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Mörderische Literaturwerkstatt: Kriminalroman
Mörderische Literaturwerkstatt: Kriminalroman
Mörderische Literaturwerkstatt: Kriminalroman
eBook298 Seiten4 Stunden

Mörderische Literaturwerkstatt: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

August Pauspertl hat mit Literatur nicht viel zu schaffen. Um das zu ändern, bucht ihm seine Frau einen Platz in der renommierten "Literaturwerkstatt" an der Wilhelmspfalz. Dort soll der Bankangestellte mit fünf anderen Gästen lernen, wie man Krimis schreibt. Dass er dabei selbst in einen Mord verwickelt wird, ahnt er zu diesem Zeitpunkt freilich nicht.

Schon bei der Ankunft zeigt sich die Wilhelmspfalz als geheimnisvoller Ort, der von sonderbaren Gestalten bewohnt wird. Hier ist nichts, wie es scheint: Um Hausherr Emanuel, dessen Mutter, Kursleiter Marionet, Verleger Klöterbock und den fast hundert Jahre alten Gärtner spinnen sich jede Menge Neid, Missgunst und Intrigen... Was wie ein harmloser Autorentreff in der Herrschaftsvilla beginnt, entpuppt sich als mörderischer Wettlauf gegen die Zeit!
SpracheDeutsch
HerausgeberDachbuch Verlag
Erscheinungsdatum29. Sept. 2021
ISBN9783903263413
Mörderische Literaturwerkstatt: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Mörderische Literaturwerkstatt - Stephan Steinbauer

    Layout_Umschlag_Literaturwerkstatt_epub.jpg

    Stephan Steinbauer

    Mörderische Literaturwerkstatt

    Dachbuch Verlag

    1. Auflage: September 2021

    Veröffentlicht von Dachbuch Verlag GmbH, Wien

    ISBN 978-3-903263-40-6

    EPUB ISBN 978-3-903263-41-3

    Copyright © 2021 Dachbuch Verlag GmbH, Wien

    Alle Rechte vorbehalten

    Autor: Stephan Steinbauer

    Lektorat: Nikolai Uzelac, Georg Karst

    Korrektorat: Rotkel e. K.

    Satz: Daniel Uzelac

    Umschlaggestaltung: Katharina Netolitzky

    Umschlagmotiv: 1000 Words/Shutterstock.com

    Druck und Bindearbeiten: Rotografika, Subotica

    Printed in Serbia

    Besuchen Sie uns im Internet

    www.dachbuch.at

    Alle Personen, Namen, Schauplätze und Ereignisse in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit natürlichen oder juristischen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Für Barbara

    Wir wären gut, anstatt so roh,

    doch die Verhältnisse, die sind nicht so.

    - Bert Brecht, Dreigroschenoper

    Prolog

    Die letzten Minuten im Partykeller, Sonntag, 17:42 Uhr

    »Oh my god! Wie das prickelt! So schööön! Und der Schaum!«

    Ich spritz dich voll, Dickerchen! Schau nicht so abgestochen. Macht doch Spaß, oder? Lach doch mal. Hast es ja so gewollt. Wie gut, dass du meine Gedanken nicht lesen kannst. Und? Bist wohl erstaunt, wie schnell ich Ja gesagt hab. Bist erstaunt, dass ich Spaß haben will. Nicht nur du willst Spaß. Ich will Spaß. Ich. Ich bin eben nicht so wie die anderen Mädels, so gesittet, so wohlerzogen, so angepasst. Ich bin ein ganz spezielles Exemplar meiner Gattung. Damit mussten sie alle klarkommen, meine Eltern, meine Lehrer, meine Klassenkameradinnen und die ganzen Herren der Schöpfung, die meinen Weg kreuzten.

