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Das Erwachen der Flammen: Der Herr der Dämonen
Das Erwachen der Flammen: Der Herr der Dämonen
Das Erwachen der Flammen: Der Herr der Dämonen
eBook1.087 Seiten15 Stunden

Das Erwachen der Flammen: Der Herr der Dämonen

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Über dieses E-Book

In der großen Welt von Arywijen tobt ein erbitterter Kampf zwischen der menschlichen Rasse und unbarmherzigen Dämonen. Lange Widerstand geleistet, schwindet langsam die Hoffnung für die Menschen. Die letzten Überlebenden klammern sich an eine vermeintliche Wahrheit: Eine alte Prophezeiung, welche die Rettung der Welt in die Hände von vier Personen legt - die vier Flammen. Können sie den Verlauf des Krieges ändern oder wird die Dunkelheit für immer obsiegen?
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum5. Nov. 2019
ISBN9783749735808
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    Buchvorschau

    Das Erwachen der Flammen - Leon Christopher Vale

    DIE BRUDERSCHAFT DER DIEBE

    ***

    Die Bruderschaft lebt für die Freiheit.

    Stehle von den Reichen, denn die Schwachen haben nur noch ihr Leben, was sie geben können.

    Im Schatten stets verborgen, bildet die Bruderschaft eine Säule der Gesellschaft.

    Wir Diebe stehen auf ewig zusammen.

    –Credo der Bruderschaft, anonym –

    BEARONS REISE

    Es war eisig kalt. Die Nacht umhüllte den Wald und eine tiefe schwarze Finsternis schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch. Der Himmel war klar und ruhig, nur hin und wieder wurde er von einer Sternschnuppe aufgeschreckt, die über den Horizont glitt. Die Tiere hatten sich in ihre Höhlen oder in Bäume zurückgezogen, bis die ersten Strahlen des Morgens ihre Leiber wecken würden. Inmitten aller Dunkelheit erhellte das warme Licht eines Feuers, eine sonst von Finsternis umgebene Lichtung – eine Lichtung, die als einziges Schutz vor den Schatten bot.

    Um die Flammen saß ich – ein Mann, der in einen schwarzen Umhang gekleidet war und sich die Hände vor dem Feuer rieb, die furchtbare Kälte ging mir sichtlich unter die Haut. Meine Stiefel von dem feuchten Schlamm, der überall verteilt lag, besudelt. Hastig trank ich einen Schlug aus meiner Trinkflasche und biss in ein Stück Dörrfleisch, während das Feuer weiterhin die Schatten auf Abstand hielt – gerade soweit, dass die Umrisse der Bäume im leuchtenden Rot des Feuers wenige Zentimeter um mich herum erschienen.

    Schließlich legte ich die Flasche in einen, aus Ziegenleder gemachten, Beutel zurück und platzierte diesen neben einem umgestürzten Holzstamm. Seit Tagen hatte ich keinen richtigen Schlaf mehr finden können, das ständige Flüchten hielt mich auf Trab und meine Verfolger würden gewiss keine Ruhe finden, ehe sie mich ergriffen hatten. Immer schwerer wurden meine Augen und es fiel mir nicht leicht, sie offen zu halten – lange würde mein Körper nicht mehr ohne Schlaf auskommen. Meine Wenigkeit erwischte sich selbst dabei wie beide Augen zufielen, so dass ich sie vor Schreck wieder aufreißen musste, damit mein Augenlicht nicht erneut ins Dunkle schweifte. Schnell zählte ich meinen übrig gebliebenen Proviant – eine übliche Ablenkung, wenn ich Müdigkeit verspürte. Ein Apfel, aus dem Garten eines ahnungslosen Bauern gestohlen, blieb mir, zudem meine Trinkflasche, die noch die Hälfte ihres Inhalts besaß – einige Bolzen für die Armbrust waren auch noch nicht verschossen worden. Wie lange würde ich es wohl noch aushalten? Die Meilen überschlagend, welche ich noch brauchen würde, bis die nächste Stadt in Sichtweite kommen würde, kam ich durch meine Rechnungen schließlich auf gut zwanzig Meilen. Meine Waffe, eine große gut ausbalancierte Sense, lag über einem Baumstupf neben meinem Beutel, und darüber meine aus Zedernholz gefertigte Armbrust. Auf eine Entfernung von einer halben Meile, war es mir möglich einen Hasen zu erlegen, doch in dieser Umgebung würde sich niemals ein Hase zeigen, was vor allem daran lag, dass sich die Jäger aus Asael bereits ausgiebig am Wildangebot bedient hatten. Ich verfluchte sie leise und holte einen blanken Stein aus der Tasche. Den Stock der Sense auf meinem Schoß liegend, ging ich gleichmäßig mit dem Stein von der Spitzte des Sensenblattes auf und ab.

    Plötzlich knackte es direkt hinter mir, mein Körper schleuderte herum. Beruhigen konnten sich meine nervösen Blicke, als sich mir eine vertraute Gestalt von einem stämmigen Mann zeigte. Der Mann trug einen silbernen Helm, der mit einer Rose verziert war, die im Schein der Flammen zu Tanzen schien. Der Stängel der Rose mit seinen vielen – fast Daumengroßen Dornen – schlängelte sich um den strahlenden Brustpanzer des Mannes. Ohne große Mühe hätte ich ihm einen Pfeil in die Schwachstelle zwischen dem Helm und Brustpanzer schießen können, jedoch zögerte ich. Die Stiefel des stämmigen Mannes waren genauso wie meine eigenen Stiefel vom Schlamm verdreckt worden. Eine zweischneidige Axt hing am Gürtel des Mannes mit der Rosenverzierung, dieser machte aber nicht den Anschein sie zu ergreifen.

    „Nun habe ich dich also doch noch gefunden, sprach der Mann vor mir mit einem neutralen Tonfall. „Ich habe ganz Asael nach dir abgesucht. Er runzelte mit der Stirn. „Hätte nicht gedacht, dass du dich an einem Ort wie diesen niederlässt. Ich hatte vermutet dich eher im nächsten Hurenhaus – deine Beute ausgebend – anzutreffen. Eine Sekunde schwieg der Mann, dann fragte er höflichst: „Darf ich mich zu dir setzten?

    „Aber bitte doch", erwiderte meine Person und zeigte auf einen ausgehöhlten Baumstamm – einen Baumstamm, den ich zum Verstecken meines Proviants nutzte, um im Falle eines Überfalls nicht alle Habseligkeiten zu verlieren.

    Während der Mann in der weißen Rüstung zu seinem Platz hinüberging, machte ich mich daran, die Sense zurück an ihren ursprünglichen Platz zu legen.

    „Wie der Mensch strebt, so irrt er, sagte ich schließlich und meine Sense glitt mir aus der Hand auf den Baumstamm zurück. „Du hast mich also doch noch bekommen Corasson. Ich dachte der große Corasson Hawk kümmert sich nicht um kleine Diebe. Ich erntete eine ernste Miene von Corasson, der seinen Sitzplatz mit den Händen abtastete, um herauszufinden, ob der hohle Stamm sich seines Gewichtes erwehren würde.

    „Wir beide wissen, dass du kein kleiner Dieb bist, Bearon."

    Mir gefiel es gar nicht, mit welch selbstsüchtigem Tonfall Corasson sprach, dabei jedes Wort unendlich in die Länge zog, und mir dabei direkt in die Augen starrte. Sein Blick schien das Fleisch meines Körpers direkt zu durchbohren, jedoch ließ ich mir nichts anmerken, reichte Corasson lediglich eine Wasserflasche, als dieser sich gesetzt hatte.

    „Nehmt einen Schluck, Bruder." Die Flasche streckte sich in meiner Hand, seinem Körper entgegen.

    „Welche Ehre! Corassons Augen funkelten misstrauisch. „Normalerweise bin ich abwertende Bemerkungen und schlechte Witze gewohnt. Er nahm die Flasche wohlwollend entgegen und setzte sie an seinen Mund an, um langsam den Inhalt zu leeren. Nachdem die Flasche wieder zu mir zurückgereicht wurde, verstaute ich sie wieder in dem – aus Ziegenfell gemachten Beutel. Meine Blicke gingen zum Bruder zurück. Die Hand von Corasson griff immer wieder – ob durch einen Reflex gesteuert oder durch pure Vorsicht – bei jedem Blick auf meine Sense, an seine Axt. Es war eine fein gearbeitete Axt, die mit einem saphirfarbenen Edelstein am Griff verziert worden war. Der erste Ritter der Rose, welchen ich treffen durfte, war Corasson gewesen. Damals wie heute führte der Bruder noch immer seinen Auftrag aus, sich meiner zu bemächtigen. Seltsamerweise entstand daraus unsere einzigartige Freundschaft. Es war schon fast ironisch, dass ich so viele Schlachten sehen musste, wo jeder Schritt mein letzter hätte sein können, und jetzt kam mein Ende wohl sitzend um ein Lagerfeuer herum. Bei unserem ersten Treffen hatte ich ihm die Stirn bieten können. Würde mir dies nun auch gelingen?

    Die, durch das Wasser gestärkte Stimme von Corasson holte mich wieder aus meinen Gedanken zurück. „Woran habt ihr gedacht?", fragte er höflich und sah dabei ziemlich besorgt aus.

    Ich wunderte mich, da er eigentlich gekommen war um mich zu ergreifen und jetzt sorgte er sich um mein Wohlergehen. Hatte unsere Freundschaft, welche sich bei unserer Verfolgungsjagd entwickelt hatte, etwas damit zu tun? Eigentlich hielt ich Corasson immer für eine gefühlskalte Seele.

