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Ecossayse: Ein Roman aus den 90ern
Ecossayse: Ein Roman aus den 90ern
Ecossayse: Ein Roman aus den 90ern
eBook658 Seiten9 Stunden

Ecossayse: Ein Roman aus den 90ern

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Über dieses E-Book

Ein Versuch. Eine Reise. Ein Traum. Ein Buch über Liebe (nicht nur platonische) und Politik, Musik und Literatur, Zeitung und Wahrheit. Große Themen, in großartigen Landschaften verhandelt. Nebenbei fast ein kleiner Schottland-Reiseführer.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. Sept. 2019
ISBN9783748297598
Ecossayse: Ein Roman aus den 90ern

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    Buchvorschau

    Ecossayse - Peter Hesselbein

    Tuesday

    Introduzione. Allegretto giocoso

    Mitten im Hochmoor, graugrün und blau. (Weißtu was so schweig.) Das Schaf schleppt einen Teil seiner Wolle am Boden hinter sich her, ein rötliches Gefleck nennt den Eigentümer. Graue Felsen spitzen in den Himmel, Wolken wandern undicht umher. Unter den Füßen gluckst es und schwankt, oft nur Gras kein Boden, Schafkot Möwendreck Kleinorchideen Ginster Nebel Regen Nebelregen.

    My heart’s in the Highlands…

    Sie (SIE!) hat haltgemacht, die dreieckige Flasche aus dem Gelbdichtmantel gezogen, scheitert am Drehverschluss, Stand Fast, der Hirsch aus der fünften Generation, Banffshire, grün umglast (graugrün und blau) (der insel-eigene Malt (könnte man auch »der endemische« sagen?) war ihnen zu teuer gewesen im Supermarkt gestern). Jetzt helfen (schön!): »Weißt du eigentlich, dass Robert Burns überhaupt nie richtig in die highlands gekommen ist?« Und stark sein, Flasche öffnen, hinüberreichen: »Cheerio!«

    »Ach?« Wenig interessiert, oder dann doch: »War ihm wohl zu nass hier? Kannich verstehn.« Und Schluck, tief atmen, brennenlassen, schmeckenfühlen. »Also ohne das Zeug hier…« Der Satz reißt ab, Haare nässen, Blicke harsch-vorwurfsvoll. Wieder das Spiel: »Umdrehn?« »Nein.« »Aber wenn deine Füße- « »Hab doch gesagt Nein.« Noch ein Schluck, zudrehn, weiterstapfen. Ich wart & zähl: nach zwanzig Schritten wird der Gelbklecks unsichtbar, klingt es aus Nebeln: »Nu komm!«

    Whereever I wander, whereever I rove,

    The hills of the Highlands for ever I love.

    Blau ist ganz verschwunden, Herr Berg haben sich einen Dunst umgehängt. Ein triefendes Schaf hat uns zu spät kommen gesehn und flieht panisch (wie sonst?) ---- wenn’s nicht so geschmacklos wäre: jetzt ein Walkman und Mendelssohns op. 56 (oder 26?).

    Da taucht wieder’s Gelb aus dem Dampf, scheut vor Stacheldraht. Weit und breit (was ist das schon bei der Sicht) kein Zauntritt. »Links oder rechts?« »Also nach dem endgültigen Untergang des Sozialismus…« »Och du!« »Kiäää« macht die Möwe, äugt, Kopf schief, dreht zwei Runden und schwebt von dannen, oder hinnen.

    »Der Bach müsste rechts von uns sein, also ----« »Du stimmt das mit Burns?« »Im späten 18. Jahrhundert bedeutete es schon eine rechte Expedition (und schon gar kein touristisches oder kulturelles Vergnügen), von Ayrshire in das in so mancher Beziehung sperrige Hochland oder gar auf die Western Isles zu gelangen. Als Burns 16 war (wurd ja überhaupt nur 37), reiste Herr Samuel Johnson durch Schottland, ziemlich kurz nach den claerances, und schrieb: ›Gleich den Griechen in ihrem unzivilisierten Zustande, wie ihn Thukydides beschreibt, sind die Hochländer bis vor weniger Zeit allemal bewaffnet gegangen‹, oder hier: ›Von den Lebensmitteln war das negative Verzeichnis ungemein zahlreich. Da war kein Fleisch, keine Milch, kein Brot, keine Eier, kein Wein zu haben. Whisky konnten wir bekommen.‹… Gib doch noch mal rüber!!!«

    »Du, sag jetzt, was mit Burns war, sonst gibts keinen Tropfen.« »Ich gesteh’s: hab gelogen oder weiß nicht. Her den Glen!« Und nur gerade bisschen mehr zum Schmecken als zum Riechen; süßbittertorfigstarksanft. Sie schaut wie erwartungsvoll ---- soll ich?

    My heart’s in the Higlands a-chasing the deer;

    Chasing the wild deer, and following the roe, ---

    Ein bisschen näher, noch bisschen ---- da abrupt sie nach links: »Wir haben gesagt, wir wollen nicht. Und außerdem…« Wieder so ein rest-loser Satz. Also Buch zu, weitertappen. Natürlich gleich ins nächste Moorlöchel, und aus warmem Schuhwasser wird wieder eisiges.

    Stacheldraht immer rechterhand, zwischen Pfahl und Pflock, bespannt mit Spinnwoll und Schafweb. Vor mir magere Blaubeine, stochernd von Grasbusch zu Grasbusch, bergab graugrün, grüngrau, von ihrem Coat ticken Wasserperlen in kurzen Intervallen hinab. Unser Abstand mindert, dann steht sie wieder: »Du, der Bach ist ja doch hier! Und jetzt?«

    Margot! Könnten wir uns nicht von hier entfernen, denn es wird hohe Zeit, dass ich dich entkleide, dein Fleisch brennt! Margot! Könnten wir doch!

    Und dräng mich an sie, such den nebelnassen Mund ---

    Er sagte ihr, dass er sie immer, immer sie geliebt habe. Margot antwortete für sich und ihr Herz, und es war dasselbe. Sie glaubte ihm auch, und er ihr, obwohl beide es anders wussten. Darum fühlten sie doch: jetzt ist es wahr geworden. Dieser ist mein einziger Geliebter. Ich habe keine gekannt außer dieser, mit ihr beginnt mein Leben! Er ist mein Frühling, ich wäre alt geworden ohne ihn! »Deine Gestalt ist genau von den Maßen, die den Vorschriften der Antike entsprechen. Du verdienst, bei meiner Ehre, dafür belohnt zu werden.« »Ich bin voll Freude bereit, die Belohnung mit dir zu teilen: sooft du es willst und aushältst.« »Der Beweis duldet keinen Aufschub«

    -----sie kneift und störrt, drückt dünne Finger in meine

    Schultern: »Nein!« Da lass ich sie. »Ich kann immer besser philosophieren als leben. Dass wir hier beide an einem Punkt sind, wo wir nicht weiterkommen, ist doch mehr als symbolisch, Liebste.« »Jetzt hör auf, oder ich bereue öffentlich, dass ich überhaupt mitgekommen bin.« »Und ich versuche dir seit Tagen zu erklären, dass ich keine Rücksicht mehr nehmen mag.« »Auf mich?« »Nein, verflucht, auf deinen baskischen Unbekannten. Du weißt genau, dass du viel besser zu mir passt.« »Ich lebe aber nunmal mein Leben, wie ich es für richtig halte.« (So was sagt jemand tatsächlich??) Schweigen. Tropfeln. »Jetzt komm.« »Und wohin bitte? Ich habe dir gleich gesagt, dass es sich hier leicht verläuft.« »Komm, hat doch herzlich wenig Sinn, wenn wir uns hier streiten.« (Mürrisch:) »Ja.« Pause. »Wir müssen wohl durch das Rinnsal. Im Prinzip gehts bergab, also durch. Ich werde artig Männerrolle spielen und dich drüberheben, ja?«