    »Ja … so! … Uhh!«

    Nur nicht so schüchtern, Dickerchen! Bist etwas ungeschickt. Wüsstest wohl gerne, was ich jetzt so denke, in Wirklichkeit denke, über mich und über dich und über das ganze Affentheater hier um uns herum. Aber ich kann mich verstellen, konnte ich immer schon. Jetzt schau nicht schon wieder so streng. Macht doch nix, wenn ich was vom Schampus verschütte. Schampus-Bad, voll geil. Zieh keine Schnute, ist doch genug da. Feinste Marke, französisch, vegan, sauteuer, aber du hast es ja, Dickerchen. Ja, du hast es. Und deswegen hast du mich. Mach dir nix vor, du alter Sack. Wegen deiner sexy Figur hätt ich nie …

    »Uhh! Nicht so stürmisch … langsam … jaa … so ist es besser!«

    Nee, wegen deiner sexy Figur hätt ich nie Ja gesagt, nicht gleich und nicht später. Aber das weißt du doch. Ist dir nicht neu. Überrascht dich nicht. Ich geb dir was, und du gibst mir was. Win-win. Eine Hand wäscht die andere ... Ich schweife ab. Liegt wohl am Nase-Pudern, am Koks, am Schnee. Meine Gedanken wandern, das Zeug macht glücklich. Aber du, Dickerchen, du musst dir schon mehr Mühe geben, mich glücklich zu machen. Streng dich an, sonst bin ich nicht bei der Sache. Nächsten Mittwoch, bei deinem Verlegerstammtisch, da willst du doch nicht verlegen rumsitzen, du Verleger, da brennst du doch drauf, deinen Kumpels zu erzählen, wie du als bockstarker Kerl mich geile Tussi in Ekstase gebracht hast, oder? Also: Mehr Schwung! Mehr Rhythmus! Aber zärtlich, mit Gefühl! Ich zeig’s dir.

    »Sooo! … Siehst du? … Sooo!«

    Manno! Bist du ein schwieriger Fall, bisschen steif in den Hüften. Aber okay. Sollst auf deine Kosten kommen. Und deshalb mach ich ein verzücktes Gesicht, verdreh die Augen, seufze, hechle, japse, quietsche, wie die anderen Chicas hier auch. Die wissen es, und ich weiß es: Wir haben einen Deal. Ja, du alter Sack. Wir haben einen Deal. Du und ich. Ich bin nett zu dir, und du, du bringst mich groß raus. Hast du versprochen. Großes Verleger-Ehrenwort. Mein Roman – Hardcover, erste Auflage zehntausend Stück, mindestens. Spitzentitel im Katalog, Präsentation auf der Buchmesse, Interview mit dem Kulturfuzzi vom TV, dann hymnische Rezi im Feuilleton der Qualitätspresse. Das besorgst du mir, hast du versprochen, Ehrenwort …

    »Uhh … jaa … hahaha!«

    Gut so? Ich merk schon: Du bist leicht zu befriedigen, Dickerchen. Ich nicht. Nicht mit deinem Popel-Verlag. Aber für den Anfang, als erste Sprosse auf der Himmelsleiter, geht’s grad so. Irre komisch, wie du hier den großen Maxe spielst. Doch mir machst du nichts vor. Für meinen Geschmack bist du zu bieder, du Provinz-Heini. So bieder wie deine Hintergrundmusik hier: Helene mit Atemlos-durch-die-Nacht. Nicht mein Stil. Das soll uns Mädels in Schwung bringen? Naja, wenigstens das Wasser im Pool ist schön warm und blubbert und sprudelt und schäumt so anregend.

    »Hoppla!«

    Täusche ich mich, oder hat mich da gerade ein kalter Luftzug gestreift? Hast du das Fenster offen gelassen? War da ein Geräusch? Schritte? Die Musik ist so laut. Ach was, wird nichts gewesen sein. Die anderen haben auch nichts gehört. Ich darf mich nicht ablenken lassen. Weitermachen! Tja, Dickerchen, ich bin eben gut, ich kenne mein erotisches Kapital. Und das setz ich ein, gnadenlos, atemlos durch die Nacht, wenn’s sein muss. Machen andere doch auch. Ich bin noch jung, habe Ziele: Literaturpreis – nicht Longlist, nicht Shortlist – Spitzenplatz, den Sieg will ich. Dann Stipendien, Inselschreiberin von Sylt, Strand-Lesungen in Marbella und Miami. Immer höher hinaus, so lang es geht. Vielleicht der Nobelpreis, warum nicht? Schleimen kann ich auch literarisch. Ich find schon den richtigen Ton und die angesagten Themen.

