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Anglermord in Altfunnixsiel. Ostfrieslandkrimi
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eBook258 Seiten3 Stunden

Anglermord in Altfunnixsiel. Ostfrieslandkrimi

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Über dieses E-Book

»Bent hatte einen dicken Fisch an der Angel.« Doch zum Herausziehen der Schnur aus dem Wasser kommt der Angler Bent Eekhoff nicht mehr. Am Ufer der Harle beim Campingplatz Altfunnixsiel wird er von hinten tödlich niedergeschlagen! Bent Eekhoff war auf Kurzurlaub in seiner alten ostfriesischen Heimat. Hatte der hilfsbereite Handwerker, der beim anderen Geschlecht gut ankam, den Groll eines eifersüchtigen Ostfriesen auf sich gezogen? Oder geht es um längst zurückliegende Geschehnisse aus der tragischen Vergangenheit des Ermordeten? Während die Kommissare Nina Jürgens und Bert Linnig von der Kripo Wittmund verschiedenen Spuren nachgehen, macht eine Einbruchsserie Ostfriesland unsicher. Die überaus professionell vorgehenden Diebe haben es auf wohlhabende Opfer abgesehen. Plötzlich laufen die Ermittlungen der beiden Fälle überraschend zusammen: Ist ein zur Fahndung ausgeschriebenes Mitglied der Einbrecherbande etwa auch Bent Eekhoffs Mörder?

SpracheDeutsch
HerausgeberKlarant
Erscheinungsdatum16. Dez. 2022
ISBN9783965867031
Anglermord in Altfunnixsiel. Ostfrieslandkrimi

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    Buchvorschau

    Anglermord in Altfunnixsiel. Ostfrieslandkrimi - Rolf Uliczka

    1. Kapitel

    Es war Ende der Sommerferien und an der ostfriesischen Nord­seeküste kehrte wieder die beschauliche Ruhe der Nachsaisonzeit ein. Nach den Ferien in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen waren in dieser Woche auch die Ferien in Niedersachsen zu Ende gegangen. Auf dem Campingplatz in Altfunnixsiel – ein beliebter Anglercampingplatz mit einigen Dauerstellplätzen und kleinen Ferienhäuschen im Eigenbesitz bei Wittmund, der idyllisch an der Harle gelegen war – war noch mehr Ruhe eingekehrt.

    Diese Ruhe liebte Bent Eekhoff, der gestern Abend aus dem Deister, einem auslaufenden Höhenzug des Weserberglandes bei Hannover, eingetroffen war und nicht nur ein kleines Ferien­häuschen, sondern ein richtiges Blockhaus auf dem Campingplatz sein Eigen nennen konnte. Der Campingplatz war vor vielen Jahren auf einer Ackerfläche des Hofes seines Vaters entstanden. Bedingung seines Vaters für den Verkauf der ehemaligen Land­wirtschaftsfläche war seinerzeit gewesen, dass er das Blockhaus, welches er schon zu der Zeit dort an der Harle stehen hatte, weiterhin für sich, seine Familie und eigene Gäste nutzen konnte. Zudem war das Haus, da es unweit der Nordwestgrenze der Ortsbebauung stand, auch an die öffentliche Kanalisation ange­schlossen. Das galt inzwischen ebenfalls für die Ferienhäuschen auf dem Platz, sodass auch diese über eigene Duschen und Toiletten verfügten.

    Bents sechzehn Jahre älterer Bruder hatte nach der in Niedersachsen geltenden Höfeordnung nach dem Tod des Vaters den Hof übernommen und betrieb bis heute dort Milchwirtschaft. Seine Mutter lebte bei ihm auf dem Hof auf dem Altenteil. Von seinem Bruder war Bent, ebenfalls nach der Höfeordnung, mit dem Blockhaus an der Harle und finanziell abgefunden worden. Das war ihm und seiner Frau Julia damals gerade recht gekom­men. Julia hatte eben erst das Haus ihrer Eltern, die in betreutes Wohnen umgezogen waren, in Barsinghausen am Deister über­nommen und musste ihre Schwester auszahlen. Zudem standen einige Renovierungsarbeiten an.

