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Das Arkham-Manuskript: Thriller
Das Arkham-Manuskript: Thriller
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eBook387 Seiten5 Stunden

Das Arkham-Manuskript: Thriller

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Über dieses E-Book

Eine Hommage an H. P. Lovecraft und seinen unübertroffenen Arkham-Zyklus (auch als Cthulhu-Mythos bekannt).
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum27. Nov. 2015
ISBN9783732369508
Das Arkham-Manuskript: Thriller
Autor

Wilfried Bremermann

Wilfried Bremermann wurde 1963 in Rahden in Westfalen geboren. Nach Abitur und Bundeswehr machte er eine Berufsausbildung zum Bankkaufmann. Nachdem er viele Jahre in der Kundenberatung gearbeitet hatte, ist er heute in der Internen Revision eines regionalen Kreditinstituts tätig. Er lebt mit Frau und Kindern im westfälischen Hille bei Minden.

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    Buchvorschau

    Das Arkham-Manuskript - Wilfried Bremermann

    Teil 1

    ARKHAM

    1

    Carl Foster lehnte über seinem Schreibtisch und starrte auf das Manuskript, das auf der braunen Lederunterlage lag und an dem er seit fünf Monaten arbeitete, immer wieder unterbrochen von Vorlesungen und Vorträgen, Mitarbeitergesprächen und ungefähr einem halben Hundert anderen Dingen, die das Amt eines Universitätsdekans mit sich brachte. Und von unangenehmen Erlebnissen, die hinter ihm lagen und so schrecklicher Natur waren, dass er im Nachhinein gern auf seine Erfahrungen verzichtet hätte. Glücklicherweise gab es keinen Abgabetermin, denn da er noch nicht wusste, in welche Richtung sich sein Werk entwickeln würde, hatte er es auch noch keinem Fachmagazin angeboten. Er wusste nur, dass die Veröffentlichung wie eine Bombe einschlagen und gewaltige Auswirkungen nicht nur auf die Fachwelt, sondern auf das ganze Land, ja auf die gesamte Weltbevölkerung haben würde. Zu eindeutig waren die Vorzeichen. Foster wusste, dass die Miskatonic-Universität die Kapazität auf seinem Fachgebiet war und in dieser Hinsicht einen hervorragenden Ruf genoss. Man würde ihm also glauben. Doch welchen Preis würde die Welt dafür bezahlen?

    Seine Augen begannen zu tränen und er spürte die aufkommende Müdigkeit. Ein Blick zur Uhr zeigte ihm, dass es bereits nach elf war, eine Tatsache, die der Vollmond mit seinem silbrigen Licht, das durch die offenen Vorhänge des kleinen Fensters fiel, nachdrücklich unterstrich. Foster zwang seinen Blick erneut auf das Manuskript, quälte sich in dem kräftezehrenden Bemühen, seine Gedanken zu sammeln und wenigstens noch einen Absatz zu schreiben, bevor seine Lider zu schwer wurden, lausige zehn Zeilen, achtzig Wörter, die den Text voranbrachten und ihn dem Ziel näher. Doch immer wieder glitten seine Gedanken ab und er ahnte, dass er in dieser Nacht keinen weiteren Satz mehr zustande bringen würde.

    Er wusste, dass eine große Gefahr auf ihn, auf die Welt zukam, und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Welt, so wie er sie kannte, aufhören würde zu existieren. Dieses Wissen – war es überhaupt Wissen? Oder war es nur ein beunruhigendes Gefühl, geboren in seinem Unterbewusstsein aus Mosaikstückchen, die er in den vergangenen Monaten zusammengesetzt hatte? Oder, schlimmer noch, Auswüchse beginnender Senilität? Doch stets, wenn er mit seinen Überlegungen an dieser Stelle angekommen war, sagte er sich, dass er möglicherweise der einzige Mensch auf der Welt war, der die Zeichen überhaupt erkennen würde, er, der Dekan der Geschichtsfakultät der Miskatonic-Universität. Wenn jemand Kompetenz in dieser Sache besaß, dann er.

    Nein, das war nicht richtig, korrigierte er sich. Es gab noch jemanden, gar nicht mal weit weg von hier. Doch eine Kontaktaufnahme verbot sich. Solange er sich über die Rolle jenes anderen nicht im Klaren war, musste er davon ausgehen, dass er Teil der Gefahr war, die auf die Welt zukam. Dabei hatte alles so harmlos begonnen. Hätte er nur nie dieses Buch gekauft.