    „Alte Geschichten", erwiderte ich nur kurz, um eine längere Auseinandersetzung um dieses Thema zu vermeiden.

    „Ihr wisst, hob Corasson an, „dass ich euch nicht laufen lassen kann. Der Hochkönig verlangt euren Tod. Ihr werdet wegen Mordes und Verrates, zusammen mit dem Auserwählten Arywijens, gesucht. Darüber hinaus wünsche ich den Aufenthaltsort des Zerstörers aller Hoffnung zu kennen. Corasson streckte seine Brust heraus. „Ihr werdet ihn mir verraten!, schrie er wütend, wobei sich seine Miene verfinsterte. „Wisst ihr denn nicht welch eine Qual es für die Menschen war, als sie von jener traurigen Nachricht erfuhren – welch Leid wurde an diesem Sonnentag verbreitet.

    Ich war empört, es machte mich zornig den Worten von Corasson zuzuhören. „Denkt ihr, ich würde nicht jeden Tag bereuen, dass ich den Auserwählten – ihr nennt ihn Zerstörer aller Hoffnung – habe ziehen lassen. Doch die Zeit ist endgültig und lässt sich nicht zurückdrehen. Ich legte meine Blicke entschlossen auf das Gesicht des Bruders. „Corasson, was hättet ihr getan?

    Corasson erwiderte nichts und starrte in die Flammen des langsam erlöschenden Feuers, seine blauen Augen leuchteten wie die Sterne am eiskalten Nachthimmel, der sich über ihnen erstreckte.

    „Außerdem kann ich, selbst wenn ich den Aufenthaltsort des Auserwählten kennen würde, ihn dir nicht mitteilen. Meine Ehre gebührt es." Meine Rechtfertigung schien der Bruder des Rosenritterordens nicht nachvollziehen zu können.

    „Zum Teufel mit eurer Ehre, schrie Corasson wutentbrannt. „Eure Ehre ist der Grund weshalb unsere Welt beinah untergegangen wäre.

    Dieses Mal war ich es, der nichts erwiderte. Es war eine kalte Nacht und somit zog ich meinen schwarzen Mantel enger um den Körper. Ein Heulen ertönte; kaum hörbar für mich in der weiten Ferne. Erst war es schwach, wurde dann aber immer lauter, je näher sich die Schritte dem Lagerfeuer näherten. Das Heulen war nun laut genug, dass ich es, als das eines Wolfes identifizieren konnte.

    „Sie sind hier, sagte Corasson und richtete seinen Blick in den Wald hinter mir. „Ich werde versuchen sie wegzulocken. Streng ruhten seine Augen auf mir, dann zog er eine Augenbraue hoch. „Ich hoffe, du bist noch hier, wenn ich zurückkehre." Corasson stand auf, seine Axt in seiner rechten Hand erhoben.

    Ohne dass wir ein weiteres Wort hätten wechseln können, war der Bruder in die Dunkelheit davongeeilt. Der Gedanke an eine Flucht schien verlockend, ich redete es mir schließlich aber aus - ohnehin kam man in dieser Wildnis nicht bemerkenswert schnell voran. So vertrieb ich mir die Zeit mit kleinen Schießübungen. Die Armbrust nahm ich vom Holz, lud einen kleinen Bolzen ein und drehte die Kurbel bis zum Anschlag, so dass ein befriedigendes Klicken zu hören war. Ich zielte auf den Ast einer entfernten Tanne, die allein - abgeschieden von anderen Bäumen - am Rande des vom Feuer erhellten Bereichs stand. Ein Zischen erklang, die Flammen des prasselnden Feuers wurden zerschnitten und der Bolzen traf genau die Mitte des Astes. Geschwind verschoss ich noch ein Paar mehr, bis die schweren Schritte eines gewissen Ordensbruders hinter mir erklangen.

    „Hast du sie von meiner falschen Fährte überzeugen können?", fragte ich amüsiert.

    „Wollen wir es hoffen, grummelte der Bruder durch seinen hellen Bart hindurch. „Obwohl es eine kleine Überraschung gegeben hat. Jetzt musste ich mich doch umdrehen, die Augen eines Wolfes blitzten in der Dunkelheit auf, welche mich direkt anstarrten. „Er war mir hinterhergelaufen. Ich konnte ihn unmöglich wieder wegschicken, „erklärte Corasson kurz, als er sich wieder auf seinen ausgehöhlten Baumstamm setzte und der Wolf an seiner Seite platznahm. Sein Fell wehte sanft im frosterfüllten Wind, und seine Augen funkelten im Schein des Feuers, was mir Unbehagen bereitete. „Ich glaube ich nenne ihn Soran. Corasson streichelt den Wolf hinter den Ohren, dieser gab seinerseits ein erfreutes Heulen von sich. Mir verlieh der Wolf immer noch – konnte es auch nicht erklären – ein Gefühl des Missmutes. Lange starrten sich der Wolf und ich gegenseitig an, und niemand machte eine Geste, weder des Abneigens noch der Freundschaft. „Habt ihr euch schon angefreundet?, fragte Corasson und auf seinem Gesicht zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab, gefolgt von einem kurzen Lachen. Ich ließ von Soran ab und warf einige weitere Holzscheite in das Lagerfeuer, damit es seine Wärme nicht verlor. Leise prasselten die neuen Holzscheite unter den züngelnden Flammen, während ihre Glut emporstieg. Was wird er jetzt tun? Ich richtete den Blick wieder auf Corasson, der sich ein Stück Dörrfleisch an einem Stock über dem Feuer briet. Eine lange Zeit sagte keiner von uns etwas, nur das leichte Wehen des Windes um unsere Körper und die Wärme des Feuers waren zu spüren. „Ich muss dich etwas fragen Bearon?", durchbrach der Corasson schlussendlich die Stille.

    „Was wollte ihr Bruder?", fragte ich, ohne einen Ton der Abneigung in meiner Stimme mitschwingen zu lassen.

    „Warum habt ihr den Zerstörer aller Hoffnung damals nicht an seinem Werk gehindert?" Der Bruder nahm einige Bissen des Fleisches.

    Unruhig auf meinem Platz rutschend, hätte ich Corasson liebend gerne irgendeine Lüge erzählt, doch war mir klar, dass sich das Lügen als zwecklos herausstellen würde, wusste nicht warum, doch in der Nähe von Corasson fühlte ich mich, als wären meine äußeren Mauern bereits eingestürzt.

    „Damals, ich hielt einen Moment inne, dann wurde meine Stimme trauriger, „blendeten mich meine Gefühle vor einem Blick in die Zukunft…vor dem, was geschehen könnte.

    „Dies kann doch nicht der einzige Grund gewesen sein, den Tod von so vielen unschuldigen Seelen zu tolerieren", sagte Corasson ungläubig, aß anschließend die letzten Stücke seines Fleisches. Mit gierigen Bissen, riss er es vom Stock.

    „Teilweise war es meine Schuld, dass gebe ich zu, erwiderte meine Person, ohne auf den vorherigen Satz von Corasson einzugehen und richtete meine Blicke zu Boden. „Selbst wenn ich den Auserwählten hätte aufhalten wollen, ich blickte nicht auf, starrte traurig zu Boden, „mit welcher Kraft denn?"

    Wieder wurde die Miene von Corasson von Zorn überflutet und tiefe Falten bildeten sich auf seiner Stirn. „Du warst sein Mentor. Du kanntest ihn besser als alle anderen und hättest es wissen müssen. Die Stimme von Corasson war voller Wut, doch ließ ich mich nicht provozieren, fragte lediglich: „Ist es ein Fehler jemanden seinen innigsten Wunsch zu erfüllen?

    „Ich möchte meinen, hob der Bruder an, „dass dies wohl rückwirkend betrachtet, einfach zu beantworten ist. Seine Stimme klang weniger Vorwurfsvoll und sein Gesicht entspannte sich. „Welchen Grund mag es für so eine Tat gegeben haben?" Er warf den Stock, an dem soeben noch das Dörrfleisch aufgespießt worden war, in die Flammen unseres Lagerfeuers.

    „Glaub mir Corasson, begann ich, „im Nachhinein gestaltet es sich einfach mit dem Zeigefinger zu wackeln und die Taten eines anderen zu verurteilen. Doch wart ihr nicht dort. Meine Gedanken wurden von den schrecklichen Ereignissen der Vergangenheit überflutet, die eigentlich für immer vergessen werden sollten. Dann warf ich die schmerzlichen Gedanken von mir ab und sah zu Soran hinüber. Der Wolf hatte sich zum Schlafen zusammengerollt und die Schnauze lag über seinem Schwanz. Seine Augen waren bereits geschlossen, nur seine Ohren bewegten sich bei jedem Knistern des Feuers. Er wirkt so friedlich. Ich wandte mich wieder Corasson zu, der erwartungsvoll seine breiten Schultern gestrafft hatte – sein wettergegerbtes Gesicht auf die Flammen gerichtet.

    „Ich kenne die Legende des Auserwählten?", sagte Corasson entschieden, ohne den Blick vom Feuer abzulassen.

    Ich seufzte. Seit mehreren Wochen hatte meine Person versucht die schrecklichen Geschehnisse hinter sich zu lassen, doch musste ich mir eingestehen, dass meine Seele nicht damit gerechnet hatte, nie mehr mit dem Vergangenen konfrontiert zu werden. So leerte ich zunächst die Trinkflasche, aß das letzte Stück meines Dörrfleisches und nahm im Anschluss ein Buch aus dem Beutel. Corassons Blicke richteten sich augenblicklich auf das Buch.