    Julia war ihm vor Jahren in Altfunnixsiel als Urlauberin begeg­net und schließlich hatten sie in Barsinghausen geheiratet und einen Hausstand gegründet. Leider wurde ihr Liebesglück durch mehrere Fehlgeburten getrübt und schließlich hatten sie die Hoffnung auf eigene Kinder aufgegeben. Überraschend war eines Tages Julia, trotz gegenteiliger Erwartungen, wieder in guter Hoffnung gewesen.

    Doch auch diesmal wurde es zu einer Problemschwangerschaft, weil eine Rhesus-Unverträglichkeit zwischen Mutter und Kind bestand, wie diagnostiziert worden war. Möglicherweise war diese auch bereits für die bisherigen Fehlgeburten verantwortlich gewesen.

    Julia war Diplombiologin und wusste natürlich, was diese Unverträglichkeit bedeutete, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und entsprechende medizinische Maßnahmen eingeleitet wurden. Aus diesem Grund hatte sie sich nicht nur von Gynäkologen in Krankenhäusern, sondern zusätzlich von einer befreundeten Hebamme behandeln und versorgen lassen.

    Julia und Bent konnten ihr Glück zunächst gar nicht fassen, dass seine Frau es diesmal trotz einiger Probleme bereits bis zum achten Schwangerschaftsmonat geschafft hatte. Doch dann setzten auf einmal die Wehen ein. Ihre Hebamme war gerade noch bei einer anderen Hausgeburt, aber bereits informiert. Durch unvorhergesehene Komplikationen dauerte der Einsatz der Hebamme dort allerdings länger als erwartet.

    Zunächst schien auch alles noch einigermaßen in Ordnung gewesen zu sein, doch dann eskalierten die Beschwerden. Julia war gerade im ersten Obergeschoss, wo auch ihr Schlafzimmer lag, auf der Toilette gewesen und hatte noch versucht zum Telefon zu gelangen, welches sie in der Küche im Erdgeschoss hatte liegen lassen, als die Fruchtblase platzte, wodurch sie auf den Fliesen der Marmortreppe ausrutschte und mit dem Kopf auf eine Kante schlug.

    Als die Hebamme beim Haus ihrer Freundin eintraf, war es bereits zu spät. Auf dem Weg zum Krankenhaus verstarben Mutter und Kind. Für Bent war damals eine Welt zusammen­gebrochen. Er machte sich große Vorwürfe, dass er noch bei einer Richtfestfeier etwas länger geblieben war. Möglicherweise hätten Mutter und Kind sonst noch leben können.

    Danach lebte er sehr zurückgezogen im Haus seiner verstorbe­nen Frau. Schon in seiner ostfriesischen Heimat war Bent leidenschaftlicher Angler gewesen, und bis heute nutzte er jeden Urlaub und jedes verlängerte Wochenende, um nach Altfunnix­siel zu fahren, in seinem Blockhaus zu wohnen und in der vorbei­fließenden Harle zu angeln.

    Als Julia noch lebte, hatte sie ihn öfter begleitet. Dabei war es ihr ein erklärtes Anliegen, Angeln und Naturschutz miteinander in Einklang zu bringen, was nicht immer ganz einfach war. Auch im Angelverein in Wennigsen, einer Nachbargemeinde von Barsinghausen, waren Julia und er Mitglieder gewesen. Und auch dort hatte sich Julia, nicht immer zur Freude der Vereinsmit­glieder, für nachhaltiges Fischen engagiert.

    Nach ihrem Tod verbrachte er jede freie Minute in der Natur am Wasser, in der stillen Hoffnung, dort seiner geliebten Julia am nächsten zu sein. Hier konnte er seine Gedanken ungehindert schweifen lassen und heimlich mit ihr Zwiesprache halten.

    Dabei war Bent, ein braungebrannter Dachdeckergeselle, eigent­lich ein sympathischer und gut aussehender blonder Hüne mit sanftem Gemüt. Durchaus ein Hingucker für manche Frau, die auf der Suche war. Aber er hatte dafür keine Wahrnehmung. Bis eines Tages eine neue Arbeitskollegin als Dachdeckergesellin von sei­nem Arbeitgeber eingestellt wurde, Sabrina. Mit ihren braunen, schulterlangen Haaren, die sie bei der Arbeit immer zu einem Pferdeschwanz zusammenband, ihrem hübschen Gesicht, mit den sinnlichen Lippen und den dunkelbraunen Augen zog sie die Blicke mancher Kunden und Kollegen auf sich. Nur Bent schien dafür keine Antenne zu haben.