    Na so was, Dickerchen, ein Luder würdest du mich nennen, wenn du meine Gedanken lesen könntest? Ein berechnendes, durchtriebenes, karrieregeiles Luder? Na und? Ich bin eben nicht so, wie ihr Männer euch Frauen wünscht: bescheiden, gehorsam, unterwürfig. Du weißt doch: Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überallhin. Und ich bin sehr böse, merkst du bloß nicht, du notgeiler Bock. Ich will ganz nach oben. Dafür gebe ich alles! Na, lass uns noch einen Schluck Schampus trinken. Prost, wir trinken auf mich, auf meine Zukunft! Auf meine rosige … goldene … Oh my god! Was ist denn das? Wo kommt diese traurige Type plötzlich her? Wie kann diese Vogelscheuche denn herein zu uns, hast du nicht abgeschlossen, Dickerchen? Gehört das etwa zu deinem Programm? Na warte!

    »Hört auf mit dem Gekreische, Mädels! Das gehört zum Programm! Wir ziehen eine Show ab. Das erwarten die von uns! Da kommt uns die Vogelscheuche doch grade recht. Schaut nur, was diese taube Nuss für ein verlegenes Gesicht macht! Puterrot angelaufen, Stielaugen, sabbert sich den Latz voll. Kommt, Mädels! Atemlos!«

    Wie sie schaut, wie sie glotzt, diese eingetrocknete Spaßbremse! Wir haben’s drauf. Wenn’s drauf ankommt, können wir nicht nur literarische Wunderwerke schaffen.

    »Glotz nur her, geil dich auf! Heute sind wir großzügig, Zuckerschnütchen. Pass bloß auf, dir fallen ja gleich die Augen raus, Hasimausi! Mund zu, Knuddelchen, es zieht. Ich lach mich weg. Schaut nur, wie die Schlumpfmütze sich ärgert! Weiter, Mädels! Wir zeigen noch mehr, los, stehen wir auf. Dickerchen, mach Platz! Da, schau nur genau her, Hummelchen, hier ist der Honigtopf, du Schlumpfmützchen.«

    Oh my god! Wie peinlich mir das ist. Aber was haben wir schon im Lateinunterricht gelernt? Per aspera ad astra – der Weg hinauf zu den Sternen ist hart und steinig.

    »Na, schon genug geglotzt? Hat’s dir nicht gefallen? Schaust ja so griesgrämig. Oh my god! Was machst du? Was tust du mit dem Stromkabel? Bist du irre? Leg das weg! Tu das Kabel weg! Willst du uns …«

    Dickerchen, unternimm doch was! Rette uns! Oh my …

    1

    Freitagnachmittag

    Eigentlich wollte ich einen Kriminalroman schreiben. Schreiben, wohlgemerkt, nur schreiben, nicht erleben … Ach, Verzeihung! Wie unhöflich. Ich vergaß, mich vorzustellen.

    Mein Name ist Pauspertl. August Pauspertl. 48 Jahre alt, Nichtraucher, gelegentlich auch Nichttrinker, katholisch, verheiratet, zwei Kinder, die auswärts studieren. Meine Nachbarn und Kollegen halten mich für einen Spießer. Vielleicht stimmt es ja, was soll‘s. Meinen Migrationshintergrund stelle ich mal nicht in den Vordergrund; nur nebenbei gesagt, ich komme aus Bayern. So einen wie mich duldet jeder in einer Reihenhaussiedlung gern als Nachbarn, sogar hier nördlich des Weißwurstäquators, im flachen, kargen Land der Sturmfesten und Erdverwachsenen, wohin der Beruf mich verschlagen hat.

    Beruflich bin ich nämlich Mitarbeiter eines bayerischen Kreditinstituts, dessen Manager einst beschlossen haben, das Geschäftsgebiet nordwärts auszudehnen. Den Namen unterschlage ich, ich will hier keine Schleichwerbung machen. Jedenfalls hielt mein Chef mich für würdig, die drögen Nordlichter in unserer neuen Filiale mit meiner segensreichen Anwesenheit zu beglücken, um ihnen zu zeigen, wie Gewinne generiert werden, mit Laptop und Lederhose. Kurz, mein Chef machte mir ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte, und so übersiedelte ich samt familiärem Anhang vom südlichen Alpenvorland in die norddeutsche Tiefebene.