    Es war nur ein schmales Bändchen, das abgegriffen und zerlesen noch immer auf dem Schreibtisch lag und ihn stets an die Gefahr erinnerte, die der Welt drohte, die Erzählung eines Seemanns aus den Zwanzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Doch die Geschichte dieses Mannes war der Auslöser für seine eigenen Studien. Als er zu recherchieren begann, hatte er noch nicht geahnt, was auf ihn zukommen würde, doch je weiter seine Recherchen vorangingen, desto deutlicher wurde das Gefühl einer subtilen Gefahr. Etwas war da, etwas, das ihn zu beobachten und zu überwachen schien. Etwas Fernes, nicht Greifbares, wie aus einer anderen Welt. Noch gab es keine sichtbaren Auswüchse in der realen Welt, aber Foster war sicher, dass es nur mehr eine Frage der Zeit war, bis das Unglück über die Welt hereinbrach, eine Katastrophe, so fremd und gewaltig, dass Dantes Inferno dagegen ein Kindergarten war.

    Doch es gab eine Möglichkeit, die Apokalypse zu verhindern, und er kannte sie. Von einer plötzlichen Nervosität getrieben, ließ er den Stift fallen und sprang auf. Bis in die Kellergewölbe des alten Universitätsgemäuers brauchte er beinahe fünf Minuten und die Dunkelheit, die ihn umgab sowie das hohe Alter des Gebäudes, das aus dem späten neunzehnten Jahrhundert stammte und zwischenzeitlich nur einmal ausgebaut, aber nie renoviert worden war, zerrten an seinen Nerven und ließen in seinem Geist die schrecklichsten Dinge entstehen.

    Sein Ziel lag in den äußersten Kellergewölben, am äußersten Rand der historischen Grundmauern. Sicher verwahrt hinter einer fünfzehn Zentimeter dicken Panzertür, gesichert durch ein Zahlenschloss, dessen Kombination nur er kannte, in einem Tresorraum, dessen Existenz nur dem engsten Mitarbeiterstab bekannt war, lag der größte Schatz, den die Universität besaß, das Vermächtnis eines Mannes, der zu Lebzeiten als verrückt gegolten hatte, dessen Werk jedoch der Menschheit in grauer Vorzeit das Überleben gesichert hatte. Foster war sicher, dass es das noch einmal tun würde und dass der Zeitpunkt kurz bevorstand.

    Als er die Kombination eingestellt und die Tresortür geöffnet hatte, schlug ihm das Nichts entgegen. Er beruhigte seinen Atem, um sich an den geringen Luftdruck des Raumes zu gewöhnen. Der Tresor wurde technisch auf immer gleicher Temperatur und gleichem Luftdruck gehalten, notwendige Voraussetzungen, um den Gegenstand, den er beherbergte, vor dem Zerfall zu bewahren. Gleich nachdem Foster das Licht eingeschaltet hatte, fiel sein Blick auf das Objekt, das durch einen hermetisch abgeschlossenen Glaskasten in der Mitte des Raumes, in dem es sicher ruhte, zusätzlich geschützt wurde. Es war noch da. Es war alles in Ordnung. Augenblicklich kehrte Ruhe in seinen Geist ein und zufrieden löschte er das Licht und schloss den Raum wieder ab. Die Unruhe, die ihm wenige Augenblicke zuvor noch fast den Verstand geraubt hatte, kam ihm jetzt lächerlich vor. Doch andererseits, so beruhigte er sein Gewissen, hätte er ohne seinen Kontrollgang vermutlich eine schlaflose Nacht verbracht.

    Foster begab sich zurück in sein Büro, langsamer und gemächlicher diesmal, ohne Hektik und ganz entspannt. Jetzt, als seine Unruhe abgeklungen war, spürte er die Müdigkeit und verwundert stellte er fest, dass alles, was er jetzt noch wollte, schlafen war, schlafen und Kräfte sammeln für den nächsten Tag, der genauso anstrengend und kräftezehrend werden würde wie die Tage zuvor. Obwohl er ein Haus in der Stadt besaß, hatte er sich im Büro ein Feldbett aufgestellt. So konnte er – was nicht selten vorkam – bis spät in die Nacht arbeiten und war doch am nächsten Morgen pünktlich wieder auf der Arbeit. Ermattet zog er den Vorhang zurück, hinter dem die Pritsche stand, zog sich aus und schlüpfte unter die dünne Decke. Eine Zeitlang zogen weitere düstere Gedanken durch seinen Kopf, doch allmählich wurden sein Geist träger und die Augen schwerer. Als seine Lider sich schließlich endgültig schlossen, war es eine halbe Stunde vor Mitternacht.