    Dafür hatte Sabrina aber ein Auge auf ihn geworfen und verstand es mit Geduld und weiblichem Charme schließlich, ihn zu einem Date zu überreden. Nicht zuletzt half ihr dabei, dass sie schon als Jugendliche mal gelegentlich mit einem Freund zum Angeln gegangen war. Daher verwunderte es auch nicht, dass das erste Date am Mühlenteich in Wennigsen stattfand. Nach dem dritten Date beim Mühlenteich, bei dem sie von einem heftigen Gewitter überrascht worden waren, nahm Bent sie mit zu sich nach Hause, damit sie sich trocken machen und ein wenig aufwärmen konnte, bevor sie wieder nach Hannover zurückfuhr. Das Aufwärmen fand dann nach einer wärmenden Dusche der Einfachheit halber gleich in Bents Bett seine Fortsetzung und Sabrina blieb das ganze Wochenende bei ihm.

    Inzwischen hatte Bent von ihr erfahren, dass auch sie ein schweres Schicksal mit sich trug. Sie hatte vor einiger Zeit ihren Freund durch einen Unfall verloren, wohnte aber immer noch im Haus von dessen Eltern in Hannover.

    Jetzt saß Bent an seinem Stammplatz in seiner ostfriesischen Heimat an der Harle, unweit des Harlebeckens beim Camping­platz Altfunnixsiel, und hing seinen Gedanken nach. Obwohl es inzwischen auch schon wieder über drei Jahre her war, kam es ihm vor, als wäre es erst gestern gewesen, und da waren sie wieder, die Erinnerungen und Schuldgefühle, die ihn manchmal zu erdrücken drohten:

    ***

    Es war Sonntagabend und Sabrina machte sich fertig, um wieder nach Hause zu den Eltern ihres verstorbenen Freundes nach Hannover zu fahren. »Ich werde diese Woche eine Anzeige aufgeben, dass ich ein möbliertes Zimmer suche«, sagte sie beim Abschied zu Bent. »Vielleicht habe ich ja Glück und finde eine Studenten-WG oder was Ähnliches. Dann wird das nicht so teuer.«

    »Biene, was ist los? Gibt es Probleme mit den Eltern deines verstorbenen Freundes? Du meintest doch, dass der Vater dir gesagt hatte, dass du, wenn du wolltest, quasi wie eine Schwieger­tochter für immer im Haus bleiben könntest.«

    »Das stimmt, das hat er gesagt. Aber seiner Frau passt es nicht, dass ich in der letzten Zeit die Wochenenden nicht zu Hause bei meinen Fastschwiegereltern bin. Und sie will immer wissen, wo ich war und ob ich eine neue Liebschaft hätte. Das geht mir langsam auf den Keks. Ewig das Genörgel und vor allem das Kontrollieren!«

    »Aber dann musst du doch keine Studenten-WG suchen. Warum ziehst du nicht bei mir ein? Meine Nachbarn haben mich auch schon gefragt, wann du denn bei mir einziehst, weil sie dich in der letzten Zeit fast jedes Wochenende hier sehen. Und den Weg zur Arbeit in Hannover beziehungsweise zu den Baustellen können wir dann sogar zusammen in einem Auto machen.«

    »Ich weiß ja, wie sehr du immer noch an Frau und Kind denkst. Und dann war das hier mal sogar das Haus deiner Frau. Deswegen habe ich dich gar nicht fragen und auch nicht drängen wollen.«

    »Das stimmt, Biene. Aber ich liebe dich inzwischen genauso, wie ich meine Frau geliebt habe. Und einer meiner Nachbarn meinte noch, dass, wenn Julia von oben zuschauen könnte, sie bestimmt nicht wollte, dass ich mich hier bis an mein Lebensende vergrabe. Also, wenn du willst, dann fahre ich morgen nach der Arbeit mit zu dir und wir holen deine Sachen.«