    Schuhe aus oder nicht: eigentlich egal, aber besser aus. Nasssenkel, -socken, -füße, & hinein ins brauneisige. Sie gegriffen: flüchtige Umarmung, Schwung, abgesetzt. Schuhe wieder drauf, diesmal gleich ohne Strumpf, und weiter bergab über den riesengroßen graugrünen Moorschwamm, keine Felsen jetzt mehr im Sichtfeld. Nebelrisse. Nochmal Brille putzen, auch nur noch nasse Tempos. (Die Brille ist ohnehin nicht mehr so ganz stimmig. Manches seh ich nicht ganz deutlich.) »Ach…«, sie erkennt offenbar mehr: »Wegen solcher Aussichten hab ich her gewollt!«

    Brille wieder auf. Vor uns noch ein Stück Grün mit Schafen und Ginster besteckt, dahinter steilts tief hinab in blauweiße Gischt, von wo mans (Gabriele?) nur ganz leise rauschenhört. Weiße Vögel bewohnen Felslöcher: blau, grau, grün und weiß und gelb. »Eine Landschaft für ganz dumme Gedanken, nicht?« Hab meine Autorität wohl zurück, sie lächelt. »Soll ich uns was Erbauliches vorlesen?« Immer noch -

    »Von Fontane wüsst ich an Gereimtem nix Passendes (nur feine Prosa, noch heute fast als Reiseführer zu nutzen). Aber seine englisch-schottischen Gedichte: immer Blut, Hass, Liebe, Klischees, keine Landschaften. Dabei war er mehrmals hier. Von Burns hatten wir heute schon genug. Goethe mied Britannien. (Die meisten Wortmenschen zogs nach Italien und Frankreich.) Passt auch alles nicht. Lieber sowas: In June, when broom in bloom was seen, and bracken waved fu’fresh and green, and warm the sun, wi’silver sheen, the hills and glens did gladden. Am besten natürlich gefiffen: Dadum dadim didadado, dadum dadim dida, dadu… und: Hurrah the tinkler’s waddin’!

    Gibt so einen tumben Satz ›Eine Frau kann man nicht verstehen‹ « -- » ›…man kann sie nur lieben, aber dann braucht man sie auch nicht mehr zu verstehen‹, meinst du das? Ja, tumb ist noch vorsichtig ausgedrückt.« »Aber tausche Frau gegen Britannien aus ----und es stimmt!« Sie schnieft: »Wer möchte schon eine Frau gegen Britannien austauschen?« Stiefelt ein Stück näher an den meersichtigen Abgrund, stehschaut-----

    Was hätte ich da schon? Britannien gehört mir schließlich auch nicht ----obwohl vielleicht hab ich deshalb immer Prince Charles mit irgend Sympathie betrachtet (der tat diesen Tausch sicher gern!); soll ich’s ihr kommentieren? Nein! Lieber so: »Anwasdenkstu?« fast lautlos von hinten in den Nacken. (»Dadum dadim dida-dado…«)

    Sie, ganz vorsichtig: »Weißtu, ich find ----Menschen oder Straßen oder Stromleitungen oder sonst Zivilisationskram würd doch hier wirklich stören, klar. Warum stören wir nicht?« (Eben keiner da dazu!) Draußen auf dem Meer huscht Stückchen Sonnenschein vorbei und gleich regenbiegelts auch noch: jaja, legt euch nur kräftig ins Zeug! Schnell die alte Geschichte ausgekramt: »Als ich das 1., nee warte mal, das 2. mal auf Skye gefahren bin, im Herbst, fast nur geregnet 2 Wochen in Scotland, da hats gleich bei der Ankunft in einer Stunde wohl zwanzigmal die Beleuchtung gewechselt, mit Sonne und Regen und Regenbogen und allem, ganzganz unwahrscheinlich. Hat mich sehr an Shakespeares Sturm erinnert, Ariel allerorten.« (Bitte: aber niemand dabei an Klementine denken!!??) (Jetzt wäre ein Schluck Pfeife nicht schlecht, ob wohl noch irgendwas trocken…?)

    »Ja, und?« »Natur und Mensch, das ist im Sturm 1 der Themen, vielleicht liest sichs auch erst heute so, weißnicht. Daneben das Eindringen der Weißen in die Eingeborenenwelten zur Kolonialzeit, und natürlich viel Allgemein-Menscheliges. Aber Naturbeherrschung, Macheteuchunterthan, das wird nachhaltig problematisiert. Muss man sich mal vorstellen, 1611 oder so! Zur Hoch-Zeit der Weltaufteilerei, wo Britain ja aufs kräftigste mitmischte! Der große weise Mann, der da jahrelang sämtliche Zauberkräfte über seine Miniwelt dieser ›unentdeckten‹ Insel ausgeübt hat, verzichtet drauf. Zerbricht seinen Zauberstab, versenkt sein Zauberbuch ›tiefer als jedes Senkblei‹, lässt die Insel, unbeherrscht, unbeherrenmenscht zurück. Sein Verzicht ist wichtiger als der ›Gewinst‹, denn der heißt nur, wieder in menschliche Gesellschaft zu kommen, und zwar nicht in die allerbeste.«

    Hm, was denkt sie jetzt? »War Shakespeare denn hier in Schottland?« Da hat sie mich wieder. Kurz umschauen, halbwegs trockenes Sitzplätzchen finden, mit dem Pfeifenkram hantieren: »Natürlich umstritten« murmeln, zündeln, husten, zündeln, ziehen -- »Oder vielmehr ---- wie soll man es genau wissen, wenn es sogar immer noch ernstzunehmende Leute gibt, die behaupten, Shakespeare wäre gar keine einzelne Person gewesen, sondern nur ein Kunstname für eine Dramensammlung? Oder seine wahre Identität eben doch Sir Francis oder einer dieser de Veres?« (Auch die Große Elisabeth hatten einige verdächtigt.) Ziehen, stopfen, ziehen. Wer alles wissen will, wird schnell alt. Wenigstens regnets grade mal nich. Dieser de Vere war ja nun kein ungerader Kerl, Führer eines wilden Lebens und dergleichen, jaja. Genügend stichhaltige Indizien, dass nicht dieser Getreidehändler aus Stratford… Wie’s die Encyclopaedia Br.: ›Oxford, Edward de Vere, 17th Earl of (b. April 12, 1550, Castle Hedingham, Essex, Eng. - d. June 24, 1604, Newington, Middlesex), English lyric poet and patron of an acting company, Oxford’s Men, who became, in the 20th century, the strongest candidate proposed (next to William Shakespeare himself) for the authorship of Shakespeare’s plays…‹ Wer Sh. hört und nicht die Nähe zur griechisch-klassischen Diktion spürt, versteht nichts von Musik. Das klingt, das atmet Rhythmus ----(und wie authentisch er das Getue & Gekrieche, das Intrigieren, Antichambrieren & Changieren bei Hofe rüberbringt, im dritten Richard z.B., das zu imaginieren dürfte der Händler und Metzgerssohn (oder hatte der Alte mit Getreide geschachert? Auch divergierende Angaben…) aus Stratford Mühe gehabt haben. Das passt wie Ohrringe zum Schwein. (Ok, ok, Gainsboroughs Vater war Wollweber, aber malen kann man was man sieht, schreiben nur was man weiß!)) Irgendwo nebenan wohnt eine Sippe Hummeln: wuseln von Blüh zu Blüte. (Der US-Flugzeughersteller Lockheed soll tatsächlich in seinen Büros Schilder aufgehängt haben: »Die Körpergröße einer Hummel ist zu groß für ihre Flügelfläche, deshalb kann sie nicht fliegen. Sie weiß das aber nicht, infolgedessen fliegt sie doch.« Pointe: Lockheed ist der Laden, der den Starfighter baute…)

    Sie: »Weißt du, ich mein ja eigentlich nur - es sollte einfach große Landschaften geben, z.B. gerade diese, in die keiner reindarf. Damit sie über Jahrhunderte oder Jahrtausende noch so bleiben und nicht doch irgendwer auf dumme Ideen kommt. Der Mensch ist ja zu allem fähig: hinterher steht plötzlich ein 6stöckiges Hotel da.«