    Mein Arbeitsplatz ist im Backoffice, also quasi unsichtbar für die Kunden. Unsichtbar für jedermann, sollte ich sagen. Das war immer schon so. Natürlich bin ich nicht wirklich unsichtbar, aber ich werde meist übersehen. Es kommt mir oft so vor, als wäre ich mit einer Tarnkappe auf dem Kopf zur Welt gekommen. Bereits als Knirps, im Turnunterricht, wenn wir in Reihe Aufstellung nahmen, damit die beiden sportlichen Alphatiere unserer Klasse – Alois und Franz – ihre Fußballmannschaften zusammenstellen konnten, haben die beiden mich nie freiwillig ausgewählt. Die forschenden Blicke der Mannschaftsführer dribbelten um mich herum, ohne mich wahrzunehmen, umzirkelten mich leichtfüßig, um schließlich doch ins Abseits zu rennen. Am Ende wurde ich nämlich jener Mannschaft zugeteilt, in deren Reihe noch ein Spieler fehlte. Ich, der Unsichtbare, der stets Übersehene, das Füllsel. Dabei kam mir diese Eigenschaft sehr zupass, denn sobald ich mir einmal den Ball vom Fuß eines unaufmerksamen Gegners gespitzelt hatte, hielt mich nichts mehr auf. Auf mich achtete ja keiner. Spielend trickste ich die komplette gegnerische Abwehr aus und schob den Ball am Goalie vorbei ins Tor. Mein Treffer wurde dann regelmäßig unserem Mittelstürmer zugesprochen, einem lauffaulen elefantösen Einfaltspinsel, der so lange regungslos im gegnerischen Strafraum herumlümmelte, bis ich das Tor erzielte. Dann riss er die Arme hoch, stieß einen affenartigen Urschrei aus, rannte drei Schritte in Richtung Eckfahne, schmiss sich auf die Knie und rutschte ein paar Meter über den Rasen, während sich die übrigen Mannschaftskameraden über ihn warfen und seinen Astralleib mit Küssen bedeckten.

    Die Jahre vergingen, die Pubertät ließ Pickel, Bartstoppeln und Schamhaare sprießen, mein Körper erreichte Normalmaß, in der Länge ebenso wie in der Breite. Dennoch blieb ich so ziemlich unsichtbar. Besonders für die Damenwelt. Und wenn ich der einzige Mann auf Erden gewesen wäre, die Ladys blickten durch mich hindurch. In der Tanzschule, bei der Damenwahl, schlug das Schicksal dann aber doch völlig unvorhersehbar zu: Wie ein Hornissenschwarm im Angriffsmodus waren die hippen Girlies auf Kommando hin über die coolen Typen im Tanzsaal hergefallen. So stand ich am Ende noch solo da. Plötzlich bemerkte ich eine junge Dame, die abseits des Pulkes der hippen Girlies stehen geblieben war. Sie fixierte mich mit einem Blick, dem nichts und niemand zu entkommen vermochte. Sie steuerte zielstrebig auf mich zu, ergriff meine Hand – und hat sie bis heute nicht losgelassen.

    Nun sollte ich auch erklären, wie ein Mensch wie ich in eine Literaturwerkstatt gelangte. Während meine Gattin – sie ist Grundschullehrerin in der nahen Kreisstadt Hoppstede – auch nach dem Unterricht stets zu tun hat, in Haus und Garten, bin ich nach Feierabend eher der beschauliche Typ. Ich habe kein Hobby. So kommt es, dass ich den emsigen Bemühungen meiner Gattin, Fußböden, Fensterscheiben, Gardinen, Regale, Lampenschirme, Bettvorleger und dergleichen mehr zu säubern, einfach nur im Wege bin. Ich stehe herum, sitze herum, schlurfe von einem Zimmer ins andere, ziellos, beschäftigungslos, nutzlos.

    Die im Grunde genommen eher eigennützige Aufforderung meiner besseren Hälfte, mir doch eine Beschäftigung zu suchen, blieb bis vor Kurzem völlig erfolglos. Eines Tages jedoch meldete sich eine ehemalige Schulfreundin meiner Gattin. Ein gütiges Schicksal in Person ihres Ehemannes, eines toskanischen Winzers, hatte sie in sonnige Gefilde verschlagen. Nun wollte sie auf ihrer Urlaubsfahrt an die Nordsee – Sylt natürlich – übers Wochenende bei uns Station machen. Sie reiste ohne ihren Ehegespons. Ein Mädels-Weekend schwebte ihr vor. Erinnerungen auffrischen und – hier sollte man sich keine Illusionen machen – über die angetrauten Mannsbilder kräftig ablästern.