    »Das ist gut gemeint, Bent. Aber meiner Schwiegermutter habe ich erzählt, dass ich immer bei einer Freundin bin, was die mir natürlich nicht glaubt. Allerdings ist das auch egal, ob sie mir das glaubt oder nicht. Denn außer meinen Klamotten und ein paar Kleinigkeiten habe ich ja nichts. Das passt alles in meinen Straßenfloh. Jedenfalls bin ich jetzt richtig happy, dass wir ab morgen zusammenwohnen und nicht mehr nach der Arbeit jeder für sich nach Hause fährt.«

    Sabrina fiel Bent um den Hals und aus dem langen Kuss wurde ein nochmaliger Gang ins gemeinsame Bett. Es war schon mitten in der Nacht, als Sabrina schließlich doch noch den Heimweg nach Hannover antrat.

    Am nächsten Morgen war sie etwas übernächtigt, aber pünktlich auf der Baustelle. »Sabrina, was ist los?«, wollte Bent wissen. »Was hast du den Rest der Nacht über gemacht? Du siehst aus, als wenn du kaum geschlafen hättest. Hat es mit der Alten wieder Zoff gegeben?«

    »Nee, die haben schon geschlafen, als ich kam. Die schlafen ja oben und ich habe ein ehemaliges Gästezimmer gleich neben der Eingangstür. Das Packen hat sich aber dann doch länger hinge­zogen, und bis alles in meiner kleinen Rappelkiste verstaut war, wurde es schon fast wieder hell. Aber deswegen können wir nach der Arbeit gleich zu dir fahren. Zum Abschied hab ich ein paar Zeilen auf den Küchentisch gelegt. Reicht, wenn sie wissen, dass ich weg bin.«

    An dem Abend hatten die beiden es richtig krachen lassen und Bienes Einzug mit einem Grillabend zu zweit und viel Bier und Schnaps wie bei einem Richtfest auf dem Bau begossen. Am nächsten Tag erschienen beide etwas angeschlagen auf der Baustelle. Es wäre besser gewesen, sie hätten ihre kleine Feier auf das Wochenende verlegt. Der Meister war verständnisvoll, als er den Grund erfuhr. Daher ließ er die beiden nicht vor der Mittags­pause aufs Dach, sondern gab ihnen Arbeiten am Boden. »Material schleppen macht nüchtern«, meinte er grinsend. Es hatte sich inzwischen auch schon bei den Kollegen rumgespro­chen, dass Sabrina gestern Abend bei Bent eingezogen war.

    Dass die beiden inzwischen ein Paar waren, war den Kollegen natürlich nicht entgangen. Entsprechend waren die zotigen Bemerkungen der rauen Dachdeckergesellen, von denen der eine oder andere gerne selbst mit der hübschen Kollegin in die Waagerechte gegangen wäre. Aber Bent war zu beliebt bei der Belegschaft, als dass man es ihm nicht gegönnt hätte. Zumal die meisten Kollegen wussten, dass er vor einiger Zeit Frau und Kind verloren hatte.

    Bent hätte sich nicht träumen lassen, dass er noch einmal so eine glückliche Liebe finden würde. Immer wieder kam ihm der Gedanke, doch noch einmal zu heiraten, und auch der Kinderwunsch kam wieder in ihm hoch.

    Schließlich nutzte er eine gute Gelegenheit, wie es ihm erschien. Sie waren gerade mit einem Taxi von einer feuchtfröhlichen Richtfestfeier nach Hause gekommen. Als Sabrina, so wie die Natur sie geschaffen hatte, aus der Dusche kam, empfing er sie mit einem Glas Sekt in der Hand und sagte ohne viel Umschweife: »Biene, willst du meine Frau werden?«

    Sie nahm das Glas, trank ihm zu und antwortete dann nach einem langen Kuss: »Ich bin doch schon deine Frau! Dafür brauche ich kein Papier! Mir reicht deine Liebe und dein starker Körper!« Dann begann sie ihn auszuziehen, drückte ihn auf die Couch und saß schließlich rittlings auf ihm. »Das ist es, was ich brauche!«, hauchte sie ihm dann ins Ohr.