    „Woher habt ihr…", seine Stimme kam ins Stocken und brach komplett ab, als das Buch aus dem – zum Schutz genutzten Tuch – von meinen Händen herausgeholt wurde.

    „Jedermann hat seine Quellen, Corasson. Ich konnte mich eines Lächelns nicht erwehren. Das Buch war in dickem Leder eingebunden und die Vorderseite war übersäht von hartnäckigem Staub, der sich, so sehr man auch mit seiner Hand über die Seite ging, nicht lösen wollte. Dann las ich die Überschrift laut vor: „Die Legende des Auserwählten. Kein passender Name – so fand ich, denn mein ehemaliger Novize, um den es ging, hatte den Namen eines Auserwählten nie bevorzugt. Er hatte sich niemals als ein Mann des Volkes sehen wollen, und schon gar nicht als ein Auserwählter. Die Chroniken eines Meisterdiebes, wären besser gewesenen, denn ein solcher war er gewesenen. Ich merkte, dass meine Gedanken um ein weiteres Mal abschweiften, wodurch meine Blicke wieder zu Corasson gingen, welcher noch immer keinen Muskel rührte. Seine Blicke starrten das Buch voller Gier an. Diesen Blick sah ich schon oft; ein Funkeln in den Augen – ein Verlangen, welches über den Rand jeglicher Vernunft hinausging und einen Mann zu schrecklichen Schandtaten führte. Äußerlich versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen, doch im Inneren kam die Nervosität auf.

    Die Finger unter meinem Handschuh streiften über die Seiten. Jede Einzelne war bereits stark über die Jahrhunderte beschädigt worden und tiefe Risse zogen sich durch das dünne Papier.

    „Dieses Buch stammt aus dem Großen Archiv unterhalb des Leuchtturms von Fira. Ich habe es an mich genommen, denn die Wahrheit dessen Inhaltes zweifle ich an. Ich schüttelte verzweifelt meinen Kopf und meine Finger krampften sich zusammen. „Die Geschichtsschreiber waren nicht dabei, fluchte ich wütend, „als der Auserwählte – Zerstörer aller Hoffnung nennt ihr ihn, sich entschieden hat. Niemand stand an Rande des Abgrunds außer er, und ich. Keiner von ihnen wird es je erfahren, wie es ist eine so schwere Last zu tragen." Ich sah das nachdenkliche Gesicht von Corasson.

    „Was habt ihr denn damit vor?" wollte der Bruder gleichgültig wissen.

    Jedoch sagte ich nichts und schlug das Buch mit einem lauten Knall wieder zu. Kurz lachend, umklammerten meine Finger das Buch fester. Mit einem leichten Wurf landete es in den Flammen. Sofort Feuer fangend, verschwand der Ledereinband binnen von Sekunden – nichts als Asche blieb übrig. Zu meiner Überraschung wurde Corasson nicht hysterisch und auch keine von Zorn erfüllten Wörter verließen seinen Mund. Der Rosenritter atmete nur stillschweigend ein und wieder aus, wobei seine Blicke nun wieder ins Feuer gerichtet waren. Seit Tagen schon trug ich dieses Buch mit mir herum, ohne dass es vernichtet werden konnte, und nun fühlte ich mich sichtlich erleichtert.

    „Was habt ihr getan?" fragte Corasson nun doch und der Zorn in seiner Stimme ließ sich nicht verbergen. Die Augen zusammengekniffen, starrte er gebannt auf mich, vermutlich weil er hoffte eine sinnvolle Rechtfertigung zu hören.

    „Alles Lügen Bruder, sprach ich gleichgültig. „Ihr solltet am besten wissen, dass man nicht blindlings allem Vertrauen schenken sollte, was man liest. Mit einem breiten Grinsen, fragte ich amüsiert: „Lehrt euch der Glaube denn nicht zu zweifeln?"

    Corasson schien auf diese Frage nicht vorbereitet zu sein und er zog eine Augenbraue hoch. „Der Glaube lehrt uns, den Göttern zu dienen und sie nicht zu hinterfragen, aber ihr werdet dass sicher nie verstehen, rechtfertigte er sich kühl. „Wie könntet ihr auch…ihr seid schließlich nur ein Dieb.

    „Ihr habt Recht Bruder…ich bin ein Dieb, doch auch ein solcher hat seinen Glauben. Wo würden es denn enden, wenn nicht jeder an etwas glauben würde. Ich beschloss dieses Thema für das Erste auf sich beruhen zu lassen. „Um zu wissen, hob ich unerschütterlich an, „wie alles damals geschehen konnte, müsst ihr erfahren wie meine Reise mit meinem Novizen begann und die Wahrheit in den daran anschließenden Ereignissen erkennen. Ich warf Corasson einige strenge Blicke zu, dann erklärte ich ärgerlich: „Damit meine ich die ganze Wahrheit, ohne die Lügen und feinen Ausschmückungen der blinden Priester, die jene Bücher verfassen, deutete bei meinen Worten auf die Asche, die von der Legende des Auserwählten nur noch übrig geblieben war. Bald würde sich die Asche mit der des Holzes vermischen, und jeder würde vergessen, dass dieses Buch je existiert hatte. Corasson schaute nachdenklich zu Boden und für lange Zeit rührte sich nichts in ihm. Es musste schon weit über Mitternacht sein, die Tiere des Waldes würden bald geweckt werden. Es blieb nicht mehr viel Zeit. Corasson schreckte auf, wie jemand, der aus einem tiefen Schlaf gerissen wurde.

    „Wenn ich dir verspreche, deiner Geschichte Gehör zu schenken, wirst du dich mir ergeben…freiwillig."

    Ohne zu zögern gab ich meine Antwort: „Du wirst bald feststellen müssen, dass es niemanden mehr gibt, den du gefangen nehmen möchtest."

    Wieder zog Corasson nur eine Augenbraue hoch. „Dann lass uns beginnen."

    ERSTES KAPITEL

    Garrett

    W arme Sonnenstrahlen, der hoch am Himmel stehenden Sonne, drangen durch ein löchriges Kirchendach und warfen das erste Stockwerk jenes Bauwerks in einen goldenen Schein. Es war der sechsundzwanzigste Tag des Monats Ovaria und die Bäume begannen bereits ihre Blätter abzuwerfen, welche in einem rotbraunen Ton die Straßen füllten. Garrett saß, mit dem Rücken gegen eine Bank gelehnt und betrachtete die vielen geschäftigen Menschen der Stadt. Die verschiedensten Gewürzhändler an ihren Ständen brüllten über den Jahrmarkt hinweg.

    Unteranderem konnte Garrett den Duft von Thymian und Rosmarin, aber auch die seltene rote Substanz von Faran – ein Gewürz aus den Früchten der Bäume des Waldes von Thakaia, welches vornehmlich Verwendung fand, wenn man Mahlzeiten einen scharfen Geschmack verlieh, riechen. Sehen konnte er einen, in Pelz gehüllten Gewürzhändler mit einem schwarzen Tuch als Kopfbedeckung. Der Mann schrie einige Wörter – größtenteils Beleidigungen – zu dem ihm gegenüberliegenden Stand.

    „Der Hintern meines Esels riecht ja besser als deine Waren", stieß der Händler hervor und erntete von seinem Kollegen nur eine abwertende Geste.

    Garrett setzte ein Lächeln auf. Wie schön sich die Menschen doch verstehen, dachte er, wobei seine Blicke langsam von den Gewürzhändlern abschweiften, hin zu einer - vor ihrem Zelt am äußeren Rand des Jahrmarktes stehenden Frau. Sie war kleiner als eine durchschnittliche Erwachsene und überschritt wahrscheinlich noch nicht das dreißigste Lebensjahr, was er an ihrem wunderschönen Gesicht erkannte. Narben zeichneten sich auf der rechten Seite ihrer Stirn ab, lang, tief – der einzige Makel in ihrem Antlitz. Vor der Frau befand sich eine Glaskugel, in der Sterne zu glitzern schienen. Anhand der verschränkten Arme und dem gelangweilten Gesichtsausdruck, wartete sie vermutlich auf ihren nächsten Kunden. Garretts Interesse weckte sich schnell, doch konnte er sich die mysteriöse Frau erst später genauer anschauen, da zuvor noch etwas anderes erledigt werden musste.

    Vorsichtig, aus der liegenden Position aufstehend, drehte sich sein Kopf zu einer Statue direkt hinter ihm. Die Statue stellte die Göttin Era da, welche ihn und alle – sich in den Schatten befindende Personen beschützten sollte, jedoch konnte diese Figur, kaum die Größe seines Unterarmes überragen und thronte auf der verfallenen Fensterbank dieser Kirche. Die Göttin wickelte sich in ein leichtes Seidentuch, das sich eng an ihren Körper schmiegte. Ihr Gesicht unter einer Kapuze versteckt. Oft ging Garrett das Gebet an die Göttin durch, wenn er eine ruhige Minute für sich hatte. Jeder Meisterdieb lernte in seiner Ausbildung jene Worte, welche er nach einer Verbeugung in einem Flüsterton an Era richtete: „Die Schatten umschlingen die Seele jedes Menschen und verhüllen sein Angesicht. Seine Absichten bleiben verborgen, seine Taten unbemerkt. Zollt den Schatten den Tribut, den sie verlangen. Wandelt in der Dunkelheit, die euch Stärke gibt, auf dass sie sich eines Tages erheben kann."