    Der Schlaf dauerte genau eine halbe Stunde. Foster konnte nicht sagen, was ihn geweckt hatte, doch er war augenblicklich wach. Mit offenen Augen lauschte er in die Dunkelheit, achtete auf Geräusche, versuchte, im diffusen Licht des Mondes draußen vor dem Fenster Schatten zu erkennen. Nichts. Besorgt fragte er sich, ob er wirklich etwas gehört hatte oder ob er bereits unter Verfolgungswahn litt. Die Ereignisse der letzten Monate hatten ihn dünnhäutig gemacht und vorsichtig werden lassen, er konnte jetzt keine Möglichkeit mehr ausschließen. Doch nachdem er fünf Minuten gelauscht und nichts gehört hatte, war er bereit zu glauben, dass seine Fantasie ihm Streiche spielte. Müde schloss er die Augen und war im Nu erneut eingeschlafen.

    Als er das nächste Mal aufwachte, war es kurz vor eins. Und dieses Mal war er sicher, etwas gehört zu haben. Wieder öffnete er die Augen und wieder lauschten seine Sinne in die Schwärze der Nacht. Ja, dieses Mal war es anders als eine Stunde zuvor. Foster spürte die aufkommende Angst, eine Furcht, die schon fast an Panik grenzte. Sein Körper begann zu zittern und auf seiner Haut bildete sich ein feiner Schweißfilm.

    Und dann hörte er es. Ein leises Kratzen. Nein, berichtigte er sich, mehr ein Schleifen. Auf jeden Fall kein Traum, keine Fantasie. Nein, es war da. Hier und jetzt. Und es war nah.

    Als Foster den dunklen Schatten vor der Pritsche auftauchen sah, war es bereits zu spät. Er spürte einen schmerzhaften Stich in seinem Hals, und im nächsten Moment begann ein höllisches Feuer seine Adern zu durchfluten. Sein Körper bäumte sich auf und begann unkontrolliert zu zucken. Foster fiel aus dem Bett, doch den Aufprall spürte er nicht, der rasende Schmerz in seinem Inneren überlagerte alle anderen Empfindungen.

    In den nächsten Sekunden, die ihm allerdings vorkamen wie Stunden, gab es nichts anders als diesen Schmerz, der jede einzelne Faser seines Körpers erfasst hatte und ihn auf dem Boden herumwälzen ließ, ohne dass er das Geringste dagegen hätte unternehmen können. Er wusste nicht, wie lange der Zustand verlorener Kontrolle gedauert hatte, doch allmählich ließen die Zuckungen nach und auch der Schmerz verebbte nach und nach. Fast glaubte er, er hätte das Schlimmste überstanden. Als er sich aufrichten wollte, spürte er jedoch, dass seine Glieder ihm nicht gehorchten. Stattdessen breitete sich eine Lähmung über seinen gesamten Körper aus und schon nach wenigen Sekunden konnte er sich nicht mehr rühren. Sein Geist war jetzt wieder in der Lage, kontrolliert zu denken, doch die Gedanken, die er produzierte, trugen nicht dazu bei, sein Gemüt zu beruhigen. Der Stich fiel ihm ein. Und dann machte es Klick. Mit eiskalter Klarheit erkannte er, was geschehen war, was ihn außer Gefecht gesetzt und seinen Körper gelähmt hatte. Der Einstich – eine Injektion, ein Betäubungsmittel, um ihn wehrlos und gefügig zu machen. Wozu? Er wusste die Antwort. Und im selben Moment, in dem ihm die Erkenntnis kam, wusste er, dass es für ihn vorbei war. Es war geschehen. Das, was er immer geahnt und gefürchtet hatte, von dem er aber gehofft hatte, dass es nie eintreten würde – es war Realität geworden.

    Dann ging das Licht an. Foster versuchte, seinen Kopf zu bewegen, um den Eindringling zu erkennen, doch alles, was sich noch bewegen ließ, waren die Augen, die freilich nur den Fußboden anstarren konnten. Plötzlich wurde er auf den Rücken gedreht. Er spürte hart zupackende Hände, also funktionierten seine Nerven noch; die Injektion hatte nur seine Muskeln außer Gefecht gesetzt.