    Als sie einige Zeit später im Bett lagen, sagte die junge Frau: »Bent, du hast sicher schon bemerkt, dass ich nicht gern über meine Vergangenheit spreche. Meine Kindheit war nicht beson­ders prickelnd. Mein Vater war ständig besoffen, meine Mutter kiffte und hatte, wenn er auf Kneipentour war, immer andere Lover im Bett. Aber sie hatten einen Trauschein, wie mein Vater meiner Mutter immer wieder vorhielt.«

    »Alles gut, Biene, du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst. Und für uns ist wichtig, dass wir uns lieben!«

    »Ist vielleicht ganz gut, wenn ich mal darüber rede. Ich ging schon in die Schule, da kam mein Alter eines Tages zugedröhnt nach Hause, als seine Alte, meine Mutter, sich mit einem geilen Bock im Ehebett vergnügte. Er hat beide durchgeprügelt. Schließlich holten Nachbarn die Polizei und den Krankenwagen. Meine Mutter und ihren Lover brachten sie ins Krankenhaus, meinen Alten in die Ausnüchterungszelle, weil der auch auf die Sanitäter und die Bullen losging. Und ich fand mich im Heim wieder.«

    »Oh, mein Gott, Biene, das tut mir sehr leid für dich!«

    »Schon gut, Bent. Eins hab ich gelernt: Das Leben ist kein Wunschkonzert. Und wenn du was erreichen willst, musst du deinen Arsch schon selbst bewegen, und wenn es sein muss, auch mal hinlangen. Also hab ich mich nach der Schule zur Lehre bei einem Dachdecker beworben. Das war ’ne harte Zeit und mancher versuchte mir an die Wäsche zu gehen, wie du dir denken kannst. Aber ich war inzwischen in einen Karateverein eingetreten.«

    »Unsere Leute in der Firma haben Respekt vor dir, zumal die wissen, dass du auch bei der Arbeit anpacken kannst und dich vor keinem schweren Balken drückst. Aber was ist denn aus deinen Eltern geworden?«

    »Das Jugendamt teilte mir eines Tages mit, gar nicht lange nachdem sie mich zu Hause rausgeholt hatten, dass meine Mutter gestorben war. Später habe ich dann erfahren, an einer Überdosis. Den Saufkopp habe ich zuletzt vor längerer Zeit zufällig mit anderen Pennern und einer Schnapsflasche in Hannover hinterm Bahnhof auf der Straße gesehen.«

    »Da komme ich von einem Hof in Ostfriesland ja geradezu aus einer heilen Welt«, stellte Bent erschüttert fest. »Aber wenn ich das alles von dir höre, verstehe ich natürlich, dass du keinen Trauschein brauchst. Deinen Eltern hat er offensichtlich nicht geholfen. Aber sei mir nicht bös, eins möchte ich doch ganz offen fragen: Wie stehst du zu eigenen Kindern?«

    »Auch wenn ich glaube, dass ich mein eigenes Leben ganz gut im Griff habe, könnte ich mir nicht vorstellen, die Arbeit auf dem Dach mit dem Wickeltisch zu tauschen. Und Kindergeplärre ist absolut nicht mein Ding. Da würde mir bestimmt mal schnell die Hand ausrutschen, wenn mir das auf den Geist geht. Wenn ich manche Mütter sehe, die beim Einkaufen nicht wissen, wie sie mit dem schreienden und um sich tretenden Kind auf dem Boden umgehen sollen, dann würde ich am liebsten hingehen und dem Balg mal richtig den Arsch polieren. Von meiner Mutter kenne ich das aus weit geringfügigeren Anlässen, und manchmal nur, weil sie mit dem Alten Zoff gehabt hatte und ihren Frust loswerden musste.«

    Bent nahm seine Biene zärtlich in den Arm, und sie legte ihren Kopf auf seine breite Brust. So lagen sie noch still eine ganze Weile, bis die Müdigkeit und der bei der Feier getrunkene Alkohol ihren Tribut forderten.

    Seitdem waren Hochzeit, Kinder und Bienes Vergangenheit kein Thema mehr gewesen. Nur einmal erzählte Sabrina davon, dass es bei den Eltern ihres verunglückten Freundes auch immer wieder mal gekracht hatte. Auch wenn es dort nach ihrer Wahr­nehmung nicht zu Handgreiflichkeiten gekommen war, seien aber schon manches Mal die Türen und auch Teller und Tassen geflogen.