    Nicht aus Zufall hatte er sich ein Versteck im obersten Stockwerk einer Kirche gesucht. Die Bewohner von Cindera nannten jene Kirche in der Garrett stand: die „Ketzerkirche". Weshalb, war ihm selbst nicht genau bewusst, doch es konnte damit im Zusammenhang stehen, dass vor Jahrhunderten mehr als nur ein Glaube in Cindera vorherrschte, jedoch in den vergangenen Kriegen, der Glaube an die acht Götter verboten wurde und die verbliebenen Anhänger hatte man einfach zu Ketzern erklärt. Jedenfalls mieden die Bewohner diese halb zerstörte Kirche, wodurch sich ihm die Möglichkeit eröffnete, sie in Ruhe als sein Versteck zu nutzen. Ein weiterer Grund, weshalb gerade die Ketzerkirche seine Auswahl war, lag in ihrem Standort direkt an der Küste mit hervorragendem Ausblick – besonders im Sonnenuntergang. Eine zur Hälfte eingestürzte Westwand ragte zur Stadt auf und nur ein klaffendes Loch befand sich dort, wo einst die restlichen - aus massivem Stein bestehenden Wände gestanden hatten.

    Seit einigen Wochen wuchsen im ersten Stockwerk weiße Orchideen am Boden - ein Zeichen für die Natur, welche diesen Ort bereits zurückeroberte. Im Sonnenschein glitzerten die Orchideen, gaben Garrett ein Gefühl der inneren Ruhe, vermischt mit ihrem süßen Duft. Jedes Mal, wenn es in seinem Leben Probleme gab, suchte er diesen Ort auf um wieder klare Gedanken zu bekommen.

    Ein lauter Trompetenstoß holte ihn zurück in die Wirklichkeit. Er schaute erneut nach Norden, wodurch sich ein perfekter Blick auf das Spektakel unter ihm bot. Fahrende Schauspieler bauten eine kleine Bühne inmitten des Jahrmarktes auf. Viele geschickte Hände schafften es, dass schon bald alle Materialien an Ort und Stelle platziert waren, damit man die fertige Bühne auch erkennen konnte. Ein heller Holzboden unter einem blutroten Stoffhimmel bildete die Kulisse.

    Die lauten Klänge des Trompetenspielers wichen dem sanften Gesang einer blondhaarigen, auf die Bühne schreitenden Frau. Sie trug bunte Kleider und spielte auf einer Laute, weshalb Garrett darauf schloss, dass sie eine Bardin sein musste. Ihre schlanke Figur wurde von den sich abwechselnden, farbigen Streifen ihrer Bekleidung besonders zur Geltung gebracht. Das schmale Gesicht der Frau wirkte gelassen – kein Anzeichen von Nervosität konnte man erkennen. Während sie sang, spielten ihre Finger auf einer Laute melodische Klänge. Perfekt harmonierte ihre Stimme mit dem Klang des Instrumentes, so dass Garrett jenes gesungene Lied sofort erkannte.

    Dabei handelte es sich um etwas, dass nur allzu oft gesungen wurde, bevor man die alten Kriege nachspielte. „Die Seele des Blutes und der Tränen", hieß das Lied, soweit es ihm gelang, sich noch daran zu erinnern. Lauschend auf die sanfte Stimme der Frau und die melodischen Klänge, fühlte er sich gestärkt für seine nächste Aufgabe.

    Nachdem die Melodie sowie der Gesang endeten, traten die verschiedensten Darsteller auf die Bühne, alle trugen sie Stoffrüstungen und ein Schwert aus Holz. Während ein Erzähler im Hintergrund die Handlung schilderte, versuchten die Darsteller wild aufeinander einzuschlagen, wie in einem echten Kampf auf Leben und Tod. Noch eine Weile folgte Garrett dem Schauspiel, ehe er sich abwandte und sein eigentliches Ziel ihm wieder bewusst wurde. Ein Haus – prachtvoll geschmückt – ragte aus der Menge der grauen, mit Asche überzogenen Häuser hervor, welche es umgaben. Das Haus des Statthalters. Zweifelsohne würde sein Besitzer an diesem Tag, sich die auftretenden Darsteller nicht entgehen lassen. Doch soweit Garrett wusste, nahmen für gewöhnlich Diener nicht direkt an öffentlichen Aufführungen teil. Erst nachdem die hohen Herren wieder in ihren Häusern einkehrten und den Dienern freie Zeit gewährten, konnten sie sich den Rest der Aufführung ansehen. Obwohl es schon seit Anfang der Dämonenkriege, die direkt nach den Befreiungskriegen begannen und noch immer andauerten, keine Sklaverei mehr in Cindera geben sollte oder irgendwo anders in Arywijen, behandelten die meisten ihre Diener immer noch wie früher.

    Die Wut stieg in ihm auf, doch musste er sie schnell wieder herunterschlucken und freute sich schließlich als er die fettleibige Gestalt des Statthalters – umgeben von einem Kreis aus Stadtwachen – aus dem Haus seiner Begierde gehen sah. Es war an der Zeit für ihn aufzubrechen.

    Er war schon fast an der Treppe angelangt, da ertönte erneut das Lied der „Seele des Blutes und der Tränen". Traditionsgemäß kündigte dies jeden neuen Akt eines vom Krieg handelnden Theaterstückes an. Wie viel Blut musste damals wohl vergossen worden sein, kam die Frage in ihm hoch, während er bereits die Treppe der Ketzerkirche herunterschritt. Wie viel hatte diese Welt damals verloren und wie viel würde sie in diesem Krieg noch verlieren.

    ***

    Das Haus des Stadthalters wirkte von innen noch prachtvoller. Garrett hatte die große Menschenmenge des Marktes gemieden und war an der Westseite durch ein offenes Fenster in den ersten Stock hineingeklettert. Der Stadthalter hatte sich noch immer das wundervolle Schauspiel angeschaut, dessen Ende noch lange nicht ersichtlich schien, wodurch Garrett in Ruhe einen Blick in sein Haus werfen konnte.

    Nun befand er sich direkt auf dem Flur des ersten Stockwerkes, welches mit einem roten Teppich auf dem Boden geschmückt war. An den Wänden hingen Bilder vergangener Schlachten, dicht gefolgt von staubigen Ritterrüstungen aber auch gewöhnliche Blumen oder auch ein Hufeisen zeigte sich ihm. Leise schlich Garrett in geduckter Haltung den Flur entlang. Leider befand sich der Gegenstand von Interesse, laut seinen Informationen in einem Raum des zweiten Stockes. Nur hin und wieder stand die Tür eines Raumes offen, so dass Garrett – von seiner Neugier gepackt - einen kurzen Blick hineinwarf. Kurz hielt er inne, während eine beeindruckende Sammlung an verschiedensten Waffen die Wände zierte und seine Aufmerksamkeit auf sich zog – von Kriegsäxten aus Fortonah im Norden bis Krummschwertern aus Corseé im Süden besaß der Eigentümer des Hauses alles. Nie hielt er den Stadthalter für einen Waffensammler, eher für einen bücherlesenden Wurm aufgrund seiner Statur. Wiedereinmal zeigte sich, dass man keine voreiligen Schlüsse ziehen sollte, wenn sich einem nur das Äußere eines Menschen zeigte. Bei dem Gedanken fiel ihm plötzlich ein, dass er keinerlei Bücher gesehen hatte, weder in Regalen noch in Schränken.

    Der Flur machte eine Abzweigung nach links und führte an zwei manneshohen Statuen vorbei - Statuen wie sie nur selten in Cindera gesehen wurden. Sie zeigten den Gott der Flammen Urfael mit seiner prächtigen Rüstung und seinem etwa drei Armlängen großem Schwert mit breiter, gezackter Klinge. Es ist gefährlich eine solche Statue bei sich zu haben, dachte Garrett. Sein Glaube galt allein der Göttin Era, weshalb die anderen Götter für ihn ohne Belang waren. Der Glaube an das Feuer macht dich schwach, sprach die Stimme seines damaligen Mentors in Gedanken. Anhänger des Urfael, folgten dem Glauben, dass ein Tod in der Schlacht von ihrem Gott belohnt werden würde. Daher befürwortete der Glaube an den Gott Urfael den Krieg, was von Garrett nicht nachvollzogen werden konnte.

    Seine Blicke schweiften von den Statuen ab und sein Körper setzte sich wieder in Bewegung, folgte dem langsam enger werdenden Flur, der am Beginn einer Wendeltreppe endete. Die Tür des letzten Zimmers vor dem Anstieg, stand einen Spalt weit auf, so dass nur ein schwacher Lichtschein durch den Schlitz zwischen Tür und Rahmen fiel. Garretts Neugier war zu groß, als das er gleichgültig weitergehen konnte. So schob sich die Tür aufgrund des Drucks seiner Hände leicht nach hinten, wobei sie ein kleines Stück angehoben werden musste, damit sie nicht über den Boden kratzte.

    Nachdem die Tür vollständig geöffnet war, bat sich ihm eine bessere Übersicht über das Zimmer, erhellt von einem gedämpften Lichtstrahl, der durch ein schmales Fenster ihm gegenüber fiel. Die Wände bestanden aus weißem Stein, unter dem Fenster stand ein schmales Bett – zu klein für einen Erwachsenen. Er wusste nichts von einem Kind des Stadthalters, wodurch sich das Feuer seiner Neugierde nur noch mehr anfachte.

    Stets darauf bedacht in den Schatten zu bleiben, drang Garrett schleichend ins Zimmer vor. Ein mit Perlen verzierter Spiegel hing neben dem Bett, wovor sich ein - aus zerschlissenem Holz bestehender Stuhl - befand. Wenn dies das Zimmer des Kindes des Stadthalters sein sollte, dann machte der Vater sich nicht viele Gedanken um die Einrichtung seines Schützlings.