    In seinem Gesichtsfeld erschien eine Gestalt. Foster musste gegen die Deckenlampe blinzeln, sodass sein Sehvermögen stark eingeschränkt war. Doch was er sah, jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Es war ein Mann. Er trug einen schwarzen Anzug und eine schwarze Krawatte. Sein Alter ließ sich nicht bestimmen, er hätte genauso gut zwanzig wie fünfzig sein können. Auf seinen Wangen erkannte Foster tiefe Narben, die sich wie Furchen vom Jochbein bis zum Unterkiefer zogen, seltsam regelmäßig, als wären ihm vor Zeiten absichtlich schwere Verletzungen zugefügt worden. Sein Haar war extrem kurz und erinnerte Foster an militärischen Bürstenhaarschnitt, wie ihn Marines für gewöhnlich trugen. Das alles nahm Foster in sich auf und es war genug, um ihn einzuschüchtern und ihn sich bewusst werden zu lassen über die Aussichtslosigkeit seiner Lage. Das Unheimlichste aber kam erst noch.

    Als der Mann zu sprechen begann, hörte Foster eine krächzende Fistelstimme, die an einen Eunuchen erinnerte. Aber es war weniger diese Stimme als vielmehr die Worte, leise, aber akzentuiert hervorgestoßen, die ihm eine Gänsehaut über den Körper trieben.

    „Wo ist es?"

    Foster wusste genau, worum es ging. Ein Gegenstand tauchte vor seinem geistigen Auge auf, ein Objekt, das er vor wenigen Stunden erst betrachtet und von dessen Sicherheit er sich überzeugt hatte, im Keller, in einem temperierten Tresorraum. Um nichts anderes konnte es dem Eindringling gehen. Nein! Dieser Gegenstand durfte ihm nicht in die Hände fallen, niemals, unter keinen Umständen!

    Foster versuchte auszuweichen, das Unvermeidliche hinauszuzögern, doch er wusste instinktiv, dass seine Bemühungen nicht fruchten würden. Der Fremde sah nicht so aus, als würde er ohne Erfolg davongehen. Trotzdem, trotz der Gewissheit, dass ein furchtbares Schicksal auf ihn wartete, musste Foster den Versuch unternehmen. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen."

    Er schauderte. Seine Stimme! War das wirklich seine Stimme gewesen, die da gerade gesprochen hatte? Kaum mehr als ein gehauchtes Flüstern, als besäße er keine Stimmbänder mehr. Also auch die Sprechmuskeln. Aber warum konnte er atmen, wenn alle seine Muskeln gelähmt waren? Die lebensnotwendigen Körperfunktionen funktionierten noch. Dafür musste es einen Grund geben. Doch darüber wollte Foster lieber nicht weiter nachdenken.

    „Sie lügen! Der Eunuch zischte und sein Gesicht verzog sich zu einer hässlichen teuflischen Fratze. „Es gibt nur einen Ort auf der Welt, wo es aufbewahrt wird. Mein Herr weiß es, ich weiß es und Sie wissen es auch. Also, wo ist es?

    Er beugte sich drohend herab, sodass Foster das gefährliche Blitzen in seinen Augen sehen konnte. Nur am Rande registrierte er, dass der Fremde von seinem Herrn gesprochen hatte. Er handelte also nicht aus freien Stücken, sondern für einen Auftraggeber. Doch diese Erkenntnis war Foster beim Anblick des Gegenstandes in der Hand des anderen eher gleichgültig. Es spielte keine Rolle mehr. Er wusste, er würde sterben, so oder so.

    Sein Blick fokussierte sich auf das Ding, das der andere in der Hand hielt und das er langsam in die Höhe hob und auf Foster zubewegte. Foster wusste, wie es funktionierte und er wusste, dass die Anwendung sehr, sehr schmerzhaft werden würde, qualvoll. Und tödlich. Dennoch, er durfte sein Geheimnis nicht preisgeben. Das Objekt konnte die Welt retten, aber in den falschen Händen würde es nicht retten, sondern zerstören.

    Eine plötzliche Ruhe erfasste ihn. Der Tod war unausweichlich, das stand für ihn fest. Innerlich bereitete er sich auf die Schmerzen vor, die seinen Körper gleich martern würden. Er konzentrierte seine Gedanken auf eine Antwort, sammelte seine Kräfte und stieß mit krächzender Stimme hervor: „Ich wiederhole mich ungern, aber ich weiß nicht, wovon Sie sprechen."