    Auch wenn es zwischen Bent und Biene gelegentlich schon mal zu Meinungsverschiedenheiten kam, fanden diese immer ein ver­söhnliches Ende im gemeinsamen Bett. Nur das eine Mal auf der Baustelle, als er Sabrina mit einem neuen Kollegen hinter dem Bauwagen zusammenstehen sah und wissen wollte, ob der etwas von ihr gewollt hatte, da rastete sie aus: »Fängst du jetzt auch schon an, hinter mir her zu spionieren?! Kann ich ja gleich wieder zu den Alten meines Ex ziehen.«

    »Na, wenn nur was Harmloses zu bequatschen gewesen wäre, hättet ihr euch doch nicht so lange hinter den Bauwagen verdrücken müssen!«, erwiderte Bent und Wut kroch in ihm hoch, was eigentlich sehr selten bei ihm vorkam.

    »Ach, leck mich!«, brach Biene das Gespräch ab und ging auf dem Dach wieder an ihre Arbeit.

    Auch auf dem Heimweg war sie nicht sehr gesprächig, und man merkte der jungen hübschen Frau an, dass irgendetwas in ihr rumorte. Schon allein deshalb konnte Bent seine eifersüchtigen Gedanken kaum unterdrücken. Die beiden hatten verdammt nah beieinander gestanden, als er zufällig um den Bauwagen herum­gekommen war. Dann Bienes außergewöhnlich heftige Reaktion. Wie jemand, der bei etwas Verbotenem erwischt wurde und intuitiv im Angriff die beste Verteidigung sieht, ging es ihm durch den Kopf.

    »Hey, mach mal ein bisschen langsamer!«, riss ihn Biene aus seinen Gedanken, als ihnen auf der engen Nebenstraße ein Auto entgegenkam.

    Aber Bent fuhr in seine Gedanken vertieft mit gleichem Tempo weiter. War Biene nicht vor ein paar Tagen einmal kurz nach diesem Kollegen aus dem Bauwagen gekommen und hatte noch ihre Zunftweste dabei zugeknöpft?! In Bent brodelte es, obwohl er sonst eigentlich kein Typ war, der schnell eifersüchtig wurde. Auch wenn beim Bier schon mal Frotzeleien der Kollegen aufkamen, blieb er immer ganz cool. Aber irgendwie hatte er diesmal das Gefühl, dass etwas mehr dahintersteckte. Er war sich jetzt auf einmal sogar sicher, sonst hätte Biene nicht so heftig reagiert.

    Als sie sich einer Kreuzung näherten, mahnte Biene erneut, langsamer zu machen. Aber ohne auf Bienes Warnung zu hören, fuhr er mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Auch das Vorfahrt-gewähren-Schild an der Kreuzung, die er geradeaus überfahren wollte, ließ er unbeachtet. Bruchteile einer Sekunde später tat es einen heftigen Schlag rechts gegen seinen Wagen und es wurde dunkel um ihn herum.

    Als er wieder zu sich kam, vermochte er sich nicht zu orien­tieren. Wo war er? Links neben ihm piepte es leise und als er sich bewegen wollte, merkte er, dass er in einem Bett lag. Wie bin ich hier hergekommen, ging es ihm tröpfchenweise durch den Kopf.

    Dann trat eine dunkelhaarige, pausbäckige Frau in einem weißen Kittel und mit einem freundlichen Lächeln in sein Blickfeld und sagte: »Aufgewacht? Das ist schön! Wie fühlen Sie sich?«

    »Wo bin ich?«, wollte Bent wissen und das Sprechen fiel ihm schwer.

    »In der Unfallklinik in Hannover.«

    »Was ist passiert?«

    »Kleinen Moment, Herr Eekhoff, ich sage dem Arzt Bescheid. Der wird Ihnen gleich alles erklären.«

    Kurz darauf erschien ein schon etwas älterer Mann mit ergrau­tem Haarkranz und leichtem Bauchansatz im Arztkittel. »Wie fühlen Sie sich?«, wollte er als

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