    Klar, dass meine Anwesenheit bei diesem trauten Kränzchen nur stören konnte. Ich musste entsorgt werden, irgendwie. Mein Vorschlag, die Kinder an ihrem Studienort zu besuchen, prallte ab an deren ehernem Widerwillen, den sie verlegen mit äußerst durchschaubaren Gegenargumenten zu camouflieren versuchten – kein Schlafplatz in der Bude, dringende Lerngruppensession, da entscheidende Examensarbeiten in der kommenden Woche anstanden, und dergleichen.

    »Gut, dass ich schon vor Jahren die Lokalzeitung abonniert habe, den Neuen Blusterwaldboten«, freute sich meine Gattin und fand auch bald die Lösung für ihr Problem. Unter der Rubrik »Veranstaltungshinweise« wurde da geworben für ein Wochenendseminar mit Vollpension, eine Schreibwerkstatt für literarisch Interessierte. Wer sonst keine Interessen hat, so dachte meine Gattin, sollte wenigstens der Literatur aufgeschlossen gegenüberstehen, sofern er des Lesens und Schreibens mächtig ist. Da sie fand, dass dies auf mich zutraf, meldete sie mich kurzerhand an, ungeachtet der stolzen Teilnahmegebühr in dreistelliger Höhe. Ihr Mädels-Weekend war es ihr wert.

    »Was soll ich denn in einer Schreibwerkstatt?«, wagte ich noch einzuwerfen.

    »Du brauchst dringend ein Hobby«, beschied mich meine Gattin. »Und schreiben kann jeder.«

    »Ich bin Banker, ich schreibe Zahlenkolonnen und Geschäftsbriefe, keine Literatur.«

    »Dann schreibst du jetzt eben einen Krimi. Bei deiner Bank sitzt du doch an der Quelle, da müssten die Einfälle nur so sprudeln. Denk doch einfach an deinen Chef Zumbichl, diesen Psycho, der den ganzen Tag Organigramme zeichnet. Oder an den Kollegen mit der Liebstöckelallergie. Der Liebstöckel-Mord – das wäre doch ein guter Titel?«

    Ich hatte keine Lust, mich auf eine Diskussion einzulassen, die ich ohnehin schon verloren hatte, und fügte mich. Ein kleiner Koffer war schnell gepackt, und an einem von der milden Herbstsonne vergoldeten Freitagnachmittag im September machte ich mich auf den Weg. Natürlich nicht, ohne mich vorher mit einem innigen Kuss von meiner geliebten Gattin verabschiedet zu haben. Ehrensache.

    So – ich habe mich höflich vorgestellt, jetzt fange ich noch einmal von vorne an mit meinem Bericht:

    Eigentlich wollte ich einen Kriminalroman schreiben. Schreiben, wohlgemerkt, nur schreiben, nicht erleben. Das Rüstzeug zu dieser mir aufgezwungenen Freizeitbeschäftigung sollte ich auf der Wilhelmspfalz erwerben.

    Die Wilhelmspfalz ist – durchaus nicht nur nach eigenen Aussagen – das renommierteste Kulturzentrum unserer Region. Das Anwesen liegt oberhalb der Ortschaft Volkersrode auf dem Gipfel einer Anhöhe, dem Nissenkogel. Dieser ist der östlichste Ausläufer einer mittelgebirgigen Hügelkette, die den Namen Blusterwald trägt. »Hinter dem Bluster wird es duster«, sagt man hierzulande. Ich möchte hinzufügen, dass es auch vor dem Bluster nicht wesentlich heller ist, aber das nur nebenbei. Ringsum erstreckt sich Flachland, so weit das Auge reicht. Rübenäcker, Maisfelder, Rinder-, Pferde- und Schafweiden.