    „Gleich wirst du reden. Du wirst um Gnade winseln und mich anflehen, dich zu töten. Also, zum letzten Mal: Wo ist es? Die Augen des Fremden bekamen einen fanatischen Glanz, ein Flackern des Wahnsinns flammte in ihnen auf. Aus seinem Mundwinkel troff ein dünner Speichelfaden, als er weitersprach. „Ich werde es so oder so finden. Dein Leiden wird sinnlos sein, aber wenn du darauf bestehst …

    Der Eindringling zog Foster die Unterhose aus, das einzige Kleidungsstück, das er zum Schlafen anbehalten hatte. Und dann berührte das Instrument Fosters nackten Körper …

    Als es vorüber war, hatte er keinen Körper mehr und der Tod war nur noch Sekunden entfernt. Seine Muskeln waren wieder bewegungsfähig, doch in trauriger Bitterkeit stellte er fest, dass ihm das nichts mehr nützen würde. Er bestand nur noch aus Schmerz, und der Tod würde eine willkommene Erlösung sein. Mühsam hob er den Kopf, um zu erkennen, was der Fremde angerichtet hatte. Dort, wo einmal sein Körper gewesen war, war nur mehr eine fleischige, rote Masse aus undefinierbarem Gewebe. Das Blut, das das gesamte Zimmer überzog, war sein eigenes, und die blutigen Schläuche, die neben dieser amorphen Masse sich über den Boden schlängelten wie tote Schlangen, waren seine Gedärme. Seine Augen erblickten den Wahnsinn, seine Nerven spürten den allumfassenden tödlichen Schmerz und sein Verstand sagte ihm, dass er die wenigen Augenblicke bis zum Eintreten des Todes in Ruhe und geistiger Sammlung verbringen sollte. Aber – es war noch etwas zu erledigen.

    Während er sich unter irrsinnigen Schmerzen auf die Seite rollte, entdeckte er, dass der Eindringling verschwunden war. In einem letzten Aufflackern seines erlöschenden Geistes erkannte Foster, dass der Fremde das Objekt früher oder später in seinen Besitz bringen würde. Wenn er den Raub auch nicht mehr verhindern konnte, so musste er zumindest dafür sorgen, dass die Nachwelt Bescheid wusste.

    Eine breite Blutspur hinter sich herziehend, wand er sich über den kalten Boden und erreichte nach einer Ewigkeit seinen Schreibtisch. Seine blutigen Finger krochen das Tischbein hinauf, erreichten die Kante, tasteten blind umher und fanden schließlich, was sie suchten. Kurze Zeit später lagen blutverschmierte Papierblätter und ein Stift vor ihm auf dem Boden.

    Foster konzentrierte sich, versuchte, den Schmerz, den alles betäubenden Wahnsinn auszublenden, während er überlegte, was er schreiben sollte. Seine Kraft reichte nur noch für eine kurze Mitteilung. Als er sie geschrieben hatte, legte er sich erschöpft zurück und schloss die Augen, zum letzten Mal in seinem Leben. Seine Hand näherte sich seinem Mund.

    Seinen richtigen Namen kannte er nicht. Sein Herr nannte ihn Ishmael. Er mochte diesen Namen, seinen schönen, geheimnisvollen Klang, die Fremdartigkeit, das Religiöse. Genauso wenig, wie er seinen Namen kannte, wusste er, wie alt er war und wo er herkam. Sein Herr hatte ihn als Säugling zu sich genommen und ihn an Sohnes Statt aufgezogen, und auch wenn er wie ein Vater zu ihm gewesen war, wagte Ishmael nicht, ihn so anzusprechen, für ihn war er nur sein Herr, der Meister. Und der Meister hatte ihm einen Auftrag erteilt.

    Stolz hielt Ishmael den Gegenstand in den Händen, während er durch die nächtliche Stadt lief. Wie befohlen, hatte er ihn wasser- und blickdicht eingepackt. Er wusste, wie wertvoll er für den Meister war. Ishmael selbst hätte nichts damit anzufangen gewusst, aber da er für den Meister von so großer Bedeutung war, war er Ishmael heilig und er würde ihn mit seinem Leben verteidigen.