    Ein Knacken ließ ihn herumfahren und sein Atem setzte fast aus, als er ein junges, großgewachsenes Mädchen, noch keine sechszehn Winter alt, vor sich stehen sah. Feuerrotes Haar, welches sie zu einem Knoten zusammengebunden hatte, fiel ihr bis zu den Schultern herunter. Ein rostbraunes Kleid aus Seide, bedeckte den Körper des Mädchens und ein schwarzes Band wickelte sich um ihren Hals. An ihren Händen konnte Garrett einen Ring erkennen, in dem ein Smaragdstein eingearbeitet war, was ihre grünen Augen noch mehr zum Vorschein brachte. Ihre schlanken Finger strichen über ihr Kinn, während sie Garrett musterte. Seltsamerweise, musste er eingestehen, dass sein eigener Körper unfähig war sich in diesem Moment zu bewegen. Du musst sie jetzt töten, sie hat dich gesehen, mahnten ihn seine Gedanken, doch Garrett besann sich eines Besseren, schließlich trug sie nicht die Schuld an ihrem Treffen.

    Statt seinem Kopf zu folgen, stellte er sich aufrecht hin, hörte auf sein Herz und betrachtete ihr unschuldiges Gesicht – in ihren Augen bildeten sich die ersten funkelnden Tränen. Obwohl er eine unbekannte Person darstellte, schien sie sich nicht im Geringsten zu fürchten, ein Grund, weshalb er zu rätseln begann, warum das Mädchen anfing zu weinen.

    „Weshalb weinst du, Kleine?", fragte er höflich und wischte ihr eine Träne aus dem Gesicht. Das Mädchen starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, schreckte nicht vor seiner Bewegung davon.

    „Mein Vater hat mich alleine mit dem Dienern im Haus zurückgelassen, rief das Mädchen traurig. Sie schien sich ihm gegenüber nicht zurückhalten zu wollen – vermutlich fand sie in ihrem Haus keine Person mit der sie reden konnte. „Immer, wenn ein Jahrmarkt in der Stadt ist, darf ich ihn nicht begleiten und muss mich mit den Dienern in diesem Haus abgeben. Alles stinkende Nichtskönner. Wahre Gründe, weshalb mich mein Vater nicht mitnimmt, erzählt er mir nie. Erschöpft sank sie auf ihr Bett nieder. „Wenn ich ihn danach frage, sagt er immer nur, dass es zu gefährlich für mich sei oder, dass er mich nur beschützen wolle. Ein gleichgültiges Schulterzucken, dann fuhr sie zornig fort: „Wahrscheinlich hat es etwas mit dem merkwürdigen Tattoo zu tun, was ich auf meiner linken Schulter habe. Mein Vater meint, dass die anderen Leute deswegen Angst vor mir haben könnten oder ich gar ins Gefängnis komme.

    Sie zeigte ihm ihr Tattoo auf der rechten Schulter. Eine schwarze Schlange mit gelben Augen, die von einem Pfeil durchbohrt wurde und vor einem Sichelmond lag. Garrett erstarrte wie Wasser, welches zu Eis gefror. Er selbst besaß ein genau gleiches Tattoo, nur auf seinem rechten Unterarm. Es handelte sich um das Zeichen der schwarzen Schlange. All jene, die unter diesem Zeichen geboren werden, sagte man eine Dunkle Gabe in ihren Körpern nach, und somit verurteilten die Menschen solche Personen. Oft sah er Leute hängen, gerade weil sie dieses Zeichen trugen, was als Beweis für ihr Bündnis mit dem Bösen genügte. Alle – wie er auch – flüchteten daher in die Arme der Göttin Era, welche Schutz für diese Menschen bot, doch diesem Mädchen konnte er dies nicht raten, schließlich schien sie schon eine schützende Familie zu haben.

    „Dein Vater ist ein weiser Mann, Kleine. Er fühlte sich in ihrer Nähe unwohl, zudem verschwendete ihr Gespräch allmählich mehr Zeit, als Garrett lieb war. „Solange du in deinem Haus bleibst, geschieht dir auch nichts, erklärte er ausdruckslos. Das Mädchen schien ihn nicht verstehen zu wollen, öffnete ihren Mund um eine Erwiderung zu äußern, doch ein Zischen brachte sie zum Schweigen. Garrett nahm zwei Silbermünzen aus seiner Tasche hervor, legte sie in die Hände des Mädchens. „Es tut mir leid", sprach er traurig, wandte sich zum Gehen um.

    „Was denn?", fragte sie noch als er bereits dabei war hinauszugehen, doch eine Antwort kam von ihm nicht, zu tief saß der plötzlich aufkommende Schmerz, hervorgerufen durch die schrecklichen Bilder seiner hängenden Eltern. Die Tür wollte er schließen, jedoch drängte es ihn den Namen des Mädchens zu erfahren, weshalb er seufzend nach ihrem Namen fragte.

    „Mein Name ist Ellaha Avara", antwortete sie mit einem leichten Lächeln, dann setzte Ellaha sich auf ihren Stuhl neben dem Bett. Sobald er aus ihrem Blickfeld verschwand, verließ er ihr Zimmer und ließ das Mädchen mit den feuerroten Haaren in der Einsamkeit ihrer Kammer zurück.

    Die Wendeltreppe war schmal, wieder versehen mit Bildern oder Waffen vergangener Schlachten, die der Stadthalter zwar aufgehängt, jedoch der zentimeterhohe Staub nicht von einer regelmäßigen Pflege zeugte.

    Über ein paar wenige Stufen erreichte er schließlich den zweiten Stock, gelangt in einen weiteren Flur. Auch hier wurde erneut ein Teppich zur Verschönerung des Bodens ausgelegt – alt, aber er strahlte noch immer seine Farbenpracht aus. Der Flur war kürzer als jener des ersten Stockes, vollkommen ohne – seine Neugier weckende Zimmer, so dass er die Tür am Ende des Flures alsbald erreichte. Zunächst horchend, um sich zu vergewissern, dass sich niemand zu diesem Zeitpunkt im Raum aufhielt, spähte Garrett danach durch das Türschloss, doch nichts war zu sehen.

    Als die morsche Holztür mithilfe eines Schwunges seiner selbst aufgeschoben wurde, fielen ihm sofort einige Bücher aus den staubigen Bücherregalen neben der Tür entgegen. Das soeben betretene Zimmer unterschied sich grundlegend von der Eintönigkeit des Hauses. Überall standen alte Bücherregale, gefüllt mit vielen Büchern der Geschichte der Götter und Arywijens. Nur ein mit Leder überzogener Sessel stand hinter einem massiven Eichenholztisch in einer Ecke des Raumes, umgeben von einer Mauer aus Regalen. Blumenmuster zogen sich fein eingearbeitet durch das Holz.

    Garretts Neugier ließ ihn zunächst auf ein willkürlich ausgewähltes Bücherregal zugehen. Feiner Staub schichtete sich vor jedem einzelnen Buch auf, doch nahm er vorsichtig eines heraus und las sich den Buchtitel laut vor: „Gwyn, der Gott der Sonne." Garrett erinnerte sich an den Glaubensunterricht während seiner Ausbildung zum Meisterdieb. Obwohl sie alle Era unterstanden, lernten alle Novizen ab und an auch etwas über die anderen sieben Götter. Für ihn reichte dies jedoch nicht aus, konnte er sich noch gut daran erinnern, wie er als Kind unzählige Bücher der Götter und großen Mythen verschlungen hatte, von Dieben aus dem großen Archiv von Fira gestohlen. Daher wusste Garrett auch etwas über den Gott Gwyn: Seine Anhänger trachteten stets danach das Böse zu suchen und zu vernichten, nutzten dabei die Macht des Lichtes.

    Die erste Seite wurde von Garrett aufgeschlagen, dabei gab sich eine Zeichnung auf dem hauchdünnen, brüchigen Papier zu erkennen. Ein Mann trug eine leichte Rüstung mit dem Symbol eines goldenen Schwertspeeres, um das wirbelnde Blitze schlugen. Sein spitzer Helm war mit grauen Federn versehen und um seine Handschuhe wickelten sich, aus roter Seide bestehende Tücher. Eine Hand des Mannes hielt einen eben solchen Speer wie das Symbol in die Luft, versehen mit merkwürdigen Schriftzeichen und weißem Leder um die Stange der Waffe. Im Hintergrund leuchtete eine Sonne die dem, auf einem Stein stehenden Mann, einen langen Schatten bescherte. Garrett schaute sich die Zeichnung noch einen Augenblick an, ging die fein gearbeiteten Striche der Zeichnung mit seinen Fingern nach, wodurch sich Farbrückstände auf seine Haut übertrugen und betrachtete anschließen das Symbol auf dem Brustpanzer des Mannes. Solch ein Symbol stellte eine Verbindung zu Gwyn da, doch wusste er die genaue Bedeutung nicht. Auch der Umhang des Mannes, der ihm bis fast zu den Füßen über die Schultern hing, trug das Symbol des Schwertspeeres.

    Es lockte ihn die nächsten Seiten des Buches anzuschauen, die Anspannung ließ seine Haut kribbeln, widerstand dem Gefühl jedoch und stellte das Buch zurück an seinen Platz. Nicht viele hatten die Chance einen Blick auf solch ein Buch werfen zu können, schon gar nicht in einem Land, wo die Anbetung der Götter untersagt war. Zu seiner Überraschung füllten sich sämtliche Regale mit Büchern über die Götter und ihre Anhänger.

