesetzeswerk zu entwickeln.
Denn sie werden nicht wissen, als was oder wer, ob als Frau oder Mann, ob reich oder arm oder mit welcher Hautfarbe, sie wiedergeboren werden! Einzig Ihr Seelenkern wird im Nachleben fortbestehen.
Ist das Regelwerk schlecht, unvollkommen und nicht genügend durchdacht, kann eine sehr ungerechte und bösartige Welt daraus entspringen, in der sie als wiedergeborenes Ratsmitglied möglicherweise viel Leid und Ungerechtigkeit erleben. Wenn sie also Pech haben und in eine arme Familie hineingeboren werden oder in eine kranke oder bösartige Umgebung geraten. Oder aber, Sie haben Glück: Sie werden in eine reiche Familie geboren und erhalten daraus alle Vorzüge, die ein Leben in Wohlstand und Glück sicherstellt. Gleichwohl sind die Chancen in letztere Welt geboren zu werden deutlich geringer und in der Sie aber wegen Ihrer Mitgliedschaft im Rat – die natürlich der Nachwelt bekannt sein wird! – angefeindet und beschimpft werden und sich möglicherweise hinter dicken Mauern verschanzen müssen, um keinem Raub, Attentat oder Überfall zum Opfer zu fallen.
Oder aber: Das Gesetzeswerk ist nahezu perfekt. Es ist umfassend, gerecht und nachhaltig. Also der Fortbestand der heutigen Welt wird gesichert und die Lebenschancen sind für alle Menschen annähernd gleich. Dann wird es egal sein, in welche Familie ein Mensch hineingeboren wird. Und niemand wird den Gesetzgebern Vorwürfe machen, auch wenn es naturgegeben manchmal Unglück oder Erkrankungen gibt, gegen die auch ein Regelwerk machtlos ist.
Soweit das Gedankenexperiment. Es hat natürlich keine Chance auf reale Umsetzung, denn niemand spielt mit so einer Zukunft Risiko, denn zu gering scheint die Aussicht auf Gewinn. Entweder reich zu gewinnen, aber sich abschotten zu können, oder sozusagen mit der geschaffenen Gesetzgebung das Ei des Kolumbus gefunden zu haben. Zu verstrickt und undurchsichtig sind die Machenschaften von Politik und Gesellschaft.
Und nun zu meinem Erlebnis. Ich folgte nämlich meinem Seelenkern in die Zukunft, wieder mal ohne Nutzen für die Nachwelt, aber für mich wurde es doch zu einem aufrüttelnden Erlebnis.
Schlupfloch
Als Rentner erlaube mir den Luxus, hin und wieder länger zu schlafen – froh darüber, nicht nur, dass ich es kann, sondern mehr darüber, dass es meistens klappt! Vielleicht bin ich aber eines Morgens dabei zu weit gegangen?
Folgen Sie mir!
Nun können die Träume zwar gewissermaßen auslaufen, gleichwohl kann ich mich nach wie vor kaum je genauer an Geträumtes erinnern. Geht es Ihnen da nicht auch so? Und wenn, dann verflüchtigt sich Geträumtes wie Alkohol beim Kochen, aber an ein vermehrtes Auslaufen und Fortkommen der Traumbilder, daran glaube ich schon. Ob es guttut? Ich weiß es nicht, aber hoffe es. Wie gesagt: Einmal war es anders! Als ich aufwachte, war es wie ein Offenbarungsgefühl, eine seltsame Mischung aus Allwissenheit, Entzücken und Ohnmacht.
So war ich scheinbar eingedrungen hinter den Schleier eines kollektiven Nichtwissens. Wie an einer Angel zog ich das U-Boot mit den Daten dieser Anderen Welt aus dem dunklen Meer eines Nichtwissens, das eigentlich kein Überleben oberhalb der Meeresoberfläche zulässt.
Aber: Wie Träume sich dem bewussten Zugriff gern rasch und doch bleiern entziehen, war es Diesmal nicht! Zwar können wohl alle Erfahrungen der Weltgeschichte beweisen, dass jemand recht hat, doch ein einziger Tag, ein einziger Vorfall oder ein einiges Traumerlebnis kann alles umstürzen. Wir haben uns in Einem Punkt geirrt! Und auf genau diesen Punkt könnte alles angekommen sein, sollten wir ihn als Angelpunkt genommen haben.
Nun – einen Tag später habe ich meinen Zugriff auf die Datenboxen und diversen Aufzeichnungen im U-Boot sichern können und bin einerseits fassungslos und andererseits heiter und wie benebelt. Ich war nämlich tatsächlich in diese Andere Welt eingetaucht. Und sie entpuppte sich mir als eine Art, na ja –