    Ebenso wie der Professor. Nur kurz dachte Ishmael an ihn zurück, und es waren positive, anerkennende Gedanken. Trotz der wahnsinnigen Schmerzen war der Dekan bis zum Schluss standhaft geblieben. Eine ganze Stunde lang. So lange schafften es die wenigsten. Ishmael hätte die Qualen - wenn er gedurft hätte – auf Wochen ausdehnen können. Aber so viel Zeit hatte er diesmal nicht. Sein Meister wollte den Gegenstand noch in dieser Nacht. Die Zeit spielte eine große Rolle für ihn. Irgendwie hing es mit der Stellung der Sterne zusammen, aber davon verstand Ishmael nichts. Er verließ sich nur auf seinen Herrn, denn der Meister war klug, viel klüger als alle anderen.

    Es war ein erhebendes Gefühl gewesen, als er mit seinen blutverschmierten Gummihandschuhen die dicke Tresortür geöffnet und das Ziel seiner Reise mit eigenen Augen erblickt hatte. Sorgfältig hatte er den Gegenstand verstaut und das Universitätsgelände verlassen, ohne einen weiteren Blick auf den Dekan zu verschwenden. Es war auch nicht nötig, Ishmael wusste mit tödlicher Sicherheit, dass er sterben würde. Und er selbst hatte keine Zeit.

    Leichtfüßig glitt er durch die Straßen der dunklen Stadt, sicher, dass niemand ihn sah. Selbst wenn es Zeugen geben sollte … sein Meister hatte ihm gesagt, wie er seine Spuren zu verwischen hatte. Als er an das Ufer des träge dahinfließenden Miskatonic gelangte, legte er die wasserdichte Tasche mit dem eroberten Gegenstand sorgfältig auf den Boden, zog sich aus und warf die mit Blut besudelten Kleider – wie vom Meister aufgetragen – in den Fluss. Eine Weile sah er zu, wie der Anzug und die Wäsche im silbernen Licht des Mondes auf dem Wasser trieben und sich zusehends entfernten, dann griff er nach seiner Tasche und glitt mit geschmeidigen Bewegungen in den Fluss.

    Das Wasser war kalt, doch das Adrenalin in seinem Körper ließ die Kälte von ihm abperlen wie Wasser von einem Lotusblatt. Der Fluss besaß nur eine schwache Strömung, sodass er ohne wesentliche Abdrift nach kurzer Zeit das andere Ufer erreichte. Er musste nicht lange suchen, bis er den abgestellten Wagen fand, ein zehn Jahre altes europäisches Modell, klein, unscheinbar, unauffällig. Es war alles vorbereitet.

    Im Fahrzeug fand er Handtücher und trockene Kleidung. Zwei Minuten später war er trocken und angezogen. Mit ruhiger Hand startete er den Motor und fuhr los.

    Zu dieser nächtlichen Stunde herrschte wenig Verkehr und im Nu hatte er Arkham hinter sich gelassen. Wie sein Auftrag es ihm befahl, fuhr er eine Stunde, in der er sechzig Meilen zurücklegte. Den Namen der Stadt, die er erreichte, wusste er nicht, er hatte das Ortsschild übersehen. Auch der Name des Motels, das er ansteuerte, spielte keine Rolle und wurde in seinem Gedächtnis nicht gespeichert. Wie befohlen, mietete er ein Zimmer, das er betrat, ohne sich großartig umzusehen. Die Tasche mit dem wertvollen Inhalt legte er sorgfältig auf das breite Bett, das Platz für zwei Personen bot, das aber in dieser Nacht einem anderen Zweck dienen würde. Dann holte er das Telefon hervor, das im Handschuhfach des Wagens gelegen hatte, und wählte die nur ihm bekannte Nummer. Am anderen Ende wurde sofort abgenommen und Ishmael vernahm die angenehme warme Stimme seines Herrn, die voller Güte und Liebe zu ihm sprach.

    „Ishmael, mein Sohn, hast du es bekommen?"

    Ishmael spürte die Aufgeregtheit in der Stimme seines Meisters. So viel hing ab von seiner Beute. „Ja, Meister. Es liegt hier auf meinem Bett."

    Der Meister atmete auf, Ishmael konnte es durch das Telefon hören.

    „Gott sei Dank. Gut, wir haben nicht mehr viel Zeit. Der große Tag rückt näher und es müssen Vorbereitungen getroffen werden. Du wirst jetzt schlafen, Ishmael, und wenn es hell geworden ist, machst du dich auf den Weg. Du weißt, was zu tun ist."

    „Ja, Meister, ich werde tun, was du mir befohlen hast."

    Ishmael wollte das Gespräch beenden, da sprach sein Herr noch einmal zu ihm … und Ishmael wusste, dass er im Paradies war.

    „Ishmael, ich bin sehr stolz auf dich."