    Der einzige, dessen Anbetung gestattet wurde, trug den Namen eines falschen Königs. Der König, der sich am Ende der Kriege unter den Menschen als Hochkönig von Arywijen ausgerufen hatte. Nun beanspruchte er die ganze Welt für sich, mit Hilfe von Dämonen. Dabei wurde die Jagd nach den Anhängern von Gwyn, die für das Gute einstanden, immer grausamer.

    Garrett wandte sich dem Schreibtisch zu, denn schließlich musste er als Auftrag einen gewissen Gegenstand aus diesem Haus stehlen. Bevor seine Mission begonnen hatte, war ihm das genaue Aussehen der Beute beschrieben worden. Ein schlichter, silberner Ring mit Schraffierungen wie Ruß, welcher in der Mitte einen Rubin trug. Man erzählte Garrett, dass es sich hierbei um den Ring von Urfael handeln sollte, den er in der Schlacht an der Nebelwand trug – Garretts Gedanken schweiften in alten Geschichtsbüchern.

    Urfael stellte sich einst ganz allein gegen eine Horde von einhunderttausend Dämonen. Die Schlacht ging als „die Mauerschlacht" in die Geschichtsbücher ein, da Urfael nicht einen Schritt nach hinten an die Berge heran getreten sein soll.

    Aus seinen Gedanken zurückgekehrt, rief er sich ins Gedächtnis, dass der Stadthalter jeden Augenblick zurück sein konnte. Die Schubladen durchsuchte er, wobei leider nur ein leeres Pergament zu finden war sowie einige Silbermünzen – eine leichte Beute für ihn. Ebenfalls landeten die silbernen Federhalter in seiner Tasche. Wäre doch schade, wenn sie in diesem Zimmer verkommen würden, dachte Garrett scherzhaft.

    Als er die letzte, sich unterhalb der Tischplatte befindende Schublade, mit einem erschöpften Seufzen zuschob, fiel sein Blick auf ein Blumenmuster am Knauf der Schublade. Die Blume schien eine Sonne darzustellen. Natürlich, ging es ihm durch den Kopf. Der Stadthalter verfügte über eine Sammlung von Büchern, die dem Gott Gwyn gewidmet waren. Vorsichtig drückte Garrett den Knauf der Schublade herein, ohne auf Widerstand zu stoßen. Der Knauf verschwand vollständig in der Sonne, es ertönte ein mechanisches Klicken in der Wand direkt hinter seinem Rücken. Garrett wandte sich zur Wand um, vor der ein weiteres Bücheregal stand, dieses Mal jedoch mit Werken über den Umgang mit dem Glauben. Liebend gerne hätte Garrett sich mit den Büchern beschäftigen wollen, wäre mit seinen Gedanken in jede einzelne Zeile versunken, nur blieb ihm dafür keine Zeit.

    Seine Finger fuhren über die mit Staub bedeckten Einbände der Bücher, bis seine Blicke an einem Buch haften blieben, das weit weniger Staub besaß als alle anderen. „Der Katechismus des Glaubens", hieß der Titel des Buches, welches von dem Stadthalter öfter herausgenommen schien, als der Rest seiner Bücher. Warum nur? Garrett hob an den Seiten des Buches an, um es aus dem Regal herauszunehmen, doch stattdessen zog sich das Buch nur ein kleines Stück an einer Metallstange nach oben, was anschließend ein weiteres, dieses Mal wesentlich lauteres Klicken, ertönen ließ.

    Das Geräusch von wild um sich drehenden Zahnrädern ließ sich in der Wand hören. Nach und nach begann sich das Regal, zusammen mit den dahinterliegenden Steinen der Wand zu öffnen. Eine Menge Staub wurde ihm entgegengeschleudert, als die falsche Wand rüttelnd in ein Schloss einrastete und den dahinterliegenden Raum preisgab - kaum größer wie der neun Schritt breite und sechs Schritt lange Raum, in dem sich Garrett momentan befand.

    Beim Betreten überraschte es ihn, dass die Decke des neuen Raumes dennoch fast zehn Meter über ihm ragte. Wenige Fackeln brannten an den Wänden, so dass die Lichter den kreisförmigen Raum nur schwach erhellten. Ein Kronleuchter hing an der Decke – prachtvoll aus Gold gefertigt, glitzernd im Schein der Fackeln. Zu seiner rechten, führte eine alte Holzleiter bis unter die Decke hinauf, wo ein Gemälde hingehängt wurde. Garrett konnte keinen genauen Augenschein darauf werfen, da das Licht dafür nicht ausreichte, nur die Umrisse eines Reiters in silberner Rüstung erkennbar, der zwei Kurzschwerter in die Luft hob.

    Gefesselt von dem Ritter des Gemäldes, stieß er beinah eine Statue, genau in der Mitte des Raumes um. Wie auf das Kunstwerk oben, ließ das Licht auch hier nur einen schlechten Blick auf die Statue zu, deren Stein bereits an einigen Stellen abbröckelte. Aufgrund dessen fürchtete er, sie könne bei der kleinsten Berührung zerbrechen, weshalb Garrett schnell einige Schritt nach hinten tat. Die Statue zeigte einen muskulösen Mann mit dichtem Bart und über seine Schultern fielen lange Haare, endeten erst kurz vor seiner Hüfte. Einzig als Kleidung bedeckten den Körper des Mannes ein Paar Sandalen und eine kurze Hose.

    Niemals zuvor sah Garrett so viele Statuen unterschiedlicher Art an einem Tag. Diese hier sollte jedoch nicht die sonst prachtvollen Götter darstellen, vielmehr einen einfachen Mann – an seinen Haaren zu urteilen wahrscheinlich aus Asael, da dort traditionell alle Männer und Frauen lange Haare trugen. Mehrmals um die Statue herum gehend, suchte er nach jedem erdenklichen Hinweis auf ein Versteck des Gegenstandes seiner Begierde.

    Bevor seine Aufmerksamkeit bereits von der Statue abging, entdeckte er merkwürdige Symbole auf deren Rücken. Kleine Dreiecke, die sich über den gesamten Rücken verteilten, oft unterbrochen von gebogenen Strichen. Über den Rücken der Statue streifend, war plötzlich zu merken, dass sich die Symbole bewegen ließen. Probeweise rückten seine Finger einige von ihrem Platz weg – jede Bewegung begleitet von den Geräuschen eines Mechanismus im Inneren des steinernen Mannes.

    Zunächst nur verzweifeltes Umherschieben, begriff Garrett schließlich wie die Symbole zusammengeschoben werden mussten. Die gebogenen Striche sollten einen Kreis in der Mitte des Rückens formen und die Dreiecke platzierte er so, dass eine strahlende Sonne entstand. Als Garrett seine Arbeit beendete, drehte sich die Sonne im Uhrzeigersinn, bevor sie in der Statue verschwand, dann entbrannten die Kerzen hell. Zu Garretts Verwunderung leuchtete das Licht des Kronleuchters nun ausschließlich das Bild an, welches sich oberhalb der Leiter befand.

    Das Holz der Leiter fühlte sich morsch an, als Garrett es zunächst abtastete, er zögerte hinaufzusteigen, aber er nahm doch den Mut zusammen, langsam einen Fuß vor den anderen die Leiter hinaufzusteigen. Nach jedem seiner Schritte ächzte das Holz der Leiter fürchterlich. Garrett verfluchte innerlich die lauten Geräusche. Die Entfernung zum Gemälde schien vom Boden aus weniger gewesen zu sein, er glaubte bereits vier oder fünf Meter hinaufgestiegen zu sein, doch lag noch eine weite Strecke vor ihm.

    Mit schweißgebadeter Stirn erreichte Garrett schließlich das Gemälde. Es verlangte ihm sichtlich Mühe ab, sich an der Leiter festzuhalten, da kaum Fläche zur Verfügung stand, an der man greifen konnte.

    Der silberne Ritter wirkte aus der Nähe noch prachtvoller als er es vom Boden tat und für Garrett schien die Rüstung des Ritters im Kerzenlicht zu funkeln, als stände die Rüstung leibhaftig vor seinen Augen – das Aufleuchten eines kleinen Sternes. Der Ritter auf dem Bild stand vor einer Klippe - sein Blick in den Abgrund vor ihm gerichtet.

    Routiniert suchten Garretts Hände die Ränder des Gemäldes ab und spürten an der oberen Kante so etwas wie einen Knopf. Augenblicklich löste sich ein Stück aus der Decke, nachdem Garrett den Knopf betätigte. Ein Zoll breit und doppelt so hoch. An zwei Eisenstangen befestigt schob es sich langsam bis in den Kreis der Kerzen hinab. Die Flammen der Lichtquellen brannten plötzlich stärker als zuvor, züngelten fast einen Meter hoch. Auf dem, sich aus der Decke gelösten Block, lag ein kleiner Ring. Ein silberner Ring mit einem Rubin in der Mitte. Es musste der Richtige sein. Der Ring von Urfael in den göttlichen Flammen geschmiedet.