    »Du wirst die Erde schlecht ganz ohne Menschen denken können, selbst hier leben die Schafe ja nicht wild ----«

    »Guck doch bloß«, unterbricht sie: »ein Anarchoschaf!« Kommt tatsächlich so was dahergetrottet mit schwarzem A im Kreis auf dem Fell. »Vielleicht züchtet hier irgendwo ein Aussteiger.« (Und kann kein Irrtum sein: noch eins stakt vom Berg herab, aber auch sooooo majestätisch.) (Hat neulich ein Interview mit einem catalanischen Schriftsteller gegeben im Radio, wo der sagte: »Wir Catalanen sind fast alle Anarchisten, und wohlerzogen. Das gehört zusammen. Schließlich ist doch nicht nötig, die Leute noch zu beleidigen, wenn man hinterher sowieso Bomben werfen will!«)

    »Die Schotten ham ja auch manchmal was Anarchistisches. Dadum dadim didadado… Auch dieses Kesselflickerhochzeitslied, wo alle feiern und sich kurz darauf streiten und verprügeln, am Ende auch noch die Nachbarn, weil die sich ihren geschmuggelten Whisky nicht stehlen lassen wollen, als der Gesellschaft der Stoff ausgeht. Schotten: oft besoffen und fast immer besiegt. Krieg ich nochn Schluck?« ---- »Nein. Außerdem kannste einem die ganze Freude an einer so herrlichen Landschaft nehmen.« (»Sorry«-Sagen? Lieber nicht, kommt auch wieder falsch an. Besser an der Pfeife nuckeln, und:) »Wabern die Nebel nicht wunderbar?«

    »Wagalaweia, jaja. Ich hab’s immer schade gefunden, dass diese großartige Musik auf einen so blödsinnigen Text geschrieben ist.«

    »Warum? Grade der Ring ist das große Welttheater.«

    M. (jung, weiblich, sehr-kritisch-unwillig, sehr informiert, Stimmlage Soubrettensopran): Diesen Nibelungen-Kram habe ich nie gemocht. Zuviel Hojotoho und Hottehü. Mütologisch & antisemitisch bis in die Knochen und musikalisch ein einziges Bramabarsieren.

    F. (männlich, etwas älter, arrogant-belehrend, aber interessant, musikantische Stimme, Bass-Bariton): Hoho, schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort. Ich geb zu, dass die Sprache mich (--›uns heute‹--) nicht mehr begeistert; was mich interessiert, ist neben der (nachdrücklich): schwülstigen und (für ihre Zeit, meine ich) zutiefst unmodernen Musik, die wir aber einstweilen beiseite lassen können, der Aufbau des plot.

    M.: Gut, man könnte drüber streiten, ob musikalisch gesehen der Ring nun das beste von Wagner ist (oder Parsifal, wie ich eher meinen würde).

    F.: (verzieht das Gesicht)

    M.: Aber das Drehbuch ist doch nix anderes als ein Eintopf aus Germanischen Heldensagen & Schopenhauers Weltuntergangsphilosophie. Die Bürger sitzen im Parkett oder aufm Sofa und suhlen sich in Phantasien von Heldentum und Übeltäterblut!

    F. (sanft): Also heben wir uns Urteile lieber für später auf. Möglicherweise weißt du nicht, wie das alles in die Geschichte passt und dass die Zeit auch in Realität nicht so ohne war: dass Wagner zugeschrieben wird, dieselbe Geliebte gehabt zu haben wie sein späterer Schwiegervater Liszt (und Chopin) UND König Ludewig I. von Bayern (nicht der merkwürdige II., der später in Wagners Leben diese große Rolle spielt, sondern Pappi), die im übrigen als eine Maria Dolores Elisa Rosanne Gilbert 1818 hier in Schottland geboren worden ist… Dass Wagner in der 48er Revolution auf den Barrikaden stand, als dieser König abdankt und seine Lola flieht…

    M.: Interessiert das?

    F.: Nicht unbedingt. Aber sind es nicht kuriose Zusammenhänge? Gut, in medias res. Erzähl mir doch erst mal, was du von Struktur und Inhalt noch so im Kopf hast.

    M. (unwillig): Gibt das hier eine Schulstunde oder was? Ich hab mich ehrlich gesagt nicht allzusehr mit dem Text beschäftigt.

    F.: Aber deine Urteile sind sehr präzise. Also los.

    M.: Schönschön. 3 Abende und 1 Vorabend. Das Rheingold (Rg) erzählt die Vorgeschicht, unter uns Göttern sozusagen, in der Walküre (Wa) findet die Zeugung des großen Helden statt, Siegfried (Si), dem der 2. Abend gewidmet ist, und der durch seine Tolpatschigkeiten in Folge, vor allem in der Götterdämmerung (Gd), den Untergang herbeiführt. Gut?

    F. (etwas gönnerhaft): Gut soweit. Charakterisieren wir mal kurz die Hauptfiguren.

    M.: Ich fang mit SIEGFRIED an.

    F.: Nein, den bitte am Schluss.

    M.: Hm? Naja. Also wen dann bitte?

    F.: Wer sind denn die anderen wesentlichen Akteure? Geh sie doch am besten mal durch!

    M.: Jaaa, da hätten wir also WOTAN natürlich. FRICKA, das sind die einzigen von den Göttern, die näher charakterisiert sind. LOGE vielleicht noch…

    F.:…ein Halbgott, aber gut.

    M. (verschmitzt): Könnte man ihn nicht befördern? Ich find ihn eigentlich recht nett. (nach einem Blick auf F., der solche Scherze jetzt gar nicht goutiert, wieder ernst:) Dann die mythologischen Zwitterwesen: BRÜNNHILD, ERDA, ALBERICH. DIE RIESEN. DES RHEINES TÖCHTERLEIN. (Herr Rhein kommt nicht vor.)

    F.: Welches Schicksal er mit einigen andern Vätern teilt, aber dazu vielleicht später.

    M. (ein wenig klingt sie so, als lasse sie sich nicht gern zweimal pro Satz unterbrechen): Ums Zuende zu bringen: MIME u.a. ALBEN.

    F.: Gut, würde ich sagen, genügt von den scheinbar-Nichtmenschen. Und von denen »auf der Erde Rücken«?

    M.: Du bist unpräzis; da siedeln WOTAN und MIME die RIESEN an, aber du willst Menschen, nicht wahr? Also: SIEGFRIED lernen wir hier kennen, SIEGMUND&SIEGLINDE, obwohl die merkwürdig farblos bleiben. Wohl HAGEN noch, die übrigen scheinen mir mehr Nebenrollen zu sein. HUNDING allenfalls.

    F.: Einverstanden. Also los: fang mal mit ALBERICH an, schließlich tritt er als erster auf.

    M.: Eine Art Herrscher der Unterwelt.

    F.: Von Anfang an?

    M.: Nein, erst später. Als er auftritt, ist er so eine Art lüsterner Alter, der sich eine junge Geliebte sucht unter den Nixen. Will ihn aber keine haben. Da gerät er ans Gold. Das gibt’s nur, wenn er auf Liebe verzichtet, was ihm in dieser Situation nicht schwerfällt. Daraus gewinnt er sich Macht.

    F. (pathetisch): Macht?

    M.: Nee, eigentlich auch nicht. Er lässt sich mittels einer geheimnisvollen Kraft des Goldes einen riesigen Schatz zusammenraffen, aber den verliert er schnell wieder. Eine Art Kapitalist, he?

    F.: Interpretationen später.

    M.: Also er verliert den Zaster, aber verflucht den goldenen Ring, auf dass er niemanden glücklich machen solle &c., versucht aber immer wieder, das Ding zu kriegen, zeugt schließlich einen Sohn, HAGEN, der am Ende SIEGFRIED umbringt und fast das Gold gewinnt, das aber dann doch an die RHEINTÖCHTER fällt.

    F.: Was macht uns stutzig?

    M. (Lulu-mäßig): Wie meinen?

    F.: Naja, es sind doch 2 Merkwürdigkeiten darin: 1. er zeugt einen Sohn, obwohl er der Liebe abgeschworen hat, und 2. obwohl am Schluss der Zaster in der Familie ist, geht alles wieder verloren.