    Von Volkersrode aus – einem etwas aus den Nähten geplatzten Dorf mit Bahnanschluss, Kirche, Grundschule, Apotheke, Supermarkt und zwei Ärzten – kann man die Wilhelmspfalz nicht sehen. Sie versteckt sich hinter einem Buchenwald, durch den sich eine schmale geteerte Straße in engen, aber mäßig steilen Serpentinen den Hang emporschlängelt. Oben mündet die Fahrstraße gegenüber vom Eingang der Wilhelmspfalz in einen Wanderparkplatz. Von hier aus brechen zünftig in Kniebundhosen und Lodenjanker gewandete Gruppen von Naturfreunden gerne zur sonntäglichen Blusterwald-Kammwanderung auf, nachdem sie ihren chromblitzenden Geländewagen die unvermeidlichen Nordic-Walking-Stöcke und die Feldflasche mit der Bionade entnommen haben.

    An diesem Freitagnachmittag aber, als ich den Gipfel des Nissenkogels erreichte, war der Parkplatz leer. Ich sah auf die Uhr. Natürlich, ich war zu früh dran, wie immer. Noch über dreißig Minuten bis zum Einchecken am Empfangstresen der Literaturwerkstatt. Im Auto sitzen zu bleiben, dazu hatte ich keine Lust. Warum sollte ich nicht ein halbes Stündlein früher erscheinen? Hier auf der Wilhelmspfalz wimmelt es von feingeistigen Menschen, durchdrungen von Kunstsinn, Bildung und Humanität, dachte ich, da wird die Lappalie meiner verfrühten Ankunft kein Problem darstellen. Ich schnappte also meinen kleinen Koffer, schloss den Wagen ab und begab mich an die Pforte dieses Tempels der Hochkultur.

    Die Wilhelmspfalz ist umgeben von einer übermannshohen Mauer aus solidem Kalksandstein, der hier am Blusterwald in früheren Zeiten in zahlreichen Steinbrüchen gewonnen wurde. Ein ebenso hohes, zweiflügliges Eichenholztor, gitterartig belegt mit vergoldeten Jugendstil-Ranken aus meisterlich geschmiedetem Metall, lässt den Besucher darauf schließen, dass die Gründer dieses Anwesens nicht nur über erlesenen Geschmack, sondern auch über ein erlesenes Bankkonto verfügt haben.

    In einen massiven Torpfeiler aus Sandstein war eine Gegensprechanlage samt dem Auge einer Überwachungskamera eingelassen. Ich drückte den Klingelknopf und blickte mit freundlicher Miene in die Kamera. Es dauerte eine Weile, ehe im Kameraauge das Licht anging, der Lautsprecher knackte und die Stimme einer älteren Dame mit »Ja, bitte?« nach meinem Begehr fragte. Ich stellte mich höflich als Teilnehmer der Literaturwerkstatt vor. »Einlass um siebzehn Uhr!«, krächzte es aus dem Lautsprecher, der zum Abschluss noch einmal boshaft knackte, dann erlosch das Licht der Kamera, und ich stand wie der sprichwörtliche Ochs vor dem Tor.

    »Lässt sie dich nicht rein?«

    Erschrocken fuhr ich herum. Lautlos hatte sich ein alter Mann herangeschlichen. Er schob ein E-Bike, wie ich, ich gebe es zu, neidvoll feststellte. Der Alte war von drahtiger Statur. In seiner Jugend war er wohl an die zwei Meter groß gewesen. Jetzt ging er gebückt. Sein hellgraues Haar umflatterte ein schmales bartloses Gesicht, aus dem eine Raubvogelnase hervorsprang. Er war bekleidet mit einer grüngrauen Arbeitskluft aus strapazierfähigem Leinen, dazu trug er klobige schwarze Halbstiefel.

    »Ich bin hier der Werner«, setzte er seine Ansprache fort, nachdem ich ihn nur stumm gemustert hatte.

    Ich gehöre nicht zu den Menschen, die jedermann gleich duzen. Aber aus der Information, dass er der Werner sei, schloss ich, dass hier im Tempel der Hochkultur das trauliche »Du« üblich ist. Ich fragte also: »Gehörst du auch zur Wilhelmspfalz?«

    Werners graue Augen begannen zu leuchten. Er fletschte sein Gebiss, an dem jeder Zahnarzt ein kleines Vermögen verdienen hätte können. Es geschah wohl nicht oft, dass sich jemand für seine Person interessierte. Dabei – dies war nicht zu übersehen – brannte er darauf, ein paar Worte loszuwerden. Vielleicht auch ein paar mehr.