    Es musste Garrett gelingen ihn zu erreichen, doch ohne Verletzungen davonzutragen, wäre dies aussichtslos. Sein Gesicht fühlte sich unter den triefenden Schweißperlen kalt an. Er spürte die Schmerzen, welche vom krampfhaften Griff an der Leiter herrührten bis hin zu seiner langsam aufsteigenden Panik. In der jetzigen Situation bot sich ihm keine Deckung, keine Schatten lagen im Raum, in denen er sich verbergen konnte, sollte der Stadthalter zurückkehren. Es knackte. Eigentlich ein kaum hörbares Geräusch, aber für ihn so laut wie das Tosen des Sturmes eines Sommergewitters, das immer näher an ihn heran rollte. Der Stadthalter, dachte Garrett panisch, doch musste er sich zwingen, trotz der neuen Umstände ruhig zu bleiben. Seine Blicke flogen hektisch durch den Raum wie sie es zuvor noch nicht taten, jeder Wickel streng in Augenschein genommen, damit sich das kleinste Anzeichen offenbarte, was auf einen versteckten Mechanismus oder eine falsche Wand hindeutete. Nichts!

    Die Angst wurde zu einem entsetzlichen Brennen in seiner Brust und raubte ihm den Atem. Die Glieder versteiften sich, all seine Gedanken auf eine Flucht gerichtet, musste er enttäuscht langsam wieder die Leiter hinuntersteigen. Die Flucht musste ergriffen werden, doch drängte ihn sein Ehrgeiz dazu, den Boden noch einmal gründlich abzusuchen.

    Plötzlich brach unter seinem Gewicht eine Speiche der Leiter weg, ließ seinen Fuß ins Leere treten. Vor Schreck riss er an der Leiter, so dass diese strauchelnd und wankend von der Wand wegzurutschen drohte, um ihn Meter in die Tiefe zu schleudern. Hoffnungslos versuchte Garrett sein Gewicht nach vorne zu verlagern, damit die Leiter sich an der Wand hielt, doch diese rutschte am Boden zur Seite weg. Binnen eines Momentes nahm er all seine Kraft zusammen, wusste wie töricht sich ein Sprung an den Kronleuchter darstellte – trotzdem, in seiner jetzigen Lage immer noch plausibler, als in sechs Metern Tiefe, ungebremst gegen den Boden aufzuschlagen.

    Ein weiteres Knacken ertönte, dann brach die Leiter in zwei Teile. Davor sprang Garrett aber bereits mit einem weiten Sprung an den Kronleuchter heran. Erwartungsgemäß richtete er sich auf unbeschreibliche Schmerzen ein, seine Haut würde Blasen werfen und schwarz von seinen Knochen abbrennen. Zu seiner Verwunderung jedoch, regte sich keine Hitze von den Kerzen und sein Körper blieb von den Flammen verschont. Durch sie hindurchgeflogen, klammerte er jetzt mit beiden Händen an den Eisenstangen des herabgefahrenen Blockes fest. Feuer, das keine Wärme ausstrahlt, ist kein echtes Feuer.

    Garrett verstand nicht, wie ihm widerfuhr, doch galt seine Interesse weiterhin dem Ring, der sich nun direkt in greifbarer Nähe befand, funkelnd im falschen Feuer, das immer noch hell um Garrett herum brannte. Der Ring schien auf ihn zu warten.

    In seinem Kopf ertönte ein schwaches Wispern als das glänzende Silberne auf seiner Hand lag, vielleicht vom Ring oder doch nur eine Gespinst seiner Gedanken. Eine leise Stimme, die unverständliche Wörter flüsterte – wie von einem Windstoß herangetragen. Den Ring zog er über den rechten Zeigefinger - hell und blitzend leuchtete der Rubin auf und Garretts Körper fühlte sich augenblicklich wie in einem lodernden Feuer an. Nachdem der Schmerz abebbte, der ihn fast vom Kronleuchter fallen ließ, fackelten die Flammen der Kerzen ein letztes Mal rhythmisch hin und her, bevor sie gänzlich erloschen.

    Mit einem Rattern ging der Kronleuchter zusammen mit dem Stück aus der Decke, an einer Kette, dem Boden entgegen, während Garrett immer noch - unfähig sich zu bewegen – an den Eisenstangen festhing. Der Kronleuchter hielt mit den Eisenstangen nur Zentimeter über dem Boden an. Jetzt setzten sich die Glieder seines Körpers nach und nach wieder in Bewegung, gaben ihm genügend Kraft, um unbeholfen wieder auf den Holzboden des Raumes zurückzukommen.

    Mit wackeligen Beinen stand er regungslos da, rief sich in Erinnerung, dass noch wenige Sekunden vorher sein Leben in Gefahr geschwebt hatte. Alles ging zu schnell; das Zerbrechen der Leiter, der Sprung in die falschen Flammen und der Schmerz, der ihn durchfuhr nach Anlegen des Ringes. Es schien ihm fast schon inszeniert, als plante jemand, dass er in Lebensgefahr geraten sollte. Wollte irgendwer seine Person auf die Probe stellen?

    Wieder knackte es außerhalb des Raumes - dieses Mal eindeutig hörbar und ließ ihn aufschrecken. Sofort aus seinen Gedanken herausgerissen, schlich Garrett blitzschnell – immer den Körper im Schatten gehalten – in den Raum mit den Büchern zurück, wo sich lediglich eine gähnende Leere befand. Hinter einem Bücherregal versteckend, spähend in den Raum hinein, wartete er.

    Niemand kam jedoch hinein um ihm zornige Blicke zuzuwerfen, keiner brüllte ihn vorwurfsvoll an, es stürmten auch keine Menschen hinein, um ihn zu töten. Garrett erinnerte sich aber ein spürbar lautes Knacken gehört zu haben, doch es hätte jemand in diesem Raum stehen müssen, von dem das Geräusch ausgegangen wäre - vielleicht der Stadthalter oder zumindest einer seiner Diener.

    Auch nach qualvollen Minuten weiterer Stille, sitzend in seinem engen Versteck, zeigte sich keine Gestalt, die Wendeltreppe heraufkommend. Seufzend machte er sich also daran zu verschwinden, den Ring als Beute an seinem Finger und seine Ohren gespitzt um jedes Geräusch eindeutig wahrzunehmen. Vor ihm lagen die steinernen Stufen, die zurück in den ersten Stock führten.

    Nach einem letzten Blick in den Raum mit der mysteriösen Statue, eigenartiger Weise nun mit einem breiten Lächeln im Gesicht, als wolle sie ihn beglückwünschen, schritt er mit dem Bild des Lächelns die Wendeltreppe hinunter, weg von all dem Rätselhaften, hin nach draußen, in die nach Hause zurückführende Freiheit. Seine Gedanken riefen den Namen seines Zuhauses immer wieder: Die Bruderschaft der Diebe. Eine Unterkunft für alle, die in dieser von Krieg zerfressen Welt keinen Ort für sich fanden.

    ***

    Der Eingang vom Haus des Stadthalters – eine massive Doppeltür aus dunkler Eiche - ragte in einiger Entfernung der hohen Decke entgegen, geschützt von den Blicken zweier Stadtwachen. Blindlings war Garrett den Fluren gefolgt bis in den Eingangsbereich. Das Fenster, welches Garrett zu Beginn genutzt hatte um herein zu kommen, kam nicht einmal in seinen Gedanken vor. Leicht konnte es ihm einen Weg in die Freiheit bieten, doch eine mysteriöse Stimme lenkte seine Schritte, verbot ihm die Flucht durch das Fenster im ersten Stock, wollte, dass er sich genau an diesem Ort befand.

    Standardmäßig in den Farben von Cindera gekleidet trugen die Stadtwachen eine matte, graue Hose und darüber eine leichte – ebenfalls grau gefärbte Lederrüstung. Das einzig Gefährliche an den Wachen schien die Hellebarde zu sein. In ihren rechten Händen tragend, standen die Waffen stolz senkrecht zu Boden gerichtet.

    Garrett verlangte es nicht nach einem offenen Kampf. Er hasste das Töten von Menschen und wahrscheinlich eilten – im Fallen einer Auseinandersetzung – weitere Wachen herbei, an denen ein Vorbeikommen nicht gelang. Es muss einen anderen Weg an ihnen vorbei geben, entschied er, sah eine der Wachen immer wieder den Bereich um die Tür auf und ab schreiten, bis sie an einen großen Treppenaufgang gelangte, dort herumdrehte und zu ihrem Kameraden zurückkehrte.

    Zunächst versuchte Garrett im Eingangsbereich einen weiteren Ausgang zu finden, bei dem die Flucht leichter vonstattenging, doch nirgends war ein tiefgelegenes Fenster oder ein weiterer Gang zu erkennen. Die hoch erhobenen Fenster fielen Garrett natürlich sofort auf, da sie aus dunklerem Glas gefertigt, all die anderen in diesem Haus in den Schatten stellten. Drei, mindestens vier Meter große Fenster ragten vor dem Haupteingang und an den seitlichen Wänden sowie hinter einer flachen Ebene des Treppenaufgangs auf. Sonnenstrahlen wurden verdunkelt, sobald sie durch das Glas fielen, ließen den Eingangsbereich bedrohlich wirken. Auch hier standen mehrere Statuen von Urfael, rings um den Bereich platziert. Ein sich abwechselndes Muster weißer und schwarzer Marmorplatten zierte den Boden unter seinen Füßen. Im schwachen Licht jedoch verschmolz alles zu einer einzigen schwarzen Platte.

    Das Versteck, in dem Garrett hockte, lag nur wenige Meter von der Eingangstür entfernt, bot einen guten Blick auf die Wachmänner und den Bereich. Hinter einer Statue versteckte er sich, wo ein kleiner Hohlraum zwischen der Wand und dem steinernen Gott gebildet wurde, begünstigt durch die Wölbung der Wand nach innen, neben dem Treppenaufgang. Lange konnte er allerdings nicht mehr im Verborgenen bleiben, da der Stadthalter bald zurückkehren würde.