    M.: Hattest du nicht Interpretationen ans Ende verbannt?

    F.: Hast recht. Also weiter bitte: DIE RIESEN.

    M.: Sind zwei Brüder. Werden irgendwann als Herrscher des Riesengeschlechts gemeldet, treten aber nur solo auf. WOTAN hat sie angeworben, damit sie ihm seine Burg WALHALL bauen, ihnen als Lohn eine Göttin angeboten, was aber nicht geht (wegen Äpfeln, die jung erhalten ----Apfel, gelle?), und findet sie mit dem Hort ab, den er geklaut hat. Daraufhin geraten beide sofort in Streit, der eine bringt den andern um, schleppt alles davon, versteckt es in einer Höhle. Dort verwandelt er sich in 1 Drachen und wird viele Jahre später von SIEGFRIED erschlagen. (Ironisch): Hab ichs richtig gewusst, Herr Lährer?

    F.: Für den Anfang genügts. Wobei auch hier zu notieren wäre, dass die Verwandlung in den Drachen merkwürdig ist, zumal er mit dem Gold ja gar nichts anstellt. Aber weiter.

    M. (kleinmädchenhaft-schnippisch): Dürfte ich jetzt ----vielleicht ä----Brünnhild? Also: Tochter von

    WOTAN&ERDA, irgendwann zwischen Rg und Wo gezeugt, Führerin dieser merkwürdig amazonenhaften Walküren, Liebling von WOTAN. Sie kriegt von Vati den Auftrag, SIEGMUND zu helfen, was dieser aber später aufgrund einer Intervention von FRICKA, die all diese Früchte aus den Mesalliancen ihres Gatten herzlich verabscheut, widerruft. Trotzdem versucht sie’s, klappt aber nicht, der Alte schnappt sie sich und verdonnert sie zu heiraten. Sie kriegt ihn noch rum, dass es nicht irgendeiner sein soll, sondern »der stärkste Held«. WOTAN willigt ein und veranstaltet einen riesigen Feuerzauber (den liebe ich).

    F.: Hier fällt uns auf (uns!!!), dass B. die einzige ist, die das »Reich« wechselt, nämlich von Gottestochter zur Menschin wird. Die Wälsungen sind zwar auch WOTANSkinder, aber von Anfang an Menschen.

    M.: Ja. Im Feuer auf einem Berge findet SIEGFRIED sie also ----die muss etwa so alt sein wie seine Mutter, nicht? -, verknallt sich in sie und schläft mit ihr. Haut dann aber sofort wieder ab (Männer!) und begibt sich an den Königshof von Burgund in Worms. Jetzt wirds etwas unübersichtlich, weil SIEGFRIED ----darf ich vorgreifen?

    F. (nachlässig):Jajaja.

    M.: ----sich unter dem Einfluss eines von Hagen gepantschten Liebestranks in die Königstochter Gutrune verliebt, und zwecks Doppelhochzeit verspricht, für den künftigen Schwager BRÜNNHILDE als Braut zu akquirieren. Er kehrt also zurück zum BRÜNNHILDENFELSEN, verkleidet sich mittels Tarnhelms (Transhelm…?) in Gunter, überwindet die Dame erneut und führt sie heim. Die ist höchlichst sauer, dass sie den andern heiraten soll, verbündet sich mit HAGEN, SIEGFRIED aus dem Weg zu räumen, was denn auch gelingt. (Die Ausrede lautet, der hehre Held sei von einem Eber gerissen worden - eine uralte Geschichte, schon Adonis, der Venus Geliebter, endete so.) Da ist sie auf einmal furchtbar entsetzt (dauernd diese Sinneswandel), dass sie SIEGFRIED meucheln ließ, will gar nicht mehr, veranstaltet ein großartiges Feuerbegräbnis, und aus ist. Aus irgendwelchen Gründen geht gleichzeitig WALHALL in Flammen auf. Viiiiel leuchtende Lohe.

    F. (- wie oft - lehrerhaft): Das lassen wir erstmal so stehen. Auf jeden Fall ist B. wohl die Schlüsselfigur, sehr viele Widersprüche sind da noch zu klären.

    M.: Geb ich zu, ja. Ich merke, es ist wohl doch mehr dran. Wen sollen wir denn jetzt?

    F.: Machen wir erstmal die Nebenfiguren fertig. MIME vielleicht?

    M.: Bruder von ALBERICH, wird aber von dem behandelt wie der letzte Dreck. Hat den Tarnhelm geschmiedet, macht sich später irgendwie fort, stößt merkwürdigerweise auf SIEGLINDE, zieht SIEGFRIED auf, möchte gern wieder an den Zaster kommen und führt ihn zum Drachen, um ihn nach vollendeter Tat um die Ecke zu bringen. Klappt aber nicht, SIEGFRIED haut ihn tot, als er merkt, dass man ihm ans Leder will.

    Soll ich gleich weiter --? HUNDING. Mann von SIEGLINDE, wohl eher eine Mussheirat, nein, auch nicht, Kinder sind keine. Hat aufgrund irgendwelcher Streitigkeiten SIEGMUND verfolgt, findet ihn bei sich zu Hause, knirscht mit den Zähnen und fordert ihn für anderntags zum Duell. Erlegt ihn auch glücklich ----trotz der Meinungsverschiedenheiten zwischen WOTAN & Tochter ---- wird aber von WOTAN schnell erledigt. Bisschen sehr Blut & Boden, nicht?

    F.: Kunststück. In jeder echten Tragödie gibt es mehr Tote als Überlebende. Stören so nicht mehr im Finale. Wer noch?

    M.: Das liebende Geschwisterpaar SIEGMUND & SIEGLINDE. Mutter unbekannt. Haben sich in der Jugend verloren, finden einander wieder, als SIEGMUND von HUNDING verfolgt ins Haus kommt, erkennen sich, schlafen miteinander. (Paare mit genügend hoher Selbstverliebtheit fallen oft durch die Ähnlichkeit ihrer Physiognomien auf…) Ziemlich langweilig eigentlich, obwohl für die Entstehungszeit vermutlich überaus skandalös.

    F.: Aber in Götterkreisen nun wirklich nicht ungewöhnlich. Interessant nur, dass ausgerechnet dieser Verbindung der strahlendste Held entstammt. Aber da sind wir noch nicht.

    M.: Jawoll: ERDA, HAGEN sind noch offen, WOTAN, und SIEGFRIED, glaube ich wohl. ERDA ist die Urmutter in der Erde, so eine Art Gea, die alles weiß und immer mal wieder hereinschneit, um WOTAN zu warnen. Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen. Mutter von BRÜNNHILDE übrigens. Steht wohl für das allgemeine Fatum, also den Knoten der ganzen Angelegenheit, will immer wieder abwechselnd WOTAN sagen, was er tun kann und dann wieder, dass doch alles keinen Zweck hat, weil eben alles so kommt, wie’s kommen muss. Daneben treten noch die Nornen auf, die am Weltgespinst weben, bis es schließlich reißt.

    HAGEN ist ALBERICHS Sohn und eine Art Bruder von GUNTER. Halbbruder, ja. Er managt den ganzen Schlamassel am Wormser Hof, hat da wohl weltliche wie auch mythische Interessen. Mit seinem Papi kommunziert er nur noch im Traum. Ah: allmählich kommt mir, was du von den Vätern gesagt hast! Und musikalisch überragend, gerade diese Szene: die fröhlichen Gespenster- & Koboldmotive aus dem Rg klingen in der Gd nur noch schemenhaft auf ----dadurch wirken sie natürlich viel geisterhafter (wie entsetzlich abgründig dieses »Schläfst du, Hagen, mein Sohn?«).

    F.: Auch der ist nicht ein Treiber, eher ein Getriebener. Aber ich greife vor. Jetzt sind nur noch die überragenden beiden Männergestalten übrig. Fang an mit WOTAN.

    M.: Ja. Haben wir LOGE nicht vergessen?