    Mit Tränen in den Augen bereitete sich Ishmael auf die Nachtruhe vor. Es waren Tränen des Glücks. Endlich konnte er anfangen, seine Schuld zu begleichen und seinem Meister nützlich zu sein. Der Tag war nicht mehr fern, da die Welt sich verändern würde. Und er, Ishmael, würde dazu beigetragen haben.

    2

    Stöhnend und mit aufgekrempelten Ärmeln entstieg Alan Stewart dem alten Pontiac. Der heiße Wind spielte mit seiner Krawatte und riss sie ihm auf den Rücken, als wollte er ihn erwürgen. Dabei hatte der Wind, der Stewart an Wüstenwinde erinnerte, die die Haut und den Körper austrockneten und somit zu einer echten Lebensgefahr werden konnten, es gar nicht nötig, derart aufzutrumpfen. Das Thermometer zeigte dreißig Grad und die verdammte Klimaanlage funktionierte nicht. Sein eigenes Auto würde ihn also töten, wenn er nur lange genug darin blieb. Die kurze Fahrt von zu Hause bis hierher hatte ausgereicht, sein Hemd unter den Achseln und auf dem Rücken zu durchnässen und ihm den Schweiß auf die Stirn zu treiben. Derart mit sich selbst beschäftigt, bemerkte Stewart den Tumult erst, als er seine Jacke und die abgewetzte Aktentasche vom Rücksitz nahm.

    Der Parkplatz stand voller Autos, was aber eigentlich die Regel war. Dozenten, Studenten, Verwaltungsangestellte – alle nutzten den kleinen Parkplatz, der im Laufe der Jahre viel zu klein geworden war, obwohl die Miskatonic-Universität zu den kleinsten des Landes gehörte und wahrhaftig nicht wegen Überfüllung geschlossen werden musste. An diesem Morgen jedoch war der Parkplatz nicht nur voll, er platzte geradezu aus allen Nähten. Und das lag nicht etwa an den Autos, wie Stewart langsam erkannte, sondern schlichtweg an den Fahrern, die seltsamerweise den Platz nicht verließen und stattdessen wie aufgescheuchte Hühner zwischen den Fahrzeugen hin und her wuselten.

    „He, Alan!"

    Stewart hob den Kopf und blinzelte gegen die Sonne. Aus Richtung Osten näherte sich eine Gestalt, die sich durch die wabernde Menge wühlte und wenige Zentimeter vor Stewart stehen blieb.

    „Morgen, Freddy. Stewart wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und betrachtete sein Gegenüber mit amüsiertem Gesichtsausdruck. „Was ist denn hier los? Warum sind alle Leute hier auf dem Parkplatz versammelt? Ist das ein Streik oder so?

    Freddy Miller, Dozent für englische Literatur und einer von Stewarts liebsten Kollegen, verzog das Gesicht und starrte Stewart ungläubig an. „Hast du es denn noch nicht gehört?"

    Stewart grinste säuerlich. Ist wieder etwas an mir vorbeigegangen? Er wusste, dass er in den Augen der anderen der typische zerstreute Professor war, wie man ihn aus Dutzenden guter oder schlechter Hollywoodfilme kannte, bis zur Haarspitze angefüllt mit Fakten und Informationen aus seinem Fachgebiet Geschichte, aber im Alltagsleben nur bedingt tauglich. Wenn Gerüchte und Klatsch umgingen, war er immer der Letzte, der etwas erfuhr. Allerdings störte ihn das nicht, da er auf solche Dinge ohnehin keinen Wert legte.

    „Also gut, Freddy, spann mich nicht auf die Folter. Offenkundig weiß wieder jeder außer mir Bescheid."

    Millers Gesichtsausdruck wurde ungewöhnlich ernst und Stewart spürte, dass etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein musste. Als Miller antwortete, war seine Stimme leise und brüchig, und sein Arm wies auf das Universitätsgebäude. „Foster ist tot. Und wie es scheint, wurde er ermordet."

    Der Einschlag einer Bombe hätte nicht gewaltiger sein können. Stewart fühlte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Als er Millers ausgestrecktem Arm mit den Augen folgte, sah er endlich die Armada von Einsatzwagen auf dem Campus. Polizisten liefen umher und sperrten das Gebäude mit Flatterband ab, während das Blau- und Rotlicht der Fahrzeuge verzweifelt versuchte, gegen die hellen, heißen Sonnenstrahlen, die wie eine Lichtexplosion blendeten, anzukämpfen.