    Seine Gedanken gaben ihm eine neue Idee, welche er sich für Notfälle, vor jedem Auftrag zurechtgelegte, ganz besonders effektiv in misslichen Lagen. Dies ist so eine Lage, dachte Garrett amüsiert und seine Hände glitten unter seinen Umhang, holten eine kleine, höchstens vierzig Zentimeter lange Armbrust hervor. Aus schlichtem Holz gefertigt, am ersten Tag in der Bruderschaft erhalten, stand sie ihm seither zur Seite. Das Material ließ nichts an der Qualität der Armbrust mangeln. Zudem war diese Armbrust ein ganz spezielles Model der Schmiedemeister der Bruderschaft. Sie konnte standardmäßig Bolzen verschießen, wurde jedoch auf einem Apparat montiert, der durch einen Lauf kleine Kugeln abfeuern konnte, indem man einen dünnen Hebel am Griff betätigte. Leider gab es nur einen Hebel, so dass entweder eine Kugel oder ein Pfeil abgeschossen werden konnte, wenn man nicht beides in die Armbrust einlud. Jeder Dieb besitzt seine persönliche Raffinessen. Du musst deine finden. Die Worte seines ehemaligen Mentors schwirrten durch seinen Kopf, während Garrett die Kurbel am Griff der Armbrust zurückdrehte und sich der Bogen spannte, die Sehne glitt zurück, bis sie – nach einem Klicken – in der Rückhaltevorrichtung einrastete.

    Seine Hände griffen nach hinten, bis sie einen kleinen Beutel aus Leder am Gürtel ertasteten. Aus diesem Beutel nahm er einen Armbrustbolzen heraus, dessen Spitze durch eine Kapsel ausgetauscht wurde, die beim Auftreffen auf einen Widerstand zerbrach und ihren Inhalt in die Luft abgab. In einem gelblichen Schimmer leuchtete die Kapsel, leichter Rauch stieg aus ihr auf, weshalb Garrett sein dünnes Tuch vor Nase und Mund enger zusammenzog.

    Glühwürmchen, beheimatet im Lande Isinael – eine Art die besonders wundervoll leuchtete und, was sicherlich die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich lenkte, gemischt mit Schwefel sowie Morgenblüte, um den Geruch zu verdecken. Aufgrund des Schwefels in Ohnmacht gefallen, schliefen die Wachen vielleicht zwei oder drei Stunden. Genug Zeit für ihn heimlich zu verschwinden. Den Bolzen in die Armbrust eingelegt, zielte Garrett – die Gegner völlig ahnungslos. Schnell und präzise musste er nun sein, konnte sich keinen Fehler leisten, da der kleinste Fehler über Freiheit oder Leid entschied.

    Die Eingangstür selbst diente als Ziel. Sofort nachdem die Kapsel am Bolzen das Holz berührte, sprang diese mit einem klirrenden Geräusch auf, das Gas strömte augenblicklich hinaus, gefolgt von den herrlich strahlenden Glühwürmchen, die den Raum mit ihrem Licht in Besitz nahmen. Das Licht lockte die Blicke der Wachen an, so wie Licht Motten anlockte. Scheinbar gefesselt starrten leere ausdruckslose Augen in das Leuchten, während das Gas herausströmte und seine Arbeit verrichtete. Die Morgenblüte verdeckte den Geruch des Gases, wodurch die Wachen nach kürzester Zeit die Waffen zu Boden fallen ließen und schließlich, Sekunden danach, selbst hinabstürzten.

    Noch einen Moment wartete er, bis sich das Gas verflüchtigte, dann trat Garrett aus seinem Versteck. Die Glühwürmchen verteilten sich bereits im ganzen Eingangsbereich des Hauses, konnten sie Garrett jedoch nicht in ihren Bann ziehen, da er seinem Körper zuvor das einzig wirksame Gegenmittel zugeführt hatte - Mohn. Es versetzte den Geist in eine Art Dämmerzustand, dadurch ließ sich jedoch ungehindert in die Lichter der Glühwürmchen blicken, ohne ihnen zu verfallen.

    Während Garrett zur Haustür schlich, duckte er sich immer wieder, lauschte auf ferne und nahe Geräusche, blickte durch den Raum, um mögliche Gefahren auszumachen. Sobald sein Gefühl ihm sagte, dass es sicher war, machte Garrett sich weiter Richtung Eingangstür auf. Gerade den schweren Griff heruntergedrückt, erschallte hinter ihm das Auftreten von Stiefelabsätzen auf dem blanken Marmor.

    Es schien der Stadthalter zu sein, der mit seinem hohen Gewicht scheinbar leichtfüßig die Stufen hinunterschritt, blieb erst wenige Schritte vor Garrett stehen. Sein faltiges Gesicht zeugte von einem fortgeschrittenen Alter des Mannes und seine Kleidung – komplett aus grüner Seide bestehend, betonte seinen angehobenen Stand in der Gesellschaft, denn nur wer über viel Besitz verfügte – sei es an Grund oder Dienern, durfte sich in diesem Land in Farbe Grün kleiden –selbst Händler oder Durchreisende mussten diese Regelung befolgen.

    Seine fleischigen Finger gingen über sein ungepflegtes, mit Stoppeln übersätes Gesicht, während seine wachsamen Augen Garrett musterten, woraufhin sich sein rundes Gesicht in Falten legte. Noch immer unter der Wirkung von Mohn stehend glaubte Garrett die Augen des Stadthalters ab und an Rot aufleuchten zu sehen, doch konnte dies einfach nicht stimmen, musste ein Hirngespinst von ihm sein. Als dieser damit aufhörte ihn zu begutachten, tat er zunächst einen Schritt nach hinten, legte seine Hände in zwei - an seiner Jacke eingenähte - Taschen. Seine Stimme klang rau, geschwächt, doch entschlossen.

    „Hast du dich genug umgesehen?", die Frage des Stadthalters schien eindeutig zu sein, jedoch wollte Garrett ihm nicht antworten. All seine Sinne stellten sich auf eine plötzliche Flucht ein, doch konnte er seine Beine nicht mehr spüren, oder sonst etwas von seinem Körper, als hätte jemand anderes sie in Besitz genommen, sodass er stehen bleiben musste. Der Stadthalter wirkte nicht besonders feindselig auf ihn.

    „Tut mir leid, begann der Stadthalter von neuem in einem gespielten, höflichen Tonfall. „Meine Manieren haben aufgrund des mangelnden Kontaktes mit Menschen ein wenig nachgelassen, was aber nicht heißt, dass ich in diesem - von Asche verseuchten Land - nicht weniger angesehen bin als andere Adelige oder hohe Damen. Sein Kopf legte sich leicht schief bevor er mit kräftigerer Stimme fortfuhr: „Glaubst du, das diese Stadt ohne Grund den Namen Ashor bekommen hat?"

    Seine Frage schnitt wie ein Messerstich in seine Haut. Garrett wollte zusammenzucken, wie jedoch, wenn er noch unfähig war sich zu bewegen - selbst sprechen konnte er nicht.

    Das Wort Ashor, las Garrett einmal, kam aus dem alt Cinderanischen – kaum noch gesprochen und bedeutete so viel wie graues Land oder Asche, wirklich passend, denn jeden Winter suchte das Land Cindera ein Ascheregen heim, welcher sich auf jedes Dach legte und wie ein Belag auf den Straßen und Landflächen haften blieb. Das Husten des Statthalters holte ihn aus seinen Gedanken zurück. Mehr als nicken konnte Garrett nicht – ein Zeichen dafür, dass der Stadthalter nun wieder über seine Aufmerksamkeit verfügte.

    „Ich weiß, du kennst die alten Geschichten des lyrianischen Volkes. Daher glaube ich dir nicht den Grund für den Ascheregen erklären zu müssen. Er zog eine Augenbraue hoch. „Oder doch?

    Eine Frage, als würde der Mann Garretts Gedanken lesen können und schnitt ihm wie eine Klinge ins Fleisch. Die Fesseln seines Körpers lockerten sich, jedoch nur an seinem Mund, damit er in der Lage war Wörter von sich zu geben.

    „Ich weiß, dass die Menschen sich nicht an die Regeln des Gottes Urfael hielten, hatten sie ihn doch einst vergöttert, sprach er mit trockenen Lippen. „Daraufhin hat der Gott ihr Volk mit einem Feuersturm gestraft und die jedes Jahr aufs Neue niedergehende Asche, soll uns an verbrannte Leiber von Kindern und Erwachsenen erinnern, die in diesem Sturm ihr Leben ließen.

    „Wieder einmal siehst du nur die halbe Wahrheit, Dieb. Der Sturm war keine Strafe, sondern ein Segen. Der Stadthalter faltete seine Arme vor dem Körper übereinander. „Durch ihn konnten sich die Starken von den Schwachen befreien und es wurde eine neue Ordnung gegründet – eine stabile Ordnung, die bis heute Furcht und Respekt gewährleistet. Ein tiefes, amüsiertes Lachen ertönte aus der Kehle des Stadthalters. „Glaub mir, kleiner Schatten, dass ich nicht zufrieden damit bin, wie Urfael damals vorgegangen ist…es hätte eine bessere Lösung geben müssen. Plötzlich zeigte sich im Gesicht des Stadthalters zum ersten Mal Trauer, wo normalerweise nur eine eisige Gleichgültigkeit oder finstere Freude herrschte. Wie alt musste dieser Mann sein, dass seine Erinnerungen bis zu den vergangenen Tagen zurückreichten - mindestens schon über mehrere Jahrtausende. „Verzeih mir, ich bin abgeschweift. Die Hände des Stadthalters verschlungen

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