    F.: Macht nichts, können wir später einflechten.

    M.: Gut. WOTAN, Göttervater, hat sich den ganzen Laden irgendwann dadurch besorgt, dass er von der Weltesche einen Zweig abriss, in dessen Schaft (Schaft??)

    F.: Ja, aber noch ein bisschen Geduld, bitte.

    M.: ----er die Vertragsrunen schnitzte, also die Verpflichtung, Grundregeln einzuhalten, und ihn künftig als Speer nutzte. Die er aber dauernd selber bricht, die Vertragsrunen, meine ich.

    F.: Regeln sind ja ohnehin out. Denk nur mal: Die Juden verfügen über (ich sage nicht ›befolgen‹) 613 Gebote, 248 positive und 365 negative.

    M.: Das schiene mir indes auch ein wenig zu viel. Aber zurück: Er hat sein 1 Auge verloren, als er um FRICKA freite (lauscht kurz in sich hinein und versucht dann kurz ein FREIA frickte…)-----heißt es nicht später, er habe das Auge wegen irgendwas mit SIEGFRIED verloren?

    F.: Weiter, weiter!

    M.: Der Kram mit der Götterburg. Er verspricht den Riesen FREIA, will nach Fertigstellung aber nicht zahlen, klaut stattdessen den Nibelungenschatz, wovon er den Ring eigentlich zu behalten versucht, geht aber nicht. Zieht also in seine Burg mit dem ganzen Heldenbrimborium, erledigt die Seitensprünge mit ERDA & der Mutter der Wälsungen, rennt schließlich nur noch unstet umher, greift ein, als Siegmund mit HUNDING kämpft, zerschlägt sein berühmtes Schwert. Als SIEGFRIED dann da ist, will er nochmal in die Arena, weiß aber gar nicht mehr so genau, was er will, der Bengel macht ihm den Speer kaputt, er zieht sich grollend nach Walhall zurück und erwartet den Untergang, der schließlich auch glücklich kommt. Puh. Je mehr ich drüber nachdenke, desto wirrer wird die ganze Geschichte.

    F.: Wirr ist sie, aber es gibt Kämme, ääh - Schlüssel. Aber nicht nur 1, das macht das ganze so interessant. So, würdest du zum Ende nun bitte noch SIEGFRIED vorstellen, bitte?

    M.: Das meiste hatten wir ja schon.

    F. (à la: Merkt sie’s?): Hm?

    M.: Ach, darum wolltest du ihn als letzten. Ja, eigentlich ergibt sich SIEGFRIEDS Geschichte aus den ganzen Konstellationen. Sohn des Inzest, erzogen vom betrogenen Bruder MIME, Drachentöter, BRÜNNHILDS Geliebter. Soweitsogut. Aber wo er handeln könnte, am Hof zu Worms, macht er nur Scheiß. Er fällt auf den Liebestrank rein, veranstaltet diese Posse mit der Brautwerbung, lässt sich umbringen. Enttäuschend eigentlich für den herrlichsten Helden.

    F.: Liebe Margot, du hältst jetzt alle Fäden in der Hand. Bravo & danke zunächst, und jetzt mal ans Eingemachte.

    M.: Naja, so weit sind wir nun wohl doch noch nicht. LOGE fehlt, ok, kriechmaspäter. Aber ich hätte doch gerne nochmal die Requisiten erklärt. Vielleicht bist du jetzt mal so freundlich?

    F.: Ok. Wir haben: DAS GOLD. DER RING. DER TARNHELM. DER SPEER. DAS SCHWERT. Habe ich was vergessen?

    M.: Die TRÄNKE: der von Sieglinde, der von Hagen. Vielleicht auch die ganzen Höhlen und Hallen, in die immerfort eingedrungen wird?

    F.: Ja, gern, auch noch. Soll ich erst referieren oder gleich deuten?

    M.: Mir gleich.

    F.: Also. Das Gold. Es liegt nur so für sich hin im Rhein, Spielwerk der feuchten Damen. Keinem wohl, keinem weh. Erst als Alberich es sich durch Liebesverzicht zum Ringe würgt, -M.: Was hat das eigentlich miteinander zu tun?

    F. (mit strafendem Blick): ----wird es Macht. Na was ist das wohl in einer ersten Lesart? Das Kapital. Es war nichts, wird alles, dann verflucht ---- und vergeht wieder. Schön, nicht? Daran haben sich alle marxistischen Interpreten aufgehängt. Geht auch, stimmt auch, ist aber nicht alles.

    M.: Ach du meinst, wir haben es hier mit einer profunden Kapitalismuskritik zu tun? Naja, lass mal überlegen: Ursprüngliche Akkumulation durch die späten Ritter, danach Wegnahme durch die Feudalherrn, in deren Händen es aber wenig bewirkt, später Übergang an die Bourgeoisie, die es zu ungeahnten Höhen treibt/treiben, und schließlicher Untergang, ginge schon.

    F.: Sehe ich nicht ganz so. Urspr. Akk., ok. Aber Fafner und die feudalen Manufakturen, passt nicht so ganz. Und Siegfried ist schon gar nicht die Bourgeoisie.

    M.: Ja, aber… Wagner ist doch Deutscher, oder? Und politisch ist die misslungene bürgerliche Revolution doch noch zu Wagners Ring-Zeiten das eigentliche Thema ----zumindest die Folie, vor der sich die ganze 2. Hälfte des Jh. erklärt (die man ja mit Fug bis 1914 verlängern kann). Dass da also Wotan das Zeug an sich bringen möchte, es ihm aber wieder aus den Fingern gleitet, findest du das nicht interessant?

    F.: Das ist ----hm ----höchst überlegenswert. Da magst du durchaus Recht haben. Verfolgen wir’s mal weiter: Das Gold ist also nicht in der Lage, auch nur etwas klitzekleines Gutes anzurichten, es hat den Fluch in sich schon bevor Alberich ihn ausspricht (schließlich den Liebesverzicht, denn auf deine Frage von eben zurückzukommen: es ist den meisten im 19. Jh. schon noch klar, dass Raffen und Lieben nicht zusammenpasst). Aber am Ende gehts unter: es ist wieder Ruhe im Karton, und ----sehr wichtig ---die alten Strukturen sind hin, die Götter untergegangen. Aber damit hat sich’s auch; oft werden in Inszenierungen die Nibelungen zu Proletariern stilisiert, sehe ich aber auch nicht so recht, denn von denen ist am Ende gar keine Rede mehr.

    M.: Was meinst du damit?

    F.: Na, konsequenterweise müsste bei einer marxistischen Exegese am Ende eine Welt der Proletarier stehen, tut sie aber nicht.

    M.: Ja, aber Wagner war ja nun kein Marxist, ne? Da ist doch wohl Welt-Untergang eine viel bessere Variante, oder?

    F.: Richtig. Genau genommen gibt’s den allgemeinen Untergang ja gar nicht, nur die gottlose Welt, und ein wieder diffuses Kapital, von seinen Herren gelöst, gleichsam herrenlos. Vielleicht erweist sich diese Prophetie als viel weiser denn die marxistische… Aber weiter.

    DER SPEER. (SPEER und SCHWERT natürlich Phallussymbole, RING und HALLEN Vaginasymbole, versteht sich wohl von selbst: »Gönne mir nun dein Gemach.«) SPEER ist Gesellschaftsvertrag (auch männlich). Eingeführt in merkwürdigem Alleinschöpfungsakt von Wotan. Der sich selbst nicht dran hält, wie du schon richtig bemerktest. Bleiben wir in Lesart 1, so gesehen hätte die Bourgeoisie Gesetze gemacht, an die sich jeder halten müsste außer ihr selbst. Das ginge ja noch an, obwohl Marx das Gegenteil behauptet (er leitet’s so ab: die Gesetze sind so gemacht, dass gerade ihre Erfüllung für den Kapitalisten Herrschaft bedeutet und für den Proleten Knechtschaft). Aber dann wäre Wotan als Hauptkapitalist zu sehen. Merken wir das mal an. Trotzdem verfängt sich Wotan immer wieder in dem von ihm selbst aufgestellten Regelwerk, so dass er am Schluss gar nicht mehr handeln kann, sondern dazu seinen Enkel Siegfried benötigt. Der ausgerechnet zerschlägt’s ihm. Mit den Vertragsrunen ist’s also offenbar nicht so weit her.