    Unwillkürlich setzte Stewart sich auf das Hauptgebäude zu in Bewegung. Miller ergriff seinen Arm und hielt ihn zurück. „Bleib hier. Wir dürfen da nicht hin. Wir sollen uns hier für Vernehmungen bereithalten."

    Stewart schüttelte ihn mehr unbewusst als bewusst ab und ging weiter. Nur ein Gedanke beherrschte ihn und trieb ihn an. Carl! Nein, es darf nicht sein!

    Im nächsten Moment wurde auch die Polizei auf ihn aufmerksam. Ein Officer näherte sich und sprach ihn an. „Sir, Entschuldigung, Sie dürfen hier nicht hin. Bitte begeben Sie sich wieder auf den Parkplatz."

    Stewart ignorierte ihn und ging weiter, seine Schritte wurden schneller. Den Polizisten, der ihm nachlief, nahm er gar nicht wahr.

    „Sir, ich muss Sie bitten, wieder zurückzugehen."

    Als er das Eingangsportal erreichte, befand er sich bereits in einem schnellen Laufschritt. Einige der übrigen Polizisten drehten sich zu ihm um, wandten sich jedoch wieder ihrer eigenen Arbeit zu, als sie sahen, dass sich schon jemand von ihnen um den aufdringlichen Eindringling kümmerte.

    „Lassen Sie mich durch. Er war mein Freund." Stewart bahnte sich seinen Weg durch die Menge der Beamten und stand schließlich in der Eingangshalle des Hauptgebäudes, wo er stehen blieb und sich zu orientieren versuchte.

    Aus dem Haufen der Uniformierten löste sich eine Gestalt in Zivil und kam auf Stewart und den ihn verfolgenden Polizisten zu. „Was ist hier los, Officer?"

    Der Polizist keuchte und antwortete stoßweise. „Tut mir leid, Sir, ich konnte ihn nicht aufhalten. Er behauptet, ein Freund des Opfers zu sein."

    Stewart wusste später nicht mehr, wie er dazu kam, die folgenden Worte zu sagen, doch aus seinem Mitgefühl für Foster heraus, aus einem Gefühl tiefster Trauer und Pietät dem Verstorbenen gegenüber, wandte er sich mit zornigem Gesichtsausdruck, seine Stimme gerade noch unter Kontrolle haltend, dem Polizisten zu. „Carl Foster. Er hatte einen Namen, Officer."

    Der Uniformierte zuckte sichtlich zusammen und starrte den Zivilbeamten Hilfe suchend an.

    „In Ordnung, Officer, ich kümmere mich um ihn. Gehen Sie wieder nach draußen."

    Stewart und der Zivilbeamte sahen dem Officer zu, wie er sich entfernte, dann wandte sich der Zivile Stewart zu. „Mein Name ist Jackson. Ich bin von der Mordkommission. Und Sie sind …?"

    Stewart sah auf und nahm sein Gegenüber erst jetzt richtig wahr. Groß, schlank, autoritärer Gesichtsausdruck, doch am meisten von allem beeindruckte ihn die Kompetenz, die der Beamte ausstrahlte. Er räusperte sich beschämt. „Stewart. Alan Stewart. Entschuldigen Sie, Detective."

    „Lieutenant."

    „Wie bitte?"

    „Lieutenant, nicht Detective. Aber Mr. Jackson reicht."

    Stewart schloss für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln. Als er spürte, dass er ruhiger wurde, sah er Jackson offen ins Gesicht. „Mr. Jackson, ich muss mich entschuldigen, dass ich hier einfach so eindringe, aber Carl war mein Freund. Und mein Kollege da draußen behauptet, er sei ermordet worden."

    Jackson nickte mitfühlend. „Ich fürchte, Ihr Kollege hat Recht. Wie lange kannten Sie den Verstorbenen?"

    „Carl und ich waren Freunde seit unserer Studienzeit. Als er Dekan wurde, holte er mich hierher. Ich habe ihm viel zu verdanken."

    „Der Coroner hat seinen Todeszeitpunkt auf null bis zwei Uhr heute Nacht festgelegt. Haben Sie eine Ahnung, was Mr. Foster so spät noch in der Universität machte?"

    „Das ist nicht ungewöhnlich für ihn. Er arbeitet … arbeitete oft bis in die Nacht. Nicht selten hat er auch hier geschlafen. Er hat ein Bett in seinem Büro."

    „Wo waren Sie heute Nacht

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