    »Komm mit, hast ja noch Zeit«, sagte er, wandte sich um und schob sein Rad entlang der Parkmauer ein Stück hangabwärts. »Um die Ecke ist mein privater Eingang. Bist mein Gast. Die Hexe wird sich fuchsen; soll sie!«, rief er mir über die Schulter zu.

    Ich folgte ihm. Die Parkmauer bog rechtwinklig ab von der Fahrstraße. Wir sprangen über einen schmalen Graben und stapften einen ausgetretenen Pfad zwischen Mauer und Waldsaum entlang, bis Werner an einer unscheinbaren hölzernen Pforte hielt. Er holte einen Schlüssel aus der Hosentasche und schloss auf. »Der Eingang für das Personal«, erklärte er mit leicht ironischem Unterton, ließ mich eintreten und versperrte die Tür von innen.

    Vor mir erstreckte sich ein gepflegter Park im englischen Stil. Der leicht ansteigende Hang des Anwesens war bedeckt von einem akkurat geschnittenen Rasen. Raffiniert angeordnete, von blühenden Blumenreihen umsäumte Büsche von Rhododendren, Buchs und Eiben schufen Sichtachsen auf uralte Bäume, heimisches Gehölz ebenso wie wertvolle Exoten. Es war das Meisterstück eines Landschaftsarchitekten, vor mehr als hundert Jahren erschaffen.

    Am Ende einer Sichtachse, oben auf der Kuppe, erspähte ich den schmalen Ausschnitt einer herrschaftlichen Villa. Die Wilhelmspfalz. Das imperiale Gelb der verputzten Fassade leuchtete in der nachmittäglichen Herbstsonne. Niemand war zu sehen.

    Werner ließ mir keine Zeit, mich länger am Anblick des Parkes zu erfreuen. Er führte mich durch einen Laubengang auf ein kleineres Gebäude zu. »Das Gärtnerhaus«, sagte er, stellte sein Rad ab und deutete auf eine gusseiserne Bank, die neben dem Eingang stand. »Setz dich!«

    Auch wenn es nur ein Gärtnerhaus war, so machte es dem herrschaftlichen Anwesen durchaus Ehre – ein ebenerdiger Fachwerkbau, überwölbt von einem hohen, weit vorspringenden Walmdach mit zwei breiten Gauben. Die strenge Symmetrie der Fassade – das in der Mitte gelegene Tor war eingerahmt von je drei Fenstern – wurde aufgelockert durch verspielte Details, farblich hervorgehobene Schnitzereien an den Eichenbalken, florale Verzierungen am Türblatt und dezente Ornamente an den Kanten und Ecken der blütenweiß verputzten Fächer. Über dem Türstock war die Jahreszahl 1910 in den Balken eingeschnitten, flankiert von zwei gelb lackierten sechszackigen Sternen.

    Ich nahm Platz neben Werner. »Hast du was zu rauchen für mich?«, fragte er, und nachdem ich mich unter Bedauern als Nichtraucher zu erkennen gegeben hatte, zog er seufzend eine zerdrückte Packung aus seiner Jackentasche, nestelte ein Feuerzeug hervor und steckte sich einen Glimmstängel an.

    »Ob ich auch zur Wilhelmspfalz gehöre?«, begann er, nahm einen Zug, sog ihn tief in seine Lunge ein und blies den Rauch genüsslich in die Luft. »Schätz mal, wie alt ich bin!«

    Ich musterte Werner von der Seite. »Anfang achtzig?«

    Er schnaubte lachend. »Tu noch mal zehn Jahre drauf, dann kommt’s hin. Da staunst du, was?« Er hüstelte und inhalierte den nächsten Zug.

    Und danach war der Strom seiner Erzählung nur noch zu unterbrechen, wenn er sich eine neue Zigarette anzündete. Werner, mit Nachnamen Schmidtke, war der neunte und letzte Sohn einer Familie von Kleinbauern. Sein Vater, ein Säufer, verstarb, als Werner fünf Jahre alt war. »Im Jahr ’33 war das, als sie hier in der Gegend alle den Adolf feierten.« Werner vollführte zu diesen Worten mit seiner Hand, in der er die brennende Zigarette hielt, einen schwungvollen Bogen durch die Luft. Ein

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