    M.: Das scheint mir aber noch nicht befriedigend. 1. ist Wotan sicher nicht Hauptkapitalist, sondern als solchen müsste man im Rg Alberich sehen (wenngleich nicht mehr im Si): denk nur an den Dialog in der Unterwelt, als Wotan und Loge zu ihm hinabgestiegen sind, wie er da über den Wert des GOLDes spricht »…mit Golde gekirrt, nach Gold nur sollt ihr noch gieren« &c., vor allem ist das Kapital sehr wohl vom Reichtum geschieden (»Doch behalt ich mir nur den Ring, des Hortes entrath ich dann leicht«), das ist alles so klarsichtig, dass Alberich sich hier enttarnt, außerdem kennen wir Wagners Vorlieben: die Zwerge muten ja nun unstreitbar etwas jüdisch an. Interessant scheint mir auch in der Hadesszene der TARNHELM -

    F.: Nachher, im Zusammenhang, ja? Aber du hast recht: Wotan taugt nicht zum Kapitaleigner. Er ist eine Mischung aus Weltengründer und Feudalherrn. Aber wir waren wohl beim SPEER?

    M.: Ja. Ich finde das merkwürdig: Ähnlich wie beim GOLD, das nie Wohl, sondern nur Weh bedeutet, sind die Vertragsrunen offenbar nur dafür da, dass sie gebrochen werden.

    F.: Könnte man so sehen, ja. Fällt mir im Moment aber auch nichts zu ein.

    M.: Naja, kommen wir mal zum SCHWERT. Ich würde sagen: zunächst viel Artussage. Das SCHWERT, das nur einer aus dem Baum ziehen kann. Sofort wird’s in der Wa zum Phallusmotiv: Er trägt’s stets am Gürtel bei sich (schön übrigens: das war über lange Jahrhunderte so, dass die Männchen stets Schwerter umbaumelnd an sich trugen, fast wie manche Afrikanerstämme die Penishüllen!), er zieht’s blank und begattet sie. Papi kommt ihm drauf und haut drauf: Kastrationsmotiv. Der Zwerg bekommt die Trümmer und kann sie nicht wieder richten: Impotenzmotiv. Siegfried reibt’s sich zurecht und stellts wieder auf: Masturbation. Und tötet damit den Drachen/Riesen: Sieg der Potenz, Zerschlagung aller eigenen Vergangenheit durch Bestätigung des eigenen »Könnens«: Gleichzeitig Vatermordmotiv (Vater hier wirklich vertreten durch Mime, der sich’s so ganz anders vorgestellt hatte). Später nochmal Öffnung von Brünnhildes Helm: Vergewaltigung. Bei der Brautwerbeszene liegt’s irgendwie zwischen ihm & der Dame: auch so ein immerwiederkehrender Mythos, ist mir aber nicht so ganz klar, scheint aber sehr ambivalent zu sein (mit dem dazugehörigen Sprüchlein verstärkt Wagner das noch, vermutlich unbewusst: »Nun, Notung, zeuge du, dass ich in Züchten warb.«) Spielt’s später nochmal eine Rolle?

    F.: Nee, glaub’nicht. Die Brautwerbungsgeschichte hat aber viel mit tatsächlicher Geschichte zu tun: Brautwerber in offizieller Mission mussten im Mittelalter schon bisweilen eine Art Schein-Hochzeit mit den Bräuten schließen, um die Sache perfekt zu machen, manchmal bis hin zum Kurzbesuch im Bett (freilich nur der Form halber ----hieß es). ----Könntest du das SCHWERT irgendwo in Lesart 1 unterbringen?

    M.: In der Kapitalismuskritik meinst du? Eigentlich nicht. Höchstens bei der Zerschlagung des Speers: Der Kapitalist trampelt alle Gesetze…

    F.: &c., kenn ich. Aber das Schwert bitte, nicht der Ring!

    M.: Wir müssten halt untersuchen, ob das Schwert zur Symbolisierung staatlicher und anderer Gewalt dienen könnte. Die Zerschlagung des SPEERs, entschuldige bitte, ist da schon entscheidend. Auch v.v.: dass Wotan es dem eigenen Sohn kaputtmacht, als der ums Leben kämpft: eine Art Dolchstoß, ja? Aber wohl eher in der dt. Geschichte als in der Politischen Ökonomie unterzubringen, vielleicht auch wieder im Zusammenhang mit der bürgerl. Rev.: mir fiele nur 1813/1815 ein.

    However: ich denke, dass die Zeit auch reif wäre, nehmen wir mal Kapitalismuskritik und Geschichte gemeinsam als die erste ----eine zweite Lesart einzuführen: die psychologische Betrachtung.

    F.: Sehr gut. Aber wir sind ja schon mittendrin. Übrigens hätte ich auch die Vokabel psychoanalytisch gelten lassen. Wie Wotan die Hauptfigur in Lesart 1 ist, ist Siegfried der Protagonist in Lesart 2. Siegfried bietet im ganzen Si die Kindheitsgeschichte dar, wie Freud sie, ein paar Jahrzehnte später!, geschildert hat. Vaterhass - gegen Mime wie Wotan -, Mutterliebe, Wiederfinden der Mutter in der Geliebten (er fragt Brünnhilde sehr nachdrücklich nach der Mutter, vermutet zunächst sogar Identität ----(sonor:) naja, immerhin ist sie sozusagen seine Tante), dann Erleiden der kindlichen Amnesie (Hagens LIEBESTRANK). In Siegfried hast du fast alle Komponenten männlicher Sexualentwicklung. Sein Problem ist, dass er nie richtig erwachsen wird, wie viele Männer.

    M.: Siehst du. (Zögert, weil sie noch nach der Tante fragen will, versteht’s aber nach kurzem Nachdenken, hmhm.)

    F.: Jaja, schon richtig: er stirbt beim Spiel mit der Jagd. Ich darf jetzt mal auf die Vaterfrage zurückkommen: Siegfried hat ja keinen---

    M. (will protestieren, vor allem nach dem vorletzten Satz, schluckt’s aber sichtbar & schnell runter)

    F.: --- sondern nur den geisterhaften Mime. Siegmund hat ebenfalls keinen, aber auch Gunthers Alter ist tot, Hagen verfügt über keinen Daddy, und Wotan selbst: er hat seinen (Urgroß-)- Vater erschlagen (und aus ihm die Welt erbaut), wie man zwar nicht bei Wagner erfährt, aber aus den Sagen weiß. Eine merkwürdig vaterlose Gesellschaft also, die ja auch etwa zu dieser Zeit, Mitte 19. Jh., weitgehend eingeführt ist!

    M.: Aber jetzt in Lesart 2 mal zu BRÜNNHILDE, der bedeutendsten weiblichen Hauptrolle. Wagner mischt hier die Prünhilt des Nibelungenlieds mit der Führerin der Walküren; das ist aber legitim, es gibt so einen nordischen Mythos von einer Walküre Sigrdrifa, die von Odin zur Strafe für Ungehorsam in Zauberschlaf versenkt und von Sigurd erweckt wird. Prünhilt hatte mit ihrem Siefrit hingegen nichts, wurde aber mit den Zaubermitteln von ihm überwunden. Bei Fakten&Namen ist das Nibelungenlied für Wagner ohnehin nicht verbindlich: Gutrune wäre Kriemhilt, das Schwert heißt Balmung, nicht Notung, &c. Diese Mischung aus zwei Sagenfiguren macht die Brünnhilde des Rings erst zur tragischen Figur, im Nibelungenlied ist sie nur Mannweib und Unruhestifterin ohne rechte Motivierung.

    Anders im Ring. Tochter von Himmelsgott & Erdmutter, also der Verbindung von vorgeschichtlicher und geschichtlicher Gottheit entstammend. Kein Wunder, dass sie die stärkste Figur überhaupt ist. Vom Vater geliebt, vom Vater verstoßen (zurückgewiesen). Einem anderen als dem Vater bestimmt (also die ganze weibliche Psychogenese). Und jetzt kommen wir zu den etwas verwirrenden Ereignissen in der Gd. Könntest du wohl nochmal?

    M.: Also. Am Hof zu Worms hocken hochherr-schaft- und -lich Gunter, seine Schwester Gutrun plus Halbbruder Hagen, Alberichs Sohn. Hagen schildert ihnen, dass sie wohl endlich heiraten müssten, wenn die Pfründe in der Familie bleiben soll. Malt ihnen auch alles sehr angenehm aus, erzählt von Siegfried und Brünnhilde. Da schneit, wie gerufen, Siegfried ins Haus. Es gibt ziemlich schnell Blutsbrüderschaft & Eheversprechen (nach dem LIEBESTRANK, versteht sich). Folgt diese merkwürdige Geschichte mit der Brautwerbung, habe ich schon vorhin erzählt. 3 kehren also heim vom Felsen: Siegfried, Gunter und Brünnhild.

    F.: Was du aber die ganze Zeit ausließest, war der RINGwechsel, den zuvor Siegfried und Brünnhilde vollzogen: Liebesversprechen, Tausch (Siegfried erhält Grane dafür, das herrlichste Ross). Und lässt ihn sich sich auch nicht von einer andern Walküre abschwatzen, die zu Besuch kommt, von Wotans Leid erzählt und behauptet, wenn der Ring wieder im Rhein läge, wäre alles gut.

    M.: Ja richtig, denn der RING löst ja auch hier den Konflikt aus: Siegfried hatte ihn in Gunters Maske Brünnhild vom Finger gerissen und nicht an diesen weitergegeben. Und jetzt, in Worms, als es ihr wie Schuppen von den Augen fällt, dass da irgendeine Intrige abgeht, entdeckt sie den RING bei Siegfried und weiß, dass er auch der Mann beim 2. Mal gewesen sein muss. (Meinst du, dass das auch wieder psychologisch ist, das 1. Mal »erkennt« Brünnhild Siegfried, das 2. Mal nicht?) Hagen aber fädelt ein Verwechselspiel anderer Art ein, und in seinem Verhör kömmt heraus, dass der Inhaber des RINGs mit Brünnhild geschlafen habe, was natürlich Blutsbruder Gunter gar nicht gefällt. Es setzt Eid und Gegeneid von Siegfried und Brünnhild, ob sie’s nun miteinander getrieben hätten (auch ganz nett anrüchig, wenn mans genau überlegt). Geschworen wird wieder auf einen SPEER, diesmal den Hagens.

    Siegfried ab, die drei andern einigen sich darauf, dass er wohl sterben müsse. Und dann geht’s eigentlich ziemlich flott dem Ende zu: die Männer gehen jagen, Siegfried trifft zunächst die Rheintöchter, die ihm ihrerseits den RING abschwatzen wollen. Er gibt ihn nicht heraus, obschon offenbar schwankend und ziemlich gleichgültig. Als er wieder zur Jagdgenossenschaft stößt, fordert ihn Hagen auf, auch mal einen Schwank aus seinem Leben zu erzählen, und der Held legt los: wie er mit Mime im Wald, und das Schwert, und Wurms, und Waldvögelchen, und Brünnhildenfelsen. Alles fällt ihm auf einmal wieder ein (hat auch wieder was von Hagen zu trinken bekommen), und als er beim Höhepunkt mit Brünnhilde ist, sticht Hagen zu. Heimtragen der Leich, Gutrun traurig, Brünnhild traurig, große Feuerbestattung auf dem Rhein, Brünnhild springt in die Flammen. Die Rheintöchter schnappen im letzten Moment Hagen den RING vor der Nase weg, ziehen ihn unter Wasser. Walhall brennt. Aus. Puh.

    F.: Wusstest du übrigens, dass es in Worms immer mal wieder Leute gibt, die ernsthaft nach dem Nibelungenschatz im Rhein tauchen? Aber gut soweit. Jetzt hast du dir noch einen Schluck Glendfiddich verdient. Ich auch?

    M.: Du nicht. Du musst dir die Belohnung erst noch verdienen, komm, erklär jetzt das ganze mal, bzw. warum du diesen Nibelungenliedverschnitt mit germanischem Götterkram so gut findest. Wobei ich zugeben muss, dass es bei näherer Betrachtung zumindest nicht mehr so hohl wirkt, wie ich’s in Erinnerung hatte. (trinkt)

    F.: Ich fasse zunächst nochmal zusammen, was wir schon hatten.

    Lesart 1 (Kapitalismuskritik, also für Wagner etwas zwar von der Vita her ---- Dresdner Barrikaden 1848 ---- aber von der Parteinahme in alten Tagen doch nicht mehr so ganz Selbstverständliches, und wir nehmen auch ruhig dank deiner Intervention die typisch deutsche Variante der geschichtlichen Abwicklung der steckengebliebenen bürgerlichen Rev. hinzu) bekommt durch die Gd eigentlich nichts Neues mehr, bis auf die zutiefst pessimistische Zukunftssicht, die natürlich den Marxisten nie geschmeckt hat: jeder, der das Zeug anrührt, geht daran zugrunde, es lässt sich aber auch überhaupt keinem vernünftigen Zweck unterordnen (also nix da mit Eigentumsfrage), taugt nicht für Ruhe im Besitz (Fafner), nicht für Herrschaft zum Guten (Wotan, naja), auch nicht im Bösen (Alberich), nicht für mittelständische Hoffnungen (Mime), nicht zur Liebeserhaltung (Siegfried & Brünnhild). Also zurück damit, wo es herkam. Nun ist das geschichtlich natürlich nicht so leicht wie in der Oper, aber gut.

    Einen Nachtrag noch zu der Rolle der Zauberdinge wolltest du vorhin-

    M.: Zum TARNHELM, ja. In Lesart 1 ist er für mich die perfekte Verkleidung des Kapitals, eingebettet ebenfalls in die sehr bemerkenswerte Hadesszene des Rg. Die Erscheinungsweise verändert sich beliebig, es kann unsichtbar sein, es kann groß oder klein wirken, ganz unterschiedlich aussehen. Recht nett gemacht, diese Episode.

    F.: Gefällt mir gut, diese Interpretation, ja. Aber zur Lesart 2 (Psychogenese des Menschen): Siegfried haben wir begleitet, als er seinen Inzest vollzog, die Pseudomutter begattete.

    M. (aufgekratzt): Muss in der Familie liegen, erst Siegmund und Sieglinde…

    F.: In der Familie, sehr wahr, aber nicht nur bei Wälsungens, sondern in jeder, in der psychischen Grundkonstellation des Menschen! In der Kindentwicklung sind nunmal die beiden Erwachsenen das Urbild der Geschlechtswesen, und indem es das erkennt, engagiert es sich auch schon, wird zurückgewiesen, erleidet (nach dem /a Schock der Geburt und dem /b der Entwöhnung) die /c tiefe Frustration. Wird die letzte nicht bleiben. Verbote sagen immer etwas über Wünsche & Gebräuche, genauso natürlich das Inzestverbot.

    Es folgt das Vergessen, das Sich-Neu-Verlieben. Was Wagner jetzt der klassischen Psychoanalyse (die’s damals bekanntlich noch nicht gab) hinzufügt, ist das Brautwerbungsmotiv, eine ganz alte Kiste, und schon im Tristan ausgiebig verarbeitet. Was hat’s damit auf sich? Es ist die klassische Dreieckskonstellation, und auch wieder nicht. Wenn wir ins MA schauen, hatte dort der Minnesang eine ganz ähnliche Konstruktion: beauftragtes Anhimmeln der Frau (Braut) eines andern. Es steckt darin wohl die erst entwicklungsbedingt entstandene Trennung der Frau in erotisches und sexuelles Objekt. Natürlich auch hoch in Mode in viktorianisch-wilhelminischen Zeiten. Begehren darfst du sie, aber nicht besitzen. (Wie ich dich.) (Der Mensch ist ein Geschöpf des Begehrens, nicht der Bedürfnisse -- wer schrieb das?) Wagner hat ja mit Tannhäuser dazu einiges ausgesagt, auch im Parsifal gibt es wieder so merkwürdige Konstellationen. Meistersinger auch.

    Aber was ist die tiefere Ursache? Brünnhild, weibliche Sexualität/Entwicklung: bei ihr kommen in Gd Eifersucht und (ganz anders als diesem pubertären »Liebestod« im Tristan) Witwentod hinzu. Über Eifersucht ist wohl nicht viel zu sagen, obwohl sie hier immerhin wirklich bis zum Mordplan geht (die Ausführung wird Hagen überlassen, was noch zu untersuchen wäre). Zu Witwensuizid: bekanntlich in vielen Kulturen bis heute en vogue, la grande mort après la petite mort sozusagen, ein absolutes weibliches Unterwerfungsmotiv-

    M.: -ey??

    F.: Ja, tut mir leid, aber man muss das so sagen. Wills auch nicht weiter ausloten.

    Die Instrumente sind in Lesart 2 natürlich, wie oben schon geschildert, die psychoanalytischen Übersetzungen, Phalli, Vaginen und das Gold ---- na?

    M.: Wenn ich meinen Freud richtig gelesen habe: Scheiße, nicht wahr?

    F.: Ja. (Und dazu wäre noch anzumerken, dass die Genese Gold - Ring die typischste Sexualfeindlichkeit impliziert.) Soweit die bisher eingeführten Erklärungs- und Verständnismuster. Es gibt aber noch zwei bis drei.

    M.: Du bist nicht sparsam.

    F.: Sonst schon, aber hier nicht. Ich hätte als 3. im Angebot: eine Symbolik der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, auf Wunsch auch unter Bezug auf die Rolle der Religion.

    M.: Whow!

    F.: Ja, also eine Art Histomat für Bayreuth-Besucher (auch wenn die’s wohl nicht bemerken). Das kann ich freilich nur noch andeuten (wir sollten dem Nebel nicht noch Finsternisse als Orientierungshindernis bei der Heimkehr zu Hilfe kommen lassen): Da wär erstmal das retardierende Auftreten der Götter: im Rg sind sie allein auf der Bühne, in der Wa bestimmen sie noch das Handeln, ziehen die Fäden, in Si wird ihnen das Heft (der Speer) aus der Hand genommen, und in der Gd bleibt ihnen als einzige Handlung ihr eigener Untergang. Das ist ja wohl mehr als deutlich. Dagegen die Menschen: Im Rg gibt’s sie noch gar nicht, in der Wa kennen sie nix als Liebe/ Eifersucht/ Besitzdenken/ Zweikampf (Schwert als Gottesgeschenk), in Si kommt das Erlernen der Schmiedekunst, das Lernen überhaupt (Siegfried ist so blöd, er muss alles lernen; Mime kommt in dieser Lesart eine Art Prometheus-Rolle zu), der Sieg über die ----physischen ---Monster (und glaub ja nicht, dass ein Mammut für unsere Vorfahren weniger schrecklich als ein Drache war), schließlich die Eroberung des Feuers am Brünnhildenfelsen ----das ist ein wenig verdreht alles, natürlich steht Feuer vor Eisenmachen (aber Waffen waren ursprünglich aus Stein), aber vom Großen her stimmt’s, und: die Überwindung der Dämonenversammlung, ob Mime ob Drache (diesmal übersinnlich), l’homme macht’s nieder und landet beim Erkennen menschlicher Leitbilder, hier: Liebe zu Brünnhilde, zum sowohl menschlich-wie-göttlich-humanistischen Ideal!

    Soweit sogut, von jetzt an geht’s bergab. Wo göttliches Gesetz perdu, bleibt nur noch Politik, und die findet in Gd ja reichlich statt. Natürlich ist sie desavouiert: nix wie Intrigue & Verrat. (Ob diese Ansicht falsch sei oder nicht, lassen wir mal dahingestellt.) Intelligente Verführer wie Hagen können dumme Könige & Helden mühelos für sich arbeiten lassen (ob falsch oder nicht…), Eide werden nur aus Verstellung, Verblendung, Täuschung &c. geschworen. Und und und. Die ganze Enttäuschung Wagners über die Spottgeburten, in die die bürgerlichen Ideale sich verwandelt haben, tritt zutage. Aber was ist das Ende, wohin führt das alles? Untergang, keine herrlich-kommunistische Perspektive.

    M.: Ja, auch das klingt glaubhaft. Aber findest du nicht, dass du etwas überinterpretierst?

    F.: Kann ich nicht zurückweisen, Wagners Briefe sollte man dazu noch mal lesen, aber das was Autor will ist ja auch himmelweit von dem entfernt, was Autor tut & bewirkt.

    M.: Bewirkt hat er ja nun gar nicht die Erkenntnisse aus Kapitalismuskritik & verderblichen Perspektiven menschlicher Geschichte, sondern eher muss man ihn als ideologischen Geburtshelfer von Nationalismus & Faschismus sehen, meine ich.

    F.: Geburtshelfer, na, ich weiß nicht ----Helfer sicher. Nun war Germanenkult auch zu Wilhelms Zeit en vogue, aber die Nazis haben sich seiner merkwürdigen Mischung aus System-Anklage und Heldenbrimborium schamlos bedient, stimmt. Wagners Wirkungsgeschichte ist ein sehr trübes Stück deutsche Historie, das weiß ich ja auch. Wobei du vielleicht die Bemerkung gestattest, dass seine Musik für die Nazis wohl wichtiger gewesen sein mag als die Geschichten (aber der Ring macht wohl eine Ausnahme). Und das muss man auch wieder relativieren: sonst verfallen auch Beethoven, Liszt und viele andere dem Verdikt, von faschistischen Ideologen befördert worden zu sein.

    Ich entschuldige Wagner aber auch gar nicht: er hat nicht nur viele unausgegorene Sichtweisen, auch Missverständliches hinterlassen. Aber ich hätte gern nochmal Lesart 4 angedeutet?

    M.: Ja, bitte!

    F.: Sie betrifft den sehr menschlichen Gefühlsablauf. Jedes der 4 Stücke enthält, anders als frühere Opern (auch Wagners), einen völligen orgiastischen Prozess. Schau dir die Finali an: in Rg der Einmarsch in die Burg (Eindringen). In Wa (nach dem Liebesakt im 1. Aufzug) das Umbrennen der Geliebten-Tochter. Im Si den Liebesakt. In der Gd wieder Feuer. (Auf Loge noch zu kommen, versprach ich vorhin: hier siehst du zumindest 1 seiner Bedeutungen.) Überall letztlich GV eine insgesamt immer wieder sexuell überladene Atmosphäre, das ist an jeder Stelle zu spüren. Jetzt sag nicht, sowas hätte es damals überall gegeben -

    M.: Z.B. in der viktorianischen Epoche in England aber sehr wohl, Monsieur!

    F.: Ja gut, aber Wagner versteckt es ja gar nicht (jedenfalls nicht immer), das ist zumindest im 19. Jh. etwas sehr Neues.

    M.: Und hast du noch eine Lesart?

    F.: Denk schon. Es gibt eine Ebene, die man eine Art »negative Handlungsanleitung« nennen könnte. Das ist jetzt aber wirklich finsterster Pessimismus. Schau dir die Figuren an, du hast sie ja alle selbst charakterisiert: Wotan (bringt alles nix, man kann machen was man will), Siegfried (was er auch tut, es bringt andern nur Leid), Alberich & Hagen (einer kann so böse sein wie er mag, nicht mal das hilft), Mime (Gewerbefleiß führt auch nicht weiter), Fafner (auch als Rentier kommt man vor die Hunde), Fricka (du hältst ihn nicht), Erda & Nornen (irgendwann reißt der Faden): nimm wen du willst, du hast nur loser vor dir. Lesart 5 ist folglich:

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